Der Duellant. Èâàí Ñåðãååâè÷ Òóðãåíåâ Geboren am 09.11.1818 in Oryol (Ukraine), gestorben am 03.09.1883 in Bougival, nahe Paris. Turgenev war der Sohn reicher Landbesitzer. Nach dem damals ;blichen Hausunterricht f;r Kinder adliger Familien studierte er in Moskau, Sankt Petersburg und Berlin, und war nach Abschlu; seiner Studien kurze Zeit als Staatsbeamter in Sankt Petersburg t;tig. 1843 ver;ffentlichte er sein erstes Gedicht (Paraša), das von der Kritik gut aufgenommen wurde. Ab 1855 hielt Turgenev sich zumeist im Ausland auf, 1863 w;hlte er Baden-Baden zu seinem st;ndigen Wohnsitz. In Deutschland lernte Turgenev Theodor Storm, Eduard M;rike, und Gustav Freytag kennen. In Paris, wo er sich nach 1871 niederlie;, traf er u. a. mit George Sand, Gustave Flaubert, ;mile Zola, Prosper M;rim;e und Henry James zusammen. Im Gegensatz zu den anderen beiden gro;en russischen Schriftstellern seiner Zeit, Tolstoi and Dostojewski, war nicht Religion sein zentrales Thema, sondern Leid der in Leibeigenschaft lebenden Bauern, wie er es auf dem elterlichen Gut hatte beobachten k;nnen. Goethes Werther inspirierte ihn zu der Erz;hlung 'Faust'. Werke u.a. * 1852 Aufzeichnungen eines J;gers (Erz;hlungen) * 1855 Ein Monat auf dem Lande * 1860 Erste Liebe (Novelle) * 1860 Am Vorabend (Roman) * 1862 V;ter und S;hne Kap. 1 Das ...sche K;rassierregiment lag im Jahre 1829 im Kirchdorf Kirillowo, im K-schen Gouvernement im Quartier. Dieses Kirchdorf erschien mit seinen Bauernh;tten und Getreideschobern, seinen gr;nen Hanffeldern und ;nnen Silberweiden aus der Ferne wie eine Insel im un;bersehbaren Meer der gepfl;gten, schwarzen Äcker. In der Mitte des Dorfes lag ein kleiner, immer mit G;nsegefieder bedeckter Weiher mit schmutzigen, an vielen Stellen aufgew;hlten Ufern; hundert Schritte hinter dem Weiher, jenseits der Stra;e, erhob sich das h;lzerne Herrenhaus, das seit langem unbewohnt war und sich traurig auf eine Seite geneigt hatte; hinter dem Haus zog sich der verwilderte Garten hin; im Garten wuchsen alte, unfruchtbare Apfelb;ume und hohe Birken voller Kr;hennester; am Ende der Hauptallee wohnte in einem kleinen H;uschen (der ehemaligen herrschaftlichen Badestube) der altersschwache Haushofmeister, der sich jeden Morgen aus alter Gewohnheit keuchend und hustend durch den Garten in die herrschaftlichen Gem;cher schleppte, in denen es nichts zu bewachen gab au;er einem Dutzend wei;er, mit verschossenem Stoff ;berzogener Sessel, zwei bauchigen Kommoden auf geschwungenen F;;en mit Messingbeschl;gen, vier alten Bildern und einem schwarzen Mohr aus Alabaster mit abgeschlagener Nase. Der Besitzer dieses Hauses, ein sorglos in den Tag lebender junger Mann, wohnte bald in Petersburg und bald im Ausland und hatte sein Gut g;nzlich vergessen. Er hatte es vor etwa acht Jahren von einem uralten Onkel geerbt, der einst im ganzen Kreis wegen seiner Fruchtschn;pse ber;hmt gewesen war. Die leeren dunkelgr;nen Flaschen lagen noch immer in den Vorratskammern zusammen mit allerlei Ger;mpel, engbeschriebenen Heften in bunten Umschl;gen, altert;mlichen Glasl;stern, einer alten Adelsuniform aus den Tagen der Kaiserin Katharina, einem verrosteten Degen mit st;hlernem Korb usw. In einem der Fl;gel dieses Hauses wohnte nun der Oberst, ein verheirateter, gro;gewachsener, wortkarger, ;sterer und immer verschlafener Mann. Im andern Fl;gel hatte sich der Regimentsadjutant einquartiert, ein empfindsamer und parf;mierter Offizier, gro;er Liebhaber von Blumen und Schmetterlingen. Die Gesellschaft der Herren Offiziere des ...schen Regiments unterschied sich durch nichts von jeder anderen Offiziersgesellschaft. Unter ihnen gab es gute und schlechte, kluge und hohle Menschen ... Ein gewisser Stabs-Rittmeister Awdej Iwanowitsch Lutschkow galt als Kampfhahn. Lutschkow war klein gewachsen und ziemlich unansehnlich; er hatte ein kleines, trockenes Gesicht von gelber Hautfarbe, sp;rliche schwarze Haare, gew;hnliche Z;ge und dunkle kleine Augen. Er hatte seine Eltern fr;h verloren und war in Not und unter schlechter Behandlung aufgewachsen. Wochenlang verhielt er sich ruhig ... pl;tzlich aber begann er, als w;re ein Teufel in ihn gefahren, alle zu bel;stigen, anzu;den und allen frech in die Augen zu blicken; mit einem Wort – er provozierte Streit. Awdej Iwanowitsch mied ;brigens seine Kameraden nicht, war aber nur mit dem parf;mierten Adjutanten befreundet. Er spielte keine Karten und trank auch nicht. Im Mai 1829, kurz vor Beginn der Übungen, kam ins Regiment der junge Kornett Fjodor Fjodorowitsch Kister, ein russischer Edelmann deutscher Abstammung, blond, sehr bescheiden, gebildet und belesen. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr hatte er im Elternhaus unter den Fittichen seiner Mutter, Gro;mutter und zweier Tanten gelebt; in den Milit;rdienst war er nur auf Wunsch seiner Gro;mutter getreten, die selbst im Alter keinen wei;en Federbusch ohne Erregung sehen konnte ... Er diente ohne besondere Lust, tat aber seine Pflicht eifrig, p;nktlich und gewissenhaft; er kleidete sich nicht stutzerhaft, doch sauber und vorschriftsm;;ig. Gleich am ersten Tag nach seiner Ankunft meldete er sich bei den Vorgesetzten; dann machte er sich an die Einrichtung seiner Wohnung. Er hatte billige Tapeten, einige kleine Teppiche, Etageren und so weiter mitgebracht, tapezierte alle W;nde und T;ren, brachte einige Bretterverschl;ge an, lie; den Hof reinigen, Stall und K;che umbauen und bestimmte sogar einen eigenen Platz f;r eine Badewanne ... Eine ganze Woche arbeitete er daran; daf;r war es sp;ter ein Vergn;gen, ihn zu besuchen. Vor den Fenstern stand ein sauberer Tisch mit allerlei S;chelchen; in einer Ecke befand sich eine Etagere mit B;chern und den B;sten von Schiller und Goethe; an den W;nden hingen Landkarten; vier K;pfchen nach Gr;vedon und ein Jagdgewehr; neben dem Tisch erhob sich eine schlanke Reihe langer Pfeifen mit sauber gehaltenen Mundst;cken; im Vorzimmer lag ein Fu;teppich; alle T;ren schlossen; an den Fenstern hingen Gardinen. Im Zimmer Fjodor Fjodorowitschs atmete alles Ordnung und Sauberkeit. Wie anders war es bei seinen Kameraden! Zu manchem kann man nur mit M;he durch einen schmutzigen Hof gelangen; im Vorzimmer schnarcht hinter einer zerfetzten, mit Sackleinwand ;berzogenen spanischen Wand der Bursche; auf dem Fu;boden liegt faules Stroh; auf dem Herd ein Paar Stiefel und ein Scherben mit Wichse; im Wohnzimmer selbst steht ein mit Kreide beschriebener, defekter L'hombre-Tisch; auf dem Tisch zur H;lfte mit kaltem dunkelbraunem Tee gef;llte Gl;ser; an der Wand ein schmieriger, durchgedr;ckter Diwan; auf den Fensterbrettern Pfeifenasche ... In einem plumpen Polstersessel thront der Hausherr selbst, mit einem grasgr;nen Schlafrock mit himbeerroten Pl;schaufschl;gen angetan, ein gesticktes K;ppchen asiatischer Herkunft auf dem Kopfe; neben dem Hausherrn schnarcht abscheulich ein dicker, ganz unbrauchbarer K;ter mit stinkendem Messinghalsband ... Alle T;ren stehen immer weit offen ... Fjodor Fjodorowitsch gefiel seinen neuen Kameraden. Sie hatten ihn wegen seiner Gutm;tigkeit, Bescheidenheit, Herzensw;rme und herzlichen Neigung f;r »alles Sch;ne« liebgewonnen, mit einem Worte f;r Eigenschaften, die sie bei einem andern Menschen vielleicht als unpassend empfunden h;tten. Man nannte Kister »junges M;dchen« und behandelte ihn z;rtlich und sanft. Nur Awdej Iwanowitsch allein sah ihn scheel an. Eines Tages nach dem Exerzieren ging Lutschkow mit leicht zusammengepre;ten Lippen und gebl;hten N;stern auf ihn zu. »Guten Tag, Herr Knaster!« Kister sah ihn erstaunt an. »Meine Hochachtung, Herr Knaster!« wiederholte Lutschkow. »Ich hei;e Kister, mein Herr.« »So, Herr Knaster?!« Fjodor Fjodorowitsch wandte ihm den R;cken zu und ging nach Hause. Lutschkow blickte ihm mit sp;ttischem L;cheln nach. Am n;chsten Tag ging er gleich nach dem Exerzieren wieder auf Kister zu. »Nun, wie geht es, Herr Kinderbalsam?« Kister fuhr auf und blickte ihm gerade ins Gesicht. In den kleinen, galligen Augen Awdej Iwanowitschs leuchtete boshafte Freude. »Ich meine Sie, Herr Kinderbalsam!« »Mein Herr«, antwortete ihm Fjodor Fjodorowitsch, »ich finde Ihren Scherz dumm und deplaziert – h;ren Sie es? –, dumm und deplaziert.« »Wann schlagen wir uns?« entgegnete Lutschkow ruhig. »Wann Sie wollen, von mir aus morgen.« Am andern Morgen schlugen sie sich. Lutschkow brachte Kister eine leichte Verwundung bei, ging darauf, zum gr;;ten Erstaunen der Sekundanten, auf den Verwundeten zu, dr;ckte ihm die Hand und bat ihn um Verzeihung. Kister mu;te zwei Wochen zu Hause sitzen; Awdej Iwanowitsch besuchte ihn einigemal und freundete sich, als Fjodor Fjodorowitsch genesen war, mit ihm an. Ob ihm die Entschlossenheit des jungen Offiziers gefallen hatte, oder ob in seinem Herzen ein der Reue ;hnliches Gef;hl erwacht war, ist schwer zu entscheiden ... doch vom Tage des Duells an trennte sich Awdej Iwanowitsch fast nie von Kister und nannte ihn erst Fjodor und dann auch Fedja. In seiner Gegenwart war er immer wie ver;ndert, doch – seltsamerweise – nicht zu seinem Vorteil. Milde und Sanftheit standen ihm nicht zu Gesicht. Sympathie konnte er ja doch in niemand wecken; so war einmal sein Schicksal! Er geh;rte zu den Menschen, denen gleichsam das Recht, ;ber die anderen zu herrschen, gegeben ist; doch die Natur versagte ihm jede Begabung – die notwendige Rechtfertigung eines solchen Rechts. Da er weder eine Bildung genossen hatte noch klug war, durfte er sich eigentlich nie demaskieren; vielleicht beruhte seine Erbitterung auch auf der Erkenntnis der M;ngel seiner Erziehung und auf dem Wunsche, alles unter einer unver;nderlichen Larve zu verbergen. Awdej Iwanowitsch hatte sich anfangs gezwungen, die Menschen zu verachten; und als er merkte, da; es gar nicht so schwer ist, sie einzusch;chtern, fing er an, sie tats;chlich zu verachten. Lutschkow machte es Vergn;gen, durch sein blo;es Erscheinen jedes nicht ganz banale Gespr;ch zu unterbrechen. Ich wei; nichts, ich habe nichts gelernt und habe auch f;r nichts Begabung, dachte er sich, also ;rft auch ihr in meiner Anwesenheit nichts wissen und keine Begabung zeigen ... Kister hatte ihn vielleicht dadurch gezwungen, aus seiner Rolle zu fallen, weil der Kampfhahn, bevor er ihn kennen gelernt hatte, noch keinem einzigen wirklich »ideal« veranlagten, das hei;t einem uneigenn;tzig und gutm;tig seinen Tr;umen nachgehenden und darum nachsichtigen und nicht ehrgeizigen Menschen begegnet war. Zuweilen kam Awdej Iwanowitsch des Morgens zu Kister, steckte sich eine Pfeife an und setzte sich still in einen Sessel. Vor Kister sch;mte er sich nicht seiner Unwissenheit; er verlie; sich – und nicht vergebens – auf dessen deutsche Bescheidenheit. »Nun«, fing er an, »was hast du gestern getrieben? Hast wohl gelesen, wie?« »Ja, ich habe gelesen ...« »Was hast du denn gelesen? Erz;hl es mir, Bruder, erz;hl es mal.« Awdej Iwanowitsch behielt den sp;ttischen Ton bis zuletzt. »Ich las das ›Idyll‹ von Kleist, Bruder. Ach, ist das sch;n! Erlaube, da; ich dir einige Zeilen ;bersetze!« – Und Kister ;bersetzte mit gro;em Eifer; w;hrend Lutschkow mit gerunzelter Stirn und zusammengebissenen Z;hnen aufmerksam zuh;rte. »Ja, ja ...«, wiederholte er schnell, mit unangenehmem L;cheln. »Es ist sch;n, sehr sch;n ... Ich glaube, ich hab es schon einmal gelesen ... sehr sch;n ... Sag mir bitte«, fuhr er gedehnt und gleichsam unwillig fort, »wie denkst du ;ber Ludwig XIV.?« Kister fing an, ;ber Ludwig XIV. zu sprechen. Lutschkow aber h;rte zu, verstand vieles gar nicht und manches falsch und entschlo; sich zuletzt, eine Bemerkung zu machen ... Schwei; trat ihm auf die Stirn. Vielleicht sage ich etwas sehr Dummes? – dachte er sich. Er sagte auch oft Dummheiten, doch Kister wurde in seinen Entgegnungen niemals scharf: Der gute J;ngling freute sich, da; in einem Menschen das Streben nach Bildung erwachte. Doch ach! Awdej Iwanowitsch fragte ihn gar nicht aus Lust nach Bildung aus, sondern einfach so, Gott wei; weshalb. Vielleicht wollte er selbst durch einen Versuch feststellen, was f;r einen Kopf er, Lutschkow, habe: einen stumpfen oder nur einen ungeschulten. – Ich bin im Grunde genommen dumm, sagte er sich mehr als einmal mit einem bitteren L;cheln; dann richtete er sich auf, blickte frech und herausfordernd um sich und l;chelte boshaft, wenn er merkte, da; einer der Kameraden seinen Blicken auswich. »Ja, mein Bester, du bist klug und gebildet ...«, fl;sterte er durch die Z;hne. »Willst du aber nicht ... Du wei;t schon was ...« Die Herren Offiziere hielten sich ;ber die so pl;tzlich geschlossene Freundschaft zwischen Kister und Lutschkow nicht sehr lange auf: Sie waren die seltsamen Launen des Kampfhahns gew;hnt. »Da hat sich der Teufel mit einem Kindlein eingelassen!« sagten sie ... Kister lobte ;berall seinen neuen Freund mit Begeisterung; man widersprach ihm nicht, weil man Lutschkow f;rchtete; Lutschkow erw;hnte in Gegenwart anderer niemals Kisters Namen, gab aber den Verkehr mit dem parf;mierten Adjutanten auf. Kap. 2 Die s;drussischen Gutsbesitzer lieben es, B;lle zu geben, die Herren Offiziere einzuladen und sie mit ihren T;chtern zu verheiraten. Zehn Werst vom Dorfe Kirillowo entfernt lebte gerade so ein Gutsbesitzer, ein gewisser Herr Perekatow, der vierhundert leibeigene Seelen und ein recht ger;umiges Haus besa;. Er hatte eine etwa achtzehnj;hrige Tochter, Maschenjka und eine Frau, Nenila Makarjewna. Herr Perekatow diente einst in der Kavallerie, hatte aber aus Liebe zum Landleben und aus Faulheit seinen Abschied genommen und sich einem ruhigen Leben hingegeben, wie es die mittleren Gutsbesitzer f;hren. Nenila Makarjewna stammte auf eine nicht ganz legitime Weise von einem sehr vornehmen Moskauer Herrn ab. Ihr Besch;tzer hatte ihr in seinem Hause, was man so nennt, eine sorgf;ltige Erziehung gegeben, sich aber ihrer dann auf das erste Angebot hin recht schnell, wie einer unzuverl;ssigen Ware entledigt. Nenila Makarjewna war nicht h;bsch; der vornehme Herr gab ihr nur zehntausend Rubel mit, und sie klammerte sich an den Herrn Perekatow. Dem Herrn Perekatow erschien es recht verf;hrerisch, ein wohlerzogenes, kluges M;dchen zu heiraten – das schlie;lich auch mit dem vornehmen W;rdentr;ger verwandt war. Der W;rdentr;ger zeigte dem jungen Paar auch nach der Hochzeit seine Gewogenheit, das hei;t, er lie; sich von ihnen gesalzene Wachteln schenken und sprach Perekatow mit: »Du mein Bester«, und zuweilen auch einfach mit »Du« an. Nenila Makarjewna bekam ihren Gatten ganz in ihre Gewalt und wirtschaftete und verwaltete das Gut durchaus selbst;ndig, ;brigens in recht verst;ndiger Weise; jedenfalls viel besser, als es Herr Perekatow verwaltet h;tte. Sie bedr;ckte ihren Ehegenossen nicht zu sehr, hatte ihn aber ganz in ihrer Hand und bestellte ihm sogar seine Kleider, und zwar nach der englischen Mode. Auf ihren Befehl mu;te sich Herr Perekatow einen kleinen Kinnbart stehenlassen, der den Zweck hatte, eine gro;e Warze in Gestalt einer ;berreifen Himbeere, die er am Kinn hatte, zu verdecken. Nenila Makarjewna erz;hlte aber den G;sten, da; ihr Mann die Fl;te blase und da; alle Fl;tisten sich unter der Unterlippe ein B;rtchen stehenlassen, um das Instrument bequemer halten zu k;nnen. Herr Perekatow war schon fr;h am Morgen mit einer hohen sauberen Halsbinde angetan, sorgf;ltig gek;mmt und gewaschen. Im ;brigen war er mit seinem Los recht zufrieden; er bekam schmackhaftes Essen, tat alles, was er wollte, und schlief, soviel er konnte. Nenila Makarjewna f;hrte in ihrem Hause, wie es die Nachbarn nannten, »ausl;ndische Sitten« ein: Sie hielt nur wenige Dienstboten und kleidete diese anst;ndig. Der Ehrgeiz plagte sie: Sie wollte wenigstens eine Frau Kreis-Adelsmarschall werden; doch die Edelleute des ...schen Kreises a;en sich bei ihr zwar satt, w;hlten jedoch zum Adelsmarschall nicht ihren Gatten, sondern bald den Premier-Major a. D. Burkholz und bald den Seconde-Major a. D. Burundjukow. Herr Perekatow kam ihnen zu gro;st;dtisch vor. Die Tochter des Herrn Perekatow, Maschenjka glich dem Vater. Nenila Makarjewna widmete ihrer Erziehung viel Sorgfalt. Sie sprach gut franz;sisch und spielte recht anst;ndig Klavier. Sie war von mittlerem Wuchs, ziemlich voll und hatte einen wei;en Teint; ihr etwas gar zu rundes Gesicht war von einem gutm;tigen, heiteren L;cheln belebt; die dunkelblonden, nicht zu ;ppigen Haare, die braunen Augen und die angenehme Stimme weckten stilles Wohlgefallen, doch nicht mehr. Daf;r mu;te man ;ber den Mangel jeder Ziererei und Vorurteile, ;ber die ungew;hnliche Belesenheit dieses in der Steppe aufgewachsenen, jungen M;dchens, ;ber die Freiheit ihrer Ausdrucksweise und ihre einfache und ruhige Art zu sprechen und zu urteilen unwillk;rlich staunen. Sie hatte sich ganz frei entwickelt: Nenila Makarjewna legte ihr keine Hindernisse in den Weg. Eines Morgens gegen zw;lf war die ganze Familie Perekatow im Salon versammelt. Der Gatte stand in einem rund zugeschnittenen gr;nen Frack, einer hohen, karierten Halsbinde, erbsenfarbenen Hosen und Stiefeletten vor dem Fenster und fing mit gro;em Eifer Fliegen. Die Tochter sa; vor dem Stickrahmen; ihr kleines rundliches H;ndchen im schwarzen Halbhandschuh hob und senkte sich langsam und grazi;s ;ber dem Kanevas. Nenila Makarjewna sa; auf dem Sofa und blickte schweigsam zu Boden. »Haben Sie eine Einladung an das ...sche Regiment geschickt, Ssergej Ssergejewitsch?« fragte sie den Mann. »F;r heute abend? Gewi;, ma chère! (Es war ihm untersagt, sie »M;tterchen« zu nennen.) Gewi;!« »Es sind gar keine Kavaliere da«, fuhr Nenila Makarjewna fort. »Die jungen M;dchen wissen nicht, mit wem zu tanzen.« Der Gatte seufzte, als ob der Mangel an Kavalieren ihn schwer bedr;cke. »Mamachen«, sagte pl;tzlich Mascha, »ist auch Monsieur Lutschkow eingeladen?« – »Was f;r ein Lutschkow?« »Er ist auch Offizier. Man sagt, er sei sehr interessant.« »Wieso?« »Ja. Er ist weder h;bsch noch jung, doch alle f;rchten ihn. Er ist leidenschaftlicher Duellant. (Mamachen zog etwas die Brauen zusammen.) Ich w;rde ihn mal gerne sehen ...« Ssergej Ssergejewitsch unterbrach seine Tochter: »Was gibt's da zu sehen, Herzchen? Du glaubst wohl, er sieht wie ein Lord Byron aus? (Um jene Zeit fing man bei uns eben an, ;ber Lord Byron zu sprechen.) Unsinn! Auch ich galt einmal als Raufbold, Herzchen!« Mascha blickte ihren Vater erstaunt an, lachte, sprang dann auf und k;;te ihn auf die Wange. Die Gattin l;chelte leise ... und Ssergej Ssergejewitsch hatte nicht gelogen. »Ich wei; nicht, ob dieser Herr kommen wird«, sagte Nenila Makarjewna. »Vielleicht erweist auch er uns die Ehre.« Die Tochter seufzte. »Pa; auf, verlieb dich nur nicht in ihn!« bemerkte Ssergej Ssergejewitsch. »Ich wei;, ihr seid jetzt alle so ... exaltiert ...« »Nein«, erwiderte Mascha einfach. Nenila Makarjewna sah ihren Mann k;hl an. Ssergej Ssjergejewitsch spielte etwas verlegen mit seiner Uhrkette, nahm vom Tisch seinen englischen, weitkrempigen Hut und verlie; das Haus, um nach der Wirtschaft zu sehen. Sein Hund lief ihm gehorsam und sch;chtern nach. Als kluges Tier f;hlte er, da; auch sein Herr in diesem Hause keine zu gro;e Gewalt hatte, und er benahm sich daher bescheiden und vorsichtig. Nenila Makarjewna ging auf die Tochter zu, hob ihr leise den Kopf und blickte ihr freundlich in die Augen. »Wirst du es mir sagen, wenn du dich verliebst?« fragte sie sie. Mascha k;;te der Mutter l;chelnd die Hand und nickte einige Male bejahend mit dem Kopfe. »Also pa; auf!« versetzte Nenila Makarjewna, streichelte ihr die Wange und folgte ihrem Mann aus dem Haus. Mascha lehnte sich im Sessel zur;ck, lie; den Kopf auf die Brust sinken, verschr;nkte die Finger und blickte lange mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster; seufzend richtete sie sich wieder auf, versuchte zu sticken, lie; aber die Nadel fallen, st;tzte den Kopf in die Hand, bi; sich in die Fingern;gel und versank in Gedanken ... dann warf sie einen Blick auf ihre Schulter und auf ihre ausgestreckte Hand, stand auf, trat vor den Spiegel, l;chelte, setzte sich den Hut auf und ging in den Garten. Am gleichen Abend gegen acht begannen sich die G;ste zu versammeln. Frau Perekatow empfing und »unterhielt« ;beraus freundlich die verheirateten Damen, Maschenjka die jungen M;dchen, Ssergej Ssergejewitsch sprach mit den Gutsbesitzern von der Wirtschaft und schielte jeden Augenblick nach seiner Frau. Nun erschienen einer nach dem andern die jungen Stutzer: die Offiziere, die absichtlich etwas sp;ter kamen, zuletzt der Herr Oberst in Begleitung seines Adjutanten, Kisters und Lutschkows. Er stellte sie der Dame des Hauses vor. Lutschkow machte eine stumme Verbeugung; Kister murmelte das ;bliche »Freut mich sehr ...« Herr Perekatow ging auf den Oberst zu, dr;ckte ihm fest die Hand und blickte ihm mit Gef;hl in die Augen. Der Oberst machte sofort ein finsteres Gesicht. Man begann zu tanzen. Kister forderte Maschenjka zum Tanz auf. Um jene Zeit bl;hte die ;cossaise. »Sagen Sie mir, bitte«, fragte Maschenjka, als sie, nachdem sie an die zwanzigmal bis ans Ende des Saales gehopst waren, sich endlich unter den ersten Paaren aufstellten, »warum tanzt Ihr Freund nicht?« »Welcher Freund?« Mascha wies mit dem Ende des F;chers auf Lutschkow. »Er tanzt niemals«, entgegnete Kister. »Warum ist er dann hergekommen?« Kister wurde etwas verlegen. »Er wollte das Vergn;gen haben ...« Maschenjka unterbrach ihn. »Sie sind, glaube ich, erst vor kurzem in unser Regiment versetzt worden?« »In Ihr Regiment«, bemerkte Kister mit einem L;cheln. »Ja, vor kurzem.« »Langweilen Sie sich nicht?« »Aber bitte ... Ich fand hier eine so angenehme Gesellschaft ... und erst die Natur! ...« Kister begann die Sch;nheiten der Natur zu schildern. Mascha h;rte ihm zu, ohne den Kopf zu heben. Awdej Iwanowitsch stand in der Ecke und musterte gleichg;ltig die Tanzenden. »Wie alt ist Herr Lutschkow?« fragte sie pl;tzlich. »Ich glaube ... so an die f;nfunddrei;ig«, antwortete Kister. »Man sagt, er sei ein gef;hrlicher ... zorniger Mensch«, fuhr Mascha eilig fort. »Er ist etwas aufbrausend ... doch im ;brigen ein guter Kerl.« »Man sagt, alle f;rchten ihn?« Kister lachte. »Und Sie?« »Wir sind Freunde.« »Wirklich?« »Sie, Sie sind jetzt dran!« rief man ihnen von allen Seiten zu. Sie fuhren zusammen und fingen wieder an, seitw;rts durch den ganzen Saal zu hopsen. »Nun, ich gratuliere!« sagte Kister zu Lutschkow nach dem Tanz. »Die Tochter des Hauses hat mich die ganze Zeit ;ber dich ausgefragt.« »Nein wirklich?« entgegnete Lutschkow ver;chtlich. »Mein Ehrenwort! Sie ist aber doch recht h;bsch, schau sie dir nur an.« »Welche ist es denn?« Kister zeigte ihm Mascha. »Ah! Nicht ;bel!« Lutschkow g;hnte. »Du kalter Mensch!« rief Kister aus und lief davon, um ein anderes junges M;dchen zum Tanze aufzufordern. Die von Kister mitgeteilte Nachricht gefiel Awdej Iwanowitsch recht gut, wenn er auch g;hnte, und sogar laut g;hnte. Ein Interesse geweckt zu haben, schmeichelte seinem Ehrgeiz; die Liebe verachtete er – in seinen Reden; innerlich aber f;hlte er selbst, wie schwer und m;hselig es sei, in jemand Liebe zu wecken, doch sehr leicht und einfach, sich gleichg;ltig, schweigsam und hochm;tig zu stellen. Awdej Iwanowitsch war unsch;n und nicht mehr jung; daf;r geno; er einen unheimlichen Ruf, folglich hatte er ein Recht, stolz zu tun. Er war die bitteren und stummen Wonnen der finsteren Einsamkeit gewohnt. Es war nicht das erste Mal, da; er das Interesse von Frauen weckte; manche hatten sich sogar bem;ht, ihn intimer kennenzulernen, er stie; sie aber durch erbitterten Trotz zur;ck. Er wu;te, da; Z;rtlichkeit ihm nicht zu Gesicht stand (bei einem Stelldichein oder einem Gest;ndnis war er immer erst unbeholfen und banal und wurde dann vor lauter Ärger grob, in einer beinahe abgeschmackten und verletzenden Weise); er erinnerte sich, da; sich die zwei oder drei Frauen, mit denen er einst bekannt gewesen war, schon in den ersten Augenblicken einer n;heren Bekanntschaft gegen ihn abk;hlten und sich eilig zur;ckzogen. Darum entschlo; er sich, ein R;tsel zu bleiben und das, was ihm das Schicksal versagt hatte, zu verachten – eine andere Verachtung kennen die Menschen anscheinend gar nicht. Jede aufrichtige, unwillk;rliche, das hei;t sch;ne und gute Äu;erung der Leidenschaft stand Lutschkow nicht zu Gesicht; er mu;te sich st;ndig beherrschen, selbst in seinem Zorn. Nur Kister allein konnte es ohne Ekel ertragen, wenn Lutschkow in sein schallendes Gel;chter ausbrach. In den Augen des gutm;tigen Deutschen leuchtete edle Freude der Sympathie, wenn er Awdej seine Lieblingsseiten aus Schiller vorlas; der Kampfhahn sa; vor ihm, den Kopf ;ster gesenkt, wie ein Wolf ... Kister tanzte, bis er beinahe umfiel; Lutschkow verlie; seine Ecke nicht, runzelte die Brauen, warf ab und zu verstohlene Blicke auf Mascha und nahm, wenn sich ihre Blicke trafen, sofort einen gleichg;ltigen Ausdruck an. Mascha tanzte an die dreimal mit Kister. Der begeisterte J;ngling hatte in ihr Vertrauen geweckt. Sie plauderte mit ihm lustig, im Herzen aber hatte sie ein unbehagliches Gef;hl: Lutschkow interessierte sie. Die T;ne einer Mazurka dr;hnten durch den Saal. Die Offiziere fingen an zu hopsen, mit den Abs;tzen zu klappern und die Epauletten mit den Schultern emporzuwerfen; auch die Zivilisten klapperten mit den Abs;tzen. Lutschkow r;hrte sich noch immer nicht von seinem Platz und verfolgte langsam mit den Augen die vorbeihuschenden Paare. Jemand zupfte ihn am Ärmel ... er sah sich um; sein Nachbar zeigte auf Mascha. Sie stand mit gesenkten Augen vor ihm und streckte ihm die Hand entgegen. Lutschkow blickte sie erst verst;ndnislos an, schnallte dann gleichg;ltig seinen Palasch ab, warf den Federhut auf den Boden, bahnte sich ungeschickt den Weg zwischen den Sesseln, nahm Mascha bei der Hand und machte eine Runde, ohne zu hopsen und zu trampeln, als erf;lle er unwillig eine unangenehme Pflicht ... Mascha hatte heftiges Herzklopfen. »Warum tanzen Sie nicht?« fragte sie ihn schlie;lich. »Ich bin kein Liebhaber vom Tanzen«, antwortete Lutschkow. »Wo ist Ihr Platz?« »Dort dr;ben.« Lutschkow geleitete Mascha zu ihrem Stuhl, verneigte sich ruhig und kehrte ebenso ruhig in seine Ecke zur;ck ... doch in ihm regte sich schon lustig die Galle. Kister forderte Mascha wieder zum Tanz auf. »Wie sonderbar ist doch Ihr Freund!« »Er scheint Sie sehr zu interessieren ...« sagte Fjodor Fjodorowitsch, indem er seine blauen, gutm;tigen Augen schelmisch zusammenkniff. »Ja ... er ist wohl sehr ungl;cklich.« »Er ist ungl;cklich? Woraus schlie;en Sie das?« Und Fjodor Fjodorowitsch fing zu lachen an. »Sie wissen nicht ... Sie wissen nicht ...« Mascha sch;ttelte ernst den Kopf. »Wie sollte ich es nicht wissen?« Mascha sch;ttelte wieder den Kopf und sah Lutschkow an. Awdej Iwanowitsch bemerkte diesen Blick, zuckte unauff;llig die Achseln und ging in ein anderes Zimmer. Kap. 3 Seit jenem Abend waren einige Monate vergangen. Lutschkow hatte die Perekatows kein einziges Mal besucht. Kister besuchte sie daf;r recht oft. Nenila Makarjewna hatte ihn liebgewonnen; sie war es aber nicht, die Fjodor Fjodorowitsch anzog. Mascha gefiel ihm. Als unerfahrener Mensch, der noch viel Unausgesprochenes auf dem Herzen hatte, fand er viel Vergn;gen am Austausch der Empfindungen und Gedanken und glaubte gutm;tig an die M;glichkeit einer erhabenen und ruhigen Freundschaft zwischen einem jungen Mann und einem jungen M;dchen. Eines Tages brachte ihn ein Dreigespann wohlgen;hrter und schneller Pferde vor das Haus des Herrn Perekatow. Es war ein schw;ler und hei;er Sommertag. Kein W;lkchen stand am Himmel. Das Blau war am Horizont so tief, da; das Auge es f;r eine Gewitterwolke hielt. Das Haus, das Herr Perekatow f;r den Sommeraufenthalt mit der den Steppenbewohnern eigenen Umsicht erbaut hatte, kehrte die Fenster der Sonne zu. Nenila Makarjewna hatte schon am Morgen befohlen, alle Fensterladen zu schlie;en. Kister trat in den k;hlen, halbdunklen Salon. Das Licht legte sich auf den Fu;boden in langen und auf die W;nde in dichten, kurzen Streifen. Die Familie Perekatow empfing Fjodor Fjodorowitsch mit gro;er Freundlichkeit. Nach dem Mittagessen zog sich Nenila Makarjewna ins Schlafzimmer zur;ck, um auszuruhen; Herr Perekatow machte es sich im Salon auf dem Sofa bequem; Mascha setzte sich ans Fenster vor den Stickrahmen. Kister nahm ihr gegen;ber Platz. Mascha lehnte sich mit der Brust an den Stickrahmen, den sie gar nicht aufgeklappt hatte, und st;tzte den Kopf in die H;nde. Kister begann ihr etwas zu erz;hlen; sie h;rte ihm ohne Aufmerksamkeit zu, als erwarte sie etwas, blickte ab und zu auf den Vater und streckte pl;tzlich ihre Hand aus. »H;ren Sie, Fjodor Fjodorowitsch –; sprechen Sie aber leise ... Papachen ist eingeschlafen.« Herr Perekatow war in der Tat, wie gew;hnlich auf dem Sofa sitzend, den Kopf zur;ckgeworfen und den Mund ein wenig ge;ffnet, eingeschlafen. »Was w;nschen Sie?« fragte Kister neugierig. »Sie werden mich auslachen.« »Aber ich bitte Sie! ...« Mascha senkte den Kopf, so da; nur die obere H;lfte ihres Gesichtes sichtbar war, und fragte ihn mit ged;mpfter Stimme, nicht ohne Verwirrung, warum er niemals Herrn Lutschkow mitbringe. Es war seit jenem Ball nicht das erstemal, da; Mascha seinen Namen erw;hnte ... Kister schwieg. Mascha blickte ;ngstlich hinter dem zugeklappten Rahmen hervor. »Darf ich Ihnen meine aufrichtige Meinung sagen?« fragte Kister. »Warum denn nicht? Selbstverst;ndlich!« »Ich glaube, Lutschkow hat einen starken Eindruck auf Sie gemacht!« »Nein!« antwortete Mascha und beugte sich, als wollte sie das Stickmuster n;her betrachten; ein schmaler, goldener Lichtstreif legte sich auf ihr Haar. »Nein ... aber ...« »Was, aber?« versetzte Kister l;chelnd. »Sehen Sie«, sagte Mascha und hob pl;tzlich den Kopf, so da; der Lichtstreif ihr direkt auf die Augen fiel. »Sehen Sie ... er ...« »Er interessiert Sie ...« »Nun ... ja ...« sagte Mascha langsam. Sie err;tete, wandte den Kopf ein wenig auf die Seite und fuhr in dieser Stellung fort: »An ihm ist etwas ... Sie lachen mich aber aus ...« f;gte sie pl;tzlich mit einem schnellen Blick auf Fjodor Fjodorowitsch hinzu. Fjodor Fjodorowitsch l;chelte das sanfteste L;cheln. »Ich sage Ihnen alles, was mir einf;llt«, fuhr Mascha fort. »Ich wei;, Sie sind mein ... (sie wollte sagen: Freund) guter Bekannter.« Kister neigte den Kopf. Mascha schwieg eine Weile und reichte ihm sch;chtern die Hand; Fjodor Fjodorowitsch dr;ckte ihr respektvoll die Fingerspitzen. »Er ist wohl ein gro;er Sonderling«, versetzte Mascha und lehnte sich wieder gegen den Stickrahmen. »Ein Sonderling!« »Gewi;. Er interessiert mich ja auch nur als ein Sonderling!« f;gte Mascha schelmisch hinzu. »Lutschkow ist ein edler, ungew;hnlicher Mensch«, entgegnete Kister mit gro;em Ernst. »In unserm Regiment kennt man ihn gar nicht, man sch;tzt ihn nicht nach Geb;hr, man sieht nur seine Au;enseite. Gewi;, er ist verbittert, sonderbar, ungeduldig, aber er hat ein gutes Herz.« Mascha lauschte gierig den Worten Fjodor Fjodorowitschs. »Ich will ihn zu Ihnen bringen. Ich werde ihm sagen, da; man Sie nicht zu f;rchten braucht, da; seine Menschenscheu l;cherlich sei ... Ich werde ihm sagen ... Oh, ich wei; schon, was ich ihm sagen werde! ... Das hei;t, glauben Sie nur nicht, da; ich ...« Kister wurde verlegen; auch Mascha wurde verlegen. »Schlie;lich gef;llt er Ihnen doch nur so ...« »Gewi;, wie mir auch viele andere gefallen.« Kister sah sie schelmisch an. »Sch;n, sch;n«, sagte er mit zufriedener Miene. »Ich will ihn herbringen.« »Aber nein ...« »Ich sage Ihnen ja, da; alles gut sein wird. Ich werde es schon machen.« »Was sind Sie f;r ein ...« versetzte Mascha mit einem L;cheln und drohte ihm mit dem Finger. Herr Perekatow g;hnte und schlug die Augen auf. »Ich glaube, ich habe geschlafen«, murmelte er erstaunt. Diese Frage und dieses Erstaunen wiederholten sich jeden Tag. Mascha und Kister brachten das Gespr;ch auf Schiller. Fjodor Fjodorowitsch f;hlte sich jedoch nicht recht behaglich; in ihm regte sich gleichsam der Neid ... und er war voll edler Entr;stung ;ber sich selbst. Nenila Makarjewna kam in den Salon. Man brachte Tee. Herr Perekatow lie; seinen Hund einigemal ;ber einen Stock springen und erkl;rte nachher, da; er es ihm selbst beigebracht habe, w;hrend der Hund h;flich mit dem Schweife wedelte, sich die Schnauze leckte und mit den Augen zwinkerte. Als die Hitze endlich abnahm und ein leiser Abendwind sich erhob, begab sich die ganze Familie Perekatow in das Birkenw;ldchen, um ein wenig zu spazieren. Fjodor Fjodorowitsch blickte Mascha jeden Augenblick an, als wollte er ihr sagen, da; er ihren Auftrag ganz gewi; ausf;hren werde. Mascha ;rgerte sich ;ber sich selbst, und es war ihr zugleich lustig und unheimlich zumute. Kister begann ganz unvermittelt recht hochtrabend ;ber die Liebe im allgemeinen und ;ber die Freundschaft zu sprechen ... als er aber die beobachtenden heiteren Blicke Nenila Makarjewnas gewahrte, wechselte er pl;tzlich das Thema. Das Abendrot leuchtete in grellen, reichen Farben. Vor dem Birkenw;ldchen lag eine gro;e ebene Wiese. Mascha bekam pl;tzlich Lust, »Gorjelki« zu spielen. Man rief Dienstm;dchen und Lakaien herbei; Herr Perekatow stellte sich neben seine Gattin, Kister neben Mascha. Die Dienstm;dchen liefen mit devoten, leisen Schreien; der Kammerdiener des Herrn Perekatow wagte es, Nenila Makarjewna von ihrem Gatten zu trennen; ein Dienstm;dchen lie; sich respektvoll vom gn;digen Herrn fangen; Fjodor Fjodorowitsch blieb unzertrennlich bei Mascha. Sooft er auf seinen Platz zur;ckkehrte, sagte er ihr einige Worte. Mascha, die vom Laufen ganz rot geworden war, h;rte ihm l;chelnd zu und strich mit der Hand ;ber die Haare. Kister fuhr nach dem Abendessen heim. Die Nacht war still und sternhell. Kister nahm sich die M;tze vom Kopf. Er war sehr erregt; etwas pre;te ihm die Kehle zusammen. »Ja«, sagte er sich schlie;lich beinahe laut, »sie liebt ihn, ich bringe sie einander nahe, ich werde ihr Vertrauen rechtfertigen.« Obwohl er gar keine Beweise f;r eine Neigung Maschas f;r Lutschkow hatte, obwohl er, nach ihren eigenen Worten, in ihr blo; Neugierde weckte, hatte Kister bereits eine ganze Novelle erfunden und sich seine Pflichten vorgeschrieben. Er hatte sich entschlossen, sein Gef;hl zu opfern, um so mehr als er au;er einer aufrichtigen Zuneigung f;r sie vorl;ufig nichts empfand, meinte er. Kister war tats;chlich imstande, sich selbst einer Freundschaft, einer anerkannten Pflicht zum Opfer zu bringen. Er hatte viel gelesen und bildete sich ein, erfahren und sogar scharfblickend zu sein. Er zweifelte nicht an der Richtigkeit seiner Vermutungen; und er ahnte nicht, wie vielgestaltig das Leben ist und da; es sich nie wiederholt. Fjodor Fjodorowitsch geriet allm;hlich in Verz;ckung. Er fing an, mit R;hrung an seinen Beruf zu denken. Zwischen einem liebenden, scheuen jungen M;dchen und einem Mann zu vermitteln, der vielleicht nur darum so verbittert ist, weil er noch nie im Leben Gelegenheit hatte, zu lieben und geliebt zu werden; sie einander nahe zu bringen; ihnen ihre eigenen Gef;hle zu erkl;ren und sich dann so unbemerkt zur;ckzuziehen, da; keiner von ihnen die Gr;;e seines Opfers merkte – welch eine herrliche Aufgabe! Das Gesicht des gutm;tigen Tr;umers gl;hte trotz der n;chtlichen K;hle. Am anderen Tag begab er sich fr;h des Morgens zu Lutschkow. Awdej Iwanowitsch lag, wie gew;hnlich, auf dem Sofa und rauchte Pfeife. Kister begr;;te ihn. »Ich war gestern bei den Perekatows«, sagte er ihm mit einer gewissen Feierlichkeit. »Ah!« entgegnete Lutschkow gleichg;ltig und g;hnte. »Ja. Sie sind herrliche Menschen.« »Wirklich?« – »Ich sprach mit ihnen von dir.« »Ehrt mich sehr; mit wem?« »Mit den Alten ... und mit der Tochter.« »Ach so! Mit dieser ... dicken?« »Sie ist ein herrliches M;dchen, Lutschkow.« »Na ja, sie sind alle herrlich.« »Nein, Lutschkow, du kennst sie nicht. Ich bin noch nie einem so klugen, guten und gef;hlvollen M;dchen begegnet!« Lutschkow sang durch die Nase: »In dem Blatt aus Hamburg eine Nachricht stand, da; der Feldmarschall M;nnich siegt in Feindesland ...« »Ich sage dir ja ...« »Du bist in sie verliebt, Fedja«, versetzte Lutschkow sp;ttisch. »Durchaus nicht. Ich denke gar nicht daran.« »Fedja, du bist in sie verliebt!« »Unsinn! Darf man denn nicht ...« »Du bist in sie verliebt, mein herzliebster Freund!« sang Awdej Iwanowitsch gedehnt. »Ach, Awdej, wie, sch;mst du dich nicht!« sagte Kister ge;rgert. W;re es ein anderer, so h;tte Lutschkow noch lauter zu singen angefangen; den Kister aber neckte er nie. »Na, na, sprechen Sie deutsch, Iwan Andrejitsch«, brummte er leise: »Sei mir nicht b;se.« »H;r mal, Awdej«, begann Kister leidenschaftlich, indem er sich neben ihn setzte. »Du wei;t, da; ich dich liebe.« (Lutschkow verzog das Gesicht.) »Aber eines mi;f;llt mir, offen gestanden, an dir ... da; du mit niemand verkehren willst, immer zu Hause sitzt und jede Bekanntschaft mit guten Menschen meidest. Es gibt doch schlie;lich gute Menschen! Zugegeben, da; dich das Leben betrogen hat, da; du erbittert bist – was wei; ich? Du brauchst dich gar nicht einem jeden an den Hals zu werfen; warum sollst du aber alle Menschen ablehnen? So wirst du vielleicht auch mich einmal fortjagen.« Lutschkow rauchte gleichg;ltig weiter. »Darum kennt dich auch kein Mensch ... au;er mir ... ein anderer wird sich vielleicht, Gott wei;, was von dir denken ... Awdej!« fuhr Kister nach einer kurzen Pause fort. »Du glaubst nicht an die Tugend, Awdej!?« »Wie sollte ich an sie nicht glauben ... ich glaube an sie wohl ...« brummte Lutschkow. Kister dr;ckte ihm mit Gef;hl die Hand. »Ich m;chte dich mit dem Leben auss;hnen«, fuhr er mit R;hrung in der Stimme fort. »Du wirst heiterer werden, du wirst aufbl;hen ... ja, aufbl;hen. Wie froh werde ich dann sein! Erlaube mir nur, zuweilen ;ber dich und deine Zeit zu verf;gen. Was haben wir heute? Montag ... morgen ist Dienstag ... am Mittwoch, ja, am Mittwoch wollen wir beide zu den Perekatows hin;berfahren. Sie werden sich so sehr ;ber deinen Besuch freuen ... wir werden gut die Zeit verbringen. Jetzt aber gib mir eine Pfeife.« Awdej Iwanowitsch lag unbeweglich auf dem Sofa und blickte zur Decke hinauf. Kister steckte sich eine Pfeife an, trat ans Fenster und begann mit den Fingern an die Scheibe zu trommeln. »Sie sprachen also von mir?« fragte pl;tzlich Awdej. »Ja, ja«, antwortete Kister bedeutungsvoll. »Was sagten sie denn?« »Was sollen sie gesagt haben? Sie wollen dich gern kennenlernen.« »Wer denn?« »Wie neugierig du bist!« Awdej rief den Diener herbei und lie; sich sein Pferd satteln. »Wo willst du hin?« – »Nach der Reitbahn.« »Nun, lebe wohl. Also wir fahren zu den Perekatows, nicht wahr?« »Meinetwegen«, sagte Lutschkow tr;ge und reckte sich. »Bravo!« rief Kister aus. Als er auf die Stra;e trat, wurde er nachdenklich und seufzte tief auf. Kap. 4 Mascha n;herte sich gerade der Salont;r, als man den Besuch der Herren Kister und Lutschkow meldete. Sie kehrte sofort in ihr Zimmer zur;ck, trat vor den Spiegel ... ihr Herz pochte heftig. Das Dienstm;dchen kam, um sie zu den G;sten zu rufen. Mascha trank etwas Wasser, blieb zweimal auf der Treppe stehen und ging endlich hinunter. Herr Perekatow war nicht zu Hause. Nenila Makarjewna thronte auf dem Sofa; Lutschkow sa; im Uniformrock, den Federhut auf den Knien, im Sessel; Kister neben ihm. Beim Erscheinen Maschas erhoben sie sich beide von ihren Pl;tzen – Kister mit dem gew;hnten freundschaftlichen L;cheln, Lutschkow mit einer feierlichen, gezwungenen Miene. Sie begr;;te sie verlegen und ging auf ihre Mutter zu. Die ersten zehn Minuten verliefen gl;cklich. Mascha hatte sich erholt und fing an, Lutschkow zu beobachten. Er beantwortete die Fragen der Dame des Hauses kurz, doch unruhig; er war scheu, wie alle ehrgeizigen Menschen. Nenila Makarjewna schlug den G;sten vor, in den Garten zu gehen, und begab sich selbst auf den Balkon. Sie hielt es nicht f;r notwendig, mit einem Strickbeutel in der Hand hinter ihrer Tochter herzuwackeln, wie es viele gesetzte M;tter tun. Der Spaziergang dauerte recht lange. Mascha sprach meistens mit Kister, wagte aber weder ihn noch Lutschkow anzublicken. Awdej Iwanowitsch wandte sich kein einziges Mal an sie. Die Stimme Kisters klang erregt. Er lachte und schwatzte auffallend viel. Sie kamen zum Flu;. Etwa einen Klafter vom Ufer wuchs eine Wasserlilie, sie schien auf der glatten, mit den breiten, runden Bl;ttern bedeckten Wasserfl;che zu ruhen. »Was f;r eine sch;ne Blume!« versetzte Mascha. Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als Lutschkow seinen Pallasch zog, sich mit der einen Hand an den ;nnen Zweigen einer Weide festhielt, sich mit dem ganzen K;rper ;ber das Wasser beugte und die Bl;tenkrone abhieb. »Hier ist es tief, nehmen Sie sich in acht!« rief Mascha erschrocken. Lutschkow trieb die Bl;te mit der Spitze des Pallaschs ans Ufer, ihr dicht vor die F;;e. Sie beugte sich, hob die Blume auf und blickte Awdej mit z;rtlichem, freudigem Erstaunen an. »Bravo!« rief Kister. »Ich kann aber gar nicht schwimmen ...«, sagte Lutschkow kurz. Diese Bemerkung mi;fiel Mascha. Wozu hat er das gesagt? fragte sie sich. Lutschkow und Kister blieben bei Herrn Perekatow bis zum Abend. In der Seele Maschas ging etwas Neues, noch nie Dagewesenes vor; ihr Gesicht zeigte mehr als einmal nachdenkliches Erstaunen. Sie bewegte sich langsamer als sonst, err;tete nicht unter den Blicken der Mutter – im Gegenteil, sie schien diese Blicke zu suchen und die Mutter zu befragen. Im Laufe des ganzen Abends zeigte Lutschkow ihr gegen;ber eine eigent;mliche, unbeholfene Aufmerksamkeit; doch selbst diese Unbeholfenheit schmeichelte ihrem unschuldigen Ehrgeiz. Und als sie sich beide, mit dem Versprechen, in einigen Tagen wiederzukommen, empfohlen hatten, ging sie leise in ihr Zimmer und blickte lange erstaunt um sich. Nenila Makarjewna kam zu ihr herein und umarmte und k;;te sie wie jeden Abend. Mascha ;ffnete die Lippen, als wollte sie der Mutter etwas sagen, sagte aber nichts. Sie wollte ihr sogar etwas gestehen, wu;te aber selbst nicht was. In ihrer Seele regte sich etwas ganz leise. Auf dem Nachttisch stand in einem Wasserglase die Bl;te, die Lutschkow abgeschnitten hatte. Schon im Bette liegend, richtete sich Mascha vorsichtig auf, st;tzte sich auf einen Ellenbogen, und ihre keuschen Lippen ber;hrten die wei;en frischen Bl;tenbl;tter ... »Nun, was sagst du?« fragte Kister am n;chsten Tag seinen Freund. »Haben dir die Perekatows gefallen? Hatte ich recht? Wie? Sag doch was!« Lutschkow gab keine Antwort. »Nein, sag doch was!« »Ich wei; wirklich nicht.« »H;r doch auf!« »Diese ... wie hei;t sie noch ... Maschenjka ... ist nicht ;bel.« »Nun siehst du ...«, sagte Kister und verstummte. Nach f;nf Tagen machte Lutschkow selbst Kister den Vorschlag, die Perekatows zu besuchen. Allein w;re er nicht zu ihnen gegangen; in Abwesenheit Fjodor Fjodorowitschs h;tte er die Unterhaltung f;hren m;ssen, was er aber nicht verstand und es nach M;glichkeit mied. Beim zweiten Besuch der beiden Freunde war Maschenjka viel ungezwungener. Sie war jetzt im geheimen froh, da; sie ihr Mamachen nicht mit einem freiwilligen Gest;ndnis beunruhigt hatte. Awdej ;bernahm es, vor dem Mittagessen ein junges, noch nicht zugerittenes Pferd zu besteigen; so tolle Spr;nge es auch machte, er b;ndigte es vollkommen. Am Abend kam er ein wenig aus sich heraus, versuchte zu scherzen und zu lachen. Obwohl er sich sehr bald wieder beherrschte, hatte er auf Mascha augenblicklich einen unangenehmen Eindruck gemacht. Sie wu;te noch selbst nicht, was f;r ein Gef;hl Lutschkow in ihr weckte, sie schrieb aber alles, was ihr an ihm mi;fiel, dem Einflu; von Schicksalsschl;gen und Einsamkeit zu. Kap. 5 Die Freunde fingen an, die Perekatows oft zu besuchen. Die Lage Kisters wurde immer schwieriger. Er bereute nichts, wollte aber doch wenigstens die Zeit seiner Pr;fung abk;rzen. Seine Neigung f;r Mascha wurde von Tag zu Tag gr;;er, sie zeigte ihm auch selbst ihre Sympathie, aber immer nur ein Vermittler und selbst Freund zu sein – welch ein schweres und undankbares Amt! Die k;hl begeisterten Menschen reden viel von der Heiligkeit der Leiden, von der Seligkeit der Leiden ... doch dem warmen, einfachen Herzen Kisters boten die Leiden nicht die geringste Seligkeit. Und eines Tages, als Lutschkow fertig angekleidet zu ihm kam, um ihn abzuholen, und der Wagen schon vor der T;re stand, erkl;rte Fjodor Fjodorowitsch seinem Freund zu dessen gr;;tem Erstaunen, da; er zu Hause bleiben werde. Lutschkow redete ihm zu, ;rgerte sich, wurde b;se ... Kister sch;tzte Kopfschmerzen vor, und Lutschkow fuhr allein hin. Der Kampfhahn hatte sich in der letzten Zeit in vielen Dingen ver;ndert. Er lie; seine Kameraden in Ruhe, setzte den Neulingen nicht zu und war, wenn auch nicht aufgebl;ht, wie es ihm Kister prophezeit hatte, so doch jedenfalls ruhiger geworden. Auch fr;her durfte man ihn nicht f;r einen am Leben entt;uschten Menschen halten: Er hatte fast nichts gesehen und erlebt – und darum war es auch kein Wunder, da; Mascha seine Gedanken besch;ftigte. Sein Herz war ;brigens nicht weicher geworden, nur seine Galle war etwas zur Ruhe gekommen. Die Gef;hle, die Mascha f;r ihn hatte, waren seltsamer Art. Sie sah ihm fast nie gerade ins Gesicht, sie verstand auch nicht mit ihm zu sprechen. Wenn sie aber einmal zuf;llig unter vier Augen blieben, f;hlte sie sich furchtbar befangen. Sie hielt ihn f;r einen ungew;hnlichen Menschen, empfand vor ihm eine gro;e Scheu, regte sich auf und bildete sich ein, da; sie ihn nicht verstehe und sein Vertrauen nicht verdiene ... Sie dachte an ihn freudlos und schmerzvoll, doch unaufh;rlich. Die Anwesenheit Kisters hingegen wirkte auf sie erleichternd und stimmte sie lustig, ohne sie ;brigens zu freuen oder aufzuregen; mit ihm konnte sie stundenlang, sich auf seinen Arm wie auf den eines Bruders st;tzend, plaudern, blickte ihm freundschaftlich in die Augen, lachte, wenn er lachte – und dachte nur selten an ihn. In Lutschkow ahnte das junge M;dchen etwas R;tselhaftes; sie f;hlte, da; seine Seele so finster war »wie ein Wald«, und bem;hte sich, in dieses Dunkel einzudringen ... So schauen Kinder in einen tiefen Brunnen, bis sie endlich tief unten auf dem Grund das schwarze Wasser erblicken. Als Lutschkow allein in den Salon trat, erschrak Mascha zuerst; dann aber war sie erfreut. Sie hatte schon mehr als einmal das Gef;hl gehabt, da; zwischen ihr und Lutschkow irgendein Mi;verst;ndnis schwebe, da; er bisher noch keine Gelegenheit gehabt habe, sich auszusprechen. Lutschkow teilte den Grund der Abwesenheit Kisters mit. Die Alten ;u;erten ihr Bedauern. Mascha aber sah Awdej mi;trauisch an und verzehrte sich vor Ungeduld. Nach dem Essen blieben sie allein. Mascha wu;te nicht, was zu sagen, und setzte sich vors Klavier. Ihre Finger liefen eilig und zitternd ;ber die Tasten; sie hielt immer wieder inne und wartete, da; er zu sprechen anfange ... Lutschkow verstand und liebte die Musik nicht. Mascha brachte das Gespr;ch auf Rossini (Rossini fing damals gerade an, in Mode zu kommen) und auf Mozart. Awdej Iwanowitsch antwortete nur: »Ja! Nein! Gewi;! Sehr sch;n« – und sonst nichts. Mascha spielte eine gl;nzende Variation ;ber ein Thema von Rossini. Lutschkow h;rte lange zu, und als sie sich wieder an ihn wandte, dr;ckte sein Gesicht eine so ungeheuchelte Langweile aus, da; sie aufsprang und das Klavier zuklappte. Sie trat ans Fenster und blickte lange in den Garten; Lutschkow r;hrte sich nicht vom Fleck und schwieg immerzu. In die Seele Maschas trat an Stelle der Scheu Ungeduld. Nun? dachte sie sich, willst du nicht ... oder kannst du nicht? Nun war Lutschkow an der Reihe, verlegen zu werden. Er f;hlte wieder seine gewohnte qualvolle Unsicherheit: Er sch;umte vor Wut! »Was mu;te ich mich auch, zum Teufel, mit diesem M;del einlassen!« murmelte er vor sich hin ... Und dabei war es doch so leicht, in diesem Augenblick das Herz Maschas zu r;hren! Was der ungew;hnliche, wenn auch sonderbare Mensch, f;r den sie Lutschkow hielt, auch sagen mochte, sie w;rde alles verstehen, alles verzeihen und alles glauben ... Doch dieses schwere, dumme Schweigen! Tr;nen des Ärgers traten ihr in die Augen. Wenn er sich nicht erkl;ren will, wenn ich sein Vertrauen wirklich nicht verdiene, warum kommt er dann noch zu uns? Oder verstehe ich blo; nicht, ihn zu zwingen, sich auszusprechen? ... Und sie wandte sich um und blickte ihn so fragend, so durchdringend an, da; er diesen Blick nicht mi;verstehen und nicht l;nger schweigen konnte. »Marja Ssergejewna«, begann er stotternd. »Ich ... ich habe ... ich mu; Ihnen etwas sagen.« »Sprechen Sie«, entgegnete Mascha schnell. Lutschkow sah sich unschl;ssig um. »Jetzt kann ich nicht ...« »Warum denn?« »Ich m;chte mit Ihnen ... unter vier Augen sprechen.« »Wir sind jetzt doch unter vier Augen.« »Doch hier ... hier im Hause ...« Mascha wurde verlegen. Wenn ich es ihm abschlage, dachte sie sich, ist alles zu Ende ... Die Neugier richtete Eva zugrunde. »Ich bin einverstanden«, sagte sie schlie;lich. »Wann denn? Und wo?« Mascha atmete schnell und ungleichm;;ig. »Morgen ... abends. Kennen Sie das W;ldchen oberhalb der Langen Wiese?« »Hinter der M;hle?« Mascha nickte. »Um welche Stunde?« »Erwarten Sie mich ...« Sie konnte nichts mehr hervorbringen; ihre Stimme ri;, sie erbleichte und verlie; schnell das Zimmer. Eine Viertelstunde sp;ter begleitete Herr Perekatow mit der ihm eigenen Freundlichkeit Lutschkow ins Vorzimmer, dr;ckte ihm mit Gef;hl die Hand und bat ihn, sein Haus »nicht zu vergessen«. Nachdem der Gast gegangen war, sagte er dem Diener sehr wichtig, da; es ihm gar nicht schaden w;rde, sich das Haar schneiden zu lassen, kehrte, ohne eine Antwort abzuwarten, mit besorgtem Gesicht in sein Zimmer zur;ck, setzte sich, mit dem gleichen besorgten Gesicht, aufs Sofa und versank sofort in seinen unschuldigen Schlaf. »Du bist heute so bla;«, sagte Nenila Makarjewna zu ihrer Tochter am Abend dieses Tages. »Fehlt dir nichts?« »Mir fehlt nichts, Mamachen.« Nenila Makarjewna zupfte das T;chlein an ihrem Halse zurecht. »Du bist sehr bla;; sieh mich mal an«, fuhr sie mit der m;tterlich besorgten Stimme fort, aus der immer auch ein elterliches Machtbewu;tsein klingt. »Auch deine Augen blicken gar nicht lustig. Dir fehlt was, Mascha.« »Ich habe Kopfweh«, antwortete Mascha, nur um irgendwas zu sagen. »Das hab' ich mir auch gedacht.« Nenila Makarjewna legte ihre Hand auf Maschas Stirn. »Fieber hast du aber nicht.« Mascha beugte sich und hob vom Boden irgendeinen Faden auf. Die Arme Nenila Makarjewnas legten sich sanft um Maschas feine Taille. »Mir scheint, du willst mir etwas sagen«, sagte sie freundlich, ohne die Umarmung zu l;sen. Mascha fuhr innerlich zusammen. »Ich? Nein, Mamachen.« Die pl;tzliche Befangenheit Maschas entging nicht dem m;tterlichen Blick. »Nein, wirklich, du willst mir was sagen ... Denk mal nach.« Mascha hatte sich aber schon gefa;t und k;;te, statt eine Antwort zu geben, der Mutter lachend die Hand. »Hast du mir wirklich nichts zu sagen?« »Aber wirklich nichts.« »Ich glaube dir«, versetzte Nenila Makarjewna nach kurzem Schweigen. »Ich wei;, du hast keine Geheimnisse vor mir ... Nicht wahr?« »Gewi;, Mamachen.« Mascha mu;te jedoch leicht err;ten. »Das ist recht. Es w;re auch S;nde, wenn du vor mir etwas verheimlichtest ... Du wei;t ja, wie sehr ich dich liebe, Mascha.« »O ja, Mamachen!« Und Mascha schmiegte sich an sie. »Nun ist's genug.« Nenila Makarjewna ging einmal durchs Zimmer. »Sag mir mal«, fuhr sie mit der Stimme eines Menschen fort, der f;hlt, da; seine Frage keine besondere Bedeutung hat, »wor;ber hast du heute mit Awdej Iwanowitsch gesprochen?« »Mit Awdej Iwanowitsch?« wiederholte Mascha ruhig. »Über alles m;gliche ...« »Nun, gef;llt er dir?« »Gewi;, er gef;llt mir wohl.« »Wei;t du noch, wie du ihn unbedingt kennenlernen wolltest, wie aufgeregt du warst?« Mascha wandte sich ab und lachte. »Wie sonderbar ist er doch!« versetzte Nenila Makarjewna gutm;tig. Mascha wollte f;r Lutschkow eintreten, bi; sich aber in ihre kleine Zunge. »Ja, gewi;«, sagte sie gleichg;ltig. »Er ist ein Sonderling, doch ein guter Mensch!« »Oh, ja! ... Warum ist Fjodor Fjodorowitsch nicht gekommen?« »Er scheint unwohl zu sein. Ach ja! Es f;llt mir gerade ein: Fjodor Fjodorowitsch will mir einen kleinen Hund schenken. Wirst du es mir erlauben?« »Was denn? Sein Geschenk anzunehmen?« »Ja.« »Nat;rlich.« »Ich danke!« sagte Mascha. »Ich danke dir!« Nenila Makarjewna ging zur T;r und kehrte pl;tzlich um. »Erinnerst du dich noch an dein Versprechen, Mascha?« »An welches denn?« »Du versprachst, mir zu sagen, wenn du dich verliebst.« »Ich erinnere mich.« »Nun und? ... Ist noch nicht die Zeit?« Mascha brach in schallendes Gel;chter aus. »Sieh mir mal in die Augen.« Mascha sah ihre Mutter heiter und tapfer an. Es kann nicht sein, dachte sich Nenila Makarjewna und beruhigte sich. Wie sollte sie mich betr;gen! Wie konnte mir das einfallen? ... Sie ist ja noch ein Kind. Sie ging hinaus. Es ist aber S;nde, dachte sich Mascha. Kap. 6 Kister lag schon zu Bett, als Lutschkow zu ihm ins Zimmer trat. Das Gesicht des Kampfhahns dr;ckte niemals ein einziges Gef;hl aus, so auch jetzt: geheuchelte Gleichg;ltigkeit, rohe Freude, Bewu;tsein seiner Überlegenheit. Seine Z;ge spiegelten eine Menge verschiedener Gef;hle wider. »Nun, was gibt's?« fragte ihn Kister ungeduldig. »Was soll's geben! Ich war dort. Sie lassen dich gr;;en.« »Nun, geht es ihnen allen gut?« »Was soll ihnen fehlen?« »Haben sie gefragt, warum ich nicht gekommen bin?« »Ich glaube, ja.« Lutschkow blickte auf die Decke und sang etwas, doch falsch. Kister senkte die Augen und wurde nachdenklich. »Da hat man es«, sagte Lutschkow mit heiserer, schneidender Stimme. »Du bist ein kluger Mensch, ein gebildeter Mensch, und doch redest auch du, mit Verlaub zu sagen, zuweilen Unsinn.« »Wieso?« »Nun, zum Beispiel ;ber die Frauen. Du stellst sie ;ber alles! Du dichtest sie an! Sie alle sind f;r dich Engel ... Das sind mir nette Engel!« »Ich liebe und achte die Frauen, aber ...« »Ja, gewi;, gewi;«, unterbrach ihn Awdej. »Ich streite nicht mit dir. Wie soll ich es auch! Ich bin nat;rlich ein einfacher Mensch.« »Ich wollte sagen, da; ... Warum hast du aber gerade heute, gerade jetzt die Rede auf die Frauen gebracht?« »So!« Awdej l;chelte bedeutungsvoll. »So!« Kister sah seinen Freund durchdringend an. Er glaubte (die reine Seele!), da; Mascha ihn schlecht behandelt habe. Vielleicht hatte sie ihn auch gequ;lt, wie es nur die Frauen verstehen, einen Menschen zu qu;len. »Du bist betr;bt, mein armer Awdej, gestehe es!« Lutschkow lachte. »Nun, ich glaube, ich habe keinen Grund, betr;bt zu sein«, sagte er langsam, sich selbstgef;llig den Schnurrbart streichend. »Nein, siehst du, Fedja«, fuhr er belehrend fort, »ich wollte dir nur sagen, da; du dich in den Frauen t;uschst, mein Freund. Glaube es mir, Fedja, sie sind alle gleich. Man braucht sich nur ein wenig zu bem;hen, ein wenig zu scharwenzeln, und die Sache ist gemacht. Zum Beispiel diese Mascha Perekatowa ...« »Nun?« Lutschkow klopfte mit dem Absatz auf den Boden und sch;ttelte den Kopf. »Ich glaube, an mir ist doch nichts Besonderes und Anziehendes, nicht wahr? Ich glaube, nichts. Es ist doch nichts an mir? Und doch bin ich f;r morgen zu einem Rendezvous bestellt.« Kister richtete sich auf, st;tzte sich auf einen Ellenbogen und blickte Lutschkow erstaunt an. »Abends, im W;ldchen ...« fuhr Awdej Iwanowitsch ruhig fort. »Denk dir aber nichts dabei. Ich gehe nur so hin. Wei;t du, es ist so langweilig. Das M;del ist recht h;bsch ... ich denke mir: Was kann das schaden? Heiraten werde ich sie doch nicht, will nur meine Jugend wieder aufleben lassen. Ich mag mich nicht mit Weibern abgeben, aber so einem M;del mach ich gerne das Vergn;gen. Wir wollen zusammen die Nachtigallen h;ren. Eigentlich w;re das was f;r dich, aber diese Weiber haben gar keine Augen. Was bin ich gegen dich?« Lutschkow sprach noch lange. Kister h;rte ihm aber nicht zu. Der Kopf schwindelte ihm. Er erbleichte und fuhr sich mit der Hand ;bers Gesicht. Lutschkow wiegte sich im Sessel, kniff die Augen zusammen, streckte sich und erstickte schier vor Freude, weil er die Erregung Kisters der Eifersucht zuschrieb. Es war aber nicht Eifersucht, was Kister qu;lte: Nicht das Gest;ndnis hatte ihn verletzt, sondern die rohe Geringsch;tzung Awdejs, seine gleichg;ltige und ver;chtliche Äu;erung ;ber Mascha. Er sah den Kampfhahn durchdringend an, und es war ihm, als h;tte er zum erstenmal seine Z;ge richtig durchschaut. Darum hatte er sich also so bem;ht! Dazu hatte er seine eigene Neigung geopfert! Das war die segensreiche Wirkung der Liebe! »Awdej ... liebst du sie denn nicht?« murmelte er schlie;lich. »Oh, Unschuld! Oh, Arkadien!« entgegnete Awdej mit boshaftem Lachen. Der gute Kister gab auch jetzt noch nicht nach: Er glaubte, da; Awdej vielleicht nur aus Gewohnheit so boshaft Theater spiele. Er hatte noch keine neuen Worte f;r seine neuen Empfindungen gefunden. Und steckt nicht in ihm selbst, in Kister, hinter dieser Entr;stung vielleicht auch noch ein anderes Gef;hl? Vielleicht hatte ihn das Gest;ndnis Lutschkows nur darum so unangenehm ber;hrt, weil es sich um Mascha handelte? Wer kann das wissen, vielleicht ist Lutschkow in sie wirklich verliebt ...? Doch nein, tausendmal nein! Dieser Mensch und verliebt. Abscheulich ist dieser Mensch mit seinem galligen, gelben Gesicht, mit seinen krampfhaften, katzenartigen Bewegungen, mit dem vor Freude gebl;hten Hals ... abscheulich! Nein, mit ganz anderen Worten w;rde er, Kister, einem treuen Freunde das Geheimnis seiner Liebe mitteilen. In ;berflie;ender Freude, mit stummem Entz;cken, mit Tr;nen in den Augen w;rde er sich an seine Brust schmiegen. »Nun, Bruder?« sagte Awdej. »Hast es doch nicht erwartet, gestehe nur! Und jetzt ;rgerst du dich? Wie? Beneidest mich? Gestehe doch, Fedja! Wie? Ich habe dir das M;del doch vor der Nase weggeschnappt!« Kister wollte ihm alles sagen, wandte sich aber mit dem Gesicht zur Wand. »Mich aussprechen? Vor ihm? Um nichts in der Welt!« fl;sterte er vor sich hin. »Er versteht mich nicht. Gut! Er schreibt mir lauter schlechte Beweggr;nde zu, soll er nur!« Awdej erhob sich. »Ich sehe, du willst schlafen«, sagte er mit geheuchelter Teilnahme. »Ich will nicht st;ren. Schlaf wohl, mein Freund ... schlaf!« Und Lutschkow ging, ;ber die Ma;en mit sich zufrieden. Kister konnte bis zum Tagesanbruch nicht einschlafen. Mit fieberhaftem Trotz gr;belte er immer ;ber denselben Gedanken – eine Besch;ftigung, die den ungl;cklich Verliebten nur zu gut bekannt ist; sie wirkt auf die Seele wie ein Blasebalg auf glimmende Kohlen. Und wenn Lutschkow gegen sie auch gleichg;ltig ist, dachte er sich, wenn sie sich ihm selbst an den Hals geworfen hat, so durfte er doch nicht zu mir, zu seinem Freund, so unehrerbietig, so verletzend von ihr sprechen! Was hat sie verbrochen? Wie, hat man nicht mit so einem armen, unerfahrenen jungen M;dchen Mitleid? Hat sie ihm aber wirklich ein Stelldichein gew;hrt? Ja, es wird wohl so sein. Awdej l;gt nicht, er l;gt niemals. Vielleicht ist es aber nur so eine Laune von ihr. Sie kennt ihn aber nicht. Er ist vielleicht imstande, sie zu beleidigen. Nach dem heutigen Abend will ich f;r nichts b;rgen. Haben Sie ihn, Herr Kister, nicht selbst gelobt und gepriesen? Haben Sie nicht selbst ihre Neugierde geweckt? ... Wer konnte es aber wissen? Wer konnte es voraussehen? Was voraussehen? Hatte er denn aufgeh;rt, mein Freund zu sein? Ja, war er denn ;berhaupt je mein Freund? Diese Entt;uschung! Diese Lektion! Alles Vergangene drehte sich vor den Augen Kisters wie im Wirbel. »Ja, ich habe ihn geliebt«, fl;sterte er endlich. »Warum habe ich ihn zu lieben aufgeh;rt? So schnell? Liebe ich ihn denn nicht mehr? Nein, warum habe ich ihn liebgewonnen? Ich allein?« Das liebende Herz Kisters hing eben darum an Awdej, weil alle anderen ihn mieden. Doch der gute junge Mann wu;te selbst nicht, wie gro; seine G;te war. »Meine Pflicht ist«, fuhr er fort, »Marja Ssergejewna zu warnen. Doch wie? Welch ein Recht habe ich, mich in fremde Angelegenheiten, in eine fremde Liebe einzumischen? Woher kann ich wissen, wie diese Liebe geartet ist? Vielleicht ist auch in Lutschkow selbst ... Nein! Nein!« sagte er laut, ge;rgert, beinahe weinend, indem er seine Kopfkissen zurechtr;ckte. »Dieser Mensch ist wie Stein.« Ich bin selbst schuld. Ich habe einen Freund verloren ... Ein netter Freund! Auch sie ist nett! Was bin ich doch f;r ein abscheulicher Egoist! Nein, nein! Aus tiefster Seele w;nsche ich ihnen Gl;ck ... Gl;ck! Er macht sich doch ;ber sie lustig! Und warum f;rbt er sich den Schnurrbart? Ich glaube wirklich ... Ach, wie bin ich doch l;cherlich! sagte er sich im Einschlafen. Kap. 7 Kister fuhr am anderen Morgen zu den Perekatows. Er bemerkte gleich auf den ersten Blick eine gro;e Ver;nderung in Mascha und sie in ihm; doch beide sagten davon kein Wort. Den ganzen Morgen f;hlten sie sich beide, ganz gegen ihre Gewohnheit, befangen. Kister hatte sich zu Hause eine Menge doppelsinniger S;tze und Andeutungen und freundschaftlicher Ratschl;ge zurechtgelegt, doch alle diese Vorbereitungen erwiesen sich als vollkommen unn;tz. Mascha f;hlte dunkel, da; Kister sie beobachtete. Es kam ihr vor, als spreche er manche Worte mit besonderer Betonung. Weil sie sich aber erregt f;hlte, traute sie nicht recht ihren Wahrnehmungen. – Da; es ihm nur nicht einf;llt, bis zum Abend hierzubleiben! dachte sie sich fortw;hrend und versuchte, auch ihm zu verstehen zu geben, da; er hier ;berfl;ssig sei. Kister fa;te seinerseits ihre Unruhe, ihre Befangenheit als sichere Beweise f;r ihre Verliebtheit auf, und je mehr er f;r sie f;rchtete, um so weniger konnte er sich entschlie;en, die Rede auf Lutschkow zu bringen; auch Mascha vermied es hartn;ckig, von ihm zu sprechen. Der arme Fjodor Fjodorowitsch hatte es sehr schwer. Endlich fing er an, seine eigenen Gef;hle zu verstehen. Noch nie hatte ihm Mascha besser gefallen. Offenbar hatte sie die ganze Nacht nicht geschlafen. Ihr blasses Gesicht zeigte einzelne r;tliche Flecken, sie hielt sich leicht geb;ckt; ein ungewolltes, mattes L;cheln wich nicht von ihren Lippen. Ab und zu lief ein Zittern ;ber ihre blassen Schultern, ihre Blicke entz;ndeten sich langsam und erloschen schnell wieder. Nenila Makarjewna setzte sich zu den beiden und brachte, vielleicht mit Absicht, die Rede auf Awdej Iwanowitsch. Mascha wappnete sich aber in Gegenwart der Mutter, jusqu'aux dents, wie die Franzosen sagen, und verriet sich durch keine Silbe. So verging der ganze Morgen. »Sie essen doch bei uns zu Mittag?« fragte Nenila Makarjewna Kister. Mascha wandte sich weg. »Nein«, antwortete Kister eilig mit einem Blick auf Mascha. »Sie m;ssen mich entschuldigen ... dienstliche Pflichten.« Nenila Makarjewna ;u;erte, wie ;blich, ihr Bedauern; gleich nach ihr ;u;erte auch Herr Perekatow etwas. »Ich will niemand st;ren«, wollte Kister Mascha im Vorbeigehen sagen; er beugte sich aber vor und fl;sterte ihr statt dessen zu: »Seien Sie gl;cklich. Leben Sie wohl. Nehmen Sie sich in acht!« und verschwand. Mascha atmete erleichtert auf; sein Weggehen machte ihr aber bald Angst. Was qu;lte sie? Liebe oder Neugier? Das wei; Gott allein; wir wiederholen nur: Die Neugierde allein gen;gte, um Eva zugrunde zu richten. Kap. 8 »Lange Wiese« hie; ein breites, flaches Feld auf dem rechten Ufer des Fl;;chens Snjeschinka, eine Werst vom Gute der Perekatows entfernt. Das linke, mit jungem dichtem Eichenwald bedeckte Ufer erhob sich steil ;ber dem Fl;;chen, das fast ganz mit Schilf bewachsen war und nur hie und da kleine freie Buchten hatte, in denen sich Wildenten aufhielten. Eine halbe Werst hinter dem Fl;;chen, rechts von der »Langen Wiese«, waren runde, wellige H;gel, auf denen sich hie und da alte Birken, Hasel- und Ma;holderb;sche erhoben. Die Sonne ging eben unter. Die M;hle rauschte und klapperte in der Ferne, bald lauter, bald leiser, je nach dem Wind. Auf der Wiese weideten tr;ge die herrschaftlichen Pferde. Ein Hirt folgte singend einer Herde gieriger und scheuer Schafe. Die Sch;ferhunde jagten vor Langeweile den Kr;hen nach. Lutschkow ging mit gekreuzten Armen im W;ldchen auf und ab. Sein angebundenes Pferd hatte schon mehr als einmal voller Ungeduld auf das helle Gewieher der Fohlen und Stuten geantwortet. Awdej ;rgerte sich wie immer und war zugleich befangen. Von der Liebe Maschas noch nicht v;llig ;berzeugt, z;rnte er ihr schon und ;rgerte sich ;ber sich selbst – doch die Erregung erdr;ckte in ihm den Ärger. Endlich blieb er vor einer breiten Haselstaude stehen und fing an, mit seiner Gerte die ;u;ersten Bl;tter abzuschlagen. Er h;rte ein leises Ger;usch. Er hob den Kopf. Zehn Schritte vor ihm stand Mascha, vom schnellen Gehen ger;tet, in Hut, doch ohne Handschuhe, in einem wei;en Kleid, mit einem in aller Eile umgebundenen T;chlein am Halse. Sie senkte die Augen und schwankte leicht. Awdej ging linkisch, mit gezwungenem L;cheln auf sie zu. »Wie gl;cklich bin ich ...« begann er kaum h;rbar. »Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen«, unterbrach ihn Mascha, schwer atmend. »Ich pflege hier jeden Abend spazierenzugehen ... und Sie ...« Lutschkow verstand aber nicht mal, ihre Scham zu schonen und sie in ihrer unschuldigen L;ge zu unterst;tzen. »Ich glaube doch, Marja Ssergejewna«, sagte er mit gro;er W;rde, »Sie wollten es selbst ...« »Ja, ja« entgegnete Mascha eilig. »Sie wollten mich sehen? Sie wollten ...« Ihre Stimme versagte. Lutschkow schwieg. Mascha hob sch;chtern die Augen. »Entschuldigen Sie mich«, begann er, ohne sie anzusehen. »Ich bin ein einfacher Mensch und bin es nicht gewohnt, mit Damen zu sprechen ... Ich wollte Ihnen sagen ... ich glaube aber, Sie sind gar nicht geneigt, mich anzuh;ren ...« »Sprechen Sie.« »Sie befehlen ... Nun, ich will Ihnen ganz offen sagen, da; ich schon l;ngst, seitdem ich die Ehre hatte, Sie kennenzulernen ...« Awdej hielt inne. Mascha wartete auf die Fortsetzung. »Ich wei; ;brigens nicht, wozu ich Ihnen das alles sage. Sein Schicksal kann man doch nicht ;ndern.« »Wer kann das wissen!« »Ich wei; es!« entgegnete Awdej finster. »Ich bin die Schicksalsschl;ge gewohnt!« Mascha glaubte, da; Lutschkow wenigstens jetzt keinen Grund habe, ;ber sein Schicksal zu klagen. »Es gibt aber gute Menschen auf der Welt«, bemerkte sie l;chelnd. »Sogar viel zu gute ...« »Ich verstehe Sie, Marja Ssergejewna, und wei;, glauben Sie es mir, Ihre Gewogenheit wohl zu sch;tzen. Ich ... ich ... Sie werden mir doch nicht z;rnen?« »Nein. Was wollen Sie sagen?« »Ich will sagen – da; Sie mir gefallen ... Marja Ssergejewna, da; Sie mir au;erordentlich gefallen.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, unterbrach ihn Mascha verlegen. Ihr Herz krampfte sich vor Erwartung und Angst zusammen. »Ach, schauen Sie nur, Herr Lutschkow«, fuhr sie fort, »diese Aussicht!« Sie zeigte ihm die mit den langen Abendschatten bedeckte, mit dem Rot der untergehenden Sonne ;bergossene Wiese. Lutschkow fing an, ;ber diesen pl;tzlichen Wechsel des Gespr;chsthemas erfreut, die Aussicht zu bewundern. Er stellte sich neben Mascha. »Lieben Sie die Natur?« fragte sie pl;tzlich, den Kopf schnell zu ihm wendend und ihn mit dem freundlichen, neugierigen und sanften Blick ansehend, der, ebenso wie die helle Stimme, nur jungen M;dchen eigen ist. »Ja, die Natur ... gewi;«, murmelte Awdej. »Nat;rlich, es ist angenehm, abends spazierenzugehen; obwohl ich, offen gestanden, Soldat bin und von solchen Empfindsamkeiten nichts verstehe.« Lutschkow pflegte oft zu sagen, da; er »Soldat« sei. Es trat eine kurze Pause ein. Mascha blickte noch immer auf die Wiese. Soll ich nicht weggehen? dachte sich Awdej. Unsinn! Mut! ... »Marja Ssergejewna«, begann er mit ziemlich fester Stimme. Mascha wandte sich zu ihm um. »Entschuldigen Sie mich«, begann er wie scherzend. »Gestatten Sie mir die Frage, wie Sie ;ber mich denken, ob Sie irgendeine ... Zuneigung f;r meine Person empfinden.« Mein Gott, wie ungeschickt er doch ist, dachte sich Mascha. »Wissen Sie, Herr Lutschkow«, antwortete sie ihm l;chelnd, »da; es nicht immer leicht ist, eine bestimmte Antwort auf eine bestimmte Frage zu geben?« »Und doch ...« »Warum wollen Sie es wissen?« »Ich bitte Sie! Ich m;chte es wissen.« »Aber ... ist es wahr, da; Sie leidenschaftlicher Duellant sind? Sagen Sie, ist es wahr«, fragte Mascha mit ;ngstlicher Neugier, »da; Sie schon mehr als einen Menschen get;tet haben?« »Es ist wohl vorgekommen«, antwortete Awdej gleichg;ltig und strich sich den Schnurrbart. Mascha sah ihn unverwandt an. »Mit dieser Hand?« fl;sterte sie. Lutschkows Blut geriet indessen in Wallung. Vor ihm stand schon seit mehr als einer Viertelstunde ein h;bsches, junges M;dchen. »Marja Ssergejewna«, begann er wieder mit eigent;mlicher, scharfer Stimme, »Sie kennen jetzt meine Gef;hle, Sie wissen, warum ich Sie habe sehen wollen. Sie waren so g;tig ... Sagen Sie mir doch endlich, was ich mir erhoffen darf!« Mascha spielte mit einer Feldnelke. Sie blickte Lutschkow von der Seite an, err;tete, l;chelte und sagte: »Was sprechen Sie f;r Dummheiten!« Und sie reichte ihm die Blume. Awdej ergriff ihre Hand. »Sie lieben mich also!« rief er aus. Mascha ;berlief es ganz kalt vor Schreck. Sie dachte gar nicht daran, Awdej ihre Liebe zu gestehen; sie wu;te selbst noch nicht bestimmt, ob sie ihn liebte. Da kommt er ihr zuvor und zwingt sie zu einem Gest;ndnis – folglich versteht er sie nicht. Eine so schnelle L;sung hatte sie nicht erwartet. Mascha hatte sich den ganzen Tag wie ein neugieriges Kind gefragt: »Liebt er mich?«, hatte einen angenehmen Abendspaziergang und respektvolle und z;rtliche Worte erwartet, hatte in Gedanken kokettiert, diesen Wilden gez;hmt und ihm erlaubt, ihr die Hand zu k;ssen – und statt dessen ... Statt dessen f;hlte sie an ihrer Wange den rauhen Schnurrbart Awdejs. »Wollen wir gl;cklich sein«, fl;sterte er, »es gibt doch nur ein Gl;ck auf Erden!« Mascha zuckte zusammen, lief erschrocken zur Seite und blieb ganz bla; stehen, sich mit der Hand gegen eine Birke st;tzend. Awdej wurde furchtbar verlegen. »Entschuldigen Sie«, murmelte er, auf sie zugehend, »ich dachte wirklich nicht ...« Mascha starrte ihn schweigend an. Ein unangenehmes L;cheln verzerrte seine Lippen, rote Flecken waren ihm ins Gesicht getreten. »Was f;rchten Sie denn?« fuhr er fort. »Ist es denn eine so gro;e Sache? Unter uns ist doch schon alles ...« Mascha schwieg. »H;ren Sie auf! Was f;r Dummheiten! Das ist doch nur so ... Lutschkow streckte ihr seine Hand entgegen. Mascha erinnerte sich an Kister und an sein »Nehmen Sie sich in acht«; sie erstarb vor Schreck und schrie mit ziemlich kreischender Stimme: »Tanjuscha!« Aus dem Haselgeb;sch tauchte das runde Gesicht des Dienstm;dchens auf. Awdej verlor die Fassung. Durch die N;he ihrer Zofe beruhigt, r;hrte sich Mascha nicht vom Fleck. Der Kampfhahn erzitterte aber vor Wut. Seine Augen wurden ganz klein; er ballte die F;uste und fing an, krampfhaft zu lachen. »Bravo! Bravo! Das ist gescheit, das mu; ich schon sagen!« schrie er. Mascha erstarrte zu Stein. »Wie ich sehe, haben Sie alle Vorsichtsma;regeln getroffen, Marja Ssergejewna! Vorsicht schadet nie. Das ist wirklich nett! Heutzutage sind die jungen M;dchen schlauer als die Alten. Und das soll Liebe sein!« »Ich wei; nicht, Herr Lutschkow, wer Ihnen das Recht gibt, von Liebe zu sprechen ... was f;r eine Liebe meinen Sie?« »Wieso, wer? Sie selbst!« unterbrach sie Lutschkow. »Das ist doch sonderbar!« Er f;hlte, da; er alles verdarb, konnte sich aber nicht mehr beherrschen. »Ich habe un;berlegt gehandelt«, versetzte Mascha. »Ich bin auf Ihre Bitte eingegangen, weil ich mich auf Ihre d;licatesse verlie; ... Sie verstehen aber nicht Franz;sisch: also auf Ihre H;flichkeit.« Awdej erbleichte. Mascha hatte ihn mitten ins Herz getroffen! »Ich verstehe nicht Franz;sisch, mag sein; aber ich verstehe ... ich verstehe, da; es Ihnen beliebt, sich ;ber mich lustig zu machen.« »Durchaus nicht, Awdej Iwanowitsch. Ich bedaure es sogar sehr ...« »Sprechen Sie, bitte, nicht von Ihrem Bedauern«, unterbrach sie Awdej zornig »verschonen Sie mich, bitte, damit!« »Herr Lutschkow ...« »Spielen Sie keine Herzogin! Vergebliche M;he! Sie sch;chtern mich damit nicht ein.« Mascha trat einen Schritt zur;ck, wandte sich schnell um und ging fort. »Soll ich Ihnen Ihren Freund, Ihren Sch;fer, das empfindsame Herz Kister schicken?« schrie ihr Awdej nach. Er hatte den Kopf verloren. »Ist es nicht dieser Freund ... der?« Mascha antwortete ihm nicht und ging schnell und frohen Mutes weiter. Sie f;hlte sich, trotz des Schreckens und der Erregung, erleichtert. Es war ihr, als w;re sie aus einem schweren Traum erwacht, aus einem dunklen Zimmer ins Freie, in die Sonne getreten. Awdej sah sich wie besessen um, brach in stummer Wut ein junges B;umchen ab, sprang in den Sattel und bohrte seinem Pferd die Sporen so w;tend in die Flanken und zerrte so erbarmungslos an den Z;geln, da; das arme Tier, nachdem es die acht Werst in einer Viertelstunde zur;ckgelegt hatte, in derselben Nacht beinahe einging. Kister, der bis Mitternacht vergebens auf Lutschkow gewartet hatte, begab sich am n;chsten Morgen selbst zu ihm. Der Bursche meldete Fjodor Fjodorowitsch, da; sein Herr noch schlafe und befohlen habe, niemand vorzulassen. »Auch mich nicht?« – »Auch Sie nicht, Euer Wohlgeboren.« Kister ging, von qualvoller Unruhe gepeinigt, einigemal ;ber die Stra;e und kehrte nach Hause zur;ck. Hier ;bergab ihm sein Diener ein Billett. »Von wem?« »Von den Perekatows. Der Vorreiter Artjomka hat es hergebracht.« Kister zitterten die H;nde. »Er soll einen Gru; ausrichten und auf Antwort warten. Soll ich dem Artjomka einen Schnaps geben?« Kister entfaltete langsam das Billett und las folgendes: »Lieber guter Fjodor Fjodorowitsch! Ich mu; Sie sehr dringend sprechen. Kommen Sie, wenn m;glich, heute. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab, ich beschw;re Sie bei unserer alten Freundschaft. Wenn Sie nur w;;ten ... aber Sie werden alles erfahren. Auf Wiedersehen – nicht wahr? Marie. P. S. Kommen Sie unbedingt heute.« »Soll ich dem Vorreiter Artjomka einen Schnaps geben?« Kister sah seinem Diener lange erstaunt ins Gesicht und ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus. »Der Herr hat gesagt, ich soll dir einen Schnaps geben und auch selbst mit dir trinken«, sagte Kisters Diener zum Vorreiter Artjomka. Kap. 9 Mascha kam Kister, als er in den Salon trat, mit einem so heiteren und dankbaren Gesicht entgegen, dr;ckte ihm so freundschaftlich und so fest die Hand, da; sein Herz vor Freude heftig zu schlagen anfing und ihm ein Stein vom Herzen fiel. Mascha sagte ihm ;brigens kein Wort und verlie; sofort das Zimmer. Ssergej Ssergejewitsch sa; auf dem Sofa und legte Patience. Sie kamen ins Gespr;ch. Ssergej Ssergejewitsch hatte noch nicht Zeit gehabt, die Rede mit gewohnter Geschicklichkeit auf seinen Hund zu bringen, als Mascha schon zur;ckkam, mit der karierten, seidenen Sch;rpe, der Lieblingssch;rpe Kisters, angetan. Auch Nenila Makarjewna kam ins Zimmer und begr;;te Fjodor Fjodorowitsch sehr freundlich. Beim Mittagessen lachten und scherzten sie alle; selbst Ssergej Ssergejewitsch geriet in Begeisterung und gab einen seiner lustigsten Jugendstreiche zum besten, wobei er, wie der Vogel Strau;, den Kopf vor seiner Frau versteckte. »Wollen wir etwas Spazierengehen, Fjodor Fjodorowitsch«, sagte Mascha zu Kister nach dem Essen mit jener freundlichen Gewalt in der Stimme, die zu wissen scheint, da; man sich ihr mit Freuden f;gt. »Ich mu; mit Ihnen eine sehr wichtige Sache besprechen«, f;gte sie mit grazi;ser Feierlichkeit hinzu, w;hrend sie sich die schwedischen Handschuhe anzog. »Kommst du mit, maman?« »Nein«, entgegnete Nenila Makarjewna. »Wir gehen aber nicht in den Garten.« »Wohin denn?« »Nach der Langen Wiese, ins W;ldchen.« »Nimm Tanjuscha mit.« »Tanjuscha, Tanjuscha!« rief Mascha mit heller Stimme, leichter als ein Vogel aus dem Zimmer h;pfend. Nach einer Viertelstunde gingen Mascha und Kister in der Richtung zur Langen Wiese. Als sie an der Herde vorbeikamen, f;tterte sie ihre Lieblingskuh mit Brot, streichelte ihr den Kopf und zwang auch Kister, dasselbe zu tun. Mascha war lustig und plauderte viel. Kister ging gern auf alles ein, obwohl er mit Ungeduld auf ihre Erkl;rungen wartete. Tanjuscha folgte ihnen in respektvoller Entfernung und warf ihrem Fr;ulein ab und zu einen schelmischen Blick zu. »Sind Sie mir b;se, Fjodor Fjodorowitsch?« fragte Mascha. »Ihnen, Marja Ssergejewna? Warum denn?« »Vorgestern ... Sie wissen noch?« »Sie waren nicht in Stimmung, das ist alles.« »Warum gehen wir getrennt? Geben Sie mir den Arm. Ja, so ... Auch Sie waren nicht in Stimmung.« »Ja, auch ich.« »Aber heute bin ich in Stimmung, nicht wahr?« »Ja, heute scheint es so.« »Und wissen Sie, warum? Weil ...«, Mascha sch;ttelte ernst den Kopf. »Ich wei; schon, warum. Weil ich mit Ihnen bin«, f;gte sie hinzu, ohne Kister anzusehen. Kister dr;ckte ihr still die Hand. »Warum fragen Sie mich nicht?« sagte Mascha leise. »Wonach?« »Nun, verstellen Sie sich doch nicht! Nach meinem Brief.« »Ich wartete ...« »Darum ist es mir auch so lustig in Ihrer Gesellschaft«, unterbrach ihn Mascha lebhaft, »weil Sie ein guter und zartf;hlender Mensch sind, weil Sie nicht imstande sind ... parceque vous avez de la d;licatesse. Ihnen kann man es sagen: Sie verstehen Franz;sisch.« Kister verstand wohl Franz;sisch, aber nicht, was ihm Mascha sagen wollte. »Pfl;cken Sie mir diese Blume, diese da ... wie h;bsch ist sie!« Mascha bewunderte eine Weile die Blume, befreite dann ihre Hand und begann mit besorgtem L;cheln den biegsamen Stengel vorsichtig ins Knopfloch seines Waffenrocks zu stecken. Ihre feinen Finger ber;hrten beinahe seine Lippen. Er blickte diese Finger und dann sie an. Sie nickte ihm zu, als wollte sie sagen: Ja, Sie ;rfen! Kister beugte sich und k;;te ihre Fingerspitzen. Indessen erreichten sie das bekannte W;ldchen. Mascha wurde pl;tzlich nachdenklicher und verstummte schlie;lich ganz. Sie kamen an dieselbe Stelle, wo Lutschkow sie erwartet hatte. Das niedergetretene Gras hatte sich noch nicht erholt, das abgebrochene B;umchen war schon verwelkt und die Bl;ttchen fingen an, sich zusammenzurollen und zu vertrocknen. Mascha sah sich um und wandte sich pl;tzlich an Kister. »Wissen Sie, warum ich Sie heute hergef;hrt habe?« »Nein, ich wei; es nicht.« »Sie wissen es nicht? ... Warum haben Sie mir heute noch nichts von Ihrem Freund, Herrn Lutschkow, gesagt? Sie loben ihn doch immer so.« Kister schlug die Augen nieder und verstummte. »Wissen Sie«, brachte Mascha nicht ohne Überwindung heraus, »da; ich mit ihm gestern ... hier ... ein Stelldichein hatte?« »Ich wu;te es«, entgegnete Kister dumpf. »Sie wu;ten es? ... Ah! Jetzt verstehe ich, warum Sie vorgestern ... Herr Lutschkow hatte sich wohl beeilt, mit seinem Sieg zu prahlen.« Kister wollte ihr etwas entgegnen. »Sagen Sie nichts, antworten Sie nichts. Ich wei;, er ist Ihr Freund; Sie sind imstande, ihn zu verteidigen. Sie wu;ten es, Kister, Sie wu;ten es! Warum hinderten Sie mich nicht, eine solche Dummheit zu begehen? Warum zupften Sie mich nicht wie ein kleines Kind am Ohr? Sie wu;ten es ... und es war Ihnen ganz gleich?« »Aber welches Recht hatte ich ...« »Welches Recht? Das Recht des Freundes. Aber auch er ist Ihr Freund ... Ich mu; mich sch;men, Kister ... Er ist Ihr Freund ... Dieser Mensch benahm sich gestern gegen mich so ...« Mascha wandte sich ab. Kisters Augen funkelten; er erbleichte. »Nun, lassen wir es, seien Sie nicht b;se. H;ren Sie, Fjodor Fjodorowitsch, seien Sie nicht b;se. Alles wendet sich zum besten. Ich freue mich ;ber die gestrige Aussprache ... ja, ;ber die Aussprache«, f;gte Mascha hinzu. »Warum glauben Sie wohl, da; ich die Rede darauf brachte? Um mich ;ber Herrn Lutschkow zu beklagen? Bilden Sie sich das ja nicht ein! Ich habe ihn vergessen. Doch ich stehe vor Ihnen schuldig da, mein guter Freund. Ich m;chte mich mit Ihnen aussprechen, Sie um Verzeihung und um Ihren Rat bitten. Sie haben mich an Aufrichtigkeit gew;hnt; wenn ich mit Ihnen bin, ist mir so leicht ums Herz ... Sie sind doch kein Herr Lutschkow!« »Lutschkow ist ungeschickt und grob«, brachte Kister mit Anstrengung heraus, »aber ...« »Was, aber? Wie, sch;men Sie sich nicht, aber zu sagen? Er ist grob und ungeschickt, und b;se und eingebildet ... H;ren Sie: und – nicht aber!« »Sie sprechen unter dem Einflu; Ihres Zornes, Marja Ssergejewna«, sagte Kister traurig. »Meines Zornes? Was f;r eines Zornes? Schauen Sie mich an: Sieht man denn so aus, wenn man im Zorne ist? H;ren Sie mal«, fuhr Mascha fort, »Sie ;rfen von mir denken, was Sie wollen, doch wenn Sie sich einbilden, da; ich mit Ihnen heute aus Rache kokettiere, so ... so ...« Tr;nen traten ihr in die Augen. »So werde ich ernsthaft b;se.« »Seien Sie doch aufrichtig mit mir, Marja Ssergejewna.« »Oh, Sie dummer Mensch! Wie blind Sie sind! Schauen Sie mich doch nur an: Bin ich denn nicht aufrichtig gegen Sie, k;nnen Sie mich nicht ganz durchschauen?« »Nun, sch;n. Ja, ich glaube Ihnen«, fuhr Kister l;chelnd fort, als er sah, wie besorgt und hartn;ckig sie nach seinen Blicken haschte. »Nun, sagen Sie mir doch, was hat Sie bewogen, Lutschkow ein Stelldichein zu gew;hren?« »Was? Das wei; ich selber nicht. Er wollte mit mir unter vier Augen sprechen. Mir schien immer, er habe noch nie Zeit und Gelegenheit gehabt, sich auszusprechen. Nun hat er sich ausgesprochen! H;ren Sie: Er ist vielleicht ein ungew;hnlicher Mensch, aber er ist wirklich dumm. Er versteht keine zwei Worte zu sagen. Er ist einfach unh;flich. Ich mache ihm ;brigens keine zu gro;en Vorw;rfe ... Er konnte sich denken, ich sei ein leichtfertiges, verr;cktes Ding. Ich hatte ja mit ihm fast niemals gesprochen. Er hat wohl meine Neugier erregt, aber ich glaubte, da; ein Mensch, der es verdient, Ihr Freund zu sein ...« »Sprechen Sie, bitte, von ihm nicht als von meinem Freund«, unterbrach sie Kister. »Nein, nein, ich will Sie nicht entzweien.« »Ach, mein Gott, ich will Ihnen nicht nur einen Freund opfern, sondern auch ... Zwischen mir und Herrn Lutschkow ist alles aus!« f;gte Kister hastig hinzu. Mascha blickte ihm durchdringend in die Augen. »Nun, Gott mit ihm!« sagte sie. »Wollen wir von ihm nicht mehr sprechen. Das soll mir eine Lehre sein. Ich bin selber schuld. Einige Monate hintereinander sah ich fast jeden Tag einen guten, klugen, lustigen, freundlichen Menschen, der ...« Mascha wurde verlegen und hielt inne. »Der, glaube ich, auch mir ... gewogen war, und ich Dumme«, fuhr sie schnell fort, »zog ihm einen vor ... nein, nein, ich zog ihm niemand vor, sondern ...« Sie senkte den Kopf und hielt verlegen inne. Kister erschrak. Es kann nicht sein! sagte er sich. »Marja Ssergejewna!« begann er endlich. Mascha hob den Kopf und heftete auf ihn ihre mit den unvergossenen Tr;nen beschwerten Augen. »Sie erraten noch immer nicht, wen ich meine?« fragte sie. Kaum noch atmend, reichte ihr Kister die Hand. Mascha ergriff sie sofort mit Leidenschaft. »Sie sind wie fr;her mein Freund, nicht wahr? Warum antworten Sie nicht?« »Ich bin Ihr Freund, Sie wissen es«, murmelte er. »Und Sie verurteilen mich nicht? Sie haben mir vergeben? Sie verstehen mich! Sie lachen nicht ;ber ein M;dchen, das heute dem einen ein Stelldichein gew;hrt und morgen mit einem anderen so spricht, wie ich jetzt zu Ihnen spreche ... Nicht wahr, Sie lachen doch nicht ;ber mich?« Maschas Gesicht gl;hte; sie hielt mit beiden H;nden Kisters Hand fest. »Über Sie lachen«, antwortete Kister. »Ich ... ich ... ich liebe Sie ja ... ich liebe Sie!« rief er aus. Mascha bedeckte ihr Gesicht mit den H;nden. »Wissen Sie es denn nicht schon l;ngst, Marja Ssergejewna, da; ich Sie liebe?« Kap. 10 Drei Wochen nach dieser Zusammenkunft sa; Kister in seinem Zimmer und schrieb folgenden Brief an seine Mutter: »Liebes M;tterchen! Ich beeile mich, mit Ihnen meine gro;e Freude zu teilen: Ich heirate. Diese Nachricht wird Ihnen wohl nur darum wunderlich vorkommen, weil ich in meinen fr;heren Briefen auf eine so wichtige Wendung in meinem Leben nicht mal hingedeutet habe – Sie aber wissen, da; ich gewohnt bin, mit Ihnen alle meine Gef;hle, Freuden und Leiden zu teilen. Die Gr;nde dieses Schweigens sind leicht zu erkl;ren. Erstens habe ich erst dieser Tage selbst erfahren, da; ich geliebt werde; und zweitens habe ich auch meinerseits erst vor kurzem die ganze Kraft meiner eigenen Neigung erfa;t. In einem meiner ersten Briefe von hier schrieb ich Ihnen von den Perekatows, unseren Nachbarn, und nun heirate ich ihre einzige Tochter Maria. Ich bin fest ;berzeugt, da; wir gl;cklich sein werden. Sie hat in mir keine augenblickliche Leidenschaft geweckt, sondern ein tiefes, aufrichtiges Gef;hl, in dem sich die Freundschaft mit Liebe paart. Ihr heiterer, sanfter Charakter entspricht durchaus meinem Geschmack. Sie ist gebildet, klug und spielt vortrefflich Klavier ... Wenn Sie sie doch sehen k;nnten! Ich schicke Ihnen ihr Portrait, das ich selbst gezeichnet habe. Ich brauche wohl nicht zu sagen, da; sie hundertmal sch;ner ist als dieses Bild. Mascha liebt Sie schon als Tochter und kann den Tag, an dem sie Sie kennenlernen soll, kaum erwarten. Ich habe die Absicht, meinen Abschied zu nehmen, mich auf dem Lande niederzulassen und mich der Landwirtschaft zu widmen. Der alte Perekatow besitzt ein Gut mit vierhundert leibeigenen Seelen, das sich in guter Verfassung befindet. Sie sehen, da; man auch von diesem materiellen Standpunkte aus meine Wahl nicht mi;billigen kann. Ich nehme Urlaub und komme zu Ihnen nach Moskau. Erwarten Sie mich in h;chstens zwei Wochen. Meine liebe, gute Mama, wie gl;cklich bin ich! ... Umarmen Sie mich ...« und so weiter. Kister faltete und versiegelte den Brief, stand auf, trat ans Fenster, rauchte eine Pfeife, dachte ein wenig nach und kehrte zum Tisch zur;ck. Er holte einen kleinen Bogen Briefpapier hervor, tauchte die Feder sorgf;ltig ins Tintenfa;, fing aber lange nicht mit dem Schreiben an, sondern runzelte die Brauen, blickte zur Decke und kaute an der Feder ... Endlich entschlo; er sich und verfa;te im Laufe einer Viertelstunde folgendes Schreiben: »Sehr geehrter Herr Awdej Iwanowitsch! Vom Tage Ihres letzten Besuches an – das hei;t seit drei Wochen – gr;;en Sie mich nicht, sprechen mit mir nicht und scheinen mir aus dem Wege zu gehen. Jeder Mensch ist nat;rlich in seinen Handlungen vollkommen frei; Ihnen beliebte es, unsere Bekanntschaft abzubrechen, und ich bitte Sie, mir zu glauben, da; ich mich an Sie nicht mit einer Klage wende. Ich habe nicht die Absicht, mich, wem es auch sei, aufzudr;ngen; mir gen;gt das Bewu;tsein, da; ich im Rechte bin. Ich schreibe Ihnen heute nur aus Pflichtgef;hl. Ich habe Maria Ssergejewna Perekatowa den Antrag gemacht und ihr Jawort wie auch die Zustimmung ihrer Eltern bekommen. Ich teile diese Nachricht Ihnen direkt und unmittelbar mit, um jedes Mi;verst;ndnis und jeden Verdacht unm;glich zu machen. Ich mu; Ihnen offen gestehen, sehr geehrter Herr, da; ich mich nicht allzusehr um die Meinung eines Menschen k;mmern kann, der selbst nicht die geringste Beachtung den Meinungen und Gef;hlen anderer schenkt; ich schreibe Ihnen einzig darum, weil ich jeden Anschein vermeiden will, als ob ich hinter Ihrem R;cken handle oder gehandelt habe. Ich darf wohl sagen: Sie kennen mich und werden meinen Schritt nicht irgendeinem anderen, schlechten Gef;hl zuschreiben. Indem ich mich zum letztenmal an Sie wende, kann ich nicht umhin, Ihnen in Erinnerung unserer fr;heren Freundschaft, jedes irdische Gl;ck zu w;nschen. Mit aufrichtiger Hochachtung verbleibe ich Ihr ergebenster Diener Fjodor Kister.« Fjodor Fjodorowitsch schickte diesen Brief an die Adresse, zog sich um und lie; den Wagen anspannen. Lustig und sorglos ging er singend in seinem kleinen Zimmer auf und ab, h;pfte sogar zweimal in die H;he, rollte ein Liederheft zusammen und band ein blaues B;ndchen darum ... Die T;r ging auf, und herein trat Lutschkow im Waffenrock ohne Epauletten, mit der M;tze auf dem Kopf. Kister blieb erstaunt mitten im Zimmer stehen; er hatte die Schleife noch nicht fertig gebunden. »Sie heiraten die Perekatowa?« fragte Awdej in ruhigem Ton. – Kister fuhr auf. »Mein Herr«, begann er, »wenn anst;ndige Menschen in ein Zimmer treten, nehmen sie die M;tze ab und sagen guten Tag.« »Entschuldigen Sie«, versetzte der Kampfhahn kurz und zog die M;tze. »Guten Tag.« »Guten Tag, Herr Lutschkow. Sie fragen mich, ob ich Fr;ulein Perekatowa heirate? Haben Sie denn meinen Brief nicht gelesen?« – »Ja, ich habe Ihren Brief gelesen. Sie heiraten. Ich gratuliere.« »Ich nehme Ihre Gratulation an und danke Ihnen. Doch ich mu; jetzt fort.« »Ich m;chte mich mit Ihnen auseinandersetzen, Fjodor Fjodorowitsch.« »Bitte sehr, mit Vergn;gen«, antwortete der Gute. »Ich habe, offen gestanden, eine solche Auseinandersetzung erwartet. Ihr Benehmen mir gegen;ber ist so sonderbar, und ich habe es, wie ich glaube, gar nicht verdient ... jedenfalls durfte ich es nicht erwarten ... Wollen Sie aber nicht Platz nehmen? Darf ich Ihnen eine Pfeife anbieten?« Lutschkow setzte sich. Seine Bewegungen waren m;de. Er bewegte den Schnurrbart und hob die Brauen. »Sagen Sie mal, Fjodor Fjodorowitsch«, begann er endlich: »Warum haben Sie sich mir gegen;ber so lange verstellt?« »Wieso?« »Warum spielten Sie so ein ... makelloses Wesen, w;hrend Sie doch genauso ein Mensch sind wie wir arme S;nder?« »Ich verstehe Sie nicht ... Habe ich Sie vielleicht irgendwie verletzt?« »Sie verstehen mich nicht, nehme ich an. Ich will mich bem;hen, deutlicher zu sprechen. Sagen Sie mir zum Beispiel aufrichtig: Haben Sie schon seit langem eine Neigung f;r Fr;ulein Perekatowa gefa;t, oder ist es ein pl;tzlicher Ausbruch von Leidenschaft?« »Awdej Iwanowitsch, ich habe keine Lust, mit Ihnen ;ber mein Verh;ltnis zu Fr;ulein Perekatowa zu sprechen«, entgegnete Kister k;hl. »So. Ganz wie es Ihnen beliebt. Tun Sie mir aber den Gefallen und gestatten Sie mir zu glauben, da; Sie mich zum Narren gehalten haben.« Awdej sprach sehr langsam und betonte jedes Wort. »Das ;rfen Sie nicht glauben, Awdej Iwanowitsch. Sie kennen mich ja.« »Ich kenne Sie? Wer kennt Sie ;berhaupt? Eine fremde Seele ist wie ein finsterer Wald, ich will aber genau wissen, woran ich bin. Ich wei;, da; Sie deutsche Verse mit gro;em Gef;hl und sogar mit Tr;nen in den Augen vorlesen; ich wei;, da; Sie an den W;nden Ihrer Wohnung verschiedene Landkarten h;ngen haben; ich wei;, da; Sie Ihre Person reinlich halten; das wei; ich ... sonst wei; ich aber nichts.« Kister fing an b;se zu werden. »Gestatten Sie die Frage«, sagte er schlie;lich, »welchen Zweck hat Ihr Besuch? Sie haben mich seit drei Wochen nicht gegr;;t, und nun kommen Sie zu mir anscheinend in der Absicht, sich ;ber mich lustig zu machen. Ich bin kein gr;ner Junge, sehr geehrter Herr, und werde es niemand gestatten ...« »Aber erlauben Sie«, unterbrach ihn Lutschkow »aber erlauben Sie, Fjodor Fjodorowitsch: Wer wagt es denn, sich ;ber Sie lustig zu machen? Im Gegenteil, ich komme zu Ihnen mit der ergebensten Bitte: Erkl;ren Sie mir gef;lligst Ihr Benehmen mir gegen;ber! Gestatten Sie die Frage: Haben Sie mich nicht gewaltsam mit der Familie Perekatow bekannt gemacht? Haben Sie nicht Ihrem ergebensten Diener versichert, da; er seelisch ›aufbl;hen‹ wird? Und haben Sie mich nicht schlie;lich auch mit der tugendsamen Maria Ssergejewna zusammengef;hrt? Warum soll ich dann nicht annehmen ;rfen, da; ich Ihnen f;r die gewisse letzte Aussprache zu danken habe, ;ber die man Sie wohl schon in geb;hrender Form unterrichtet hat? Dem Br;utigam pflegt doch die Braut alles zu erz;hlen, besonders ihre unschuldigen Streiche. Warum soll ich dann nicht annehmen ;rfen, da; ich Ihnen die gro;artige Nase zu verdanken habe, die man mir gedreht hat? Sie haben doch einen solchen Anteil an meinem ›Aufbl;hen‹ genommen!« Kister ging einmal durchs Zimmer. »H;ren Sie mal, Lutschkow«, sagte er endlich. »Wenn Sie wirklich im Ernst von dem, was Sie sagen, ;berzeugt sind, was ich, offen gestanden, nicht glaube, so gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen: Es ist eine Schande und eine S;nde, meine Handlungen und Absichten in einem so verletzenden Sinne zu deuten. Ich will mich nicht rechtfertigen. Ich appelliere an Ihr eigenes Gewissen, an Ihr Ged;chtnis.« »Ja, ich erinnere mich, da; Sie st;ndig mit Maria Ssergejewna getuschelt haben. Au;erdem gestatten Sie mir noch diese Frage: Sind Sie nicht bei den Perekatows nach dem bewu;ten Gespr;ch mit mir gewesen? Nach jenem Abend, als ich Ihnen, wie ein Narr, als meinem besten Freund, von dem mir gew;hrten Stelldichein erz;hlte?« »Wie? Sie verd;chtigen mich, da; ...« »Ich verd;chtige keinen Menschen einer Handlung«, unterbrach ihn Awdej mit einer geradezu t;dlichen K;lte, »deren ich mich selbst nicht verd;chtige; doch ich habe auch die Schw;che zu glauben, da; die anderen nicht besser sind als ich.« »Sie irren«, entgegnete Kister aufbrausend. »Die anderen sind besser als Sie.« »Wozu ich Ihnen gratuliere«, versetzte Lutschkow ruhig. »Aber ...« »Aber«, unterbrach ihn seinerseits Kister gereizt, »aber erinnern Sie sich nur, in welchen Ausdr;cken Sie mir von dem Stelldichein erz;hlten und von ... Diese Erkl;rungen werden, ;brigens, wie ich sehe, zu nichts f;hren ... Denken Sie von mir, was Ihnen beliebt, und tun Sie, was Ihnen beliebt.« »Das lasse ich mir gefallen!« versetzte Awdej. »Endlich sprechen Sie aufrichtig.« »Was Ihnen beliebt!« wiederholte Kister. »Ich verstehe vollkommen Ihre Lage, Fjodor Fjodorowitsch«, fuhr Awdej mit geheuchelter Teilnahme fort. »Sie ist unangenehm, wirklich unangenehm. Ein Mensch hat seine Rolle gespielt, niemand sieht ihm den Schauspieler an, und pl;tzlich ...« »Wenn ich annehmen k;nnte«, unterbrach ihn Kister mit zusammengepre;ten Z;hnen, »da; aus Ihnen nur verschm;hte Liebe spricht, so w;rde ich mit Ihnen Mitleid haben und Ihnen verzeihen. Doch in Ihren Vorw;rfen, in Ihren Verleumdungen h;re ich nur den Schrei eines verletzten Ehrgeizes, und ich sp;re nicht das geringste Mitleid mit Ihnen. Sie haben Ihr Los selbst verschuldet.« »Ach, mein Gott, wie spricht dieser Mensch!« versetzte Awdej halblaut. »Der Ehrgeiz«, fuhr er fort, »mag sein; ja, ja, mein Ehrgeiz ist, wie Sie richtig bemerken, tief und unertr;glich verletzt worden. Wer ist aber nicht ehrgeizig? Vielleicht Sie? Ja, ich bin wohl ehrgeizig und werde es zum Beispiel niemand erlauben, mit mir Mitleid zu haben.« »Sie werden es nicht erlauben?« entgegnete Kister stolz. »Was sind das f;r Ausdr;cke, mein Herr! Vergessen Sie bitte nicht: Das Band zwischen uns haben Sie selbst zerrissen. Ich bitte Sie, sich mir gegen;ber wie gegen einen Fremden zu benehmen.« »Zerrissen! Das Band ist zerrissen!« wiederholte Awdej. »Begreifen Sie mich doch: Ich gr;;te und besuchte Sie nicht, nur aus Mitleid mit Ihnen; Sie werden mir doch erlauben, mit Ihnen Mitleid zu haben, wenn Sie selbst mit mir Mitleid haben! ... Ich wollte Sie nicht in eine schiefe Lage bringen und in Ihnen Gewissensbisse wecken. Sie reden vom Band zwischen uns, als ob Sie nach Ihrer Verheiratung noch mein Freund h;tten bleiben k;nnen! H;ren Sie auf! Sie haben mit mir auch fr;her nur darum verkehrt, weil Sie sich an Ihrer vermeintlichen Überlegenheit erfreuen wollten!« Awdejs Verleumdungen erm;deten und emp;rten Kister. »Brechen wir doch dieses unangenehme Gespr;ch ab!« rief er endlich aus. »Offen gestanden, verstehe ich nicht, warum Sie mir die Ehre Ihres Besuches erwiesen haben!« »Sie verstehen nicht, warum ich zu Ihnen gekommen bin?« fragte Awdej neugierig. »Ich verstehe es absolut nicht.« »N ...nein?« »Ich sage Ihnen ja ...« »Sonderbar! Das ist wirklich sonderbar! Wer h;tte das von einem solchen klugen Menschen wie Sie erwartet!« »Nun, wollen Sie sich doch endlich erkl;ren!« »Ich komme zu Ihnen, Herr Kister«, sagte Awdej, sich langsam von seinem Platz erhebend, »ich komme zu Ihnen, um Sie zu einem Duell zu fordern, verstehen Sie es jetzt? Ich will mich mit Ihnen schlagen. Sie glaubten wohl, Sie k;nnten mich so einfach abfertigen? Wu;ten Sie denn nicht, mit wem Sie es zu tun hatten? H;tte ich es je erlaubt ...« »Sehr sch;n«, unterbrach ihn Kister kurz und k;hl. »Ich nehme die Forderung an. Wollen Sie mir Ihren Sekundanten schicken.« »Ja, ja«, fuhr Awdej fort, dem es wie einer Katze leid tat, sein Opfer so schnell zu verlassen. »Ich gestehe, es wird mir ein Vergn;gen sein, morgen den Lauf meiner Pistole auf Ihr ideales, blondes Haupt zu richten.« »Mir scheint, Sie wollen mich nach der Forderung noch beschimpfen«, entgegnete Kister mit Verachtung. »Wollen Sie bitte gehen. Ich mu; mich f;r Sie sch;men.« »Na ja, man kennt es ja: Delikatesse! ... Ja, Marja Ssergejewna, ich verstehe nicht Franz;sisch!« brummte Lutschkow, w;hrend er sich die M;tze aufsetzte, »Auf angenehmes Wiedersehen, Fjodor Fjodorowitsch!« Er gr;;te und entfernte sich. Kister ging einige Male durchs Zimmer. Sein Gesicht gl;hte, seine Brust hob und senkte sich m;chtig. Er empfand weder Angst noch Zorn, aber er ekelte sich vor dem Gedanken, da; er diesen Menschen einst f;r seinen Freund gehalten hatte. Der Gedanke an das Duell freute ihn beinahe. Sich auf einen Schlag von der ganzen Vergangenheit befreien, ;ber diesen einen Stein springen und dann den ruhigen Strom entlang schwimmen ... Sch;n, dachte er sich, ich werde mir mein Gl;ck erk;mpfen. Das Bild Maschas schien ihm zuzul;cheln und den Sieg zu verhei;en. Ich komme nicht um! Nein, ich komme nicht um! wiederholte er mit ruhigem L;cheln vor sich hin. Auf dem Tisch lag der Brief an seine Mutter ... Sein Herz krampfte sich f;r einen Augenblick zusammen. Er beschlo;, ihn f;r alle F;lle noch nicht abzuschicken. Kister empfand jene erh;hte Lebenskraft, die jeder Mensch vor einer Gefahr an sich wahrnimmt. Er ;berlegte sich ruhig die m;glichen Folgen des Zweikampfes, setzte sich und Mascha in Gedanken allen Pr;fungen des Ungl;cks und der Trennung aus und blickte hoffnungsvoll in die Zukunft. Er gab sich das Wort, Lutschkow nicht zu t;ten. Unwiderstehlich zog es ihn zu Mascha hin. Er suchte sich einen Sekundanten, brachte eilig seine Angelegenheiten in Ordnung und fuhr gleich nach dem Essen zu den Perekatows. W;hrend des ganzen Abends war Kister lustig, vielleicht viel zu lustig. Mascha spielte viel Klavier, hatte gar keine Vorahnungen und kokettierte mit ihm sehr nett. Ihre Sorglosigkeit tat ihm anfangs weh, dann fa;te er sie aber als ein g;nstiges Vorzeichen auf – er freute sich dar;ber und wurde ruhig. Sie hing von Tag zu Tag mehr an ihm; das Verlangen nach Gl;ck war in ihr st;rker als das Verlangen nach Leidenschaft. Auch hatte ihr Lutschkow alle ;bertriebenen Erwartungen ausgetrieben, und sie entsagte ihnen mit Freuden und f;r ewig. Nenila Makarjewna liebte Kister wie einen Sohn. Ssergej Ssergejewitsch folgte aus Gewohnheit dem Beispiel seiner Frau. »Auf Wiedersehen«, sagte Masch zu Kister, als sie ihn ins Vorzimmer begleitete und mit stillem L;cheln sah, wie er ihr z;rtlich und lange die H;nde k;;te. »Auf Wiedersehen.« Als er aber eine halbe Werst vom Hause der Perekatows entfernt war, erhob er sich in seinem Wagen und begann mit dunkler Unruhe nach erleuchteten Fenstern zu sp;hen. Aber das ganze Haus war schon dunkel wie ein Grab. Kap. 11 Am andern Tag, gegen elf Uhr fr;h, kam Kisters Sekundant, ein alter, verdienter Major, zu ihm, um ihn abzuholen. Der gute Alte brummte, kaute an seinem grauen Schnurrbart und w;nschte Awdej Iwanowitsch jedes Übel. Der Wagen fuhr vor. Kister ;bergab dem Major zwei Briefe: einen an die Mutter und einen an Mascha. »Wozu das?« »Man kann nicht wissen.« »Unsinn! Wir schie;en ihn nieder wie ein Rebhuhn.« »Es ist immerhin besser.« Der Major steckte sich ;rgerlich beide Briefe in die Seitentasche seines Waffenrocks. »Wir fahren.« Sie brachen auf. Im kleinen Wald, zwei Werst von Kirillowo, erwartete sie Lutschkow mit seinem Sekundanten und fr;heren Freund – dem parf;mierten Adjutanten. Das Wetter war herrlich, die V;gel zwitscherten friedlich; in der N;he des Waldes pfl;gte ein Bauer seinen Acker. W;hrend die Sekundanten die Distanz abma;en, die Barrieren absteckten und die Pistolen untersuchten und luden, sahen sich die Gegner gar nicht an. Kister ging mit sorglosem Ausdruck auf und ab und f;chelte mit einem abgerissenen Zweig; Awdej stand unbeweglich mit gekreuzten Armen und gerunzelten Brauen. Nun kam der entscheidende Augenblick. »Fangen Sie an, meine Herren!« Kister trat rasch an die Barriere, war aber noch keine f;nf Schritte gegangen, als Lutschkow schon scho;. Kister erzitterte, machte noch einen Schritt, wankte und senkte den Kopf ... Seine Knie knickten ein, er fiel wie ein Sack ins Gras. Der Major st;rzte auf ihn zu. »Ist es m;glich? ...« fl;sterte der Sterbende. Awdej n;herte sich dem Toten. Sein finsteres und abgemagertes Gesicht zeigte den Ausdruck eines w;tenden, erbitterten Mitleids. Er sah den Adjutanten und den Major an, senkte wie schuldbeladen den Kopf, stieg schweigend in den Sattel und ritt im Schritt zur Wohnung des Oberst. Mascha lebt noch heute. * * * Ende