Aus der Jugendzeit. Èâàí Ñåðãååâè÷ Òóðãåíåâ Deutsch von Adolf Gerstmann (1855-1921) Telegin und Pawlowna. Es ist nun schon eine ganze Reihe von Jahren her, da; etwa vierzig Werst von unserer Besitzung auf seinem Erbgute Suchodol ein entfernter Verwandter meiner Mutter lebte; er war in seiner Jugendzeit Gardeoffizier gewesen, hatte dann, da er ein ziemliches Verm;gen befa;, als es ihm beim Milit;r nicht mehr gefiel, seinen Abschied nehmen und sich der Bewirthschaftung seines Gutes widmen k;nnen – und hie; Alexis Sergejewitsch Telegin. Da er niemals sein Haus verlie;, so kam er nat;rlich auch nicht zu uns auf Besuch; mich aber schickten meine Eltern zweimal in jedem Jahre zu ihm, um ihm, als dem ;ltesten Familienmitglied, eine Aufmerksamkeit zu erweisen. Anf;nglich machte ich diese Besuche in Gesellschaft meines Erziehers, sp;ter allein. Der alte Herr nahm mich immer mit ausnehmender Freundlichkeit bei sich auf, und gew;hnlich dehnte sich mein Besuch so aus, da; ich gleich drei bis vier Tage bei ihm blieb. Als ich ihn kennen lernte, war er bereits ein Greis; bei meinem ersten Besuche in Suchodol z;hlte ich erst zw;lf Jahre, w;hrend er schon ein Siebziger war. Sein Geburtsjahr fiel zusammen mit dem letzten Regierungsjahr der Kaiserin Elisabeth. Er lebte ganz allein mit seiner Gattin Melania Pawlowna, die etwa zehn Jahre j;nger als er selbst sein mochte. Aus ihrer Ehe waren zwei T;chter entsprossen, diese waren aber Beide schon seit langen Jahren verheirathet und kamen nur h;chst selten einmal auf das Gut; zwischen ihren Eltern und ihnen war, wie das russische Sprichwort sagt, eine schwarze Katze hindurchgelaufen, und daher mochte es wohl auch kommen, da; Alexis Sergejewitsch nur in ganz vereinzelten F;llen seine Kinder erw;hnte. Ich sehe im Geiste noch immer das alte Geb;ude vor mir, das aber trotz aller seiner Eigenth;mlichkeiten doch so recht den Eindruck eines Herrensitzes machte, wie ihn unsere Steppenjunker lieben. Das Haus war nur einst;ckig, hatte aber gewaltige Plattformen und Galerien; zu Anfang dieses Jahrhunderts war es aus kolossal dicken Fichtenst;mmen aufgerichtet worden. Aus den ehemaligen Schisdrinski'schen W;ldern, von denen heute auch nicht mehr die kleinste Spur ;brig geblieben ist, waren die Baumriesen herbeigeschafft worden. Das Haus war sehr ger;umig und enthielt eine Unmasse Zimmer und Kammern, die allerdings, um die Wahrheit zu sagen, durchg;ngig sehr niedrig und auch ziemlich dunkel waren. Um den Winterfrost nach M;glichkeit fern zuhalten, hatte man nur ;u;erst kleine Fenster;ffnungen in den W;nden angebracht. Nach dem allgemeinen Gebrauche – jetzt mu; man allerdings sagen: nach dem damaligen allgemeinen Gebrauche, war das Herrenhaus von allen Seiten von Dienerwohnungen und Wirtschaftsgeb;uden umgeben. Auch ein Garten war in n;chster N;he, und wenn er auch nur klein war, so enthielt er doch einzelne B;ume mit ausgezeichnetem Obst – hier wuchsen die saftigsten Aepfel und die schmackhaften Birnen ohne Kerne. Zehn Werst im Umkreise erstreckte sich die einf;rmige, ebene Steppe; fettes, schwarzes Erdreich, ohne die geringste Abwechselung, keinen einzigen hervorragenden Gegenstand konnte das Auge erblicken, so weit es auch in der Runde streifte – keinen Baum, nicht einmal einen Kirchthurm. Nur weit, weit hinten am Horizont gewahrte man die Umrisse einer Windm;hle mit durchbrochenen Fl;geln. Alle R;ume des Hauses waren mit altmodischen, einfachen, an Ort und Stelle angefertigten M;beln angef;llt. Eigenth;mlich nahm sich im Salon ein in der N;he des Fensters befindlicher Meilenstein aus mit folgender Inschrift: »Wenn du diesen Salon achtundsechzig Mal durchschreitest, hast du eine Werst zur;ckgelegt; wenn du siebenundachtzig Mal von der ;u;ersten Ecke dieses Salons bis zur rechten Ecke des Billards gehst, so hast du ebenfalls eine Werst zur;ckgelegt« u. s. w. Was aber Jedem, der dem Herrenhause zum ersten Male einen Besuch abstattete, am allermeisten auffiel, das war die gro;e Menge von Bildern, die ringsum an allen W;nden hingen; es waren zum gr;;ten Theil Werke von Meistern aus der sogenannten ;lteren italienischen Schule – Landschaften, mythologische und religi;se Darstellungen. Da aber alle Gem;lde au;erordentlich nachgedunkelt hatten – zum gro;en Theil hatte sich sogar die einst glatte Fl;che der Leinwand geworfen – so konnte das Auge nichts unterscheiden, als einzelne fleischfarbene Flecke, hier und da wohl auch eine rothe Draperie, die um einen unsichtbaren Rumpf geschlungen sein mochte, einen dem Anschein nach in der Luft schwebenden Bogen, einen zerzausten Baum mit fast blau erscheinendem Laube, oder auch die Brust einer Nymphe, dem Deckel einer Suppenterrine vergleichbar; oder wohl auch eine zerschnittene Melone mit ihren schwarzen Kernen, einen Turban mit Feder oberhalb eines Pferdekopfes, oder endlich das Bruchst;ck einer Apostelfigur, ein zimmetfarbenes Bein mit kr;ftiger Wade und dicken, nach oben gerichteten Zehen. Den Ehrenplatz im Salon nahm das lebensgro;e Portrait der Kaiserin Katharina II. ein, eine Kopie des bekannten Lampi'schen Bildes. Es war der Gegenstand der besonderen Verehrung, ja – man kann ohne Uebertreibung fast sagen: der Anbetung und Verg;tterung Seitens des Hausherrn. Von den Decken hingen Kronleuchter von Bronze mit gl;sernem Aufputz herab, die alle sehr klein und auch sehr staubig waren. Alexis Sergejewitsch Telegin war ein kleines, untersetzt gebautes, rundliches M;nnchen mit vollem, etwas blassem, aber doch recht angenehmem Gesicht, schmalen Lippen und mit dichten Brauen ;ber den kleinen, ;u;erst lebhaft blickenden Augen. Die wenigen Haare, die ihm noch geblieben waren, pflegte er nach hinten ;ber zu k;mmen. Erst im Jahre 1812 hatte er aufgeh;rt, das Haar zu pudern. Seine Kleidung bildete unabweislich ein grauer Mantel mit drei auf die Schulter fallenden Kragen, eine gestreifte Weste, hirschlederne Beinkleider, dunkelrothe Saffianstiefel mit herzf;rmigem Ausschnitt und Quasten am oberen Sch;ftenrand; au;erdem trug er ein wei;es baumwollenes Tuch um den Hals geschlungen, ein Jabot, Manschetten und endlich zwei gro;e englische Uhren – in jeder Westentasche befand sich eine. F;r gew;hnlich hielt er in der rechten Hand eine emaillirte Tabacksdose mit spanischem Taback; die Linke st;tzte sich auf einen Stock, dessen silberner Knopf vom langen Gebrauche so abgerieben war, da; er ordentlich gl;nzte. Telegins Stimme war n;selnd und d;nn; er l;chelte best;ndig. Sein L;cheln hatte einen freundlichen Ausdruck, aber auch etwas Herablassendes und einen leisen Beigeschmack von Selbstgef;lligkeit. D;nn und fein, wie sein Sprechen, h;rte sich auch sein Lachen an. Er hatte die Lebensart aus der Zeit der Kaiserin Katharina beibehalten, und deshalb war er in h;chstem Ma;e h;flich und artig; auch alle seine Bewegungen waren langsam und wie abgemessen und abgerundet. Die Schw;che seiner F;;e hinderte ihn daran, zu gehen; er konnte nur mit kleinen Schritten von einem Sessel zum andern trippeln, und auf diesen lie; er sich dann wieder nieder, oder vielmehr er fiel in den Sessel, der weich und elastisch wie ein Kissen war. Telegin machte, wie ich schon erz;hlt habe, keine Besuche und hatte auch mit seinen Nachbarn fast gar keinen Verkehr, obgleich er die Gesellschaft und Geselligkeit liebte, denn er war von Natur etwas redselig, um nicht geschw;tzig zu sagen. An Gesellschaft fehlte es in seinem Haufe auch nie; da fanden sich mehrere Nikanor Nikanoritsche, Sebastej Sebastejewitsche, Fidulitsche, Michailowitsche u. s. w. – lauter verarmte Landjunker. Sie lebten unter seinem Dache und trugen zum Theil sogar die von ihm abgelegten M;ntel und Beinkleider. Im andern Theile des Hauses lebte eine h;bsche Anzahl heruntergekommener Edelfrauen; sie trugen Kattunkleider, dunkle T;cher und hielten ihre baumwollenen Arbeitsbeutel zwischen den zusammengepre;ten kn;chernen H;nden – das waren nun wieder die verschiedenen Awdolia's, Pelagia's u.s.w. Alexis Sergejewitsch war so gastfrei, da; an seinem Tische fast niemals weniger als f;nfzehn Personen vereint waren. Unter all' diesen, die hier aus Mitleid und Erbarmen ern;hrt wurden, traten besonders Pers;nlichkeiten durch ihre Eigenart hervor: ein Zwerg, der den Beinamen Janus oder der Zweigesichtige f;hrte, d;nischer oder, wie Einige behaupteten, j;discher Abstammung, und ferner der verr;ckte F;rst L. Im Gegensatz zu den Sitten und dem Gebrauche der damaligen Zeit diente der Zwerg durchaus nicht etwa dem Hausherm als ein Gegenstand des Am;sements oder als Narr. Gerade das Gegentheil war der Fall; Janus war immer schweigsam, sah finster und verdrossen darein, zog die Augenbrauen zusammen, runzelte die Stirn und knirschte mit den Z;hnen, sobald irgend Jemand sich einfallen lie;, eine Frage an ihn zu richten. Alexis Sergejewitsch nannte ihn »den Philosophen« und hatte in gewissem Sinne sogar Hochachtung vor ihm. Bei Tisch wurden, sobald die Herrschaft und die G;ste bedient waren, die einzelnen Sch;sseln ihm zuerst vorgesetzt. »Gott hat ihn heimgesucht,« pflegte Telegin zu sagen; »das war der g;ttliche Wille. Um so weniger darf ich oder ein Anderer noch wagen, ihm zu nahe zu treten.« »Warum halten Sie ihn denn eigentlich f;r einen Philosophen?« fragte ich einst. Janus konnte mich nicht leiden; sobald ich mich ihm nur n;herte, wurde er ;rgerlich und brummte mit heiserer Stimme: »La; mich in Frieden, aufdringlicher Mensch!« »Weshalb soll er, Gott beh;te, kein Philosoph sein?« antwortete mir Telegin. »Beachte doch nur einmal, mein Junge, wie gut er zu schweigen versteht.« »Und weshalb nennt man ihn den Zweigesichtigen?« »Deshalb, mein Junge, weil er ein Gesicht nur nach au;en zeigt – und nach diesem beurtheilt Ihr ihn nat;rlich, Ihr Naseweise. Er hat aber noch ein anderes Gesicht, das ist sein wirkliches. Dieses verbirgt er. Ich kenne es einzig und allein, und ich liebe ihn deswegen auch, denn dieses zweite Gesicht ist ein gutes Gesicht. Du siehst z.B. hin, und nimmst doch nichts wahr; ich aber, ich sehe und erkenne Alles, was in ihm vorgeht, auch wenn er kein Wort spricht. Ich erkenne es sofort, wenn er mit mir unzufrieden ist. Er ist sehr streng, aber er hat immer Recht. Du, mein B;rschchen, kannst das nat;rlich nicht begreifen, aber glaube es nur, wenn es ein so alter Mann sagt, wie ich es bin.« Die wirkliche Geschichte des Zwerges Janus – woher er stammte, auf welche Weise er zu Telegin ins Haus gekommen war – blieb aller Welt ein Geheimni;. Dagegen war die Geschichte des F;rsten L. uns Allen wohl bekannt. Er stammte aus einer reichen und sehr angesehenen Familie, war im Alter von zwanzig Jahren nach Petersburg gekommen und in ein Garderegiment eingetreten. Gleich beim ersten gro;en Empfange im Schlosse bemerkte ihn die Kaiserin Katharina; sie blieb vor ihm stehen, und indem sie mit dem F;cher auf ihn deutete, sagte sie laut zu einem Herrn ihres Gefolges: »Sieh doch nur, Adam Wassiljewitsch, welch' ein h;bscher Mensch das ist. Man glaubt wirklich, eine Puppe vor sich zu haben.« Dem armen jungen Mann drehte sich Alles vor den Augen im Kreise herum. Kaum war er in seiner Wohnung wieder angelangt, als er auch schon den Wagen anspannen lie;, und nachdem er das Band des Annenordens angelegt hatte, fuhr er in der Stadt spazieren mit der Miene und den Manieren Eines, der bereits der erkl;rte G;nstling geworden. »Fahr' ;ber Alle hinweg!« schrie er seinem Kutscher zu. »H;rst Du wohl? Du sollst ;ber Alle hinwegfahren, die mir nicht ausweichen!« Das wurde nat;rlich zur Kenntni; der Kaiserin gebracht. Die Folge davon war, da; der junge Mann f;r toll erkl;rt und zweien seiner Br;der zur Bewachung ;bergeben wurde. Diese machten auch nicht viel Federlesens, brachten ihn aufs Land, schlossen seine F;;e mit Ketten an einander und sperrten ihn in ein steinernes Gewahrsam. Da sie das Verm;gen des Bedauernswerthen f;r sich selbst haben wollten, so hielten sie ihn auch dann noch gefangen, als er schon l;ngst wieder zur Vernunft gekommen war. Schlie;lich war er so lange, unter dem Verdacht wahnsinnig zu sein, festgehalten worden, bis er thats;chlich den Verstand verlor. Dieser niedertr;chtige Streich brachte ihnen aber keinen Vortheil. F;rst L. ;berlebte seine Br;der und nach zahllosen Schwierigkeiten und Scheerereien kam er endlich, halb durch Zufall, unter die Vormundschaft Telegins, der auf irgend eine Weise mit ihm verwandt war. Er war ein dicker, vollkommen kahlk;pfiger Mann mit langer, spitzer Nase und blauen aus dem Kopfe hervorstehenden Augen. Er hatte das Sprechen mit der Zeit vollkommen verlernt und stie; nur unartikulirte Laute aus. Aber zum Singen hatte er bis ins hohe Alter eine treffliche, silberhell klingende Stimme sich bewahrt und russische Volkslieder trug er wirklich entz;ckend vor. Beim Singen brachte er auch jedes einzelne Wort vollkommen klar und wohllautend zum Ausdruck. Von Zeit zu Zeit hatte er Anf;lle von Tobsucht und dann war er wahrhaft schrecklich. Er stellte sich dann in eine Ecke, drehte das Gesicht der Wand zu und stie;, w;hrend sein Gesicht roth und schwei;bedeckt war und sogar die Glatze dunkelroth erschien, ein gellendes Lachen aus, stampfte mit den F;;en und befahl, irgend Jemanden – wahrscheinlich hatte er dabei seine Br;der im Sinn – aufs Allerstrengste zu bestrafen. »Schlage!« br;llte er auf, w;hrend ein Lachanfall ihn fast zu ersticken drohte. »Peitsche ohne Erbarmen darauf los! Schlage! Schlage diese Ungeheuer, meine Feinde! Gut so, gut so, immer noch kr;ftiger!« Am Vorabende von des F;rsten Tod trug sich etwas zu, was Alexis Sergejewitsch in h;chsten Schrecken versetzte. Bla; und sehr still trat der Tolle in das Zimmer meines Onkels, verneigte sich tief, dankte f;r das Obdach und alle die Unterst;tzungen, die ihm in diesem Hause zu Theil geworden waren und bat dann, zu einem Geistlichen zu schicken, denn der Tod sei ihm genaht – er habe ihn schon gesehen; deshalb sei es jetzt auch an der Zeit, von Allen Abschied zu nehmen und an sein Seelenheil zu denken. »Du hast den Tod gesehen?« murmelte ganz entsetzt Telegin, der zu gleicher Zeit aufs H;chste erstaunt war, denn er hatte noch niemals zuvor Jenen in so zusammenh;ngender Weise reden h;ren. »Wie sah er denn aus? Trug er eine Sense?« »Nein,« erwiderte F;rst L. »Es war einfach ein altes, mit einer Jacke bekleidetes Weib. Es hatte nur ein einziges Auge – mitten auf der Stirn. Ein solches Auge bekommt man in aller Ewigkeit nicht zum zweiten Male zu sehen.« Wirklich starb F;rst L. am n;chsten Tage, und zwar starb er bei vollst;ndiger Klarheit des Geistes, nachdem er mit dem Geistlichen gesprochen und sich von allen Hausgenossen verabschiedet hatte. »Auch ich werde so sterben,« sagte Telegin zuweilen. Und ziemlich ;hnlich ging es in der That bei seinem Tode zu; doch das werde ich sp;ter erz;hlen. Vorerst wollen wir zu unserm eigentlichen Gegenstande zur;ckkehren. Mit seinen Nachbarn unterhielt Telegin, wie ich schon sagte, nur ;u;erst geringf;gigen Verkehr, und auch sie mochten ihn nicht besonders leiden; sie bezeichneten ihn als einen Sonderling, als stolz, sp;ttisch und sogar als einen »Martinisten«, womit sie einen Menschen bezeichnen wollten, der die Pflichten, welche er der Obrigkeit gegen;ber hatte, nicht anerkennen wollte. Die Leute hatten dabei bis zu einem gewissen Grade sogar Recht. Alexis Sergejewitsch hatte fast siebzig Jahre hintereinander auf seiner Besitzung Suchodol verlebt und war dabei zu den Beh;rden, zu der Verwaltung und zum Gericht fast in gar keine Beziehung getreten. »Das Gericht ist f;r die R;uber geschaffen, die Verwaltungsbeh;rden sind wegen der Soldaten da,« pflegte er zu sagen. »Gott sei Dank bin ich aber weder R;uber noch auch Soldat.« Ein Sonderling war der alte Herr in mancher Beziehung ganz entschieden; aber eben so sicher ist, das seinem Wesen alles Niedrige und Kleinliche fremd war. Ich habe niemals genau erfahren k;nnen, welcher Art eigentlich seine politischen Anschauungen waren – wenn es ;berhaupt gestattet ist, einen so modernen Ausdruck auf die damalige Zeit und einen ihrer Vertreter anzuwenden. Alles in Allem genommen, war er ein Aristokrat und zwar noch mehr Aristokrat als das, was man in Ru;land gemeiniglich mit »gro;er Herr« zu bezeichnen pflegt. Einigemale gab er seinem Bedauern dar;ber Ausdruck, da; Gott ihm keinen Sohn und Erben geschenkt habe, »um das Geschlecht zu Ehren zu bringen und die Familie zu erhalten.« An der Wand seines Zimmers hing in einem vergoldeten Rahmen der sehr verzweigte Stammbaum der Telegins; es waren da eine Menge Kreise zwischen die Bl;tter gezeichnet, da; es aussah, als hingen Aepfel von den Zweigen herab. »Wir Telegins,« sagte er, »sind ein altes Geschlecht, das sein Bestehen schon in der grauen Vorzeit nachweisen kann. Aber so viel wir unserer auch waren, niemals sah man Einen von uns sich in den Vorzimmern der Gro;en herumdr;cken. Nie hat sich ein Telegin auf dem Treppenflur des Czarenpalastes die Beine m;de gestanden, niemals sich eine Gnadenstelle ausgebeten, niemals einen Schmuck getragen, den er erbeten h;tte, niemals in Moskau oder in Petersburg intriguirt. Wir blieben immer h;bsch daheim. Jeder sa; auf seiner Scholle – wir liebten unser Nest und blieben ihm treu. Wir sind Eingesessene, mein Junge! Ich selbst habe zwar in der Garde gedient, aber auch das hat, Gott sei Dank, nicht lange gedauert.« Alexis Sergejewitsch hatte eine an Schw;che grenzende Vorliebe f;r die gute alte Zeit. »Damals war man viel freier, viel selbstst;ndiger und w;rdiger, das kann ich auf mein Ehrenwort versichern. Aber seit dem Jahre eintausendachthundert –« (weshalb gerade von diesem Jahre an, hat er niemals n;her erkl;rt), »aber seit diesem Jahre hat das Milit;rhandwerk die Oberhand gewonnen. Die Herren Soldaten setzten sich damals Federb;sche aus Hahnenschw;nzen auf den Kopf und glichen nun selbft H;hnen. Sie reckten den Hals, da; sie gar nicht mehr sprechen, sondern nur noch kr;chzen konnten und dabei rissen sie die Augen auf, da; sie ihnen f;rmlich aus dem Gesichte herausquollen. Einmal kommt solch ein Polizeikorporal zu mir und sagt: ›Euer Hochwohlgeboren‹ – damit wollte er mir wahrscheinlich imponiren; als ob ich nicht selbst w;;te, da; ich ein Edelmann bin – also er sagt: ›Euer Hochwohlgeboren, ich habe mit Ihnen ein Gesch;ft abzuwickeln.‹ Ich aber erwiderte ihm: ›Verehrter Herr, machen Sie sich vor allen Dingen erst die Kn;pfe an Ihrem Rockkragen auf, denn Sie k;nnten unversehens niesen – und wissen Sie, was dann passirt? Dann m;ssen Sie zerspringen, wie eine Granate – Gott soll Sie davor bewahren. Und ich werde dann wohl gar f;r Ihren Tod verantwortlich gemacht.‹ Und trinken k;nnen diese Herren Milit;rs, das geht ins Unglaubliche. Ich lasse ihnen immer von meinem donischen Champagner reichen, denn ob Champagner oder Pontac – ihnen flie;t Alles gleich leicht und schnell durch die Kehle. Wozu also erst noch lange einen Unterschied machen? Und dann haben sie noch eine neue Erfindung gemacht, den Lutschbeutel, an dem sie immer saugen – ich meine die Tabackspfeife. Solch ein Soldat steckt sich den Lutschbeutel in den gro;en Mund unter den borstigen Schnurrbart, st;;t dann den Dampf durch Nase, Mund und selbst durch die Ohren aus und glaubt dann Wunder welch gro;er Held zu sein. Sogar meine Schwiegers;hne, von denen der Eine doch Senator ist und der Andere so etwas, was man, glaube ich, Kurator nennt, saugen an diesen neumodischen Lutschbeuteln und glauben dabei, Menschen mit ganz gesunden Sinnen zu sein.« Genau wie gegen den Rauchtabak hatte Alexis Sergejewitsch auch eine tiefe Abneigung gegen Hunde, ganz besonders gegen die kleinen. »Wenn Du ein Franzose bist,« sagte er, »so magst Du meinetwegen solch ein Vieh um Dich haben. Du l;ufst, Du springst – hierhin – dorthin – und es folgt Dir immer nach, es springt, den Schwanz in die H;he gerichtet, immer um Dich herum. Aber was sollen wir Russen mit solcher Bestie anfangen?« Von der Kaiserin Katharina sprach er immer mit wahrer Begeisterung und in sehr wohlgesetzter Redeform, sogar mit gesuchten Ausdr;cken. »Ein Halbgott war sie, kein gew;hnliches Menschenkind! Betrachte nur einmal, mein Junge, dieses L;cheln,« fuhr er fort, indem er respektvollst auf das Lampi'sche Portr;t deutete, »dann wirst Du mit mir darin ;bereinstimmen, da; sie ein Halbgott gewesen. Einmal in meinem Leben bin ich so gl;cklich gewesen, gew;rdigt zu werden, dieses L;cheln in Wirklichkeit zu schauen und in meinem Herzen wird, so lange ich lebe, der Eindruck nicht verwischt werden, den ich davon empfangen.« Dann theilte er mir Anekdoten aus dem Leben Katharina's mit und zwar waren dies meistens solche, die ich nirgends sonst weder geh;rt noch gelesen habe. Hier eine derselben: Alexis Sergejewitsch gestattete Niemandem, auch nur die leiseste Anspielung auf die bekannten Schw;chen der gro;en Kaiserin zu machen. »Man hat ja schlie;lich auch nicht das Recht,« pflegte er dabei zu sagen, »;ber diese erhabene Frau so zu urtheilen, wie ;ber gew;hnliche Menschen.« Eines Morgens sa; sie bei der Toilette in ihren Pudermantel geh;llt und lie; sich die Haare k;mmen. Was glaubt man wohl, das dabei geschah? Die Kammerfrau f;hrt mit dem Kamme durch das Haar und dabei springen die elektrischen Funken aus demselben und spr;hen nach allen Seiten. Sofort lie; die Kaiserin den Leibarzt Rodgerson, der an diesem Tage gerade Dienst hatte, zu sich rufen und sagte zu ihm: »Ich wei; sehr wohl, da; man wegen gewisser Vorkommnisse mich verurtheilt. Aber siehst Du hier die Funken? Sie r;hren von der mir innewohnenden Elektrizit;t her. Nun, bei meiner Natur und Komplexion wirst Du, da Du doch Arzt bist, begreifen, wie Unrecht man mir thut, wenn man mich verurtheilt. Man sollte doch vorher mich und mein Wesen genau kennen lernen.« Das folgende Ereigni; hatte sich unausl;schlich in Telegins Ged;chtni; eingepr;gt. Eines Tages, er war damals kaum sechzehn Jahre alt, hatte er die Wache im inneren Schlo;hofe. Pl;tzlich geht die Kaiserin an ihm vor;ber; er macht Honneur und »sie« – Alexis Sergejewitsch rief das jedesmal in freudigstem Ton und mit strahlendem Gesicht – »sie l;chelte ;ber meine Jugend, meinen Eifer und hatte die Gnade, mir ihre Hand zum Kusse zu reichen, dann mich auf die Backe zu klopfen und mich zu fragen, wer ich sei, woher ich stamme, welcher Familie ich angeh;re und dann –« hier stockte die Stimme des Alten vollkommen – »dann – dann befahl sie mir, ich solle meine Mutter in ihrem Namen gr;;en und ihr danken, da; sie ihre Kinder so gut erzogen habe. Ob ich in diesem Augenblicke schon im Himmel oder noch auf Erden weilte, und wohin die hohe Frau sich zu entfernen geruhte, ob sie in die Wolken sich erhob oder sich in einen anderen Fl;gel des Geb;udes begab, das kann ich noch zu dieser Stunde nicht mit Gewi;heit angeben.« Wiederholt hatte ich schon versucht, den Alten ;ber jene nun schon so weit hinter uns liegenden Zeiten auszufragen und dies ganz besonders ;ber die Personen, welche sich in der Umgebung der Kaiserin befanden. Aber meistens wich er der Beantwortung solcher Fragen aus. »Wozu soll man so viel vom Vergangenen erz;hlen?« sagte er. »Es regt nur unn;tz Denjenigen auf, der die Zeiten mit durchlebt hat. Man erz;hlt von den Tagen, da man selbst noch jung war, w;hrend man heute kaum noch einen einzigen Zahn im Munde hat. Das mu; man ;brigens sagen: die alten Zeiten waren doch sch;n! Nun, wir wollen nicht weiter dar;ber reden. Was aber nun jene Menschen anbetrifft, auf welche Du junger B;sewicht die Rede gebracht hast – Du meinst doch sicherlich die G;nstlinge, die Schranzen? H;re einmal! Du hast doch wohl gewi; schon einmal im Wasser eine Blase aufsteigen sehen? So lange sie ganz ist, kann man sie in den sch;nsten Farben schimmern sehen – roth, blau, gelb flimmert es, kurz, es gleicht dem Regenbogen und den Brillanten. Aber nach ganz kurzem Verweilen platzt die Blase und dann findest Du auch nicht die mindeste Spur mehr weder von ihr noch auch von ihrem sch;nen Farbenspiel. Da hast Du mit kurzen Worten die Geschichte jener Menschen.« »Und Potemkin?« fragte ich einmal. Alexis Sergejewitsch nahm eine ernste Miene an. »Potemkin, Gregor Alexandrowitsch, war ein Staatsmann, ein Gottesgelehrter, ein Z;gling Katharina's – man m;chte fast sagen: ihr Kind. Aber genug davon, mein Junge!« Telegin war ein sehr frommer Mann, und obwohl es f;r ihn mit gro;en k;rperlichen Beschwerden verbunden war, besuchte er doch regelm;;ig die Kirche. Von Aberglauben war nichts an ihm zu finden; er machte sich ;ber Vorzeichen, b;sen Blick und ;hnliche Albernheiten, wie er es nannte, lustig; dennoch aber hatte er es nicht gern, wenn ihm ein Hase ;ber den Weg lief und eine Begegnung mit dem Geistlichen war ihm niemals angenehm. Das hinderte ihn aber durchaus nicht, den Popen in jeder Hinsicht respektvoll entgegenzukommen; er lie; sich von ihnen den Segen ertheilen und k;;te ihnen daf;r auch die Hand – aber in ein Gespr;ch lie; er sich nicht gern mit ihnen ein. »Es geht ein gar zu starker Duft von ihnen aus,« erkl;rte er mir einmal, »und ich S;nder bin nicht im Stande, das auf die Dauer zu ertragen. Sie haben so lange Haare, die sie mit Oel voll schmieren. Diese ziehen sie dann nach allen Seiten auseinander und glauben wohl gar noch, mir dadurch ihren Respekt zu bezeugen; w;hrend des Gespr;ches st;hnen und seufzen sie auch fortw;hrend – ich wei; nicht, thun sie es aus Verlegenheit oder meinen sie, da; sie mir damit einen besondern Gefallen erweisen. Dann haben sie auch die Gewohnheit, uns an unsere Todesstunde zu erinnern. Ich aber, komme es nun, wie es mag, ich habe noch Lust zu leben. Uebrigens mu;t Du, mein Junge, das, was ich Dir hier sage, nicht weiter plaudern. Achte und ehre den geistlichen Stand; nur Dummk;pfe haben keine Hochachtung vor ihm. Ich bin eben ein alter Mann, und deshalb lade ich auch die Schuld auf mich, h;ufig Unsinn zu schwatzen.« Wie alle Edelleute jener Zeit besa; auch Alexis Sergejewitsch Telegin nur eine sehr mittelm;;ige Bildung, aber bis zu einem gewissen Grade war er selbst schuld an diesem Mangel und zwar durch seine Lekt;re. Die einzigen B;cher, die er ;berhaupt las, waren russische Werke aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts. Neuere Schriftsteller fand er kraftlos und ohne Form. Wenn er las, stand neben ihm auf einem Tischchen eine silberne Kanne, die mit einem eigenth;mlichen, mit Pfefferm;nze gew;rzten Kwa; gef;llt war, und der scharfe Geruch drang bis in die entferntesten R;ume des Hauses. Beim Lesen setzte er eine gro;e Brille mit runden Gl;sern auf die Nasenspitze. In der letzten Zeit las er ;brigens noch weniger, als sonst; er begn;gte sich damit, gedankenvoll ;ber die Einfassung der Brille hinweg auf das Buch zu starren, dabei zog er die Augenbrauen in die H;he, bewegte die Lippen und seufzte von Zeit zu Zeit. Eines Tages traf ich ihn, als er ein Buch auf den Knieen hielt und weinte; das ;berraschte mich, wie ich offen gestehen mu;, ganz ungemein. Er erz;hlte mir nun, da; er sich an folgende Verse erinnert h;tte: »O Menschenkind, wie unselig bist Du! Niemals findest auf Erden Du Ruh'. Du hast nur Ruhe auf dieser Welt, Wenn Dein K;rper zu Staub im Grabe zerf;llt. Auch diese Ruh' mag uns tr;bselig erscheinen; Der Todte schlafe – der Lebende soll weinen.« Die Verse hatten einen gewissen Kornitsch-Kornitzky, einen fahrenden Poeten, zum Verfasser, den Alexis Sergejewitsch in seinem Hause aufgenommen hatte, weil er ihm als ein feinf;hliger und zart besaiteter Mensch erschienen war. Der Dichter trug Schuhe mit Schnallen und Schleifen, sprach im kleinrussischen Dialekt und seufzte h;ufig, wobei er die Augen zum Himmel aufschlug. Zu diesen Vorz;gen kam noch der weitere, da; Kornitsch-Kornitzky, der in einem Jesuiten-Kollegium erzogen war, sehr gut franz;sisch sprach, w;hrend der Hausherr es nur »verstand«. Aber nachdem er sich eines sch;nen Tages in der Schenke einen selbst f;r russische Verh;ltnisse ungew;hnlichen Rausch geholt hatte, legte der so zartbesaitete Mensch eine unglaubliche Rohheit an den Tag. Dem Kammerdiener Telegins schlug er Arme und Beine entzwei, pr;gelte den Koch, zwei zuf;llig des Weges kommende W;scherinnen und einen im Hause arbeitenden Tischler weidlich durch, zerschlug eine gro;e Anzahl Fensterscheiben und br;llte dabei fortw;hrend: »Diesen russischen Taugenichtsen, diesen niedertr;chtigen Ungl;ubigen werde ich schon zeigen, was sie werth find!« Welch eine Kraft kam bei dieser Gelegenheit in dem so schw;chlich und kr;nklich aussehenden S;ngersmann zum Vorschein! Acht M;nner konnten ihn nur mit M;he und Noth bew;ltigen. Nach diesem Auftritt hatte die Geschichte aber auch ein Ende; Telegin lie; den Dichter zum Hause hinauswerfen, jedoch nicht ohne ihn vorher – die Sache trug sich im Winter zu – zur Abk;hlung so, wie ihn Gott geschaffen hatte, in den Schnee stecken zu lassen. »Ja,« pflegte Alexis Sergejewitsch Telegin zuweilen zu sagen, »meine Zeit ist vor;ber. Einstmals war ich ein gutes Pferd, aber nun bin ich lahm. Siehst Du wohl, ich habe sogar Dichter auf meine Kosten unterhalten, ich habe Gem;lde und B;cher zusammengekauft. Die G;nse auf meinem Gute waren mindestens ebenso gut als die Muchanowski'schen, und meine Tauben waren von seltenster Race, alle so h;bsch lehmfarben. Ich hatte Alles und war von Allem Liebhaber, nur nicht von Hunden. Die Hunde ha;te ich Zeit meines Lebens gerade so, wie die Trunkenbolde. Ich konnte manchmal sehr heftig und auch w;thend werden, denn ich wollte durchaus immer die Telegins als Erste in jeder Beziehung gl;nzen sehen. Und welch pr;chtiges Gest;t hatte ich seiner Zeit! Was meinst Du wohl, mein Junge, woher meine Pferde stammten? Aus den ber;hmten Gest;ten des Czaren Iwan Alexejitsch, des Bruders Peters des Gro;en. Du kannst es mir aufs Wort glauben. Alle meine Hengste waren dunkelbraun. M;hnen hatten sie bis ans Knie und ihre Schw;nze reichten bis zur Erde herab; sie sahen fast wie L;wen aus. Und das ist nun Alles gewesen! Alles ist verschwunden, Gras ist dar;ber gewachsen. O Eitelkeit der Eitelkeiten, Alles ist eitel! Wozu hilft aber alles Klagen und Bedauern? Jedem Menschen ist die Grenze seines Wirkens vom Schicksal genau vorgeschrieben. Man kann schlie;lich nicht h;her fliegen, als der Himmel ist; man kann nicht im Wasser leben und kann auch seinem Geschick nicht entgehen, eines Tages in die Erde gesenkt zu werden. Wir wollen aber bis dahin noch leben, so gut es eben geht.« Und dabei l;chelte der brave Alte wieder und nahm eine Prise von seinem spanischen Taback. Die Bauern liebten ihn. Sie sagten: »Er ist ein guter Herr und ger;th nicht bei jeder Gelegenheit in Zorn.« Aber auch sie verglichen ihn, wie er selbst es that, mit einem spattlahmen Gaul. Fr;her beaufsichtigte Telegin Alles selbst; er ritt auf die Felder, ging in die M;hle und in die Butterkammer. Er unterlie; auch nie, einen Blick in die Bauernh;user zu werfen. Sein roth ausgeschlagenes Gef;hrt, eine sogenannte Reitdroschke, war allgemein bekannt und ebenso das davor gespannte Pferd, ein m;chtiges Thier mit gro;em Stern auf der Stirne, vom Volksmund "die Laterne" genannt. Das Pferd stammte aus den oben erw;hnten ber;hmten Gest;ten und Telegin lenkte es selbst, indem er die Enden der Z;gel um seine F;uste schlang. Als der Alte nun aber das siebzigste Jahr erreicht hatte, bek;mmerte er sich um die Wirthschaft nicht mehr, sondern ;bergab die Verwaltung seines gesammten Besitzthums dem Beamten Antig, den er insgeheim ein Wenig f;rchtete, und den er, in Erinnerung an die Voltaire'sche Epoche, Mikromegas nannte, oder auch einfacher: Blutigel. »Nun, Blutigel, was gibt's Neues? Hast Du Scheuer und Tennen h;bsch angef;llt?« pflegte er zu fragen, wobei er Jenem l;chelnd gerade in die Augen sah. »Alles, was ich habe, danke ich Ihrer Gnade,« antwortete Antig harmlos. »Ach was – Gnade! Nimm Dich vor mir in Acht, Mikromegas. Wage es nicht, meine Bauern, auch wenn es nicht vor meinen Augen geschieht, auch nur mit einem Finger zu ber;hren. Wenn sich meine Bauern beklagen, dann – sieh Dir einmal diesen Rohrstock hier an – dann kannst Du n;here Bekanntschaft mit ihm machen.« »Ihr Rohrstock, V;terchen Alexis Sergejewitsch, kommt mir auch ohnedies nie aus dem Ged;chtni;,« erwiderte Antig-Mikromegas, sich langsam den Bart streichend. »Um so besser, vergi; ihn nie!« Und dann lachten der Gutsherr und sein Verwalter sich gegenseitig freundlich an. Sein Gesinde und ganz besonders seine Leibeigenen, die er gern als sein »Volk« bezeichnete, behandelte Telegin mit gro;er G;te. »Siehst Du, lieber Neffe, man mu; doch bedenken, da; diese Leute nichts, aber gar nichts ihr Eigen nennen, als h;chstens das Kreuz an ihrem Halse und auch das ist nur von Kupfer. Es f;llt ihnen nicht ein, nach fremdem Besitze ein Verlangen zu hegen. Soll man gegen solche Leute nicht sehr wohlwollend sein?« Ganz abgesehen davon, da; zu jener Zeit noch Niemand an die Frage von der Aufhebung der Leibeigenschaft auch nur im Entferntesten dachte, konnte diese Frage Alexis Sergejewitsch durchaus nicht beunruhigen. Er regierte ;ber sein »Volk« mit gro;er Ruhe und Nachsicht, aber er verurtheilte die schlechten Gutsbesitzer aufs Nachdr;cklichste und nannte sie »Feinde ihrer eigenen Gesellschaftsklasse«. Im Allgemeinen, so behauptete er, kann man die Leibeigenen in drei Gruppen eintheilen: In Vern;nftige, von denen es ziemlich wenig giebt; in Liederliche, davon man mehr als genug hat, und drittens in solche, die f;r nichts Verst;ndni; haben und die nicht wissen, was sie wollen und sollen – und von dieser Sorte giebt es so Viele, da; man damit die Teiche ausf;llen und die Gr;ben zusch;tten kann. Wer aber seine Unterthanen hart und grausam behandelt, der vers;ndigt sich vor Gott und Menschen. Ja, die Leibeigenen hatten ein treffliches Leben bei Alexis Sergejewitsch, wenigstens soweit sie in unmittelbarer N;he des Herrenhauses lebten; die in gr;;erer Entfernung Wohnenden hatten es schon nicht mehr so gut, trotz des Rohrstockes, mit welchem der Mikromegas wiederholentlich bedroht wurde. Das Hofgesinde bestand aus einer fast unz;hlbar gro;en Menge von Leuten; die Meisten von ihnen waren alt, gebrechlich, m;rrisch, mit gebeugtem R;cken und eingeknickten Knieen. Sie trugen langsch;;ige Nankingkaftans und verbreiteten einen penetranten s;uerlichen Geruch um sich. Von den Frauen, die zur Dienerschaft geh;rten, vernahm man nichts als das Auftreten der nackten F;;e und das Rauschen der faltigen R;cke. Der erste Kammerdiener hie; Irinarch. Wenn Telegin ihn bei seinem Namen rief, zog er die einzelnen Silben endlos auseinander: I–ri–na–a–arch! Die Andern nannte er einfach: Kleiner! Mein B;rschchen! Oder auch: Du da, der ja auch zu meinem Volke geh;rt! Glocken und Klingelz;ge konnte er nicht leiden. »Man glaubt immer, wenn man so etwas h;rt, man ist – Gott beh;te – in einer Herberge.« Was mich immer ;u;erst in Erstaunen setzte, war der Umstand, da;, so oft auch Alexis Sergejewitsch seinen Kammerdiener rief, dieser sofort erschien, wie aus der Erde gestampft; die Hacken aneinander, die H;nde auf dem R;cken haltend, so stand er vor seinem Herrn und blickte ihn mit m;rrischer, fast feindseliger Miene an. Und welch ein eifriger, treuer Diener war er doch! Telegin war freigebig, fast ;ber seine Kr;fte hinaus, aber er hatte es nicht gern, da; man ihn als Wohlth;ter pries. »Wieso, mein lieber Herr, bin ich denn ein Wohlth;ter? Nicht Ihnen, sondern nur mir selbst habe ich etwas Gutes erwiesen.« Wenn er zornig oder auch nur aufgebracht war, sprach er Alle mit »Sie« an, statt mit dem sonst von ihm gebrauchten vertraulichen »Du«. »Wenn ein Bettler Dich um ein Almosen angeht,« pflegte er zu sagen, »so gieb ihm einmal, gieb ihm zweimal, gieb ihm auch dreimal. Wenn er dann zum vierten Male kommt, so gieb ihm wieder, sage dabei aber: ›Du k;nntest auch einmal eine andere Arbeit versuchen, Br;derchen, als blo; um milde Gaben ansprechen.‹ « »Aber wie dann, Onkel, wenn der Bettler nun noch zum f;nften Male kommt?« »Nun, dann gieb ihm eben zum f;nften Male.« Wenn Kranke zu ihm kamen und seine Hilfe in Anspruch nahmen, so lie; er sie auf seine Kosten kuriren, obwohl er in die Kunst der 196;rzte kein gro;es Vertrauen setzte und f;r sich selbst niemals einen holen lie;. »Meine selige Mutter,« pflegte er zu erz;hlen, »heilte alle Krankheiten mit Provencer-Oel, in das sie Salz sch;ttete; sie gab es sowohl innerlich, als auch zum Einreiben und immer hatte sie den besten Erfolg zu verzeichnen. Man mu; aber auch wissen, was meine selige Mutter f;r eine Frau war! Sie war noch zur Zeit Peter des Ersten geboren – danach mag man urtheilen!« Telegin war durch und durch ein echter Russe; er liebte nur russische Speisen und russische Lieder. Nur die Harmonika konnte er als begleitendes Instrument nicht leiden; sie war ja eine »Fabrik-Erfindung«. Er sah dem Reigen der jungen M;dchen gern zu, ebenso dem Tanze der Frauen. In seiner Jugend war er, wie man sich erz;hlte, ein guter S;nger und ein leidenschaftlicher T;nzer. Er nahm gern Dampfb;der, diese mu;ten aber so hei; sein, da; Irinarch, der ihn beim Baden bediente und ihn dabei mit Birkenruthen strich (bekanntlich lassen sich die Russen mit solchen Ruthen so lange schlagen, bis alle Bl;tter von den Zweigen heruntergeschlagen sind), ihn ferner mit Bast frottirte und mit Tuchlappen massirte – da; dieser brave Irinarch jedesmal, so oft er roth wie eine neue kupferne Statue aus dem Badezimmer kam, sagte: »Na, dieses Mal bin ich, Irinarch Tolob;jew, der Knecht Gottes, noch mit heiler Haut davon gekommen. Wie wird mir's aber beim n;chsten Male ergehen?« Alexis Sergejewitsch sprach unsere sch;ne russische Sprache etwas nach Art der Altvorderen, aber geschmackvoll, rein und ohne sie mit Ausdr;cken aus fremden Sprachen zu vermischen; hin und wieder streute er Lieblingsworte in seine Rede, z. B. »Auf meine Ehre! Gott soll mir verzeihen! Wie dem auch immer sei« – und ;hnliche mehr. Wir haben nun aber genug von ihm erz;hlt und wollen nun auch ein Wenig ;ber Telegins Gattin, Melania Pawlowna, plaudern. Melania Pawlowna war in Moskau geboren und ihre gro;e Sch;nheit hatte ihr den Beinamen »La V233;nus de Muscou« eingebracht. Als ich sie kennen lernte, war sie bereits eine alte, abgemagerte Frau, mit feinen, aber ausdrucklosen Gesichtsz;gen; ihr Mund war klein und zwei Reihen schiefer Z;hnchen, wie Hasenz;hne aussehend, f;llten ihn. Auf der Stirne trug sie eine Menge kleiner L;ckchen und ihre Augenbrauen waren offenbar gef;rbt. Auf dem Kopfe trug sie stets eine in Pyramidenform aufsteigende Haube mit rosafarbigen B;ndern; im 220;brigen bestand ihr Anzug aus fu;freiem, wei;em Kleide, pflaumenfarbigen Schuhen mit rothen Abs;tzen und einem hohen Kragen um den Hals; ;ber dem Kleide trug sie ein Mieder von blauem Atlas, das aber an der rechten Schulter nur lose befestigt war, so da; es fast wie ein Umhang aussah. Das war genau dieselbe Toilette, welche sie am St. Peterstage des Jahres 1789 getragen hatte. An diesem Tage war sie, damals noch unverheirathet, mit einigen Verwandten nach dem Chodinski'schen Felde hinausgegangen, um dem ber;hmten Faustkampfe beizuwohnen, den der Graf Orlow veranstaltete. »Und der Graf Alexis Gregorinwitsch –« (du lieber Himmel, wie oft habe ich sie diese Geschichte erz;hlen h;ren!) – »der Graf bemerkte mich, n;herte sich uns, verneigte sich sehr tief und den Hut in beiden H;nden haltend, sagte er zu mir: ›Du wunderbare Sch;nheit, weshalb lassest Du den 196;rmel Deines Mieders so frei um Deine sch;ne Schulter h;ngen. Willst Du Dich etwa auch im Faustkampfe mit mir messen? Meinetwegen! Aber das sage ich Dir von vornherein: Wenn Du mich besiegst, ergebe ich mich und bin Dein Gefangener‹. Das h;rten Alle, die um uns standen, mit an und wunderten sich sehr.« Seit jenem Tage trug sie nun unausgesetzt dieselbe Toilette. »Damals aber hatte ich noch nicht solche Haube auf dem Kopfe. Damals trug ich einen Hut 224; la berg232;re de Trianon, und obwohl mein Haar gepudert war, schimmerte es doch wie Gold – wie Gold schimmerte es durch den Puder hindurch.« Melania Pawlowna war, wie man bei uns zu sagen pflegt, »dumm bis zur Heiligkeit«. Sie schw;tzte alles M;gliche und ;ber alles M;gliche, ohne wohl selbst recht zu wissen, was ihr Alles aus dem Munde kam; am meisten aber sprach sie ;ber Orlow. Orlow war und blieb, so kann man wohl sagen, der interessanteste Punkt ihres Lebens. Gew;hnlich segelte sie ins Zimmer, denn als gehen konnte man diese Art der Bewegung nicht mehr bezeichnen; den Kopf bewegte sie dabei regelm;;ig auf und nieder, wie ein Pfau. In der Mitte des Zimmers blieb sie stehen, streckte auf sonderbare Weise einen Fu; vor, fa;te mit zwei Fingern den Saum des herabgelassenen 196;rmels – (diese Stellung mochte wohl einst Orlow besonders gefallen haben) und blickte im Kreise umher, mit dem nachl;ssigen Stolze eines Siegers (das war ja bei solcher Sch;nheit dann selbstverst;ndlich). Manchmal fl;sterte sie dann noch: »Aber was soll's denn?« gerade als ob ein cavalier soupirant sie in zudringlicher Weise mit feinen Komplimenten verfolge – dann zuckte sie die Achseln und ging wieder, mit den Abs;tzen fest auftretend, aus dem Zimmer. Gleich ihrem Gatten schnupfte auch sie spanischen Taback; sie nahm ihn mit einem goldenen L;ffelchen aus einer ganz kleinen Dose und von Zeit zu Zeit, ganz besonders aber wenn ein Fremder zugegen war, hob sie eine Doppellorgnette – nicht etwa zu den Augen, sondern zur Nase, denn sie sah von Natur ganz ausgezeichnet; sie benutzte nur die Gelegenheit, um die kleine wei;e Hand mit den zierlich erhobenen Fingerchen recht zu zeigen. Wie oft hat mir Melania Pawlowna ihre Hochzeit beschrieben, die in der Kirche zur Himmelfahrt gefeiert worden war. Wie sch;n hatte die Kirche ausgesehen und ganz Moskau war zugegen! War das ein Gedr;nge! Viersp;nnige Equipagen, vergoldete Wagen, L;ufer – der L;ufer des Grafen Semadowsky gerieth sogar unter die R;der einer Karosse! »Der Bischof selbst traute uns, und wie r;hrend war die Predigt, die er dabei gehalten! Alle weinten, und wohin ich auch blicken mochte, ich sah ;berall Thr;nen, nichts als Thr;nen. Und die Pferde des General-Gouverneurs waren tigerfarben, und welch eine Menge Blumen hat man bei der Gelegenheit sehen k;nnen. Alles war wie mit Blumen ;bers;et! Ein sehr, sehr reicher Fremder hat sich bei dieser Hochzeit erschossen, aus unerwiderter Liebe. Auch Graf Orlow wohnte der Feier bei. Er n;herte sich meinem Mann, begl;ckw;nschte ihn und nannte ihn den Gl;cklichsten von allen Sterblichen. Jawohl, den Gl;cklichsten von allen Sterblichen nannte er ihn, Du dummer Junge! Und als Antwort darauf machte mein neuer Gatte seine sch;nste Verbeugung und wedelte mit seinem Federhute auf dem Fu;boden immer von links nach rechts, als wollte er sagen: ›Erlaucht, jetzt ist zwischen Ihnen und meiner Gattin eine Grenzlinie gezogen, die Sie niemals ;berschreiten d;rfen.‹ Und Orlow, Alexis Gregoriewitsch Orlow begriff das auch sofort und lobte meinen Mann daf;r. O, welch ein ausgezeichneter Mensch war dieser Graf! Einmal, es war schon nach meiner Verheirathung, waren Alexis und ich von ihm zu einem Balle eingeladen worden; er trug wunderbar sch;ne Brillantkn;pfe. Ich konnte mich nicht enthalten meine Bewunderung dar;ber zu ;u;ern und zu sagen: ›Welch herrliche Kn;pfe haben Sie da, Herr Graf!‹ da ergriff er sofort ein Messer, das auf dem Tische lag, schnitt einen der Kn;pfe ab, ;berreichte ihn mir und sagte: ›Ihre sch;ne Augen, mein T;ubchen, sind hundertmal herrlicher, als die pr;chtigsten Brillanten. Treten Sie gef;lligst einmal vor den Spiegel und vergleichen Sie!‹ Das that ich auch, und er stellte sich neben mich und sagte: ›Nun, wer hat Recht?‹ Und dabei konnte er seine Blicke gar nicht von mir abwenden. Mein Mann, Alexis Sergejewitsch, wurde dabei sehr verwirrt; ich bemerkte das aber und sagte zu ihm: ›Alexis, ich bitte Dich, beunruhige Dich nicht; Du solltest mich doch besser kennen.‹ Und er antwortete: ›Sei Du nur ruhig, Melania. Diese selben Brillanten trage ich jetzt im Medaillon um das Bild von Alexis Gregoriewitsch. Du wirst es wohl schon gesehen haben, mein Junge; ich trage es bei Festtagen am Georgsbande an der Schulter. Denn er war ein tapferer Held, ein echter und rechter St. Georgs-Ritter; er hat die t;rkische Flotte verbrannt.« In der Seeschlacht bei Tschesme wure die t;rkische Flotte durch die unter des Grafen Orlow Befehl stehende russische verbrannt. Trotz dieser kleinen Schw;chen war aber Melania Pawlowna ein ausgezeichnetes Gesch;pf; sie war ungemein leicht zufrieden zu stellen. »Sie macht Niemandem das Leben schwer, wie dies wohl andre Frauen thun,« sagten die Kammerm;dchen von ihr. Eine wahre Leidenschaft entwickelte Melania Pawlowna f;r alle s;;en Speisen, und eine alte Frau, die ausschlie;lich zum Einmachen der Fr;chte angestellt war und die man deshalb die Zuckerfr;chtefrau nannte, brachte ihr wohl zehnmal im Laufe des Tages einen kleinen chinesischen Teller, auf dem bald in Zucker eingekochte Rosenbl;tter, bald Berberitz in Honig, bald auch Ananas-Sorbet sich befand. Die alte Dame f;rchtete das Alleinsein, wegen der schrecklichen Gedanken, die sich ihr dann nur zu bald einstellten, und so befand sie sich denn fast fortw;hrend in einem Kreise von Leuten, die bei ihr das Gnadenbrod a;en, und die sie unausgesetzt bat: »Aber so sprecht doch nur! Erz;hlt mir doch irgend etwas! Seid ihr denn blo; dazu gut, um dazusitzen und die St;hle zu w;rmen?« Und dann fingen die Leute an zu plaudern und zu reden, da; es sich anh;rte, als wenn Kanarienv;gel zwitscherten. Da sie ebenso fromm wie ihr Gatte war, hatte sie auch eine gro;e Neigung zum Beten. Weil sie nun aber, wie sie selbst eingestand, nicht gelernt hatte die Gebete gel;ufig zu lesen, unterhielt sie eigens zu diesem Zwecke eine arme Frau, die Wittwe eines Diakonus, die, wie sie sagte, »gar so appetitlich zu beten verstand. Niemals blieb sie stecken.« Und das mu; man sagen, diese Diakonswittwe konnte wirklich mit unvergleichlicher Fertigkeit beten; unaufhaltsam flo; ihr der Strom der Worte von den Lippen, und sie machte nicht einmal eine Pause, um Athem zu holen. Melania Pawlowna sa; dabei, h;rte zu und erbaute sich daran. Noch eine andere arme Wittwe war zu ihren Privatdiensten angestellt, und zwar mu;te sie der Frau des Hauses in der Nacht M;rchen erz;hlen. »Aber nur alte M;rchen,« sagte Melania Pawlowna; »ich will nur solche h;ren, die ich schon von fr;her kenne, denn die neuen sind doch alle nur ausgedacht.« So unbesonnen die alte Dame im Grunde war, so hatte sie doch auch wieder ihre Vorurtheile und Bedenken; die seltsamsten Launen und Ideen tauchten zuweilen in ihrem Kopfe auf. So konnte sie zum Beispiel den Zwerg Janus nicht leiden, denn sie hatte den Glauben, es k;nnte ihm eines sch;nen Tages einfallen, pl;tzlich laut zu rufen: Wi;t ihr, wer ich bin? Ich bin ein F;rst aus der Steppe und ihr Alle m;;t mir unterthan sein! Zuweilen f;rchtete sie auch, der Zwerg k;nnte in einem Anfall von Tr;bsinn ihr das Haus ;ber dem Kopf anz;nden. Melania Pawlowna war ebenso freigebig, wie ihr Gatte, aber sie gab niemals Geld; sie f;rchtete, sich dabei die H;ndchen zu beschmutzen. Sie reichte den Bed;rftigen T;cher, Ohrringe, Kleider und B;nder, oder sie schickte vom Tische ein St;ck Mehlspeise, ein St;ck Braten und ein Glas Wein. An Festtagen liebte sie es, die Bauerfrauen zu bewirthen; nach dem Essen bat sie die Leute zu tanzen, und sie selbst stellte sich dann hin und stampfte im Takt mit den Abs;tzen der Schuhe. Alexis Sergejewitsch wu;te sehr wohl, da; seine Frau geistig sehr beschr;nkt war, aber von Beginn seiner Ehe an that er, als glaube er seine Gattin habe eine sehr scharfe Zunge und lie;e sich gern in moquanten und sp;ttischen Redensarten gehen. Sobald sie gar zu sehr schwatzte, drohte er ihr mit dem Finger und sagte: »O, dieses Z;ngelchen! Diese kleine L;sterzunge! Wieviel wird sie in jener Welt abzub;;en haben! Man wird sie dort mit einer gl;henden Nadel durchsto;en.« Durch diese Worte f;hlte sich Melania Pawlowna aber nicht im Geringsten gekr;nkt; es machte ihr im Gegentheil eine heimlische Freude, so etwas zu h;ren und sie schien dabei zu denken: Kann ich daf;r, da; ich nun einmal von Hause aus so geistreich bin? Sie betete ihren Mann an und w;hrend ihres ganzen Lebens blieb sie das Musterbild einer treuen Gattin, obwohl auch sie einen »Gegenstand« gehabt hatte. Es war dies ein junger Neffe von ihr gewesen, ein Husar, der, wie sie sich einbildete, ihretwegen in einem Duell gefallen war, glaubw;rdigeren Nachrichten zufolge aber in einer Kneipe einen Schlag mit einem Knotenstock erhalten hatte und an den Folgen dieses Angriffes gestorben war. In einer geheimen Schublade ihres Arbeitstisches verbarg sie das in Aquarellmanier ausgef;hrte Portrait dieses »Gegenstandes«, und sie err;thete jedesmal bis zu den Ohren, so oft sie den Namen »Kapiton«, so hatte der Husar n;mlich gehei;en, aussprach. Telegin nahm dann eine ;rgerliche Miene an, drohte wieder mit dem kleinen Finger und sagte: »Dem Pferd auf freier Wiese und der Frau im Hause darf man nicht trauen. O, wenn ich nur von diesem Kapiton h;ren mu;, bef;llt mich ein Zorn –« Dann bebte Melania Pawlowna am ganzen K;rper und rief: »Aber Alexis, das ist s;ndhaft von Dir! Hast Du denn gar kein Schamgef;hl? Als Du noch jung warst, hast Du sicherlich auch mit manchen Damen scharmuzirt – ich bin davon ;berzeugt –« »Nun, schon gut, schon gut, Melaniuschka,« unterbrach sie dann l;chelnd ihr Gatte. »Dein Kleid ist wei;. Deine Seele aber ist noch wei;er.« »Noch wei;er, Alexis! Ganz gewi;, noch wei;er!« »O, dieses Z;ngelchen! Auf mein Ehrenwort dieses Z;ngelchen!« rief dann Alexis wieder und dr;ckte ihr dabei z;rtlich die Hand. Telegin starb im Alter von achtundachtzig Jahren und zwar im Jahre 1848, dessen Ereignisse wohl auch ihn m;chtig erregt hatten. Sein Tod war von seltsamen Nebenumst;nden begleitet. Am Morgen f;hlte er sich noch recht wohl und behaglich, obwohl er schon seit einiger Zeit seinen Sessel ;berhaupt nicht mehr verlassen hatte. Pl;tzlich rief er seine Frau. »Meine liebe Melaniuschka, komm' doch einmal her!« »Was giebt's denn, Alexis?« »Meine Todesstunde ist gekommen, mein T;ubchen! Das giebt es!« »Gott sei Dir gn;dig, Alexis Sergejewitsch, wie kommst Du darauf?« »Wie? Vor allen Dingen darf man in keiner Beziehung unbescheiden sein. Und dann: Seit dem fr;hesten Morgen betrachte ich nun schon meine F;;e, aber diese F;;e sind mir v;llig fremd, ich kenne sie gar nicht; auch diese H;nde, diese Brust, sie geh;ren nicht mir. Das kann doch nichts Anderes hei;en, als da; ich einem Andern seinen Platz streitig mache. Schicke doch zum Popen, mein Herz, bringe mich in mein Bett, von dem ich mich wohl nicht wieder erheben werde.« Obgleich Melania Pawlowna in gro;e Best;rzung gerieth, brachte sie den Greis doch zu Bett und lie; dann den Popen holen. Telegin beichtete, nahm das Abendmahl, verabschiedete sich von seinen Hausgenossen und schlummerte dann ein. Melania Pawlowna hatte neben seinem Lager Platz genommen. »Alexis!« schrie sie pl;tzlich. »Schlie;e die Augen nicht! Jage mir nicht solchen Schrecken ein! Empfindest Du denn Schmerzen?« Der Greis richtete den Blick auf seine Gattin. »Nein – ich – ich habe keine Schmerzen, nur – das – Athmen wird mir – schwer.« Nachdem er dann einige Zeit geschwiegen hatte, fuhr er fort: »Siehst Du, Melania, nun ist das Ende des Lebens herangekommen. Erinnerst Du Dich noch, mein Herz, als wir Hochzeit machten? Welch ein stattliches Paar waren wir doch!« »Ja – gewi; – Alexis, Du mein liebster Schatz!« Wieder machte der Greis eine Pause. »Melaniuschka, wir wollen uns in jener Welt wiederfinden, nicht wahr?« »Ich werde zu Gott darum bitten, mein lieber Alexis!« erwiderte die alte Frau und die Thr;nen liefen ihr dabei ;ber die Wangen. »Weine doch nicht! Sei nicht so th;richt. Ich bin ;berzeugt, der liebe Gott macht uns dort oben wieder jung, und wir werden uns wieder zu einem Paar vereinigen.« »Gewi;, Alexis, er wird uns wieder jung machen.« »Dem lieben Gott ist Alles m;glich,« nahm Telegin wieder das Wort. »Er kann Wunder thun – vielleicht macht er Dich dann sogar vern;nftig. Nun, nun, mein liebes Herz, ich scherzte ja nur; gieb mir Dein H;ndchen, damit ich es k;sse.« »Und Du gieb mir Deine Hand!« Und die beiden Alten k;;ten einander die H;nde. Nach und nach wurde Telegin ruhiger und endlich entschlummerte er wieder. Melania Pawlowna blickte ihn mit innigster Z;rtlichkeit an und wischte mit den Fingerspitzen die Thr;nen ab, die sich unter den Wimpern hervorstahlen. So vergingen zwei Stunden. »Schl;ft er?« fragte eine fl;sternde Stimme. Es war die alte Frau, die so gut zu beten verstand. Sie hielt sich hinter Irinarch, der unbeweglich wie eine Statue auf der Th;rschwelle stand und die Augen unverwandt auf seinen verscheidenden Herrn gerichtet hielt. »Er schl;ft,« antwortete Melania Pawlowna ebenfalls im Fl;sterton. Pl;tzlich aber schlug Alexis Sergejewitsch die Augen auf. »Meine treue Lebensgef;hrtin,« stammelte er mehr, als da; er sprach, »mein liebes Weib, auf den Knieen m;chte ich Dir danken, f;r all die Liebe und Herzlichkeit, die Du mir erwiesen hast. Aber wie k;nnte ich mich erheben? So komm her zu mir, da; ich Dich segne.« Die Greisin n;herte sich und beugte sich zu ihm herab, aber die Hand, welche er eben zum Segen erhoben hatte, fiel kraftlos auf die Decke herab. Alexis Sergejewitsch hatte zu leben aufgeh;rt. Die beiden T;chter langten mit ihren Gatten im Elternhause noch zeitig genug an, um dem Begr;bni; des Vaters beiwohnen zu k;nnen. Weder die Eine, noch die Andere von ihnen hatte Kinder. In seinem Testament hatte Telegin der T;chter gedacht, obwohl er auf seinem Sterbebette ihrer mit keinem Worte Erw;hnung gethan hatte. »Mein Herz ist ihnen verschlossen,« hatte er mir einst gesagt, und da ich seine Herzensg;te kannte, so war ich ;ber diese Worte nat;rlich sehr erstaunt. Aber es ist schwer, ;ber ein zwischen Eltern und Kindern bestehendes Verh;ltni; zu urtheilen. »Eine gro;e Schlucht f;ngt mit einem kleinen Spalte an,« hatte eines Tages Alexis Sergejewitsch gesagt, als das Gespr;ch auch wieder auf seine T;chter gekommen war. »Eine Wunde heilt wieder zu und wenn sie noch so gro; war; aber hackst Du Dir ein Nagelglied vom Finger ab, es w;chst niemals wieder. Ich hatte den Eindruck, als ob sich die T;chter ihrer Eltern, die ja allerdings etwas altmodisch und sonderlich waren, sch;mten. Einen Monat sp;ter war auch Melania Pawlowna aus der Reihe der Lebenden geschieden. Seit dem Todestage ihres Gatten ging sie wie ihrer Sinne kaum noch m;chtig herum; sie erhob sich mechanisch, sie kleidete sich mechanisch an, legte aber niemals ein Schmuckst;ck an. Bevor man sie jedoch in den Sarg legte, h;llte man sie in ihr blaues Kleid und auch das Medaillon mit Orlows Portrait gab man ihr mit ins Grab, jedoch ohne die Brillanten. Diese nahmen die beiden T;chter, und zwar unter dem Vorwande, mit ihnen das Bild der Verewigten zu schm;cken. In Wirklichkeit aber schm;ckten sie ihre eigenen werthen Personen damit. Die beiden liebensw;rdigen Alten stehen in der Erinnerung noch so deutlich vor mir, als s;he ich sie lebendig, und f;r alle Zeiten werde ich ihnen die liebevollste Erinnerung bewahren.« Iwan Suchich. Der Eindruck patriarchalischen Stilllebens, welchen das Teleginsche Haus in jeder Beziehung machte, wurde einmal recht gr;ndlich gest;rt. Das Ereigni; trug sich zu, als ich, damals schon Student, zum letzten Male auf Besuch in dem Hause weilte. Zur Zahl des Hofgesindes geh;rte ein gewisser Iwan mit dem Beinamen Suchich, der Kutscher. Der Mann war sehr klein, sehr lebhaft, hatte eine Stutznase, Lockenhaar, freundliche Augen und ein stets vergn;gtes, fast kindlich dreinschauendes Gesicht, obschon er sich bereits in vorger;ckten Jahren befand. Er war ein gro;er Possenrei;er, zu allen Schelmenstreichen aufgelegt, verstand sich auf alle m;glichen Kunstst;cke, veranstaltete Feuerwerke, lie; Drachen steigen, spielte alle nur denkbaren Spiele, konnte auf einem galoppirenden Pferde stehen, schwang sich beim Schaukeln h;her als alle Andern und konnte sogar Schattenspiele arrangiren. Niemand verstand es besser als er, die Kinder zu unterhalten, und er wurde nicht m;de, sich mit ihnen stunden - ja tagelang abzugeben. Wenn man ihn nur lachen h;rte, gerieth das ganze Haus sofort in einen gelinden Aufruhr; von allen Seiten hallte es lachend zur;ck. Mit besonderer T;chtigkeit f;hrte Iwan russische Volkst;nze auf, und den Tanz vom »Fischchen« machte ihm Keiner nach. Sobald der Chor ein Tanzlied zu singen begann, stellte sich unser Bursche in die Mitte des Kreises, und nun begann ein Drehen, Wenden, Springen, Stampfen, pl;tzlich warf er sich auf den Boden und ahmte die Bewegungen eines Fisches nach, den man aus dem Wasser genommen und aufs trockene Land geworfen hat. Er kr;mmte sich, da; die Abs;tze fast den Nacken ber;hrten; dann sprang er pl;tzlich wieder auf die F;;e, und man meinte, die Erde erbebe unter ihm. Telegin war, wie ich schon oben erz;hlt habe, ein gro;er Freund aller Tanzbelustigungen. So rief er denn auch h;ufig, wenn ihn gerade die Laune anwandelte: »Heda! Iwan! Kutscherchen, komm' 'mal hierher. Tanze uns das ›Fischchen‹ vor! Lustig! vorw;rts!« Und schon in der n;chsten Minute fl;sterte er entz;ckt: »Du mein Himmel, ist das lustig! der Iwan ist doch wirklich ein Tausendsappermenter!« W;hrend meines letzten Aufenthaltes in Suchodol trat also dieser Iwan in mein Zimmer und warf sich, ohne ein Wort zu sagen, vor mir auf die Kniee. »Was giebt's denn, Iwan?« »Retten Sie mich, Herr!« »Ja, was ist denn geschehen?« Nun theilte mir Iwan mit, von welchem Ungl;ck er betroffen worden war. Vor etwa zwanzig Jahren war er von seinen eigentlichen Besitzern, dem Gutsbesitzern Suchich, gegen einen Teleginschen Leibeigenen ausgetauscht worden. Das war so ganz obenhin geschehen, auf Treu und Glauben, und ohne da; Formalit;ten erf;llt oder Papiere ausgetauscht worden w;ren. Jener Bauer, der f;r ihn hingegeben war, starb, die Familie Suchich verga; Iwan vollst;ndig, er blieb im Hause Alexis Sergejewitschs und nur sein Rufname Suchich erinnerte daran, da; er eigentlich aus einem andern Besitzthum stamme. Dieses Besitzthum nun gerieth, als die bisherigen Herren starben, in andere H;nde, und der neue Besitzer, von dem man allgemein erz;hlte, da; er ein sehr grausamer und gewaltth;tiger Mensch sei, hatte kaum in Erfahrung gebracht, da; sich einer seiner Leibeigenen ohne ersichtlichen Grund bei Telegin aufhalte, als er auch schon die R;ckgabe verlangte, f;r den Fall der Verweigerung drohte er mit Strafe und Prozessen. Die Drohung war um so mehr zu f;rchten, als Jener selbst Geheimrath war und sich eines gro;en Einflusses bei den Verwaltungsbeh;rden des Gouvernements erfreute. Auf den Tod erschrocken, eilte Iwan zu Telegin. Diesem that das Schicksal seines T;nzers leid und er machte dem Geheimrath den Vorschlag, ihm den Leibeigenen f;r eine bedeutende Summe zu verkaufen. Davon aber wollte der Geheimrath nichts wissen; er war ein Kleinrusse und diese sind bekanntlich eigensinnig wie der Teufel. Es blieb also nichts ;brig, als den armen Kerl auszuliefern. »Ich habe mich hier eingew;hnt; hier bin ich heimisch geworden, hier habe ich gedient, hier habe ich mein Brod gegessen und hier will ich auch sterben,« sagte Iwan zu mir. Das auf seinem Gesicht sonst best;ndige L;cheln war vollst;ndig verschwunden. Vor Angst und Schreck schienen die Z;ge des Mannes zu Stein erstarrt zu sein. »Jetzt soll ich nun zu einem solchen schlimmen Menschen, zu solchem Misseth;ter gehen! Bin ich denn ein Hund, dem man einfach eine Schlinge um den Hals wirft und ihn dann aus einer Hundeh;tte in die andere zieht? Ja, so hat es nun kommen m;ssen. Helfen Sie mir doch, Herr! bitten Sie bei Ihrem lieben Onkel f;r mich. Erinnern Sie sich doch nur, wie gut ich Sie immer unterhalten habe. Wenn mir nicht geholfen wird, wenn ich von hier fort mu;, so geschieht ein Ungl;ck!« »Was f;r ein Ungl;ck, Iwan?« »Nun, ich werde meinen neuen Herrn todtschlagen. Ich werde zu ihm gehen und werde ihm sagen: ›Herr, lassen Sie mich nach Suchodol zu Herrn Telegin zur;ckkehren. Wenn nicht, so rathe ich Ihnen: Nehmen Sie sich vor mir in Acht. Ich werde Sie todtschlagen.‹ « Wenn ein Zeisig oder Finke pl;tzlich die Redegabe erhielte und mich nun aufs Ernsthafteste versicherte, da; er auf einen andern Vogel so lange mit dem Schnabel einhacken w;rde, bis jener todt sei, ich w;rde nicht in gr;;eres Erstaunen versetzt werden k;nnen, als es jetzt geschehen war. Wie? Iwan Suchich, der T;nzer, der Possenrei;er, der lustige Bursche, der Freund der Kinder, selbst ein Kind, dieses harmlose, gutm;thige Gesch;pf sollte zum M;rder werden k;nnen? Welch eine dumme Idee! Ich nahm das Gerede auch nicht einen Augenblick lang f;r Ernst. Ich war schon sehr erstaunt und fand es als etwas ganz Besonderes, da; er ein solches Wort ;berhaupt hatte aussprechen k;nnen. Jedenfalls hielt ich es f;r Pflicht der Menschlichkeit, zu meinem Onkel zu gehen. Ich erz;hlte ihm nicht Alles, was Iwan in seiner Angst und Noth zu mir gesagt hatte, bat ihn aber, doch kein Mittel unversucht zu lassen, um die Sache auf irgend eine Weise in G;te beizulegen. »Mein lieber Junge,« erwiderte mir Alexis Sergejewitsch, »ich will ja von Herzen gern Alles thun, was in meinen Kr;ften steht. Ich habe diesem eigensinnigen Menschen, diesem echten Kleinrussen, schon eine bedeutende Summe geboten – dreihundert Rubel, auf mein Ehrenwort! dreihundert Rubel bot ich ihm schon. Aber er will ja von einem Loskaufen nichts wissen. Er sagt, in fr;heren Zeiten habe man wohl so gegen Gesetz und Recht verfahren k;nnen, aber jetzt sei das anders und er bestehe auf seinem Recht. Ich mu; ja bef;rchten, da; dieser niedertr;chtige Mensch mir den Iwan, wenn ich ihn nicht gutwillig ausliefere, mit Gewalt nimmt. Er hat eine starke und m;chtige Hand; bedenke doch nur: der Gouverneur speist sehr h;ufig bei ihm. Er ist im Stande, mir Soldaten auf den Hals zu schicken, blos um den Burschen herauszubekommen. Und das mu; ich doch sagen: Vor Soldaten habe ich jetzt einen gro;en Respekt. Ja, fr;her, als ich noch jung war, da h;tte ich den Iwan nicht herausgegeben; ich h;tte ihn vertheidigt gegen alle Angriffe und Ma;regeln. Aber jetzt – sieh mich doch nur an, und Du mu;t zugeben, da; ich zu schwach und hinf;llig zum Widerstand bin. Ich w;rde einen sch;nen K;mpfer abgeben!« Wirklich war Alexis Sergejewitsch au;erordentlich gealtert, seitdem ich ihn zum letzten Male gesehen. Sogar die Pupillen seiner Augen hatten jenes milchfarbige Aussehen bekommen, wie man es bei ganz kleinen Kindern findet, und das selbstbewu;te L;cheln, das sonst um seine Lippen spielte, hatte jenem gezwungen-s;;lichen L;cheln Platz gemacht, das man bei ganz alten Leuten so h;ufig findet und dann von diesen nicht einmal w;hrend des Schlafes weicht. Ich machte Iwan von dem Entscheide Telegins Mittheilung. Der arme Bursche stand eine ganze Zeit lang unbeweglich, schweigend, nur hin und wieder mit dem Kopfe sch;ttelnd. »Also gut,« sagte er endlich; »seinem Schicksal kann Niemand entgehen. Aber es bleibt bei dem, was ich einmal gesagt habe. Jetzt will ich mich aber bis zum Ende auch recht lustig machen. Herr – bitte, schenken Sie mir eine Kleinigkeit zum Trinken.« Ich gab ihm Geld; er trank sich einen t;chtigen Rausch an und an demselben Tage tanzte er das »Fischchen« mit solchem ungew;hnlichen Aufwande von Kraft und Geschicklichkeit, da; die jungen M;dchen und die Frauen aus dem Dorfe vor Entz;cken einmal ;ber das Andere laut aufschrieen. Am n;chsten Tage verlie; ich das Gut meines Onkels. Drei Monate sp;ter – ich hielt mich schon in Petersburg auf – erfuhr ich, da; Iwan sein Wort gehalten, seine Drohung wahr gemacht habe. Man hatte ihn zu seinem neuen Herrn geschickt; dieser lie; ihn in sein Kabinet kommen und theilte ihm mit, da; er ihn als Kutscher verwenden werde, da; man ihm ein Dreigespann mit Wiatka'schen Pferden anvertrauen und da; er unnachsichtig und aufs Strengste bestraft werden w;rde, wenn er nicht Pferde und Wagen in bester Ordnung halte oder sich auch sonst irgendwie die geringste Nachl;ssigkeit zu Schulden kommen lasse. »Dabei bleibt es, und ich sage so etwas nicht zum Scherz,« schlo; er seine Erkl;rung. Nachdem Iwan seinem Herrn aufmerksam und respektvoll bis zu Ende angeh;rt hatte, verbeugte er sich zuerst tief und erkl;rte dann sehr freim;thig, da; Alles so gehen m;ge, wie es Seiner Gnaden beliebe, da; er aber niemals der Diener Seiner Gnaden werden k;nne. »Lassen Sie mich meinetwegen Bauer werden und das Land bestellen; ich will Ihnen einen t;chtigen Jahreszins z;hlen. Lassen mich Euer Gnaden auch lieber Soldat werden! Thun Sie es nicht, so k;nnte leicht ein Ungl;ck geschehen!« Den Gutsherr gerieth in Zorn. »Kerl, was f;llt Dir ein? Du unterstehst Dich, mir solche Dinge zu sagen? Erstens mu;t Du wissen, da; man mich mit ›Excellenz‹ anredet und nicht blo; mit ›Euer Gnaden‹; zweitens bist Du schon zu alt, um noch als Soldat verwendet werden zu k;nnen, Du hast auch gar nicht die Figur dazu, und schlie;lich – was ist das f;r ein Ungl;ck, mit dem Du zu drohen wagst. Hast Du Dir etwa vorgenommen, mir das Haus ;ber dem Kopfe anzustecken?« »Nein, Excellenz, an Brandstiften habe ich nicht gedacht.« »Du willst mich also ermorden?« Iwan schwieg einen Augenblick. »Ich bin nun einmal kein Diener f;r Sie,« sagte er dann. »Nun, ich will es Dich schon lehren! Du sollst schon erfahren, ob Du mir dienen kannst, oder nicht,« br;llte der Herr. Er lie; Iwan streng bestrafen und befahl dann, da; ihm das Wiatka'sche Dreigespann ;bergeben und er als Kutscher angestellt werde. Iwan schien sich dem Befehle zu f;gen und that seinen Kutscherdienst. Da er in diesem Fache wirklich Meister war, so gefiel er seinem neuen Herrn immer mehr, und dies auch deswegen, weil er in seinem Benehmen still und bescheiden war und die Pferde bei seiner Art der Behandlung sichtlich gediehen. Die G;ule wurden mit der Zeit rund wie »Gurken« und es war ein Vergn;gen sie zu betrachten. Der Gutsherr zog ihn schlie;lich allen andern Kutschern vor und fuhr am liebsten mit ihm. Einmal sagte er zu ihm: »Denkst Du noch an unsere erste Unterredung, Iwan? Damals schien es kaum, da; wir so gut zu einander passen. Nun, ich hoffe doch, da; Dir die tollen Ideen aus dem Kopfe gegangen sind.« Iwan hatte kein Wort der Erwiderung. Einmal, es war um den Tag der heiligen drei K;nige, fuhr der Herr wieder mit Iwan in die Stadt; der Schlitten war mit Teppichen ausgelegt und hell klingende Schellen schm;ckten die drei Pferde. Als man sich einem H;gel n;herte und die Fahrt allm;lig bergan ging, trabten die G;ule nicht mehr, sondern schritten nur langsam vorw;rts. Iwan sprang von seinem Kutschersitz ab und ging hinter dem Schlitten her, als suche er etwas, das er bei der Fahrt verloren. Es herrschte eine grimmige K;lte. Der Herr sa; in Pelze geh;llt und hatte eine Biberm;tze bis fast auf die Augen herabgezogen. Da zog Iwan ein Beil hervor, welches er bisher unter seinem Rocke verborgen gehalten hatte, n;herte sich seinem Herrn von hinten, schlug ihm die Pelzm;tze vom Kopfe und sagte: »Peter Petrovitsch! Ich habe Dich gewarnt, als es noch Zeit war; jetzt hast Du keinem Andern die Schuld zuzuschreiben, als Dir selbst!« Dann lie; er das Beil auf seinen Herrn niederfallen und spaltete ihm mit einem einzigen Schlage den Sch;del. Darauf hielt er die Pferde an, setzte seinem nunmehr todten Herrn wieder die M;tze auf, und nachdem er seinen Platz auf dem Kutscherbock wieder eingenommen h;tte, fuhr er weiter nach der Stadt und zwar geraden Weges zum Gericht. »Hier,« sagte er zu den Beamten, »bringe ich Euch den General Suchich, meinen Herrn, den ich erschlagen habe. Ich habe es ihm vorher angek;ndigt und habe nun mein Versprechen eingel;st. Jetzt bindet mir meinetwegen die H;nde.« Iwan wurde festgenommen; er kam vor die Richter und wurde zur Knute sowie zur Zwangsarbeit verurtheilt. Der einst so lustige T;nzer, der gem;thliche Spa;vogel mu;te in die Bergwerke hinabsteigen – und da ist er verschollen und f;r alle Zeiten verschwunden. Ja, bei solchen Erinnerungen mu; man unwillk;rlich Alexis Sergejewitsch Telegins Ausspruch wiederholen: Die alten Zeiten waren doch sch;n. Nur da; wir es in einem andern Sinne sagen. Der Verzweifelte. I. Wir sa;en unserer acht im Zimmer; das Gespr;ch drehte sich um die j;ngsten Tagesereignisse und um die Menschen, die mit ihnen verbunden waren. »Ich verstehe diese Leute und ihren Charakter gar nicht mehr,« sagte Einer der Anwesenden; »sie handeln so wild, so unberechenbar – sie benehmen sich gerade wie Verzweifelte. Ich glaube, so lange die Welt steht, ist etwas Aehnliches nicht erh;rt gewesen.« »O, es ist doch schon dagewesen,« warf P. ein, ein alter Mann, dessen Haare schon silbergrau gl;nzten – er war in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts geboren. »Es gab auch in fr;heren Zeiten verzweiflungsvolle Menschen, nur glichen sie denjenigen nicht, welche wir heute als Verzweifelte ansehen. Gelegentlich eines Gespr;ches ;ber den Dichter Jasykow bemerkte einmal Jemand, da; seine Begeisterung eine ganz eigenth;mliche war – sie hatte n;mlich nichts Bestimmtes zum Objekt; gerade so k;nnte man auch von den Leuten, welche ich bei meiner Bemerkung im Sinne habe, sagen, da; ihre Verzweiflung eine gegenstandslose gewesen sei. Wenn es Ihnen recht ist, will ich Ihnen die Geschichte meines Gro;neffen Mischa Poltew erz;hlen. Sie mag Ihnen als Probe daf;r dienen, welcher Art die damaligen Verzweifelten waren. Er kam, wenn ich mich recht erinnere, im Jahre 1828 zur Welt, und zwar wurde er auf dem Erbgute seines Vaters geboren im fernsten Winkel eines von jedem Verkehr abgelegenen Steppen-Gouvemements. An Mischa's Vater, Andrej Nikolajewitsch Poltew, kann ich mich noch recht gut erinnern – er war ein richtiger Steppenjunker, ein Gutsbesitzer vom alten Schlage, brav und fromm, ziemlich unterrichtet – wenigstens im Verh;ltni; f;r die damalige Zeit – im Gro;en und Ganzen aber, um es gerade heraus zu sagen, waren seine Geistesgaben nicht eben die bedeutendsten. Nebenbei bemerkt, er litt etwas an Epilepsie. Es ist ja eine alte Geschichte, da; in vielen unserer Adelsgeschlechter diese Krankheit erblich ist – man kann auch von ihr sagen, da; sie von altem Schlage sei. Die Anf;lle, denen Andrej Nikolajewitsch unterworfen war, waren ;brigens nicht heftiger Art; sie endeten gew;hnlich mit furchtbarer Abspannung, der ein tiefer Schlaf folgte. Andrej's Wesen war liebensw;rdig und freundlich; man konnte ihm auch eine gewisse W;rde nicht absprechen. So, wie ich ihn kannte, habe ich mir immer den Czar Michael Feodorowitsch [Michael Feodorowitsch Romanow begr;ndete im Jahre 1613 die jetzt in Ru;land herrschende Dynastie.] vorgestellt. Andrej Nikolajewitsch's ganzes Dasein wurde ausgef;llt durch die strenge Beobachtung und Innehaltung aller von Alters her bestehenden Sitten und Gebr;uche, den Sitten und Gebr;uchen des strenggl;ubigen »alten heiligen Ru;lands«. Wenn er aufstand und sich niederlegte, wenn er speiste und trank, ins Bad ging, sich belustigte oder sich ;rgerte (das Eine geschah ;brigens so selten wie das Andere), wenn er die Pfeife rauchte und Karten spielte (zwei gro;e Neuerungen!), so handelte er nicht etwa nach pers;nlicher Laune oder nach eigenem Gutd;nken, sondern nur mit geziemender Strenge so, wie seine Vorfahren zu handeln vorgeschrieben hatten. Er war von hoher Figur und ziemlich wohlbeleibt, hatte eine sanft und etwas heiser klingende Stimme, wie man sie bei fast allen frommen Russen h;rt. In W;sche und Kleidung war er peinlichst auf Sauberkeit bedacht; er trug gew;hnlich eine wei;e Halsbinde, einen tabacksfarbigen Ueberrock mit langen Sch;;en. Aber seine adlige Abstammung kam doch, trotz dieser unscheinbaren H;lle, bei ihm immer zum Vorschein; Niemand w;rde ihn f;r einen Priestersohn oder f;r einen Kaufmann gehalten haben. Immer, aber wirklich in allen Lebenslagen und unter allen nur erdenklichen Umst;nden wu;te Andrej Nikolajewitsch aufs Genaueste, was er zu thun hatte, wie er sprechen mu;te und in welcher Weise er sich am besten ausdr;cken sollte; bei Unf;llen konnte er Medizinen und sonstige Heilmittel verschreiben und ihre Anwendung n;her bestimmen; er verstand sich auf die Deutung von ;u;eren Anzeichen, er wu;te, welche Gl;ck oder Ungl;ck im Gefolge haben und welchen keine Aufmerksamkeit weiter zu schenken ist – mit einem Worte: er wu;te, was in jedem einzelnen Fall zu thun war. ›Unsere Altvordern‹, pflegte er zu sagen, »haben schon Alles vorausgesehen und bestimmt und wir haben nur n;thig, uns an sie als an unsere F;hrer zu halten. Die Hauptsache allerdings ist, da; wir stets auf Gott vertrauen und da; wir nichts ohne festen Glauben an seine H;lfe unternehmen.« Dir Wahrheit zu sagen: in seinem Hause herrschte eine gradezu t;dtliche Langeweile; in diesen niedrigen Zimmern, in denen es so schw;l und dunkel war, herrschte immer ein Geruch nach Weihrauch und Fastenspeisen und aus allen Winkeln schienen die Litaneien und die Ges;nge der Abendandachten widerzuhallen. Er verheirathete sich, als er schon ziemlich bei Jahren war, mit einem armen, aus der Nachbarschaft stammenden Fr;ulein, das in einem Institute erzogen war; es war eine kr;nkliche und nerv;se Person. Sie spielte ziemlich gut Klavier unk sprach franz;sisch mit jenem Accent, der in den Instituten den Sch;lerinnen gew;hnlich anerzogen wird. Im Uebrigen war sie ein Wenig exaltirt und gab sich gern einem unbegr;ndeten Tr;bsinn hin, in welcher Stimmung sie leicht bittere Thr;nen vergo;. Kurz, ihr Charakter hatte etwas Unst;tes, Ruheloses. Da sie ihr Leben f;r verfehlt hielt, konnte sie auch ihren Gatten nicht lieben, der ihr nat;rlicher Weise »kein Verst;ndni; entgegenbrachte«; aber sie achtete ihn und ertrug ihn, wie er nun einmal war. Da sie sehr ehrenhaft war und ein ;beraus k;hles Temperament hatte, richteten sich ihre Gedanken auch nicht etwa auf einen andern »Gegenstand«. Dazu kam auch noch, da; sie den Kopf best;ndig voll von Sorgen hatte, zun;chst ;ber ihre eigene, wirklich sehr schwache Gesundheit; zweitens ;ber die ihres Gatten, dessen Anf;lle ihr immer etwas wie abergl;ubische Furcht einfl;;ten. Schlie;lich war sie auch um ihren einzigen Sohn Mischa sehr besorgt, den sie mit gro;em Eifer selbst erzog. Andrej Nikolajewitsch legte seiner Gattin kein Hinderni; in den Weg, sich mit Mischa nach Gutd;nken zu besch;ftigen – nur eine Bedingung hatte er gestellt: Unter keinen Umst;nden sollten jene Grenzen ;berschritten werden, die nun einmal von Alters her bestimmt waren, und innerhalb welcher sich Alles in seinem Hause zu bewegen hatte. Um ein Beispiel anzuf;hren: In der Weihnachtswoche und am Neujahrstage war es Mischa erlaubt, mit den andern Kindern im Orte sich zu verkleiden und allerhand Scherz zu treiben; ja es war ihm dies nicht nur erlaubt, sondern es wurde ihm geradezu zur Pflicht gemacht. Wenn er sich dasselbe aber auch zu einer andern Zeit h;tte einfallen lassen, so w;re es ihm sicherlich schlimm ergangen. II. Ich kann mich Mischa's noch erinnern, als er dreizehn Jahre alt war. Damals war er ein h;bscher Junge mit rosigen Wangen und weichen Lippen – wie er denn ;berhaupt weich und voll in seiner k;rperlichen Anlage war – und feucht schimmernden Augen, sorgf;ltig gek;mmt und gekleidet, bescheiden und freundlich, fast wie ein M;dchen. Nur eines mi;fiel mir an ihm: Er lachte selten, und wenn er einmal lachte, so standen seine gro;en, wei;en, wie bei einem Raubthier spitzigen Z;hne unangenehm vor; sein Lachen klang gellend, roh, beinahe thierisch, und dabei funkelte es so b;se und unheimlich in seinen Augen. Die Mutter lobte ihn fortw;hrend, weil er so ungemein folgsam und bescheiden sei, niemals an der Gesellschaft loser Knaben Gefallen f;nde und sich weit lieber in derjenigen von Frauen aufhalte. »Der Junge ist verweichlicht, ein richtiges Mutters;hnchen,« sagte der Vater von ihm. »Aber er geht gern in die Kirche und das macht mir Freude.« Ein Nachbar, ein alter, sehr vern;nftiger Mann, der fr;her Friedensrichter im Distrikt gewesen war, sagte mir einmal, als wir von Mischa sprachen, mit Bezug auf diesen: »Passen Sie auf, das wird noch einmal ein Revolution;r!« Diese Prophezeiung setzte mich, wie ich mich erinnere, damals sehr in Erstaunen. Allerdings mu; ich hinzuf;gen, da; der Friedensrichter a. D. sehr leicht geneigt war, in einem etwas ungew;hnlich angelegten Menschen gleich einen Revolution;r zu erblicken. Ein solcher Musterknabe blieb Mischa bis zu seinem achtzehnten Jahre, bis zu dem Zeitpunkte, als seine Eltern starben, die ;brigens Beide an einem und demselben Tage aus dem Leben schieden. Da ich best;ndig in Moskau meinen Aufenthalt hatte, erhielt ich ;ber das Leben und Treiben meines jungen Verwandten keine zuverl;ssigen Mittheilungen. Ein Herr, der aus jenem Gouvernement stammte und mit dem ich zuf;llig in Moskau zusammentraf, erz;hlte mir zwar, da; Mischa sein Stammgut f;r einen Spottpreis verkauft habe, das erschien mir aber so unwahrscheinlich, da; ich an der Richtigkeit der Nachricht zweifelte. Da jagt eines sch;nen Morgens, es war im Herbst, eine mit zwei herrlichen Trabern bespannte Kalesche, auf deren Bock ein ungeheuerlich aussehender Kutscher sich breit machte, auf den Hof meines Hauses, h;lt vor der Eingangsth;re still, und in dieser Kalesche sitzt, geh;llt in einen Offiziersmantel mit riesengro;em Pelzkragen und die Milit;rm;tze so recht verwegen auf einem Ohre tragend – Mischa! Wirklich, mein lieber Verwandter Mischa war angekommen! Als er mich erblickte (ich stand an einem Fenster des Salons und blickte erstaunt auf die Equipage, die so pl;tzlich bei mir vorfuhr), wollte er sich aussch;tten vor Lachen; sein Lachen war noch immer so gellend und unangenehm scharf, wie fr;her. Dann warf er mit einer schnellen Bewegung den Mantel ab, sprang aus dem Wagen und trat in mein Haus. »Mischa! Michael Andrejewitsch!« begr;;te ich ihn. »Sind Sie es denn wirklich?« »Sagen Sie doch 'Du' zu mir und nennen Sie mich einfach Mischa,« unterbrach er mich. »Ich bin's ;brigens, bin's in eigener Person und ganz leibhaftig. Ich bin hierher nach Moskau gekommen, um mir die Leute ein Bischen anzusehen und mich selbst ansehen zu lassen. Nat;rlich wollte ich doch auch Sie begr;;en! Wie finden Sie meine Traber? He?« Wieder lachte er laut. Obgleich fast sieben Jahre verflossen waren, seitdem ich Mischa zum letzten Male gesehen, hatte ich ihn doch sofort wiedererkannt. Sein Gesicht hatte das jugendliche Aussehen bewahrt und es war auch noch ebenso rosig wie fr;her; von einem Schnurrbart war noch nicht die leiseste Spur wahrzunehmen. Die Wangen sahen jedoch etwas aufgedunsen aus und sein Athem duftete entsetzlich nach Branntwein. »Bist Du denn schon lange in Moskau?« fragte ich. »Ich glaubte Dich ruhig bei der Bewirthschaftung Deines Gutes.« »Meines Gutes? Ach, wie lange habe ich das schon verkauft? Kaum waren meine Eltern – Gott schenke ihnen die ewige Seligkeit – gestorben« (Mischa bekreuzte sich bei diesen Worten aufrichtig und ohne das geringste Zeichen von Spott), »da ging's wie der Blitz! Eins zwei drei – ich war es los! Ich habe es sicherlich zu billig fortgegeben! Es war ein Schurkenstreich, ich bin beim Verkauf einer richtigen Canaille in die H;nde gefallen. Aber gleichviel! Was thut's? Ich lebe nun doch wenigstens zu meinem Vergn;gen und ich unterhalte auch Andere. Aber weshalb sehen Sie mich so sonderbar, so erstaunt an? Glauben Sie, ich h;tte mich darin finden k;nnen, Zeit meines Lebens auf der Ackerscholle zu sitzen? Wie ist es denn ;brigens, theuerstes Onkelchen, bietest Du mir nicht ein Gl;schen an?« Mischa sprach ;u;erst schnell, eint;nig und gewisserma;en wie ein schlaftrunkener Mensch. »Mischa!« schrie ich laut auf. »Besinne Dich doch! F;rchtest Du denn Gott gar nicht mehr? Sieh Dich doch nur einmal an? In welchem Zustande bist Du? Und Du willst jetzt noch ein Gl;schen von mir haben? Ein so sch;nes Gut, wie es das Deinige gewesen, f;r ein Nichts, f;r ein Butterbrod fortgeben!« »Den lieben Gott,« erwiderte Jener, »f;rchte ich wohl, und ich' denke auch immer an ihn; Gott ist sehr gut und deshalb wird er mir auch verzeihen. Ich aber bin ein guter Mensch; ich habe noch niemals in meinem Leben Jemanden etwas zu Leide gethan. Das Gl;schen – nun, solch ein Gl;schen ist auch sehr gut und kr;nkt Niemandem. In welchem Zustande ich bin, fragen Sie? Ich sollte doch meinen, in einem ganz achtbaren Zustand. Wenn Sie wollen, Onkelchen, gehe ich hier auf der Dielenspalte entlang oder tanze Ihnen so steif wie eine Latte etwas vor, blos um Ihnen zu zeigen, da; ich vollkommen n;chtern bin.« »Lasse mich zufrieden. Das k;nnte ein netter Tanz werden. Setze Dich lieber ganz ruhig hierher!« »Setzen? Nun meinetwegen! Aber weshalb sagen Sie mir kein Wort ;ber meine G;ule? Sehen Sie die Thiere nur einmal genau an, sie sehen wie L;wen aus. Vorl;ufig habe ich sie nur gemiethet, ich ruhe aber nicht eher, als bis ich sie gekauft habe, und den Kutscher auch, der geh;rt dazu. Es ist doch ungleich vortheilhafter, mit eigenem Gespann zu fahren. Ich hatte mir das Geld zum Ankauf auch schon zurechtgelegt, bin es aber gestern im Pharaospiele losgeworden. Na, thut nichts! Morgen werden wir es uns schon wieder zur;ckholen. Aber nun, Onkelchen, wie ist es denn wirklich mit einem Gl;schen?« Ich konnte mich von meinem Staunen und Schrecken noch immer nicht erholen. »Mischa, ich bitte Dich, bedenke doch, wie alt Du bist! Du solltest Dich weder um Pferde, noch um das Kartenspiel k;mmern, sondern Du solltest zur Universit;t gehen und studiren oder in den Staatsdienst eintreten.« Mischa fing erst wieder zu lachen an; dann pfiff er in langsamem Tempo eine Melodie. »Ich sehe schon, Onkelchen, da; Sie in diesem Augenblicke in etwas mi;m;thiger Stimmung sind. Ich werde also ein anderes Mal wiederkommen. Aber halt! wissen Sie, kommen Sie doch heute Abend zum ›Sokolniki‹. Ein ;ffentlicher Park bei Moskau. Dort habe ich n;mlich mein Hauptquartier aufgeschlagen. Dort singen die Zigeuner; ich sage Ihnen, es ist eine Lust! Sch;n, zum Verr;cktwerden sch;n! Ueber meiner Bude h;ngt eine Fahne und auf die Fahne habe ich mit gro;en Buchstaben malen lassen: Poltews Zigeunerchor. Die Fahne dreht und wendet sich wie eine Schlange, und die Buchstaben sind von Gold. Wer das ansieht, mu; seine helle Freude daran haben. Jedermann ist geladen, Jeder willkommen, Niemand wird zur;ckgewiesen. Ich sage Dir: das macht ein Aufsehen in Moskau; so etwas ist noch nicht dagewesen. Alle Welt spricht davon. Nun, wie ist's? Werden Sie kommen? Besonders eine von den Zigeunerinnen, die reine Natter! Schwarz ist sie wie ein Paar Stiefel und b;se wie ein Kettenhund, aber Augen hat sie! Augen! Wie gl;hende Kohlen! Man wei; nicht genau, will sie Einen im n;chsten Augenblick bei;en oder k;ssen? Nun, Sie werden doch kommen, Onkelchen, nicht wahr? Also auf Wiedersehen!« Er umarmte mich st;rmisch, gab mir einen schallenden Ku; auf die Schulter, sprang in den Hof hinunter, stieg in die Kalesche, schwenkte mit einem lauten Schrei die M;tze ;ber dem Kopfe; der ungeheuerlich aussehende Kutscher blickte seitw;rts ;ber den Bart zu ihm hin;ber, zog dann die Z;gel an – Alles war verschwunden! Am andern Tage – ich wei; kaum selbst zu sagen, aus welchem Grunde es geschah, genug, ich that es – am andern Tage ging ich zum »Sokolniki«. Ich sah dort in der That die Bude, die Fahne und die Aufschrift. Die Dielen der Bude waren etwas erh;ht angebracht und von dorther ert;nte wildes Schreien, Kreischen und Johlen. Eine gro;e Volksmenge dr;ngte sich um das Zelt und in seinem Innern. Auf den Dielen war ein Teppich ausgebreitet; hier sa;en m;nnliche und weibliche Zigeuner. Sie sangen und schlugen das Tambourin, und mitten unter ihnen, eine Guitarre in den H;nden haltend, mit rothseidenem Hemd und sammetnen, faltigen Hosen bekleidet, drehte sich Mischa wie ein Kreisel herum und schrie dazu mit heiserer Stimme: »Immer herein! meine Herrschaften! Immer herein! Treten Sie n;her. Die Vorstellung wird sofort beginnen! Heda, Champagner her! Lasset die Pfropfen springen! Bis an die Decke m;ssen sie springen! Vorw;rts doch – Hurrah!« Gl;cklicherweise bemerkte er mich nicht und so gelang es mir, mich schnell wieder zu entfernen. Ich will Ihnen, meine Herren, nun nicht des Langen und des Breiten mein Erstaunen ;ber die Ver;nderung schildern, die mit dem jungen Manne vorgegangen. Aber unwillk;rlich dr;ngt sich doch die Frage auf: Wie hatte sich der stille und bescheidene Knabe so furchtbar schnell in solchen Trunkenbold und leichtsinnigen Strick verwandeln k;nnen? Hatte diese tolle Wildheit seit seiner fr;hesten Jugend in ihm geschlummert und war sie erst dadurch zu Tage getreten, da; der Druck der v;terlichen Aufsicht nicht mehr auf ihm lastete? Welcher Art das Aufsehen war, das er, wie er selbst sagte, in Moskau machte, dar;ber konnte nicht der leiseste Zweifel bestehen. Ich habe in meinem Leben leichtsinnige Menschen in gro;er Zahl gesehen, aber dieser Leichtsinn erinnerte schon mehr an das Gebahren eines Tollh;uslers, an tats;chliches Bestreben, sich selbst zu vernichten, es war eine Art Verzweiflung. III. Zwei Monate lang etwa mochte dieses Am;sement, dieses tolle Leben gedauert haben. Da stehe ich wieder einmal am Fenster meines Salons und schaue in den Hof hinab, was mu; ich da f;r einen neuen seltsamen Mummenschanz gewahren? Langsamen Schrittes, dem;thig und bescheiden tritt ein Klosterbruder auf den Hof; die Kapuze hat er ;ber die Stirne tief ins Gesicht gezogen, die Haare sind, soviel man davon sehen kann, sorgf;ltig gescheitelt und nach rechts und links zur Seite gek;mmt. Die lang wallende M;nchskutte wird von einem ledernen G;rtel zusammengehalten. Aber dieses Gesicht, diese Gestalt, sollte es m;glich sein? Mischa? Ja wahrhaftig, er ist's! Ich ging die Treppe hinunter, um ihn im Hofe zu begr;;en. »Was soll denn nun wieder diese neue Maskerade?« fragte ich. »Von einer Maskerade ist hier keine Rede, Onkelchen,« erwiderte Mischa mit tiefem Seufzer. »Ich habe mein gesammtes Geld bis auf den letzten Kopeken ausgegeben und verthan; nun hat mich die Reue ergriffen und ich that das Gel;bde, ins Sergej-Kloster zu Troitzko zu gehen und dort meine S;nden zu bereuen. Welch ein anderer Zufluchtsort st;nde mir denn jetzt wohl noch offen? Und so komme ich denn zu Ihnen, lieber Onkel, um Ihnen Lebewohl zu sagen und Sie, wie es die Pflicht des verlorenen Sohnes ist, um Verzeihung zu bitten.« Ich blickte Mischa ganz ;berrascht an. Sein Gesicht war so rosig und frisch, wie nur je zuvor – es hat ;brigens bis zuletzt dieses Aussehen nicht verloren – die Augen schimmerten noch immer so feucht, blickten noch immer so freundlich und schmachtend darein, die H;ndchen waren noch immer so wei;; leider aber verbreitete er auch noch immer einen starken Branntweingeruch um sich. »Was soll ich dazu sagen?« bemerkte ich schlie;lich. »Ich kann Deinen Entschlu; nur billigen und ich w;;te auch keinen andern Ausweg f;r Dich. Aber weshalb riechst Du so entsetzlich nach Branntwein?« »Das ist noch ein Rest vom alten Adam,« entgegnete er und platzte in sein altes, lautes, gellendes Lachen aus. Pl;tzlich aber schien er sich auf seinen neuen Stand zu besinnen, verbeugte sich steif und tief, wie es die M;nche zu thun pflegen, und f;gte hinzu: »Wollen Sie mir nicht ein kleines Zehrgeld mit auf den Weg geben? Ich mache die Reise bis nach dem Kloster zu Fu;.« »Wann gehst Du auf die Wanderung?« »Heute noch, sofort.« »Weshalb hast Du es denn so eilig?« »Onkelchen, mein Wahlspruch war von jeher: Schnell, immer nur schnell!« »Und welchen Wahlspruch hast Du jetzt?« »Denselben. Nur sage ich jetzt: Schnell zum Guten.« So verlie; mich denn Mischa und ich blieb allein, um ;ber die Wandelbarkeit aller menschlichen Schicksale meine Betrachtungen anzustellen. Aber bald wurde ich wieder an die Existenz meines Neffen erinnert. Kaum zwei Monate waren nach seinem Abschiedsbesuche verflossen, als ich einen Brief von ihm erhielt, und zwar war dies der erste von allen jenen, die ich in der Folgezeit in gro;er Zahl empfing. Und beachten Sie den eigenth;mlichen Umstand: Ich habe selten eine so saubere und klare Handschrift gesehen wie diejenige dieses halbverdrehten Menschen. Der Stil war auch durchaus korrekt, wenn auch einige gesuchte Ausdr;cke mitunterliefen. In diesen Briefen wechselten die Bitten um Unterst;tzung best;ndig mit den Versprechungen der Besserung ab, ferner mit Betheuerungen, flehentlichen Anrufungen und Segensw;nschen. Alles schien aufrichtig gemeint zu sein und war es vielleicht auch wirklich. Die Unterschrift Mischa's war stets mit vielen Punkten, Strichen Und Schn;rkeln verziert; auch hatte er die Gewohnheit, m;glichst viele Ausrufungszeichen im Texte jedes Briefes anzuwenden. Im ersten seiner Briefe theilte mir Mischa mit, da; sein Geschick eine neue »Wendung« genommen hatte. (Sp;ter sprach er nicht mehr von einer neuen »Wendung«, sondern vom »Auftauchen einer neuen Idee«, und es »tauchte« sehr viel »auf«.) Er schrieb mir also, da; er nach dem Kaukasus gehe, um »seine Brust dem Vaterlande und dem Czaren darzubringen«, indem er als F;hnrich in ein Regiment eintr;te. Irgend eine wohlth;tige alte Tante, die sich f;r ihn interesstrte, hatte ihm bereits eine kleine Summe zur Beihilfe bei der Equipirung gesandt, und mich bat er nun ebenfalls um eine Unterst;tzung f;r denselben Zweck. Ich erf;llte seine Bitte und zwei Jahre lang h;rte ich nicht das Mindeste von ihm. Unter uns gesagt: Ich zweifelte sehr stark daran, ob er wirklich nach dem Kaukasus gegangen fei. Aber dies war nun doch der Fall. Wie ich sp;ter h;rte, war er durch Protektion, die er sich zu verschaffen gewu;t hatte, als F;hnrich im T.'schen Regimente einrangirt worden, und zwei Jahre lang blieb er bei demselben im Dienste. Eine ganze Menge Geschichten waren ;ber ihn und seine Streiche im Umlauf und ein Offizier seines Regimentes, mit dem ich durch Zufall zusammentraf, theilte mir dieselben sp;ter auch mit. IV. Ich erfuhr ;ber ihn so Manches, wie ich es selbst von ihm, dem ich doch ziemlich viel zutraute, nicht erwartet hatte. Da; er sich mit Bezug auf den Dienst als mittelm;;iger oder, um es gerade heraus zu sagen, als absolut schlechter Soldat gezeigt hatte, wunderte mich nicht im Geringsten; was mich aber wirklich in Erstaunen versetzte, war die Thatsache, da; man ihm nicht einmal nachsagen konnte, er bes;;e pers;nliche Tapferkeit; w;hrend der Schlachten machte er den Eindruck eines matten, zu Thaten unlustigen Mannes, der von Sorgen gequ;lt ist, Die ganze milit;rische Disziplin verstimmte ihn und war ihm l;stig. Wenn es sich um ihn pers;nlich handelte, konnte er bis zum Wahnwitz k;hn sein; er wies keine Wette zur;ck, sie mochte so unsinnig sein, wie sie wollte, aber Andern ein Leid zuf;gen, sich zu schlagen, Jemanden zu t;dten, dazu war er nun einmal nicht im Stande, sei es, weil sein Herz von Natur zu sanft und gut war, sei es, da; die »baumwollene« Erziehung, die er, wie er sich ausdr;ckte, in seiner Jugend empfangen hatte, ihn daran verhinderte. Zu jeder Zeit und auf jede nur denkbare Art und Weise war er bereit sich selbst zu zerst;ren; aber Andern einen Schaden zuf;gen – nein! »Der Teufel selbst kann aus diesem Menschen nicht klug werden,« sagten die Kameraden, wenn sie von ihm sprachen. »Er ist eigentlich schlaff, wie ein Waschlappen, aber zu andern Zeiten geberdet er sich wie ein Mensch ohne Sinn und Verstand, oder wie ein Verzweifelter.« Sp;ter nahm ich einmal die Gelegenheit wahr Mischa zu fragen, welcher b;se Geist ihn treibe, so ma;los zu trinken, sein Leben ohne rechte Ursache aufs Spiel zu setzen und tausend ;hnliche tolle Streiche zu begehen. Und er hatte immer nur eine und dieselbe Antwort: »Es ist der Gram.« »Gram? Wor;ber gr;mst Du Dich denn?« »Wor;ber? Nun das liegt doch auf der Hand. Man h;lt Einkehr bei sich, man besinnt sich auf sich selbst, man denkt an all das Elend, an all die Ungerechtigkeit, die in Ru;land herrscht, da kommt der Gram schon von selbst. Man gr;mt sich, da; man sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf schie;en m;chte. Man f;ngt an, teufelm;;ig liederlich zu leben, und kann doch eigentlich selbst nicht daf;r.« »Was kann Dich denn aber der Zustand in ganz Ru;land k;mmern?« »Weshalb soll ich mir dar;ber denn keine Sorge machen? Aber das mu; ich allerdings sagen: Ich f;rchte mich fast schon, daran auch nur zu denken.« »Ich will es Dir besser sagen, was an Deinem Gram schuld ist: Deine eigene Unth;tigkeit.« »Aber was soll ich denn eigentlich thun, bestes Onkelchen? Ich verstehe ja nichts. Sein ganzes Leben auf eine einzige Karte setzen, da; es im Handumdrehen hei;t, man hat Alles gewonnen oder Alles verloren, das verstehe ich. Und trinken, trinken, immer noch mehr trinken, das verstehe ich ebenfalls. Zeigen Sie mir doch einmal etwas, was ich thun soll und wof;r ich mein Leben einsetzen soll. Sofort thue ich es! Nicht einen Augenblick z;gere ich!« »Weshalb denn immer gleich das Leben einsetzen? Begn;ge Dich doch damit, einfach und schlicht zu leben, wie andere Menschenkinder.« »Das kann ich nun einmal nicht. Sie machen mir den Vorwurf, da; ich ohne Ueberlegung handele. Aber wie soll ich denn anders thun! Beginne ich erst, ;berhaupt einmal nachzudenken, Herrgott, was geht mir dann Alles durch den Kopf! Das Ueberlegen eignet sich auch gar nicht f;r uns Russen. Das ist etwas f;r die Deutschen!« Was sollte man solchen Einwendungen entgegenhalten? Was konnte man mit Aussicht auf Wirkung bei ihm vorbringen? Er war eben ein Verzweifelter, und damit ist Alles gesagt. Ich habe vorhin erw;hnt, da; ;ber sein Leben im Kaukasus eine gro;e Zahl Geschichten im Umlauf waren; ich will Ihnen einige davon zum Besten geben. Eines Tages prahlte Mischa in der Gesellschaft von Offizieren mit einem echten tscherkessischen S;bel, den er gegen irgend etwas Anderes eingetauscht hatte. »Es ist eine echte persische Klinge,« behauptete er. Einige Offiziere bezweifelten die Echtheit und Mischa gerieth bei der Verteidigung seiner Ansicht immer mehr in Eifer. »Wissen Sie,« rief er endlich, »was S;belklingen anbetrifft, erkl;rt man im allgemeinen den ein;ugigen Abdul f;r den gr;;ten Kenner und Sachverst;ndigen. Ich werde ihn einfach aufsuchen und ihn um seine Anficht befragen.« »Welchen Abdul?« riefen die Offiziere, aufs H;chste ;berrascht. »Etwa Abdul-Khan, der in den Bergen haust? der mit uns auf Kriegsfu; steht?« »Denselben.« »Nun, er wird Dich f;r einen Spion halten, wird Dich festnehmen und wenn er Dich nicht in strengem Gewahrsam h;lt, so schl;gt er Dir mit Deinem eigenen S;bel den Kopf ab. Wie willst Du denn ;berhaupt zu ihm gelangen? Bevor Du noch zu ihm vordringst, bist Du schon gefangen und weggef;hrt.« »Ihr k;nnt reden, was Ihr wollt, ich gehe dennoch zu ihm.« »Ich wette, da; Du nicht gehst.« »Ich halte jede Wette.« Ohne sich im Geringsten st;ren oder aufhalten zn lassen, sattelte Mischa sein Pferd und machte sich auf den Weg. Drei Tage vergingen. Alle glaubten mit Bestimmtheit, da; der tollk;hne Mensch sein Ende gefunden habe. Da aber kehrte er zur;ck und zwar in furchtbar betrunkenem Zustande und mit einem andern S;bel als demjenigen, wegen dessen er ausgeritten war. Man best;rmte ihn mit Fragen. »Es ist Alles sehr h;bsch und einfach gegangen,« berichtete Mischa; »dieser Abdul-Khan ist wirklich ein sehr netter Kerl. Zuerst lie; er mir allerdings Fesseln an die F;;e legen und alle Anstalten treffen, um mich auf einen Pfahl zu spie;en. Ich erkl;rte ihm nun aber in aller Ruhe, weshalb ich gekommen sei und zeigte ihm dabei meinen S;bel. ›Es lohnt wirklich nicht der M;he, mich gefangen zu nehmen, denn L;segeld wird f;r mich doch von keiner Seite gezahlt. Verwandte habe ich nicht und ein Fremder wendet auch nicht einen einzigen Kopeken daran, mein Leben von Dir zu erkaufen.‹ »Abdul-Khan schien sehr verwundert zu sein; er betrachtete mich aufmerksam mit dem einen Auge, das er noch sein eigen nennt. Dann fagte er: ›Russe, Du scheinst mir ein durchtriebener Schelm zu sein; darf man Dir trauen?‹ – ›Du kannst mir trauen,‹ antwortete ich; ›ich l;ge niemals.‹ (Das war der Fall; Mischa hat wirklich nie in seinem Leben gelogen). »Abdul sah mich von Neuem aufmerksam an. Dann fragte er: ›Kannst Du Wein trinken?‹ – ›Gewi;‹ antwortete ich; ›ich trinke, soviel Du nur irgend willst, Wein, Branntwein mir ist es gleich.‹ Abdul-Khan schien aus seinem Staunen gar nicht mehr herauszukommen und rief den Namen Allahs an. Darauf befahl er seiner Tochter – mir wenigstens kam es so vor, als sei das M;dchen seine Tochter; es war ;brigens ein sehr niedliches Gesch;pfchen, aber Augen hatte es gerade wie ein Schakal – er befahl also seiner Tochter, mir einen Schlauch voll Wein zu bringen, und nun machte ich mich dar;ber her und zeigte, was ich in dieser Beziehung zu leisten im Stande sei. » ›Dein S;bel.‹ sagte Abdul dann zu mir, ›ist nicht echt; nimm hier diese Klinge, sie ist eine wahrhaft echte. Und nun wollen wir leben als Gastfreunde und Br;der.‹ So blieb ich einen Tag bei Abdul-Khan. Sie sehen, meine Herren, da; Sie Ihre Wette verloren haben; nun zahlen Sie also.« Eine zweite Geschichte. Mischa huldigte dem Kartenspiel mit gro;er Leidenschaft. Aber da er niemals im Besitze von baarem Geld und im Bezahlen seiner Spielschulden auch nichts weniger als p;nktlich war, so mochte Niemand mehr mit ihm spielen. Eines Tages nun best;rmte er einen seiner Kameraden mit den dringendsten Bitten. »Spiele doch mit mir! Thue mir doch den Gefallen, mach' mit mir ein Spielchen.« »Aber wenn Du verlierst, bezahlst Du ja doch nicht.« »Geld habe ich allerdings nicht, aber wenn ich verliere, will ich mir eine Kugel durch die linke Hand schie;en, mit dieser Pistole hier.« »Welchen Vortheil h;tte ich davon?« »Einen Vortheil allerdings nicht, aber die Sache ist doch immerhin interessant.« Dieses Gespr;ch fand nach einer kleinen Kneiperei statt und hatte einige Zeugen. Der verr;ckte Vorschlag Mischa's mochte dem Offizier vielleicht wirklich besonders interessant erscheinen, genug, er willigte darein. Es wurden Karten herbeigebracht und das Spiel begann. Mischa hatte Gl;ck und gewann hundert Rubel. Pl;tzlich schlug sich sein Gegner mit der Hand vor die Stirne. »Welch ein Dummkopf bin ich doch!« rief er dabei. »Es war sicherlich nur eine plumpe Falle, und doch bin ich hineingegangen. Wenn Du verloren h;ttest, so h;ttest Du Dir ja doch nicht durch die Hand geschossen. Du h;ttest Dich jedenfalls geh;tet.« »Meinst Du?« erwiderte Mischa. »Nun, ich habe zwar gewonnen, aber Du sollst es nun doch mit Deinen eigenen Augen sehen.« Er ergriff die Pistole und – paff! – scho; er sich durch die linke Hand. Die Kugel durchbohrte die Hand auf beiden Seiten. Nach Verlauf von acht Tagen war die Wunde ;brigens wieder geheilt, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Wieder ein anderes Mal ritt Mischa zur Nachtzeit mit seinen Kameraden auf einem schmalen Pfade dahin; neben diesem Wege g;hnte der Schlund eines finsteren Abgrundes, von dem man den Boden nicht sehen konnte. »Nun,« meinte einer der Offiziere, »so tollk;hn unser Mischa auch sein m;ge, in diesen Abgrund hinabzuspringen, wird er doch h;bsch bleiben lassen.« »So? Ich werde dennoch hineinspringen!« »Das wirst Du nicht thun. Dieser Abgrund hat eine Tiefe von mindestens sechzig Fu;, und bei einem Sprunge dort hinunter kann man nicht nur Arme und Beine, sondern auch den Hals brechen.« Der Freund wu;te ganz genau, an welcher schwachen Stelle man Jenen packen mu;te: bei seiner Eitelkeit. Diese war bei Mischa in unglaublich hohem Grade entwickelt: »Ich sage, ich springe hinab, also werde ich springen. Wollen wir wetten? Zehn Rubel?« »Gut, es gilt.« Kaum hatte der Offizier dies gesprochen, als Mischa sich auch schon aus dem Sattel geschwungen hat und nun in die Schlucht hinunter. Man h;rte ihn ;ber das Gestein dahinkollern. Alle Anwesenden waren vor j;hem Schreck wie erstarrt; eine Minute verrann – da h;rte man Mischa's Stimme und sie klang so dumpf, als dringe sie aus dem Schoo;e der Erde hervor: »Ich bin unverletzt! Ich fiel in den Sand! Es hat aber eine ganze Zeit lang gedauert, bis ich hier unten ankam. Jetzt schuldet Ihr mir zehn Rubel!« »Komm wieder herauf!« riefen die Kameraden. »Ja, komm herauf,« erwiderte Mischa. »Das ist leicht gesagt. Hol mich der Teufel, wenn ich wei;, wie ich hier herauskommen soll. Jetzt holt vor allen Dingen Laternen und Stricke. Damit mir aber in der Zwischenzeit das Warten nicht zu langweilig wird, kann mir Einer von Euch seine Feldflasche hinunterwerfen.« Fast f;nf Stunden mu;te Mischa auf dem Grunde der Schlucht zubringen, und als man ihn endlich heraufzog, stellte es sich heraus, da; der eine Arm vollst;ndig ausgerenkt war. Das machte ihm aber nicht die geringste Sorge. Am n;chsten Tage renkte ihm ein Kurschmied, der sich auch ein Bischen auf das Menschenkuriren verstand, die Schulter wieder ein, und Jener konnte seinen Arm wieder gebrauchen, als ob gar nichts passirt w;re. Seine Gesundheit war ;berhaupt von einer unglaublichen, man man m;chte fast sagen: unerh;rten Widerstandskraft. Ich habe schon erw;hnt, da; sein Gesicht bis zum Tode eine rosige, beinahe kindliche Frische bewahrte. Trotz seiner Unm;;igkeit und seines unregelm;;igen Lebenswandels wurde er doch niemals von einer Krankheit heimgesucht. In F;llen, bei welchen ein Anderer gestorben, zum Mindesten aber gef;hrlich erkrankt w;re, sch;ttelte er sich einfach, wie eine Ente, die aus dem Wasser steigt; dann war alles Ungemach vergessen und er bl;hte herrlicher auf, als je zuvor. Einmal, es war auch w;hrend seines Aufenthaltes im Kaukasus – ich schicke gleich voran, da; ich selbst diese Geschichte f;r unglaublich halte, aber man erz;hlte sie doch allgemein und sie kann zugleich als Beweis daf;r gelten, wessen man Mischa f;r f;hig hielt – einmal st;rzte er also, als er sich wieder toll und voll getrunken hatte, mit dem Leib und den Beinen in einm Flu;, so da; nur der Kopf und die Arme ;ber der Oberfl;che des Wassers blieben. Es geschah das im strengen Winter; in der Nacht fror es und als man ihn am n;chsten Morgen gewahrte, konnte man seine Beine und seinen Leib nicht mehr sehen, es hatte sich n;mlich eine ziemlich dichte Eisschicht um seinen K;rper gebildet. Man denke nur – nicht einmal einen Schnupfen hat er sich bei diesem Abenteuer zugezogen. Ein anderes Mal – dieses trug sich aber nicht mehr im Kaukasus zu, sondern in Ru;land, in der N;he von Orel und ebenfalls im strengen Winter – mein Mischa befand sich also ein anderes Mal in einer au;erhalb der Stadt gelegenen Schenke und zwar in Gesellschaft von sieben Gymnasiasten. Diese jungen Leute feierten ihr Abiturientenexamen und luden meinen Neffen als liebensw;rdigen Menschen – oder, wie man damals zu sagen pflegte: einen »Seufzer-Menschen« – ein, an ihrer Feier theilzunehmen. Es wurde unm;;ig viel getrunken und als sich die lustige Gesellschaft zum Aufbruch r;stete, war Mischa wieder total betrunken und befand sich in vollkommen bewu;tlosem Zustande. Die Gymnasiasten hatten nur einen einzigen dreisp;nnigen Schlitten mit ziemlich hohem Hintertheile. Nun war guter Rath theuer, wo man den K;rper des Bezechten lassen sollte. Einer der jungen Leute schlug nun, wahrscheinlich inspirirt von Erinnerungen an seine klassischen Studien, vor, Mischa mit den F;;en an den Hintertheil des Schlittens zu binden, etwa wie Hektor an den Wagen des sieghaften Achilles gebunden war. Mit gro;em Beifall wurde der Vorschlag angenommen, und die F;;e nach oben gerichtet, den Kopf im Schnee schleifend, an manchen Stellen t;chtig auf den Erdboden aufschlagend, bald nach links, bald nach rechts geworfen, w;hrend der ganzen Fahrt auf dem R;cken liegend; so legte Mischa die ganze etwa zwei Werst betragende Strecke zur;ck, und er bekam nicht einmal einen Husten nach dieser Affaire. Es war, als w;re absolut nichts passirt. Danach mag man beurtheilen, mit welcher schier unverw;stlichen Konstitution ihn die Natur ausgestattet hatte. V. Nach seiner R;ckkehr aus dem Kaukasus erschien er wieder in Moskau und zwar in Tscherkessenuniform, mit aufgen;hten Patronenh;lsen auf der Brust, mit dem Dolch im G;rtel und der hohen Pelzm;tze auf dem Kopfe. Obgleich er vollst;ndig aus dem Milit;rdienste geschieden war, trug er dieses Kost;m doch bis an sein Lebensende. Wegen fortgesetzter Unp;nktlichkeit im Dienste hatte er seinen Abschied erhalten. Von Zeit zu Zeit suchte er mich auf, und zwar mit dem ausgesprochenen Zwecke, sich etwas Geld von mir zu leihen. Zu dieser Zeit begannen f;r ihn die wirklichen Lasten und M;hseligkeiten auf dem Wege durchs Leben oder, wie er selbst es nannte, »die sieben Simeonstage«. Jetzt begann auch sein zeitweiliges Auftauchen und Verschwinden, jetzt nahm die Fluth sch;n geschriebener Briefe ihren Anfang, die an alle m;glichen Personen adressirt waren, vom Metropoliten bis herunter zu Bereitern, Stallmeistern und Hebammen. Wo er nur irgend konnte, machte er einen Besuch, gleichviel ob er die Leute kannte oder ob sie ihm vollst;ndig fremd waren. Als lobenswerth mu; dabei allerdings erw;hnt werden, da; er bei solchen Besuchen niemals ein knechtisches, kriechendes Wesen zur Schau trug; just das Gegentheil war der Fall; er trat mit gro;er Sicherheit auf, blickte Jeden heiter und freundlich an und nur der nun schon unvermeidlich gewordene Branntweingeruch, der ihn ;berall hin begleitete, sprach gegen ihn, und ebenso die orientalische Uniform, die sich nach und nach in Lumpen verwandelte. »Geben Sie mir eine Kleinigkeit, wenn ich es auch nicht verdiene. Gott wird es Ihnen schon lohnen,« sagte er mit freim;thigem L;cheln und ehrlichem Err;then. »Wenn Sie mir nichts geben, so sind Sie ja auch vollst;ndig in Ihrem Recht und ich werde mich auch nicht weiter darum gr;men. Ich werde mir auch ohne Ihre Gabe zu helfen wissen. Gott wird mich unterst;tzen. Es giebt wirklich viele Menschen, die noch weit ;rmer sind als ich und dabei auch viel mehr werth, da; ihnen geholfen werde.« Besonders bei den Frauen hatte Mischa mit seinem Bittgesuch vielen Erfolg, denn er verstand sich darauf, ihr Mitleid wachzurufen. Nur darf man nicht etwa glauben, da; er ein Lovalace war oder sich einbildete, einer zu sein. O nein, in dieser Hinsicht war er wirklich sehr bescheiden. Ob dieses Temperament ein Erbtheil von seinen Eltern war oder ob darin nur aufs Neue sein Bestreben zum Ausdruck kam, Niemandem etwas Unangenehmes zuzuf;gen, das mu; ich unentschieden lassen; nach seiner Ansicht war es n;mlich die gr;;te Beleidigung, die man einer Frau zuf;gen kann, wenn man mit ihr in zu intimen Verkehr sich einlie;. Sein Benehmen gegen;ber dem weiblichen Geschlecht war h;chst zartsinnig und r;cksichtsvoll. Die Frauen erkannten dies dankbar an und suchten es ihm durch Mitleid und Unterst;tzung in jeder Weise zu vergelten, bis er sie endlich durch seine Unth;tigkeit, seine Trunksucht, durch sein ganzes verzweifeltes Auftreten, ich kann kein anderes Wort finden, abstie;. In anderer Beziehung dagegen legte er wieder einen fast unglaublichen Mangel an Anstandsgef;hl an den Tag, und so kam er endlich auf der allertiefsten Stufe der Erniedrigung an. Einmal verga; er sich soweit, da; er im Adelskasino zu T. eine B;chse auf den Tisch stellte und daneben eine Tafel mit folgender Inschrift anbrachte: »Jeder, den die Lust anwandelt, dem altadligen Poltew – die Dokumente ;ber die Herkunft, die Familie u.s.w. liegen zur Ansicht aus – einen Nasenst;ber zu geben, kann diesen feinen Wunsch befriedigen, sobald er vorher einen Rubel in die B;chse geworfen hat.« Es fanden sich, wie man mich versicherte, eine ganze Anzahl Liebhaber, denen es Spa; machte, dem Edelmann einen Nasenst;ber zu versetzen. Allerdings darf ich hierbei nicht verschweigen, da; Mischa einen dieser Liebhaber, der nur einen Rubel in die B;chse legte, sich dann aber erlaubte, Jenem zwei Nasenst;ber zu geben, zuerst fast erw;rgte und ihn dann zwang, nachdem er endlich losgelassen hatte, ihn um Vergebung zu bitten. Ferner darf man nicht unerw;hnt lassen, da; er einen ganzen Theil des auf diese Weise zusammengeschlagenen Geldes an andere arme Teufel vertheilte. Aber deshalb ist die Taktlosigkeit doch nicht geringer zu beurtheilen. Im Laufe dieser seiner Fahrt »durch die sieben Simeonstage« suchte er auch einmal sein heimatliches Nest auf, welches er f;r einen Spottpreis an einen damals sehr bekannten Gesch;ftsmann, einen Wucherer und G;terschl;chter verkauft hatte. Der neue Besitzer war im Hause anwesend nnd als er die Mittheilung erhielt, da; der ehemalige Gutsherr, der allm;lig zum Vagabunden herabgesunken sei, angekommen w;re, gab er strengen Befehl, ihn nicht ins Haus zu lassen und ihn n;thigenfalls sogar mit Gewalt am Eintritt zu hindern. Mischa erk;lte, da; er ;berhaupt nicht daran denke, ;ber die Schwelle eines Hauses zu schreiten, das schon dadurch entweiht sei, da; ein so ehrloser Schuft es besitze; wenn er aber einen Besuch beabsichtigt h;tte, so w;rde er sich durch kein Verbot und keine Drohung davon abbringen lassen. Er hatte nur die Absicht, den Kirchhof zu betreten und die daselbst befindlichen Gr;ber seiner Eltern zu besuchen. Auf den Kirchhof traf er einen alten Leibeigenen, der ihn, als er noch ein Kind war, gewartet hatte. Der Wucherer, der jetzige Gutsbesitzer, hatte den alten Mann von seinem kleinen Geh;fte gejagt, ihm auch jede Unterst;tzung an Korn, Fischen u.s.w., die er bisher erhalten, entzogen und ihn darauf angewiesen, im Stall eines benachbarten Bauern zu n;chtigen. Mischa hatte die Rolle als Gutsherr nur kurze Zeit gespielt; es war ihm deshalb auch nicht gelungen, bei den Dorf- und Hofleuten ein tieferes Gef;hl der Dankbarkeit f;r ihn zu begr;nden. Dennoch aber konnte der alte Diener es nicht ;ber sich gewinnen, fernzubleiben; kaum hatte er von der Ankunft seines ehemaligen Herrn geh;rt, als er auch schon auf den Kirchhof lief. Hier fand er Mischa auf der blo;en Erde zwischen den Grabsteinen sitzen; sofort bat er um die Erlaubni;, ihm die Hand k;ssen zu d;rfen, und dem alten Mann traten die Th;nen in die Augen, als er sehen mu;te, da; der einst so sorgf;ltig gepflegte K;rper seines Wartekindes kaum noch von den nothd;rftigsten Lumpen umh;llt wurde. Mischa sah den alten Diener lange an, ohne ein Wort zu sprechen. »Timothej!« sagte er endlich. Timothej erzitterte am ganzen K;rper. »Was befehlen Sie, gn;diger Herr?« »Hast Du eine Schaufel, einen Spaten?« »Ich kann ihn herbeiholen. Aber was w;nschen Sie mit einem Spaten zu beginnen, Herr Michael Andrejewitsch?« »Ich will mir hier ein Grab graben, Timothej, und mich f;r alle Ewigkeit hier zwischen den Gr;bern meiner Eltern zur Ruhe legen; auf der ganzen gro;en Welt ist ja nichts als dies einzige Pl;tzchen mein Eigenthum geblieben. Bringe mir also den Spaten.« »Sofort!« sagte Timothej und entfernte sich. Bald kehrte er mit dem verlangten Gegenstande zur;ck und Mischa begann nun zu graben. Timothej stand daneben, hielt sich das Kinn mit der einen Hand und wiederholte immer aufs Neue: »So ist's, gn;diger Herr, so ist's! Dir und mir, uns Beiden ist wirklich nichts geblieben, als dieses Fleckchen Erde hier.« Mischa grub unverdrossen und warf nur von Zeit zu Zeit die Bemerkung ein: »Es lohnt sich ja ;berhaupt nicht zu leben. Meinst Du nicht auch, Timothej?« »Nein, es lohnt sich wirklich nicht. V;terchen,« lautete jedesmal die Antwort. Die Grube war mittlerweile schon ziemlich tief geworden. Einige Bauern sahen der Arbeit zu, liefen dann zu dem jetzigen Gutsherrn, dem Gesch;ftsmann und Wucherer, und theilten ihm mit, was Mischa beginne. Zuerst wurde der Gutsbesitzer w;thend und wollte zur Polizei schicken. »Das ist ja die reine Profanation!« schrie er einmal ;ber das Andere. Dann aber ;berlegte er es sich und kam dabei wohl zum Bewu;tsein, da; es nicht gerathen sei, mit dem launenhaften Menschen anzubinden und da; er Alles vermeiden m;sse, was etwa einen Skandal hervorrufen k;nne. So beschlo; er denn, in eigener Person auf den Kirchhof zu gehen; das that er denn auch und als er dort Mischa traf, der sich noch immer im Schwei;e seines Angesichts abm;hte das Grab zu vollenden, verneigte er sich sehr tief vor ihm. Mischa aber fuhr fort zu graben, als habe er das Erscheinen seines Nachfolgers im Gutshofe gar nicht bemerkt. »Michael Andrejewitsch, w;rden Sie mir erlauben zu fragen, was Sie da eigentlich machen?« »Wie Sie sehen, grabe ich mein Grab.« »Weshalb?« »Weil ich nicht Lust habe, noch l;nger zu leben.« Ganz erstaunt ob dieser Antwort hob der Fragesteller beide H;nde empor. »Sie w;nschen nicht l;nger zu leben?« Mischa warf ihm einen drohenden Blick zu. »Dar;ber k;nnen Sie noch in Erstaunen gerathen? Sie wissen doch sehr gut, da; Sie die Ursache meines Kummers sind. Jawohl, Sie! Jawohl, Du! Du Judas, Du hast es Dir zu Nutze gemacht, da; ich noch jung und unerfahren war! Du hast es benutzt, um mich auszupl;ndern, um mich zu berauben! Und jetzt schindest Du Deine Bauern, da; es einen Stein erbarmen k;nnte! Hast Du diesem hinf;lligen, siechen Greise nicht sein t;gliches Brod geraubt? Jawohl, Du hast es gethan! O Gott im gro;en Himmel! Ueberall Ungerechtigkeit! Nirgends etwas Anderes als Unterdr;ckung und Frevelthat! Da mag denn Alles zu Grunde gehen, Alles und ich dazu! Ich will nicht l;nger leben, ich mag nicht l;nger in diesem Ru;land leben!« Und noch kr;ftiger und schneller als zuvor arbeitete Mischa mit dem Grabscheit. »Zum Teufel auch,« dachte der Gutsherr; »was soll denn das bedeuten? Es scheint wirklich, als wolle er sich ein Grab machen und sich dann gleich hineinlegen. Michael Andrejewitsch,« fuhr er dann laut fort, »ich mu; Sie doch um Entschuldigung bitten. H;ren Sie mich nur an, es waltet hier ein Mi;verst;ndni; vor.« Mischa grub. »Aber wozu diese Verzweiflung?« Mischa grub ruhig weiter und warf die ausgehobene Erde dem Gutsherrn auf die F;;e. »Da, Du Landverschlinger!« schrie er dabei; »nimm es und fri; es auf!« »Ich gebe Ihnen die Versicherung, da; Sie im Unrecht sind. Sie sollten lieber in meine Wohnung kommen, sollten dort etwas genie;en und ein Wenig ausruhen.« Mischa erhob den Kopf. »Sieh einmal, jetzt singst Du in einer ganz anderen Tonart. Wie ist's darum? Giebt's bei Dir auch etwas zu trinken?« »Ganz gewi;! Weshalb nicht?« erwiderte der Gutsherr, sehr erfreut, da; die Sache eine f;r ihn so g;nstige Wendung nahm. »Ladest Du auch den alten Timothej ein?« »Freilich, auch ihn.« Mischa dachte einen Augenblick nach. »Das sage ich Dir von vornherein: Du wei;t, da; Du mich ausgepl;ndert hast und da; Du Schuld an meiner jetzigen Lage bist, bilde Dir also nicht etwa ein, da; Du die Sache mit einer einzigen Flasche todt machen k;nntest.« »Seien Sie unbesorgt! Es ist von Allem so viel da, als Ihr Herz begehrt.« Mischa richtete sich ganz empor und warf den Spaten zur Seite. »Nun, mein lieber Timothej,« wandte er sich an seinen alten W;rter, »so wollen wir denn dem Hausherrn die Ehre erweisen. Gehen wir!« »Sehr gern,« antwortete der Alte. So begaben sich die Drei ins Herrenhaus. Der durchtriebene Gutsbesitzer wu;te ganz genau, wie er sich zu verhalten habe. Mischa begann allerdings damit, da; er sich von Jenem das Ehrenwort geben lie;, er wolle seinen Bauern in Zukunft alle m;glichen Erleichterungen zu Theil werden lassen, aber schon eine Stunde sp;ter tanzte Mischa mit Timothej, Beide vollst;ndig betrunken, Galopp in demselben Zimmer, in welchem, wie man meinen konnte, noch der Geist von Andrej Nikolajewitsch Poltew, Mischa's Vater, umging; wieder eine Stunde sp;ter lag Mischa, der trotz seines vielen Trinkens doch nicht viel Branntwein vertragen konnte und deshalb schon eingeschlafen war, auf einem Wagen. Seine M;tze hatte man ihm auf den Kopf gesetzt, seinen Dolch neben ihm gelegt, und so wurde er nach der etwa f;nfundzwanzig Werst entfernten Nachbarstadt gefahren. Dort legte man ihn an einem Zaun nieder, wo er sich bei feinem Erwachen zum gr;;ten Erstaunen wiederfand. Timothej, der noch nicht eingeschlummert war, sondern immer noch versuchte f;r sich allein Galopp zu tanzen, wurde einfach aus dem Hause geworfen. Was man mit dem Herrn zu thun beabsichtigt hatte, konnte somit wenigstens beim Diener ausgef;hrt werden. VI. Wiederum verging einige Zeit, ohne da; ich das Geringste von Mischa oder ;ber ihn geh;rt h;tte. Gott mochte wissen wohin, er gerathen war. Da sitze ich nun eines sch;nen Tages in einer Posthalterei an der T.'schen Landstra;e; auf dem Tische vor mir stand der Samowar und ich wartete auf den Vorspann, da h;re ich pl;tzlich unter dem offenen Fenster des Passagierzimmers eine heisere Stimme auf franz;sisch sagen: »Monsieur, monsieur! preuez piti233; d'un pauvre gentilhomme ruin233;!« Ich erhob den Kopf, gro;er Gott! Wen mu;te ich vor mir sehen! Die von allen Haaren entbl;;te Fellm;tze auf dem Kopfe, bekleidet mit der zerlumpten Tscherkessen-Uniform, an welcher die aufgen;hten Patronenh;lsen fast in Fetzen herunterhingen, den Dolch in der zerplatzten und zerbrochenen Scheide tragend, mit aufgedunsenem, dabei aber noch immer rosig schimmerndem Gesicht, mit zerzaustem, aber immer noch reichem Kopfhaar, so stand Mischa vor mir! Er war es wirklich, und er war schon soweit gesunken, da; er die Reisenden auf der Landstra;e um einen Almosen ansprach! Ich schrie unwillk;rlich laut auf. Er erkannte mich, zitterte, wandte sich ab und machte Miene sich von dem Fenster zu entfernen. Ich hielt ihn zur;ck. Aber was sollte ich sagen? Sollte ich ihm etwa in diesem Moment eine moralische Vorlesung halten? Ohne ein Wort zu ;u;ern hielt ich ihm einen F;nfrubelschein hin; ebenfalls schweigend ergriff er die Banknote mit seiner immer noch wei;en und rundlichen, aber doch schon zitternden und auch ziemlich unsaubern Hand, und dann verschwand er hinter dem Hause. Der Vorspann mit frischen Pferden lie; noch immer auf sich warten, und so hatte ich Zeit genug, meinen tr;ben Gedanken ;ber dieses unerwartete Zusammentreffen mit Mischa nachzuh;ngen. Ich machte mir jetzt Vorw;rfe dar;ber, da; ich ihn so kalt und gleichg;ltig hatte weiterziehen lassen. Endlich konnte ich meine Reise fortsetzen; kaum hatte ich noch eine halbe Werst zur;ckgelegt, als ich vor mir auf der Landstra;e einen Trupp Menschen gewahrte, die in seltsamer, offenbar taktm;;iger Weise vorw;rts schritten. Bald hatte ich mit meinem Wagen die Leute eingeholt, und was mu;te ich nun sehen! Zw;lf Bettler waren es, die, mit den Quers;cken auf dem R;cken, zu je zwei und zwei schritten, h;pften und sprangen; sie sangen im Chor ein Liedchen und vor ihnen her tanzte Mischa und br;llte den Refrain noch lauter als die Andern. Kaum war mein Wagen in ihrer N;he angelangt, als er mich auch schon erblickte und nun laut rief: »Hurrah! Halt! Das ganze Bataillon, Front!« Gehorsam blieben die Bettler auf dieses Kommando hin in doppelter Reihe stehen; er selbst sprang mit seinem gew;hnlichen gellenden Lachen auf den Wagentritt und br;llte nun ein »Hurrah« ;ber das andere. »Was hat das denn zu bedeuten?« fragte ich ganz erstaunt. »Das ist meine Armee! Es ist die Bettlergarde, ;brigens alles Gottesm;nner und gute Freunde von mir. Jeder von ihnen, Dank Ihrer Gro;muth, hat sich mit einem Gl;schen das Herz erfreuen k;nnen, und da sind wir denn nat;rlich heiter und seelensvergn;gt. Ach, Onkelchen, glauben Sie mir, nur in der Gesellschaft von Bettlern, von solchen braven M;nnern, l;;t es sich noch einigerma;en auf dieser Welt leben! Sonst ist es wirklich nicht auszuhalten!« Ich antwortete nicht darauf; in diesem Augenblicke aber erschien er mir so herzensgut, in seinem Gesicht sprach sich eine solche liebensw;rdige beinahe kindliche Einfalt aus, da; ich mich im tiefsten Innern ergriffen f;hlte. Wie ein Blitz fuhr mir der Gedanke, hier zu helfen, durch den Kopf. »Setze Dich zu mir in den Wagen!« sagte ich. Er machte eine Bewegung, die sein gro;es Erstaunen ausdr;ckte. »Wie? Ich – in diesen Wagen?« »Jawohl,« wiederholte ich. »Setze Dich zu mir, ich will Dir einen Vorschlag machen. Setze Dich doch, wir wollen zusammen weiterfahren.« »Wie Sie wollen.« Er nahm neben mir Platz. »Und Ihr, meine lieben Freunde und ehrenwerthen Genossen,« fuhr er fort, sich an die Bettler wendend, »lebt wohl! Auf Wiedersehen!« Er nahm seine Fellm;tze ab und gr;;te sehr h;flich. Die Bettler standen starr vor 220;berraschung. Ich befahl dem Kutscher, die Pferde t;chtig laufen zu lassen, und so rollte denn unser Wagen bald wieder auf der Chaussee dahin. Ich wollte Mischa folgenden Vorschlag machen: Mir war der Gedanke gekommen, ihn mit mir auf meinen Landsitz zu nehmen, der etwa drei;ig Werst von jener Station entfernt war, auf der ich ihn wiedergesehen hatte. Hier wollte ich ihn bessern oder doch wenigstens den Versuch zu seiner Besserung unternehmen. »H;re einmal, Mischa,« begann ich, »willst Du in meinem Hause leben? Du sollst ganz nach Deiner Bequemlichkeit leben; auch mit Kleidung und W;sche wird man Dich versehen und Dich ;berhaupt ordentlich ausstatten. Geld zu Taback und anderen kleinen Gen;ssen und Vergn;gungen sollst Du ebenfalls erhalten, aber alles das nur unter einer Bedingung: Du darfst keinen Branntwein mehr trinken. Gehst Du darauf ein?« Mischa schien vor pl;tzlicher Freude ganz erschrocken zu sein; seine Augen blickten mich starr an, sein ganzes Gesicht ergl;hte; dann sank er pl;tzlich an meine Schulter, ;berh;ufte mich mit K;ssen und wiederholte einmal ;ber das andere mit halberstickter Stimme: »Onkel! Onkelchen, mein Wohlth;ter, Gott vergelt's Ihnen!« Schlie;lich brach er in lautes Weinen aus, nahm seine Fellm;tze vom Kopf und wischte sich damit die Augen, die Nase und den Mund. »Vergi; aber nicht,« sagte ich eindringlichst, »da; ich eine Bedingung gestellt habe, von deren Innehaltung alles Andere abh;ngig ist: Du darfst keinen Brantwein trinken.« »Der Teufel hole den Branntwein!« rief er, beide H;nde wie abwehrend von sich streckend. In Folge dieser Bewegung str;mte f;rmlich eine Wolke von dem Spiritusgeruch, der ihn ganz zu durchdringen schien, auf mich zu. »Ach, mein liebes gutes Onkelchen, wenn Sie nur w;;ten, welch ein Leben ich gef;hrt habe! Aber mein st;ndiger Gram war schuld an Allem und das Schicksal hat mir auch gar zu arg mitgespielt! Aber nun schw;re ich, Onkelchen, ja, ich schw;re Ihnen, da; ich mich bessern werde! Sie werden es ja sehen, Onkelchen; ich habe noch niemals gelogen, Sie k;nnen danach fragen, wen Sie wollen. Ich bin ein ehrlicher Mensch, Onkelchen, aber ich habe nun einmal kein Gl;ck im Leben gehabt. Niemand hat mir bisher Liebes und Gutes erwiesen –« Nun konnte er vor Schluchzen schon gar nicht mehr sprechen. Ich gab mir alle denkbare M;he, ihn zu tr;sten und zu beruhigen, und das gelang mir endlich auch; als wir vor meinem Landhause anlangten, war Mischa schon l;ngst in bleiernen Schlaf gesunken, wobei sein Haupt sich so tief herabbeugte, da; es schlie;lich auf meinen Knieen lag. VII. Sogleich nach unserer Ankunft wurde ein Zimmer f;r ihn in Ordnung gebracht, vor allen Dingen aber wurde f;r ihn ein Bad bereitet, das war es, worauf es dem Augenschein nach ganz besonders ankam. Seine gesammte Kleidung einschlie;lich des Dolches, der Fellm;tze und der zerrissenen Stiefel wurde zusammengepackt und in eine Kammer gelegt und daf;r erhielt er W;sche, Pantoffeln und Kleidungsst;cke von mir; wie dies merkw;rdigerweise bei armen Teufeln, die man mit solchen Gegenst;nden ausstattet, immer der Fall ist, pa;ten auch ihm die Sachen wie angemessen. Als er dann zu Tisch kam, gewaschen, sauber, frisch, da sah er so frohbewegt, so gl;cklich und dankbar aus, da; auch ich vor R;hrung und Freude mich gehoben f;hlte. Der Ausdruck seines Gesichtes hatte sich vollkommen ver;ndert. So sehen wohl zw;lfj;hrige Knaben am Ostersonntag aus, wenn sie das Abendmahl bekommen haben und nun mit ihren ;beraus stark pomadisirten Haaren, in neuen Anz;gen und mit steifgest;rkten Kragen in Begleitung ihrer Eltern ausgehen, um allen lieben Verwandten und Bekannten die »Osterk;sse« zu verabreichen. Mischa tastete fortw;hrend vorsichtig und mit der Miene eines Zweifelnden an sich selbst herum und wiederholte best;ndig: »Wie h;ngt denn das Alles zusammen? Sollte ich vielleicht doch schon im Himmel sein?« Am andern Morgen erkl;rte er mir zum Ueberflu; auch noch, da; er vor Entz;cken und Freude w;hrend der ganzen Nacht kein Auge habe schlie;en k;nnen. Eine alte Tante mit ihrer Nichte lebte damals bei mir in jenem Landhause. Beide waren au;erordentlich best;rzt, als sie h;rten, da; ich Mischa mitgebracht h;tte; sie konnten gar nicht begreifen, wie ich einen solchen verkommenen Menschen zu mir ins Haus nehmen k;nnte; der Ruf, der ihm voranging, war n;mlich in Wirklichkeit so ziemlich der schlechteste, den ein Mensch ;berhaupt haben kann. Nun war ich aber erstens fest davon ;berzeugt, da; er sich den Damen gegen;ber keine Freiheit herausnehmen w;rde, und zweitens hatte er mir ja fest versprochen, da; er sich bessern wolle. Und w;hrend der ersten beiden Tage rechtfertigte Mischa nicht nur die Hoffnungen, die ich auf ihn baute, sondern er ;bertraf noch in jeder Beziehung meine Erwartungen. Meine Damen waren von ihm geradezu entz;ckt. Mit der alten Tante spielte er Piquet, war ihr beim Garnwickeln behilflich und lehrte sie einige neue Arten des Patiencespieles; die Nichte, die eine allerdings nicht sehr umfangreiche Stimme hatte, begleitete er auf dem Klavier, auch las er ihr russische und franz;sische Gedichte vor. Au;erdem erz;hlte er den Damen lustige, dabei aber durchaus schickliche Anekdoten, mit einem Wort: er unterhielt sie so gut und erwies sich in kleinen Handgriffen und Dienstleistungen so geschickt und anstellig, da; sie ihr Erstaunen offen ausdr;ckten. Die Tante f;gte noch hinzu: »Da kann man wieder einmal sehen, wie ungerecht doch die Menschen urtheilen! Was haben sie nicht Alles ;ber ihn zu erz;hlen gewu;t und wie h;flich, wie nett und artig ist er doch in Wirklichkeit. Armer Mischa!« Nun mu; ich allerdings erw;hnen, da; der »arme Mischa« immer in besonders ausdrucksvoller Art die Lippen leckte, sobald er bei Tische eine Flasche auch nur von Weitem zu sehen bekam. Ich brauchte ihm jedoch nur mit dem Finger zu drohen, so schlug er die Augen zur Decke empor, legte die Hand aufs Herz und sagte: »Aber ich habe ja geschworen!« »Ich bin jetzt wie vollst;ndig umgewandelt,« versicherte er mich einmal ;ber das Andere. »Gott gebe, da; es wahr ist,« dachte ich bei mir selbst. Leider hatte diese Umwandlung keinen langen Bestand. W;hrend der beiden ersten Tage war er sehr gespr;chig, aufgeweckt und heiter. Aber schon am dritten Tage erschien er mir etwas verstimmt, obwohl er es noch nicht merken lassen wollte und nach wie vor bem;ht war, in Gesellschaft der Damen zu bleiben und sie zu unterhalten. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, wie aus Traurigkeit und Nachdenklichkeit gepaart, und dieses Gesicht erschien mir auch etwas bleicher und eingefallener zu sein, als an den vorhergehenden Tagen. »Solltest Du unwohl sein?« fragte ich ihn. »Ja,« antwortete er; »ich habe etwas Kopfschmerzen.« Am vierten Tage war er schon vollst;ndig schweigsam. Er sa; fast immer in eine Ecke gedr;ckt, lie; wie eine kummervolle Waise den Kopf h;ngen und sein betr;btes Aussehen erweckte das innige Mitleid der beiden Damen, die nun ihrerseits Alles aufboten, um ihn zu unterhalten und zu zerstreuen. Bei Tisch a; er nichts, starrte unverwandten Blickes auf seinen Teller und drehte mechanisch Brodk;gelchen zwischen den Fingern. Am f;nften Tage hegten die Damen nicht mehr das Gef;hl des Mitleids f;r ihn; an seine Stelle trat das des Mi;trauens und sogar der Furcht. Mischa blickte finster vor sich her; er mied jede Gesellschaft, schlich an den W;nden entlang wie Einer, der ein b;ses Gewissen hat, und drehte sich dann pl;tzlich mit schneller Wendung um, als glaubte er, da; ihn Jemand gerufen habe. Und wohin war die rosige Farbe seiner Wangen gekommen? Er sah aus, als sei er dem Grabe entstiegen. »Bist Du noch immer unwohl?« fragte ich ihn. »Nein, ich bin ganz wohl,« entgegnete er kurz und unwirsch. »Langweilst Du Dich?« »Weshalb sollte ich mich langweilen?« Dabei wandte er sich zur Seite, als k;nnte er meinen Blick nicht ertragen. »Ist vielleicht Dein alter Gram wieder erwacht?« Er antwortete nichts auf diese Frage. In dieser Stimmung und Situation ging noch ein Tag vorbei. Am darauf folgenden Tage kam die Tante eiligst in mein Arbeitszimmer gelaufen; sie befand sich sichtlich in gro;er Erregung und erkl;rte kurz und b;ndig, da; sie mit ihrer Tochter das Haus verlassen werde, wenn Mischa noch l;nger in demselben bleibe. »Aber weshalb denn?« »Weshalb? Weil wir nicht wissen, wie wir uns vor ihm in Acht nehmen sollen, das ist ja gar kein Mensch mehr! Er l;uft herum wie ein Wolf, ja, wie ein tollgewordener Wolf! Er geht umher, immer auf und ab, spricht kein Wort dabei, und sieht Einen nur so f;rchterlich wild an! Es fehlte nur noch, da; er mit den Z;hnen fletscht. Du wei;t ja nun doch, da; meine Katia so sehr nerv;s ist. Vom Tage seiner Ankunft an hat sie sich f;r ihn interessirt. Jetzt habe ich nat;rlich Furcht, ihretwegen, und auch meinetwegen.« Ich wu;te nicht, was ich meiner Tante antworten sollte. Unm;glich konnte ich Mischa so ohne Weiteres wieder aus dem Hause weisen, nachdem ich selbst ihn zu mir eingeladen hatte. Er selbst befreite mich aus der sehr peinlichen Situation. An demselben Morgen, ich hatte mein Arbeitszimmer noch nicht verlassen, h;rte ich pl;tzlich hinter mir eine dumpfe, mi;lautende Stimme. »Nikolai Nikolajewitsch! Heda, Nikolai Nikolajewitsch!« Ich wandte mich um; in der Th;r stand Mischa. Sein Gesicht war schrecklich anzusehen; ganz entstellt und finster blickte er drein. »Nikolai Nikolajewitsch!« wiederholte er. (Er nannte mich nicht mehr »Onkelchen.«) »Was willst Du?« »Lassen Sie mich meines Weges gehen, sofort!« »Wie meinst Du?« »Sie sollen mich weiterziehen lassen. Sonst richte ich ein Ungl;ck an; ich stecke das Haus in Brand oder ich schlage irgend Jemanden zu Boden.« Er erbebte und zitterte, wie vom Fieber gesch;ttelt. »Lassen Sie mir sofort meine Sachen wiedergeben,« fuhr er fort. »Geben Sie mir einen Wagen, der mich wenigstens bis zur Landstra;e bringt, und wenn Sie dann noch wollen, geben Sie mir ein St;ck Geld auf die Wanderschaft.« »Aber bist Du denn ;ber irgend etwas unzufrieden?« fragte ich. »Ich kann so nicht l;nger leben!« schrie er mit aller Kraft seiner Lungen. »Ich kann nicht in Ihrem verdammt anst;ndigen, in Ihrem Herrschaftshause leben! Es ekelt mich an! Ich sch;me mich, so ruhig dahinzuleben! Wie k;nnen Sie selbst das nur ertragen?« »Mit andern Worten,« unterbrach ich ihn meinerseits, »Du willst sagen, da; Du ohne Branntwein nicht bestehen kannst.« »Nun ja! Nun ja!« br;llte er. »Lassen Sie mich doch nur wieder zur;ck zu meinen Br;dern, zu meinen lieben Freunden, den Bettlern. Zum Teufel mit Ihrer widerw;rtig anst;ndigen, Ihrer vornehmen und gebildeten Gesellschaft!« Ich wollte ihn anf;nglich an das mir gegebene Versprechen erinnern, das er noch dazu mit einem Eide beschworen hatte; aber sein furchtbar erregter Gesichtsausdruck, das abgerissene, sto;weise Sprechen, das konvulsivische Zittern aller seiner Gliedma;en, das Alles war so schrecklich, da; ich mich beeilte, mit ihm auseinanderzukommen. So erkl;rte ich ihm denn, da; er sofort seinen fr;heren Anzug wiedererhalten solle und da; man eine Telega anspannen werde; dann nahm ich eine F;nfundzwanzigrubelnote aus dem Schranke und legte sie auf den Tisch. Mischa kam drohend auf mich zu, pl;tzlich aber blieb er stehen, er stutzte und sein Gesicht war wie von Blut ;berg;ssen. Dann schlug er sich vor die Brust, Thr;nen liefen ihm aus den Augen, er stammelte: »Onkelchen, Du mein Engel! Ich bin ein verlorener Mensch! Dank! Dank!« Damit ergriff er die Banknote und lief davon. Eine Stunde sp;ter sa; er bereits auf der f;r ihn angespannten Telega; wieder war er als Tscherkesse gekleidet, wieder sah er rosig und heiter aus, wie nur je zuvor. AIs die Pferde anzogen, schrie er vor Freude laut auf, ri; die Fellm;tze vom Kopf, schwenkte sie ;ber seinem Haupte und machte dann eine Verbeugung nach der andern. Einen Moment vor seiner Abreise hatte er mich noch lange umarmt, mich fest an seine Brust gedr;ckt und dabei gestammelt: »Mein Wohlth;ter! Du mein Wohlth;ter! Ich bin ja doch nicht mehr zu retten!« Er war auch zu den Damen gelaufen, hatte ihre H;nde mit K;ssen bedeckt, war vor ihnen auf die Knie gesunken, hatte Gott angerufen und ihn um Verzeihung f;r sein Thun gebeten. Als der Wagen sich entfernt hatte, fand ich Katia in Thr;nen. Der Kutscher, mit welchem Mischa abgefahren war, erz;hlte mir nach seiner Heimkehr, da; er Jenen bis zur ersten an der Landstra;e belegenen Schenke gefahren habe. Ihn von dort wieder fortzubringen habe er kein Mittel gefunden. Mischa hatte alle Anwesenden eingeladen, auf seine Kosten zu trinken, und bald war er wieder so bezecht gewesen, da; er besinnungslos auf der Bank lag. Seit jener Zeit bin ich mit meinem Neffen nicht mehr zusammengetroffen. Was ich aber ;ber seinen Ausgang von anderer Seite vernommen, will ich hier noch kurz erz;hlen. VIII. Es mochten seit den eben geschilderten Ereignissen etwa drei Jahre verflossen sein, als ich mich wieder einmal auf meinem Landgute befand. Ein Diener trat zu mir ins Zimmer und sagte, da; eine Frau Poltew mich zu sprechen w;nsche. Ich kannte nun keine Frau Poltew und der Diener hatte auch, als er mir die Meldung machte, auf etwas sarkastische Art gel;chelt. Auf meinen fragenden Blick theilte er mir mit, da; die Dame, welche mich zu sprechen w;nsche, jung sei, ;rmliche Kleidung trage und in einem Bauernwagen angekommen sei, dessen einziges Pferd sie selbst gelenkt habe. Ich lie; der Frau Poltew sagen, da; ich sie in meinem Arbeitszimmer sprechen werde. Bald stand ich einer etwa f;nfundzwanzigj;hrigen Frau gegen;ber, die den Anzug des kleinen B;rgerstandes trug und ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte. Das Gesicht bot nichts ungew;hnliches; es war ein bischen rund, deshalb aber nicht ohne Anmuth. Sie hielt die Augen gesenkt – sp;ter konnte ich bemerken, wie kummervoll und traurig ihr Blick war. Alle ihre Bewegungen zeugten von Scheu und Verlegenheit. »Sie find Frau Poltew?« fragte ich, sie mit einer Handbewegung einladend, Platz zu nehmen. »Jawohl, mein Herr!« antwortete sie mit leiser Stimme und ohne sich zu setzen. »Ich bin die Wittwe Ihres Neffen Michael Andrejewitsch Poltew.« »Michael Andrejewitsch ist todt? Seit wann? Aber bitte, nehmen Sie doch Platz.« Sie lie; sich auf einen Stuhl nieder. »Vor fast zwei Monaten ist er gestorben.« »Sind Sie lange mit ihm verheirathet gewesen?« »Ich habe im Ganzen ein Jahr mit ihm zusammen gelebt.« »Woher kommen Sie jetzt?« »Aus der Gegend von Tula. Dort liegt ein Dorf, das Snamonskoje-Gluschkowo hei;t; vielleicht kennen Sie es. Ich bin die Tochter des dortigen K;sters und dort haben auch mein Mann und ich gelebt. Er lie; sich bei meinem Vater nieder. Ja, ein Jahr lang haben wir zusammen gelebt.« Die junge Frau hielt ihre Hand vor die Augen; die Lippen zitterten leicht. Man sah, da; es sie dr;ngte zu weinen, aber sie bezwang sich und unterdr;ckte die Bewegung mit einem Husten. »Mein armer Mischa Andrejewitsch hat mich, bevor er aus dem Leben schied, beauftragt, Sie aufzusuchen. Du mu;t auf jeden Fall zu ihm reisen, hat er gesagt. Und dann befahl er mir noch, da; ich Ihnen f;r alle Ihre G;te danken – und da; ich – Ihnen dies hier –« (sie zog ein kleines P;ckchen aus der Tasche) – »dies hier ;bergeben soll – eine Kleinigkeit, die er stets mit sich herumtrug. Und Michael Andrejewitsch hat noch gesagt, Sie m;chten es, wenn es Ihnen gef;llig ist, zum Andenken an ihn annehmen. Sie m;chten, sagte er, das kleine Geschenk nicht zur;ckweisen, denn ein anderes kann er Ihnen nicht machen.« Das P;ckchen enthielt eine kleine silberne Tasse mit dem Namenszuge von Mischa's Mutter. Ich hatte die Tasse oft in Mischa's Hand gesehen und erinnerte mich, da; er einst, als wir von irgend einem armen Teufel sprachen, sagte: »Ja, der ist wirklich arm, denn er besitzt weder Tasse noch Sch;ssel, w;hrend ich doch immer noch dieses T;;chen hier habe.« Ich dankte der jungen Frau, nahm die Tasse und fragte dann: »An welcher Krankheit starb Mischa? Vermuthlich doch –« Ich bi; mich auf die Zunge, aber die Frau verstand nur zu gut, was ich hatte sagen wollen. Sie warf einen schnellen Blick auf mich, senkte dann wieder die Augen und sagte mit traurigem L;cheln: »O nein! Seit dem Tage, da er mich kennen gelernt, hat er darauf vollst;ndig verzichtet. Aber wie stand es mit seiner Gesundheit? Sie war vollst;ndig zerst;rt. Sobald er das Trinken aufgab, packte ihn die Krankheit mit grimmigster Gewalt. Und er war doch so vern;nftig, so ordentlich geworden! Immer wollte er meinem Vater helfen – in der Hauswirthschaft, oder im Garten, oder wo es sonst nur irgend etwas zu thun gab. Er sch;mte sich der Arbeit garnicht, obwohl er doch von adliger Geburt ist. Aber woher sollte er die Kr;fte nehmen? Dann wollte er sich als Schreiber besch;ftigen; Sie wissen vielleicht noch, da; er mit diesem Fach sehr vertraut war. Aber seine Hand zitterte, und er konnte die Feder nicht so halten, wie es beim Schreiben n;thig ist. Er machte sich die heftigsten Selbstvorw;rfe. »Wei;e H;ndchen habe ich, sagte er, die H;nde eines richtigen Nichtsthuers, eines M;;igg;ngers. Ich habe Niemandem etwas Gutes erwiesen, Niemandem geholfen, habe niemals gearbeitet! Das war's, wor;ber er sich am meisten gr;mte. Er sagte: Unser Volk qu;lt und schindet sich ab und wir – was thun wir inzwischen? Ach, Nikolai Nikolajewitsch, er war wirklich herzensgut – und er liebte mich so sehr – auch ich – ach verzeihen Sie –« Die junge Frau brach in Thr;nen aus. Ich h;tte sie so gern getr;stet – aber wie sollte ich das anfangen? »Haben Sie ein Kind?« fragte ich endlich. Sie seufzte. »Ein Kind? Nein?« – Und ihre Thr;nen fl;ssen noch st;rker. IX. Das war das Ende, das mein Neffe Mischa genommen, schlo; der alte P. seine Erz;hlung. Sie werden mir wohl zugeben, meine Herren, da; ich Recht hatte, wenn ich ihn einen »Verzweifelten« nannte. Aber ohne Zweifel geben Sie auch das zu, da; er den Verzweifelten von heut zu Tage durchaus nicht gleicht, obwohl ja nicht ausgeschlossen ist, da; ein Philosoph zwischen beiden Arten verwandte oder sogar gleiche Z;ge herauszufinden vermag. Auf beiden Seiten macht sich derselbe Drang zur Selbstzerst;rung bemerkbar, derselbe Tr;bsinn, dasselbe Unbefriedigtsein mit sich und der Welt. Aber woher dieses Gef;hl stammt, das ist eine Frage, deren Beantwortung ich auch lieber den Philosophen ;berlassen m;chte.