Gespenster. Èâàí Ñåðãååâè÷ Òóðãåíåâ Der Schlaf wollte nicht kommen und unabl;ssig ;lzte ich mich von der einen Seite auf die andere. Der Teufel hole diesen Unsinn! Tischr;cken!, dachte ich. Das zerr;ttet einem nur die Nerven... Aber schlie;lich begann der Schlaf mich zu ;bermannen... Da war mir pl;tzlich, als t;ne in meinem Zimmer sanft und klagend ein Saitenklang. Ich hob den Kopf. Der Mond war eben erst aufgegangen und schien mir gerade ins Gesicht. Wei; wie Kreide lag sein Licht auf dem Fu;boden... und vernehmbar erklang der sonderbare Ton aufs Neue... Ich richtete mich auf. Eine kleine Angst zuckte durch mein Herz. - So verging eine Minute und noch eine... Irgendwo ferne kr;hte ein Hahn und ein anderer, noch weiter entfernt anwortete. Mein Kopf sank auf das Kissen zur;ck... Es ist weit mit mir gekommen, dachte ich: Es fehlt nur noch das Ohrensausen. Gleich darauf muss ich wohl eingeschlafen sein, oder vielleicht kam es mir auch nur so vor, als ob ich einschliefe. Ich hatte einen ungew;hnlichen Traum. Mir tr;umte, ich l;ge in meinem Schlafzimmer auf meinem Bett - und k;nnte nicht schlafen und nicht einmal die Augen schlie;en. Wieder der Ton... Ich drehte mich um... Der Mondschein auf dem Fu;boden gleitet langsam in die H;he, nimmt Gestalt an und gewinnt an seinem oberen Ende eine leichte Rundung... und pl;tzlich steht unbeweglich, durchsichtig wie Nebel, eine wei;e Frau vor mir. "Wer bist du?" Die Frage kostet mich gro;e M;he. Wie ein leises Rauschen von Bl;ttern vernehme ich die Stimme: "Ich bin's... ich... ich... Ich kam dich holen." "Mich holen? Wer bist du?" "Komm nachts zur Waldecke, wo die alte Eiche steht. Dort wirst du mich finden." Aber bevor ich noch die Z;ge der geheimnisvollen Frau gesehen habe, muss ich unwillk;rlich schaudern: eine K;lte fuhr ;ber mich hin. Auch liege ich nicht mehr; ich sitze schon aufrecht auf meinem Bett. Dort aber, wo, wie mir schien, das Gespenst gestanden, schimmert auf dem Fu;boden in breiten Streifen der Mond. *** Irgendwie verging der n;chste Tag. Ich wei; noch, ich versuchte zu lesen und zu arbeiten... es ging nicht. Die Nacht kam. Mein Herz pochte, als erwarte es jemand. Ich ging zu Bett und drehte mich zur Wand. "Warum kamst du nicht?" scholl durch mein Zimmer vernehmbar ein Fl;stern. Ich fuhr herum. Wieder war es sie... wieder das r;tselhafte Gespenst: starre Augen, starres Gesicht und der Blick voller Trauer. "Komm!" fl;sterte es aufs neue. "Ich werde kommen", entgegnete ich, und es ;berlief mich. Der Schatten glitt leise nach vorn und verglitt sanft wogend wie Rauch - und wieder lag auf dem ebenen Fu;boden schimmernd nur der wei;e Mond. *** Aufgeregt verbrachte ich den folgenden Tag. Zum Abendessen trank ich Wein, fast eine ganze Flasche, dann ging ich auf die Terrasse, aber ich blieb dort nicht lange und warf mich auf mein Bett. Mein Blut schlug schwer. Wieder der Ton... Ich erbebte, aber ich wendete mich nicht um. Da umschlang es mich eng von hinten, und wie ein Hauch drang es in mein Ohr: "Komm, komm, komm ..." Ich erbete vor Grauen, ich st;hnte nur: "Ich werde kommen!" und richtete mich auf. Am Kopfende meines Bettes stand, ;ber mich gebeugt, die Frau. Ein leichtes L;cheln, sie verschwand. Diesmal aber hatte ich ihr Gesicht erblickt. Hatte ich es nicht schon fr;her bereits gesehen? Wo war das? und wann? Sp;t stand ich auf und strich tags;ber durch die Felder, ich kam auch zu der alten Eiche am Waldrand und sah mich aufmerksam um. Als es auf den Abend ging, sa; ich lange in meinem Arbeitszimmer am offenen Fenster. Meine alte Haush;lterin brachte mir ein Glas Tee - aber ich trank keinen Schluck... Mich besch;ftigte nur ein Gedanke: Bin ich von Sinnen oder nicht? Die Sonne ging derweil unter, nicht nur der Himmel loderte auf - auch die ganze Luft war mit einem Male von einem fast ;bernat;rlichen Purpur ges;ttigt. Regungslos ruhten Gras und Blatt, und ein Glanz lag auf ihnen, als ;ren sie mit frischem Lack ;berzogen; aber in ihrer versteinerten Unbeweglichkeit, in der grellen Sch;rfe ihrer Konturen, in dieser Vereinigung heftigen Leuchtens und toter Ruhe war etwas sehr Sonderbares und R;tselhaftes. Ein gro;er grauer Vogel lies sich lautlos herab und setzte sich auf den ;u;ersten Rand des Fensterbrettes... Ich sah ihn an, und auch er musterte mich von der Seite mit seinen runden und dunklen Augen. Bist du vielleicht abgesandt, mich zu mahnen? ging es mir durch den Kopf. Da schwang der Vogel seine weichen Fl;gel und flog lautlos fort, wie er gekommen. Aber lange noch blieb ich am Fenster - und doch war kein Überlegen in mir: ich war, so schien es, in einen Zauberkreis geraten, wie ein Boot, das lange vor dem Wasserfall schon von der Str;mung ergriffen wird, so riss auch mich eine sanfte und un;berwindliche Kraft mit fort. Endlich fuhr ich auf. Aus der Luft war der Purpur schon v;llig verschwunden, die Farben waren dunkler geworden und die verzauberte Stille schon lange dahin. Ein Wind spielte, am dunkelblauen Himmel ging hell der Mond auf, und in seinen kalten Strahlen funkelten silbern und schwarz die Bl;tter der B;ume. Die gute Alte betrat mein Zimmer mit einer Kerze, aber da wehte es durchs Fenster und l;schte das Licht aus. Ich konnte es nicht l;nger ertragen, ich sprang auf, st;lpte die M;tze auf und begab mich zur Waldecke hin, zur alten Eiche. *** Vor vielen Jahren schlug einmal der Blitz in diese Eiche; doch brach auch ihr Wipfel ab und verdorrte er, so blieb ihr dennoch Lebenskraft auf Jahrhunderte hinaus. Als ich mich ihr n;herte, trat der Mond gerade hinter ein kleines W;lkchen: tiefes Dunkel herrschte unter den breiten Zweigen. Ich konnte nichts besonderes gewahren... aber wie sank mir das Herz, als ich dann zur Seite blickte: denn zwischen Wald und Eiche stand regungslos neben einem hohen Strauch eine wei;e Gestalt. Mein Haar begann sich zu str;uben, doch ich nahm mich zusammen und n;herte mich dem Walde. Ja, sie war es, der Gast meiner N;chte. Als ich n;her trat, kam der Mond wieder hervor. Es war, als sei sie ganz aus milchigem Nebel gesponnen. Durch ihr Gesicht hindurch sah ich einen Zweig, leise im Winde gewiegt, und nur ihre Augen und das Haar dunkelten kaum bemerkbar, und an einem Finger der gefalteten H;nde blitzte ein schmaler goldener Ring. Ich machte vor ihr halt und wollte sprechen, aber ich konnte keinen Ton hervorbringen, obwohl ich eigentlich nicht l;nger Furcht empfand. Die Augen waren auf mich gerichtet, doch weder Kummer war in ihnen noch Freude, nichts als eine sonderbare und leblose Aufmerksamkeit. Ich wartete, ob nicht ein Wort von ihr kommen w;rde, aber sie blieb, wie sie war: reglos und stumm, und immer noch war ihr toter und pr;fender Blick starr auf mich gerichtet... Und wieder kam das Grauen ;ber mich. "Ich bin da!" rief ich endlich mit letzter Kraft. Meine Stimme klang sonderbar fremd und hohl. "Ich liebe dich", fl;sterte es. "Du liebst mich?" wiederholte ich erstaunt. "Gib dich hin", sagte es von neuem. "Mich hingeben? Dir, einem Schatten, der keinen K;rper hat?" Eine eigent;mliche Entr;cktheit gewann Macht ;ber mich: "Woraus bestehst du eigentlich, aus Rauch, aus Luft, aus Nebel? Mich dir hingeben! Sage mir zuvor, wer du bist! Sage mir, ob du vormals auf Erden lebtest und woher du kommst!" "Gib dich hin. Ich werde dir nichts B;ses antun. Sprich nur diese Worte: Nimm mich hin!" Ich blickte sie an. - Was sagte sie da? ;berlegte ich. Was soll das alles? Wie will sie mich hinnehmen? Oder versuche ich's doch am Ende? "Also gut." Ich sprach es - und sprach unerwartet laut, fast so als h;tte jemand, der hinter mir st;nde, mir Mut gemacht: "Nimm mich hin!" Die Worte waren kaum gesprochen, da glitt die r;tselhafte Gestalt mit einem seltsamen inneren Lachen, von dem f;r eine Sekunde auch ihr Gesicht bewegt wurde, schnell auf mich zu, hob die Arme und streckte sie nach mir aus... Ich prallte zur;ck, aber es war zu sp;t, denn ich war bereits in ihrer Gewalt. Sie umfing mich, und schon war mein K;rper eine halbe Elle ;ber dem Erdboden. Schon schwebten wir ;ber dem unbewegten, nassen Gras. *** Anfangs schwindelte mir, und unwillk;rlich schloss ich die Augen... Doch ich ;ffnete sie schon nach wenigen Sekunden. Der Wald war verschwunden: unter uns breitete sich mit dunklen Flecken bes;te Ebene. Schaudernd wurde ich gewahr, dass wir uns in gro;er H;he befanden. Verloren bin ich, ich bin in der Gewalt Satans! fuhr es mir wie ein Blitz durch den Kopf. Denn bis dahin war mir keinerlei Gedanke an eine Versuchung der H;lle gekommen oder gar an die M;glichkeit des Verderbens. Immer noch schossen wir dahin, und es war, als erreichten wir immer h;here H;hen. "Wohin bringst du mich?" entrang sich mir ein St;hnen. "Wohin es dir gef;llt", entgegnete meine Begleiterin. Eng schmiegte sie sich an mich, ihr Gesicht lehnte fast an dem meinen. Übrigens sp;rte ich diese Ber;hrung kaum. "Lass mich wieder auf die Erde zur;ck, ich kann diese H;he nicht ertragen." "Gut, aber schlie;e die Augen und atme nicht." Ich tat's - und f;hlte sogleich, dass ich st;rzte, wie ein Stein st;rzt... Wind pfiff durch mein Haar. Als ich wieder zu mir kam, schwebten wir sanft ;ber dem Erdboden dahin, so niedrig, dass wir die Spitzen der hohen Gr;ser ber;hrten. "Lass mich nieder!" bat ich. Meine Begleiterin wendete sich leicht zur Seite, und ich stand. Sie hielt vor mir und faltete die H;nde. Nach und nach wurde ich ruhiger und sah sie an.: dem;tige Trauer lag auf ihrem Gesicht wie zuvor. "Wo sind wir?" fragte ich. Die Gegend war mir unbekannt. "Fern von deinem Hause, aber ein Augenblick, und du kannst dort sein." "Doch wie? Muss ich mich wieder dir anvertrauen?" "Ich tat dir ja nichts B;ses und werde dir nichts B;ses tun. Fliegen wir, bis es tagt! mehr will ich nicht. Ich kann dich hintragen, wohin es dich gel;stet - kein Land der Erde ist zu weit. Gib dich hin! Sag mir von neuem: Nimm mich in!" "Also dann... nimm mich hin!" Und wieder schmiegte sie sich an mich, meinen F;;en entglitt der Boden, und wir flogen. *** Wundervoll war es, den Wald von oben zu sehen. Sein stachliger R;cken schimmerte im Mondlicht. Er lag unter uns wie ein gro;es schlafendes Tier, und sein weites ununterbrochenes Rauschen, das fast wie ein undeutliches Murren klang, folgte unserem Flug. Hier und da passierten wir eine kleine Lichtung, und wie sch;n es dunkelte immer auf der einen Site der zackige Rand des Schattens... Ab und zu klagte unten ein Hase, oben schrie eine Eule, ebenso klagend. Es roch nach Pilzen, Knospen und Sumpfgr;sern. Kaltes und strenges Mondlicht ;berflutete die Welt, und zu unseren H;uptern funkelte das Sternbild des Wagens. Nun lag der Wald hinter uns, vor uns im freien Felde schwebte ein Nebelstreifen, der Fluss. Wir folgen l;ngs seinem Ufer hin, ;ber B;schen, die schwer und regungslos waren von Feuchtigkeit. Die Wellen des Flusses glitzerten in blauem Glanz. Zuweilen wogte seltsam ein d;nner Dunst ;ber ihnen - und keusch und herrlich schimmerten die Kelche der Wasserlilien. Langsam gew;hnte ich mich an die Empfindung des Fliegens, und nach und nach machte es mir sogar Spa;: jeder, der einmal im Traume geflogen ist, wird mich gewiss verstehen. Und nun erst schickte ich mich an, das sonderbare Wesen, das die Ursache dieser unglaubw;rdigen Ereignisse war, mit gr;;erer Aufmerksamkeit zu mustern... *** Es war eine Frau mit einem kleinen und gar nicht russischen Gesicht. Wei; mir einem grauen Grundton und halb durchsichtig mit kaum wahrnehmbarer Schattierung, erinnerte es an Figuren auf einer von innen erleuchteten Alabastervase - und wiederum kam es mir bekannt vor. "Ist es erlaubt, mit dir zu sprechen?" fragte ich. "Sprich." "Ein Ring ist an deinem Finger; dann lebtest du also bereits auf Erden und warst verheiratet?" Ich verstummte... keine Antwort. "Wie hei;t du - oder wie hast du gehei;en?" "Nenne mich Ellis." "Ellis! Hast du mich fr;her gekannt?" "Nein." "Warum kamst du dann zu mir?" "Ich liebe dich." "Ellis", rief ich pl;tzlich, "vielleicht bist du eine arme s;ndige Seele?" Der Kopf meiner Gef;hrtin neigte sich zur Seite. "Ich kann dich nicht verstehen", raunte sie. "Im Namen Gottes ...", begann ich. "Was sagst du da?" murmelte sie erstaunt. "Ich kann dich nicht verstehen." Aber mir war, als ob der Arm, der wie ein kalter G;rtel mich umschlang, sich ein wenig lockerte... "Keine Angst", sprach Ellis. "Keine Angst, Geliebter!" Sie wendet mir voll das Gesicht zu und n;herte es dem meinen... Auf meinen Lippen war eine sonderbare Empfindung, wie die Ber;hrung eines feinen und weichen Stachels... *** Ich blickte nach unten. Wir waren in betr;chtlicher H;he ;ber einer mir unbekannten Provinzstadt, die am Abhang eines breiten H;gels lag. Aus der dunklen Masse der Holzd;cher und Obstg;rten ragten Kircht;rme. Schwarz lag ;ber der Flussbiegung eine lange Br;cke. All das schwieg in tiefem Schlaf. Selbst die Kuppeln und die Kreuze funkelten im schweigsamen Glanz, schweigsam ragten die hohen Brunnenstangen, umgeben von runden Weidenb;schen, schweigsam drang der feine Pfeil der bleichen Landstra;e auf der einen Seite in die Stadt ein, und schweigsam eilte er auf der gegen;berliegenden Seite in die schattenhafte Weite der einf;rmigen Felder hinaus. "Wie hei;t diese Stadt?" fragte ich. "...ssow." "Im ...schen Gouvernement?" "Ja." "So weit bin ich von zu Hause?" "F;r uns gibt es keine Entfernungen." "Tats;chlich?" Wie ein Rausch flammte es in mir auf: "Dann bringe mich nach S;damerika!" "Dorthin kann ich nicht. Dort ist jetzt Tag." "Gleichviel, wohin es geht - nur m;glichst weit." "Schlie;e deine Augen und atme nicht", sagte Ellis, und wie ein Orkan rasten wir dahin. Die Luft fegte mit bet;ubendem Rauschen an mein Ohr. Wir hielten, aber der L;rm h;rte nicht auf. Im Gegenteil: ein drohendes Br;llen war es jetzt, ein donnerndes Heulen. "Du kannst die Augen ;ffnen", sagte Ellis. *** Ich gehorchte... Mein Gott, wo waren wir? Uns zu H;upten schwere rauchgraue Wolken, sie dr;ngten sich, sie rannten wie ein Herde w;tender Ungeheuer... Uns zu F;;en aber war ein zweites Ungeheuer: das tosende, tosende Meer... Wei;e Gischt spr;ht empor und schwillt kochend zu kleinen H;geln auf, rasende Wogen krachen an die riesige, pechschwarze Klippe. Das Heulen des Sturmes, der eiskalte Atem des aufger;hrten Abgrundes, das schwere Donnern der Brandung, das bald wie ein klagevolles Jammern, bald wie Kanonengebr;ll und bald wie Glockenton schallt - das zerrei;ende Kreischen und Knirschen der Steine am Ufer, der j;he Schrei einer unsichtbaren M;we, das schwarze Gerippe eines gescheiterten Schiffes am verh;ngten Horizont - in allem Tod, Tod in allem und Grauen... "Was ist dies? Wo sind wir?" "Auf dem S;dufer der Insel Wight, auf dem Vorgebirge Blackgant, an dem so h;ufig die Schiffe zerschellen", entgegnete Ellis. Diesmal sprach sie mit besonderer Deutlichkeit, und es war etwas wie Schadenfreude in ihren Worten, wie mir scheinen wollte... "So trage mich fort, fort von hier... nach Hause! Nach Hause!" Ich presste die H;nde vors Gesicht, und schon sp;rte ich, wie wir noch schneller als zuvor dahin schossen: Das Ger;usch des Windes war kein Heulen mehr, kein Pfeifen - er winselte in meinem Haar, winselte in meinen Kleidern... mir verschlag es den Atem... "So steh doch!" Ellis rief es. Ich gab mir alle erdenkliche M;he, mich zusammenzurei;en und wieder zur Besinnung zu kommen... Unter mir war fester Boden, und kein Laut war h;rbar, als ;re alles Leben ringsum erstorben... aber das Blut h;mmerte immer noch ungleichm;;igen Schlages in meinem Schl;fen, und im Kopfe sauste es mir. Endlich richtete ich mich auf und ;ffnete die Augen. *** Der Ufersaum meines Teiches! Gerade vor mir schimmerte seine breite Fl;che durch die spitzen Bl;tter des Weidengeb;schs, und auf dem Wasser lagen noch hie und da flaumige Nebelschwaden. Rechts von ihm leuchtete in mattem Glanz das Roggenfeld, zur linken Seite aber ragten die B;ume meines Gartens regungslos und schlank empor und schienen nass zu sein... Morgenluft hatte sie angeweht. Am Grau des reinen Himmels zogen einige W;lkchen wie Streifen Rauch hin, ein kaum merkliches Gelb spielte auf ihnen, der erste leise Widerschein der Morgend;mmerung. Die Sterne erloschen, es r;hrte sich nichts, obwohl in der verzauberten Stille des ersten Zwielichts alles Leben sich bereits zu regen begann. "Der Morgen! Der Morgen ist da!" rief Ellis dicht an meinem Ohr: "Leb wohl! Auf morgen!" Ich fuhr herum .. Sie schwebte sanft empor und vorbei - und mit einem Male warf sie beide Arme nach oben. Im gleichen Augenblick nahmen Kopf, Arme und Schultern die warme Farbe des irdischen Leibes an, lebendige Lichter schimmerten in ihren dunklen Augen, und ein s;;es, verschwiegenes L;cheln bewegte ihre bl;henden Lippen... Die sch;nste Frau war pl;tzlich vor mir... Gleich darauf aber sank sie, als wenn sie in Ohnmacht fiele, zur;ck und zerging wie ein Hauch. Als ich mich wieder gesammelt hatte und mich umsah, war mir, als sei der Rosenton, in dem die Erscheinung aufgebl;ht war immer noch da, als erf;lle er jetzt die Luft und umg;be mich von allen Seiten... Es war die Morgenr;te. Pl;tzlich ;berkam mich die ;u;erste Ersch;pfung, und ich begab mich ins Haus. Ich musste am Gefl;gelhof vor;ber und h;rte dort das Morgengeschnatter der Gansk;ken (von allem Gefl;gel werden sie am fr;hesten wach); l;ngs des Dachfirstes hockten Dohlen, die sich scharf vom milchwei;en Himmel abhoben, und putzten sich stumm, aber gesch;ftig. Zuweilen stiegen sie alle zugleich auf, flatterten ein wenig und lie;en sich dann alle in der gleichen Ordnung nieder, und alles ohne einen Laut... Aus dem nahen ;ldchen drang zweimal das heisere Morgenknarren des Auerhahns, der sich soeben in das taufrische Gras begeben hatte, um Waldbeeren zu suchen... Ich erreichte mein Bett und fiel gleich darauf in tiefen Schlaf. *** In der folgenden Nacht schwebte Ellis, als ich mich der alten Eiche n;herte, mir wie einem vertrauten Bekannten entgegen. Ich f;rchtete mich nicht mehr vor ihr wie gestern. Ich war fast froh dar;ber, sie zu sehen, und ich versuchte nicht erst dar;ber nachzugr;beln, was in mir vorging: genug, dass ich den Wunsch hatte zu fliegen. Ihr Arm umschlang mich, und wieder schwangen wir dahin... "Nach Italien", fl;sterte ich ihr ins Ohr. "Wohin es dir gef;llt, Geliebter", entgegnete sie still und feierlich - und feierlich und still sah sie mir ins Gesicht. Mir wollte scheinen, sie ;re nicht ganz so durchsichtig wie gestern. Sie war ein wenig weiblicher und ;rmer und erinnerte mich an das wunderbare Gesch;pf, das gestern, als wir um die Morgend;mmerung voneinander schieden, vor mir entstanden war. "Diese Nacht ist eine gro;e Nacht", fuhr Ellis fort: "Sie kommt selten, und nur wenn siebenmal dreizehn ..." Die folgenden Worte konnte ich nicht h;ren. "Heute wird sichtbar, was sonst verborgen bleibt." "Ellis!" rief ich flehend: "Wer bist du? Sage es mir endlich!" Schweigend wies sie mit ihrem schlanken wei;en Arm nach oben. Am dunklen Himmel funkelte dort, wohin der Finger zeigte, inmitten der Schar der kleinen Sterne wie ein roter Streif ein Komet. Aber da lag Ellis' Hand auf meinen Augen... Mir war, als umfinge mich der wei;e Nebel eines feuchten Tales... "Nach Italien! Nach Italien!" h;rte ich sie fl;stern. "Diese Nacht ist eine gro;e Nacht!" *** Als der Nebel schwand, sah ich deutlich eine unendliche Ebene unter mir. Die warme und linde Luft, die um meine Wangen wehte, k;ndigte mir bereits an, dass ich nicht mehr in Russland war, und auch die Ebene dort unten war anders als die russischen Ebenen. Es war eine riesenhafte, dunkle Fl;che, auf der, wie es schien, kein Gras wuchs und die v;llig nackt war; hie und da gl;nzten stehende Ge;sser wie kleine Scherben eines zertr;mmerten Spiegels auf, und in der Ferne ahnte ich ungewiss das unh;rbare, unbewegte Meer. Sterne, gro; wie ich sie nie zuvor erblickt hatte, brachen durch die sch;n geformten Wolken; ein tausendstimmiges, nicht enden wollendes und dennoch nicht lautes Trillern drang empor - wunderbar war dieser tr;umerische Klang, diese Nachtstimme der W;ste... "Die Pontinischen S;mpfe", erkl;rte Ellis. "Warum brachtest du mich hierher, warum diese traurige und verlassene Ein;de? Fliegen wir nach Rom." "Rom ist nah", erwiderte Ellis: "Mach dich bereit!" Wir stie;en hinab und flogen nun entlang der alten R;merstra;e. Im Morast hob ein B;ffel den gewaltigen Kopf mit dem kurzen borstigen Kraushaar zwischen den krummen, zur;ckgebogenen H;rnern. Seine nassen N;stern schnaubten schwer, als h;tte er uns gewittert. "Rom. Rom ist nah ...", fl;sterte Ellis. "Schau nur, schau nach vorn ..." Ich blickte auf. Da dunkelten am Horizont des n;chtlichen Himmels die hohen Bogen einer gigantischen Br;cke. Es war der alte Aqu;dukt. Rings dehnte sich der Campagna geheiligter Boden, und in der Ferne ragten die Berge von Albano. Ihre Gipfel schimmerten sanft in den Strahlen des aufgehenden Mondes. J;h ging es in die H;he, und wir hielten in der Luft vor einer verlassenen Ruine. Keiner h;tte sagen k;nnen, was hier fr;her einmal gewesen war: ein Grabmal, ein Palast oder ein Turm... Schwarzer Efeu umspann und ;berrankte die Ruine mit seiner alles ;berwindenden und ert;tenden Kraft, unten aber g;hnte wie ein Rachen ein halbversch;ttetes Gew;lbe. Ein schwerer und dumpfer Kellergeruch wehte von diesem Haufen eng ineinandergef;gter Steine, von denen l;ngst die Granitverkleidung abgebr;ckelt war. "Hier", rief Ellis und erhob den Arm. "Hier ist es! Sprich ihn laut aus, dreimal laut aus, den Namen eines gro;en R;mers." "Und dann?" "Du wirst sehen." Ich ;berlegte. "Divus Cajus Julius Caesar!" rief ich dann. "Divus Cajus Julius Caesar!" wiederholte ich langsam. "Caesar!" *** Der Hall meiner Worte war noch nicht verstummt, da vernahm ich es... Ich wei; nicht zu sagen, was es war. Anfangs war es wie ein wirres, kaum vernehmbares, aber unaufh;rlich sich wiederholendes H;rnerblasen und H;ndeklatschen. Es war gleichsam, als ob in einer furchtbaren Ferne oder in einem bodenlosen Abgrund eine unz;hlige Menge von Menschen pl;tzlich in Fluss geraten sei und als stiege sie nun empor, stiege auf;rts in unabl;ssiger Bewegung, und all das kaum h;rbar, wie in einem Traum, einem lastenden, jahrtausende altem Traum. Schon begann die Luft zu wogen, und dunkler wurde es ;ber der Ruine... Schatten wirbelten rings um mich her, Tausende von Schatten, bald gerundet wie Helme, bald lang und spitz wie Speere; und auf diesen Helmen und Lanzen glitzerte das Mondlicht mit blitzartigen bl;ulichen Funken - und diese ganze unbeschreibliche Menge zog n;her und n;her heran und wuchs und wogte immer gewaltiger... Eine uns;gliche Spannung, eine Spannung, stark genug, um die Welt aus den Angeln zu heben, bewegte diese Masse, aber es gelang mir nicht, auch nur eine einzige Gestalt klar zu sehen... Mit einem Mal war mir, es ginge ein Beben durch die Menge, ganz so, als ob gigantische Wogen zur;ckprallten und sich verteilten... "Caesar, Caesar venit!" rauschten die Stimmen auf, wie Bl;tter im Walde, in die j;hlings der Sturm st;;t... ein dumpfer Donner rollte - und im Lorbeerkranz und mit gesenkten Augenlidern kam bleich und streng das Haupt des Imperators hinter der Ruine hervor .... Menschliche Sprache hat keine Ausr;cke f;r das Grauen, das mir das Herz zusammenpresste. Wenn dieses Haupt die Augen aufgeschlagen oder die Lippen ge;ffnet h;tte - ich ;re wohl auf der Stelle gestorben. "Ellis!" st;hnte ich. "Fort von hier, fort!" Hinter mir h;rte ich den ehernen, donnernden Schrei der Legion... und dann wurde alles dunkel. *** "Schau", sprach Ellis zu mir. "Schau und beruhige dich." Ich tat wie sie befohlen - und ich wei; es noch gut: so s;; war mein erster Eindruck, dass ich ein Seufzen nicht zu unterdr;cken vermochte. Von allen Seiten ergoss sich ein wolkig blauer und gleichzeitig silberweicher Schimmer, der fast wie ein Nebel war. Zun;chst konnte ich nichts unterscheiden, so sehr blendete mich dieser lasurene Glanz - aber nach und nach traten die Umrisse pr;chtiger Berge und ;lder hervor, ein See breitete sich unter mir aus, in seiner Tiefe flimmerte der Widerschein Sterne, und lieblich brandeten die kleinen Wellen. Orangenduft umgab mich wie eine wohlriechende Flut, und wie eine Flut umstr;mten mich die starken und reinen T;ne einer jungen Frauenstimme. Dieser Duft und dieser Klang zogen mich hinab - und ich sank nach unten... nach unten zu einem herrlichen Marmorpalast, der heiter inmitten eines Zypressenhaines gl;nzte. Die T;ne drangen aus seinen weit offenen Fenstern, an seinen Mauern pl;tscherten die von Bl;tenstaub bedeckten Fluten des Sees - und gerade gegen;ber stieg, vom dunklen Gr;n der Organen- und Lorbeerb;ume bedeckt, ;berstr;mt vom leuchtenden Nebel, ;bers;t mit wei;en Statuen, schlanken S;ulen und Tempelhallen, eine hohe, sanft gerundete Insel aus dem Scho;e des Wassers .... "Isola Bella!" bedeutete mir Ellis. "Lago Maggiore ..." Immer lauter, immer vernehmlicher klang die Frauenstimme. Ich wollte es erblicken, das Antlitz der S;ngerin, die mit solchen T;nen die Nacht erf;llte. Wir hielten vor dem Fenster. Das Zimmer war im pompeijanischen Geschmack gehalten und glich mehr einer antiken Tempelhalle als einem modernen Wohnraum, und inmitten dieses Raumes sa;, von griechischen Bildwerken und etruskischen Vasen, von seltenen Ge;chsen und teuren Geweben umgeben, eine junge Frau am Fl;gel. Sie sang. Sie sang und l;chelte, und dennoch lag auf ihren Z;gen ein gro;er Ernst, eine gewisse Strenge. Sie l;chelte... und es l;chelte der Faun des Praxiteles, der ebenso jung war wie sie, tr;ge, verw;hnt und woll;stig, er l;chelte ihr aus seiner Ecke zu, wo er hinter Oleanderb;schen verborgen stand, vor ihm auf altert;mlichem Dreifu; ein bronzenes R;ucherbecken, aus dem eine feine Rauchs;ule stieg. Bezaubert von den Kl;ngen, bet;rt von der Sch;nheit, dem Glanz und Wohlgeruch der Nacht, bis in die Tiefe des Herzens ersch;ttert vom Anblick dieses jungen, sanften und leuchtenden Gl;ckes, verga; ich v;llig, dass ich nicht allein war, verga;, auf wie seltsame Weise ich dazu gekommen war, Zuschauer dieses so weit entfernten und mir so fremden Lebens zu werden. Schon lag mir das Wort auf der Zunge... Mein K;rper erbete von einem heftigen Sto; - drohend und finster war bei all seiner Durchsichtigkeit Ellis' Gesicht, Zorn brannte d;ster in ihren weit aufgerissenen Augen .... "Fort!" kam es zischend von ihren Lippen - und wieder Sturm und Finsternis. Aber diesmal klang in meinen Ohren nicht der Schrei der Legionen, es sang in ihnen, tremulierend auf einer hohen Note, die Stimme der jungen S;ngerin... Die hohe Note t;nte immer noch und wollte nicht enden, und doch war es eine ganz andere Luft, die mich umgab, ein ganz anderer Geruch... Kr;ftige Frische wehte, als ;re ein gro;er Fluss in der N;he, und es roch nach Heu, nach Rauch und nach Hanf. Dem unendlich gedehnten Ton folgte ein anderer und ein dritter, und alle von einer so unbezweifelbaren Eigenart, alle mit diesen vertrauten Überg;ngen, dass ich mir sogleich sagte: "Ein Russe singt sein russisches Lied" - und da sah ich auch alles schon deutlich. *** Ein flaches Ufer... Die gem;hten Felder mit den riesenhaften Heuschobern verloren sich ins Unendliche, und ebenso endlos zog sich die glatte Fl;che des gro;en wasserreichen Stromes dahin. Unweit vom Ufer schaukelten sanft an ihren Ankerketten die gro;en dunklen Barken, und die Spitzen ihrer Mastb;ume bewegten sich dabei, als ;ren es Zeigefinger. Die klangvolle Stimme, die ich geh;rt hatte, kam von einer der Barken, ein Feuerchen brannte dort, und weithin im Wasser schwankte und bebte der rote Widerschein. Aber noch andere Feuer waren sowohl auf dem Fluss als auch im Feld zu sehen, nur dass das Auge nicht zu unterscheiden vermochte, ob sie fern waren oder nahe, bald zwinkerten sie flimmernd, bald wieder strahlten sie ruhig wie gro;e funkelnde Punkte; zahllose Grillen zirpten genauso unerm;dlich und so laut wie die Fr;sche in den Pontinischen S;mpfen - und am wolkenlosen, aber niedrigen und dunklen Himmel klangen die Schreie von unbekannten V;geln. "Wir sind in Russland?" fragte ich Ellis. Sie nickte. "Diese Nacht ist eine gro;e Nacht. Sie kommt nicht so bald wieder. Du wirst Zeuge sein ..." Mit einem Male ging es schr;g ;ber die Wolga, dicht ;ber dem Wasser, mit dem ruckweisen Flattern der Schwalben vor dem Sturm. Dumpf rauschten die schweren Wellen unter uns, und mit seinen kalten und heftigen Schwingen peitschte uns der scharfe Flusswind. Bald darauf tauchte das hohe rechte Ufer vor uns aus dem Dunkel auf. Die steilen H;hen und die tiefen Schluchten wurden sichtbar. Wir n;herten uns ihnen. "Rufe laut: Alle Mann an Bord!" fl;sterte mir Ellis zu. Zwar stieg alsbald in meiner Erinnerung das Grauen auf, das ich beim Erscheinen der r;mischen Gespenster empfunden hatte, zwar f;hlte ich mich m;de und sonderbar schwerm;tig, als wolle mir das Herz in der Brust vergehen - und ich wollte sie nicht aussprechen, diese Worte, denn ich ahnte, dass etwas Ungeheuerliches darauf erfolgen musste - allein es ;ffneten sich meine Lippen und gegen meinen Willen rief ich mit meiner schwachen und ;beranstrengten Stimme: "Alle Mann an Bord!" Wie vor der r;mischen Ruine, so herrschte auch hier anfangs eine Totenstille - dann aber dr;hnte pl;tzlich dicht neben meinem Ohr ein wildes und barbarisches Gel;chter - und st;hnend schlug etwas ins Wasser und zappelte und bekam keine Luft mehr... Ich blickte mich um: nirgends war etwas zu sehen. Aber da kam schon vom Ufer das Echo - und mit einem Male erhob sich von ;berall her ein bet;ubender L;rm, ein Chaos von Lauten: Schreine, Kreischen, w;tendes Schimpfen und Gel;chter, Gel;chter ;berm;;ig, Ruderschl;ge und Beilhiebe, Krachen, wie wenn T;ren und K;sten aufgebrochen werden, Knarren der Takellage und der R;der, Stampfen von Pferdehufen, Sturml;uten und Kettenrasseln, Toben und Heulen einer Feuersbrunst, trunkene Lieder und Knirschen der Erbitterung, trostloses Wimmern, jammerndes und verzweifeltes Flehen, und ;ber allem gebieterische Kommandos, das R;cheln der Sterbenden, verwegenes Pfeifen und Johlen und das Stampfen von Tanzenden... Ich wollte Ellis fragen, aber sie legte ihren Finger an die Lippen .... "Stenjka Rasin! Stenjka Rasin!" schrie es ringsum. "Unser V;terchen, unser Hauptmann, unser Ern;hrer!" Noch war nichts zu sehen, und doch war mir pl;tzlich, als bewege sich ein riesenhafter K;rper gerade auf mich zu... "Hund, wo steckst du?" donnerte eine schreckliche Stimme. Glut einer Flamme ganz in der N;he versengte mich fast, bitterer Brandgeruch raubte mir den Atem - und gleichzeitig schoss etwas Warmes, es k;nnte Blut sein, mir ins Gesicht und auf die H;nde... Wieherndes Gel;chter ringsum. Ich verlor die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, schwebten wir sanft am Rande meines Waldes gerade auf die alte Eiche zu... "Schau dort den Fu;weg", sagte Ellis, "dort, wo der Mond so matt leuchtet und die zwei jungen Birken ihre Zweige herabh;ngen lassen... Wollen wir nicht dorthin?" Aber ich war so zerschlagen und so v;llig ersch;pft, dass ich nur das eine zu antworten wusste: "Nach Hause... nach Hause ...." "Du bist zu Hause", erwiderte Ellis. In der Tat, ich stand vor der T;r meines Hauses und war allein. Ellis war verschwunden. Mein Hofhund lief herbei und beschnupperte mich, heulte dann auf und lief davon... Mit M;he und Not erreichte ich mein Bett und schlief ein, ohne mich erst auszuziehen. *** Entsetzliches Kopfweh plagte mich am n;chsten Morgen, und ich konnte kaum meine Beine bewegen. Ich rief nach der alten Haush;lterin. "Marfa, wie sp;t war es, als ich gestern schlafen ging - kannst du dich erinnern?" "Wei;t es selbst am besten, V;terchen. Sp;t war's! Um die Abendd;mmerung verlie;est du das Haus und lange nach Mitternacht erst h;rte ich im Schlafzimmer deine Schuhe klappern. Fast in der Morgenfr;he, ja, ja. Und vorgestern war's genauso. Ja, ja, da macht dir wohl was zu schaffen." Aha, fuhr es mir durch den Kopf, das ist das Fliegen. Da gibt's also keinen Zweifel mehr. "Und was h;ltst du von meinem Aussehen heute?" f;gte ich laut hinzu. "Dein Aussehen? Lass dich anschauen! Etwas schm;ler. Und blass bist du, V;terchen: kein Blutstropfen mehr im Gesicht." Es durchfuhr mich... Ich schickte sie weg. So kann man unversehens verr;ckt werden, ;berlegt ich, still am Fenster sitzend. Ich muss dem ein Ende machen. Es ist zu gef;hrlich. Das Herz pocht so eigent;mlich, und wenn ich fliege, dann ist mir jedes Mal, als sauge jemand daran oder als tropfe etwas aus ihm heraus - so wie im Fr;hling der Saft aus der Birke quillt, wenn man mit der Axt hineinschl;gt. Ellis... Sie spielt mit mir, wie eine Katze mit der Maus... aber ich glaube nicht, dass sie B;ses mit mir vorhat. Ich will mich ihr zum letzten Mal hingeben - noch einmal schauen - und dann... Um zehn Uhr abends stand ich wieder vor der alten Eiche. *** Kalt war die Nacht, tr;be und grau, und in der Luft roch es nach Regen. Ich war sehr verwundert, als ich niemand unter der Eiche sah, ich ging einige Male um sie herum, schritt dann bis zum Waldrand und wieder zur;ck und schaute aufmerksam ins dunkel … Aber es war nichts zu sehen. Ich wartete ein wenig und rief dann mehrere Male ihren Namen, rief ihn lauter und immer lauter … und dennoch erschien sie nicht. Ich wurde traurig, und es tat mir fast weh. Die Bef;rchtungen, die mir zuvor in den Kopf gekommen, waren jetzt fort, und ich wollte und konnte mich nicht an den Gedanken gew;hnen, dass meine Gef;hrtin nie wieder zu mir zur;ckkehren w;rde … "Ellis! Ellis! Erscheine!" rief ich zum letzten Mal. Meine Stimme hatte einen Raben aus seinem Schlaf gest;rt, er fuhr im Wipfel eines danebenstehenden Baumes hin und her und schlug heftig mit den Fl;geln. Aber Ellis kam nicht. Ich lie; den Kopf h;ngen und ging heim. Vor mir dunkelten schon die Weidenb;sche am Teich, und durch die Apfelb;ume schimmerte das Licht in meinem Zimmer und verschwand gelegentlich, fast wie ein Menschenauge, das auf der Lauer war – da h;rte ich pl;tzlich das feine Zischen der Luft, die mit gro;er Schnelligkeit durchschnitten wird, und j;h umfing es mich und riss mich in die H;he: So st;;t ein Falke hernieder und schl;gt die Wachtel … Ellis war es, ihre Wange schmiegte sich an die meine, der Ring ihrer Arme umfing meinen K;rper – und wie ein kalter, scharfer Lufthauch stach ihr Fl;stern in mein Ohr: "Da bin ich ja." Schreck und Freude erf;llten mich zu gleicher Zeit … Wir flogen diesmal nicht so hoch wie sonst. "Wolltest du heute nicht kommen?" fragte ich. "Du hast dich nach mir gesehnt? Du liebst mich? Oh, dann bist du mein ...!" Ihre Worte verst;rten mich... Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. "Ich wurde aufgehalten", fuhr sie fort. "Man bewacht mich." "Wer konnte dich aufhalten?" "Wohin heute?" fragte Ellis, wie immer gab sie auf meine Frage keine Antwort. "Nach Italien, zu jenem See - wei;t du noch?" Ellis wendete sich ab und sch;ttelte verneinend den Kopf... Und da bemerkte ich, dass sie nicht mehr durchsichtig war. Auch ihr Gesicht hatte Farbe bekommen; ;ber der nebelgleichen Bl;sse spiegelte jetzt ein rosiger Hauch. Ich sah ihr in die Augen... und da ;berlief es mich: In diesem Augen regte sich etwas, das den langsamen, unaufhaltsamen und gef;hrlichen Bewegungen einer erstarrten und zusammengeringelt liegenden Schlange glich, die im warmen Atem der Sonne aufzuleben beginnt. "Ellis!" Ich schrie es fast. "Wer bist du? Sag mir endlich, wer du bist!" Aber Ellis zuckte nur die Achseln. Ich ;rgerte mich... und mir kam der Wunsch, mich zu r;chen - und mit dem Gedanken sie zu veranlassen, mit mir nach Paris zu fliegen. "Ellis", sagte ich laut, "wie ist es, f;rchtest du die gro;en St;dte, f;rchtest du Paris?" "Nein." "Auch die Pl;tze nicht, wo es so hell ist wie auf den Boulevards?" "Es ist ja kein Tageslicht." "Dann bringe mich zum Boulevard des Italiens." Ellis schlang das herabh;ngende Ende ihres weiten Ärmels um meinen Kopf. Ein wei;es Dunkel umfing mich und mit ihm der einschl;fernde Geruch des Mohns. Alles war fort; jedes Licht, jeder Laut und fast sogar das Bewusstsein. Nur die Empfindung, dass ich noch lebte, blieb zur;ck, und das war nicht unangenehm. Als Ellis meinen Kopf aus dem Ärmel befreite, erblickte ich tief unten eine unbeschreibliche Menge auf kleinem Raum aneinander gedr;ngter Geb;ude, und alles voll Glanz, voll Bewegung und L;rm... Paris. Ich erkannte den Ort, auf den Ellis zuflog, sofort. Der Garten der Tuilerien war es, mit seinen alten Kastanienb;umen, den Eisengittern und Festungsgr;ben. Wir flogen am Palast vor;ber und an der Kirche St. Roch, auf deren Stufen der erste Napoleon zum ersten Male franz;sisches Blut vergoss, und hielten schlie;lich in gro;er H;he ;ber dem Boulevard des Italiens, wo der dritte Napoleon das gleiche mit dem gleichen Erfolg unternommen hatte... Menschenmengen wogten auf den Trottoirs, junge und alte Gecken, Blusenm;nner und Damen in sch;nen Kleidern; die Restaurants und die Kaffeeh;user strahlten in buntem Licht, Omnibusse und Wagen aller Art und Form schossen dahin, und ;berall, wohin der Blick auch fiel, war Glanz und Leben... Dennoch, wie sonderbar, es fiel mir nicht ein, meine reine, dunkle und luftige H;he zu verlassen, und ich versp;rte gar keinen Wunsch in mir, mich diesem menschlichen Ameisenhaufen zu n;hern. Es war mir, als stiege von dort ein hei;er, schwerer, blutroter Dampf auf, halb Parf;m und halb Gestank: zu viele Leben dr;ngten sich hier an einem Platz. Ich zauderte... Da erreichte mich in meiner H;he die Stimme einer Stra;en-Lorette, grell wie das Klirren von Eisen auf Eisen, schamlos und kreischend, und stach mich wie der Stachel eines widerlichen Insekts, und sogleich stellte ich es mir vor, das starre, gierige und flache Pariser Gesicht mit den Augen des Geizes und all die Schminken und Salben, das hochgesteckte Haar und den knalligen Strau; aus k;nstlichen Blumen am Hut, die wie Krallen geschnittenen Fingern;gel... Und sogleich sah mein inneres Auge auch einen meiner Steppen-Landsleute mit l;cherlichen Spr;ngen dieser k;uflichen Puppe nachlaufen. Ich sah ihn, wie er, seine Verlegenheit durch konfuse Grobheit kaschierend, sich alle M;he gab, die Manieren der Gracons zu kopieren - und ein Gef;hl des Abscheus kam ;ber mich... Nein, hier brauchte Ellis auf niemanden eifers;chtig sein... Wir hatten uns inzwischen langsam gesenkt... Paris b;umte sich uns mit all seinem L;rm und Qualm entgegen... "Halt!" rief ich Ellis zu. "Kannst du diese Sch;le ertragen?" "Du batest mich doch, dich hierherzubringen!" "Ich nehme den Wunsch zur;ck. Ich bitte dich Ellis, trage mich fort von hier!" "Schau nur", entgegnete Ellis, "wir sind schon gar nicht mehr ;ber Paris." Und so war es. Eine dunkle Ebene, durchschnitten von den wei;en Linien der Landstra;en, fegte dort vor;ber, und weit hinten am Horizont gl;nzte wie eine Feuersbrunst der Widerschein des Lichtermeers von Paris. *** Wieder fiel die H;lle ;ber meine Augen... Wieder kam das Vergessen ;ber mich... und wieder das Erwachen. Dort unten - ein Park, Alleen, gestutzte Lindenb;ume, hier und da T;nnchen, zugeschnitten wie Schirme, S;ulenhallen und Tempelchen, Statuen von Satyrn und Nymphen, Rokoko-Tritonen, hervorsteigend aus barock angelegten Teichen, deren Ufer von niederen Balustraden aus schwarz gewordenem Marmor eingefasst waren. Nein, das war nicht Versailles. Hinter den Wipfeln dichtbelaubter Eichen schaute ein kleines Schl;sschen vor. Tr;be und neblig schien der Mond, und ;ber dem Erdboden lag ein feiner Dunst. Doch das Auge vermochte nicht zu unterscheiden, woher er stammte, ob es Mondschein war oder Nebel. Auf einem der Teiche schlief ein Schwan: wei; wie Steppenschnee, ;ber den der Frost gefahren ist, schimmerte sein R;cken, am Fu;e der Statuen aber funkelten im bl;ulichen Schatten die kleinen Edelsteine unz;hliger Leuchtk;fer. "Wir sind bei Mannheim", sagte Ellis. "Und hier ist der Schwetzinger Park." In Deutschland also, dachte ich und horchte hinunter. Totenstille, einsam nur und unsichtbar pl;tscherte ein Springbrunnen. Es war, als bekr;ftige er unaufh;rlich ein und dasselbe: "Ja, ja, ja - so ist das." Und pl;tzlich glaubte ich inmitten einer der Alleen zwischen den zierlich beschnittenen gr;nen Hecken ein Paar zu sehen: der Kavalier auf roten St;ckeln, in goldverbr;mtem Rock mit wei;en Spitzenmanschetten, den leichten Stahldegen an der rechten Seite, reichte einer Dame im gebl;mten Reifrock, deren Haar hochgesteckt und gepudert war, grazi;s den Arm... Seltsam und bleich waren ihre Gesichter... Ich wollte sie n;her betrachten... Sie waren pl;tzlich verschwunden, und nur das Wasser rauschte wie zuvor. "Wandernde Tr;ume", fl;sterte Ellis. "Gestern waren es ihrer viel mehr... Viel, viel mehr. Heute fliehen sogar die Tr;ume das menschliche Auge. Weiter! Weiter!" Wir stiegen auf, und wieder ging's dahin. So sanft, so gleichm;;ig war diesmal unser Flug, dass es mir vorkam, nicht wir bewegten uns. sondern als k;me uns alles entgegengeflogen. Dunkel, wellig und bewaldet tauchten Berge vor aus auf, wuchsen empor und schwammen auf uns zu, flossen dann zu unseren F;;en vorbei, vor;ber mit ihren Schluchten, Hohlwegen, Bergwiesen, mit den Lichtp;nktchen der schlafenden D;rfer in den T;lern am Ufer der schnellen Gebirgsb;che. Wir waren im Herzen des Schwarzwalds. Berge, Berge... und Wald, wundervoller alter und kr;ftiger Wald. Der Nachthimmel war klar, und so vermochte ich alle Baumarten zu unterscheiden, zuerst die pr;chtigen Wei;tannen mit ihren geraden und hellen St;mmen. Am Waldessaum ;sten Rehe, schlank und wachsam standen sie auf ihren zierlichen Beinen und horchten in die Nacht. Die Ruine eines Schlosses blickte traurig und stumm, mit halbverfallenen Zinnen, von ihrer nackten Klippe ins Land. Über ihrem alten und vergessenen Gem;uer gl;nzte friedvoll ein Stern. Land der Legenden! Ein zarter Mondnebel str;mt durch die T;ler, und je weiter die Berge auseinander treten, desto dichter wird er. Ich kann f;nf, sechs, ja zehn verschiedene T;nungen der Schatten auf den Bergh;ngen z;hlen und geheimnisvoll herrscht ;ber all dieser schweigsamen Mannigfaltigkeit der Mond. Leicht und z;rtlich str;mt die Luft und mich ergreift ein Gef;hl, in dem heitere Ruhe ist und dennoch eine tiefe Schwermut. "Ellis, dieses Land - du musst es lieben!" "Ich liebe nichts. Ich liebe nichts." "Nichts? Und mich?" "Dich... ja dich!" entgegnete sie, aber wie gleichg;ltig ihr Ton dabei ist. Es scheint mit, als umschlinge mich ihr Arm fester als zuvor. "Weiter! Weiter!" ruft Ellis mit einer sonderbar kalten Begeisterung. "Weiter!" *** Über uns erklangen starke und helle Schreie und wiederholten sich gleich darauf ein wenig vor uns. "Kraniche, die zu euch nach Norden ziehen", erkl;rte Ellis. "Wollen wir uns ihnen anschlie;en?" "Ja! Trage mich hinauf zu ihnen." Wir stiegen auf und waren sogleich neben dem Schwarm. Die gro;en und sch;nen V;gel (dreizehn im ganzen) flogen in einem Dreieck, ihre Fl;gelschl;ge waren stark, aber nicht h;ufig. Haupt und Beine straff gestreckt, die Brust gew;lbt, so zogen sie unaufhaltsam und schnell dahin. Wunderbar war das Bewusstsein, noch in dieser H;he, in solcher Entfernung von allem Irdischen so starkes und warmes Leben anzutreffen, einen so unbeugsamen Willen. So schwangen sie sieghaft durch den Raum, und nur zuweilen wechselten die Kraniche mit dem vordersten Gef;hrten sp;rliche Schreie. Wie viel Stolz und Sicherheit, welch ein Zutrauen zu sich selbst lag in diesen lauten Rufen, in dieser UNterhaltung in Wolkenh;he. Nord;rts - nord;rts flogen sie dahin. "Wir fliegen nach Russland", sagte Ellis, und wieder einmal konnte ich wahrnehmen, dass sie fast immer wusste, woran ich dachte. "Willst du schon heim?" "Ja, nach Hause... oder nein! Ich war in Paris, trage mich nach Petersboerg." Ellis hob den Arm... doch ehe noch der Nebel mich umfing, f;hlte ich auf meinen Lippen die Ber;hrung jenes weichen und stumpfen Stachels... *** "A---achtung!" In meinen Ohren schallte ein langgezogener Ruf.. "A---achtung!" Verzweifelt kam aus der Ferne der Widerhall. "A---achtung!" verklang es irgendwo am Ende der Welt. Ich sah hinab. Eine hohe goldene Spitze... Ich erkannte sofort die Festung Peter-Paul. Wei;e, nordische Nacht! Darf man das noch Nacht nennen? Es ist eher ein blasser kranker Tag. Diese Petersboerger N;chte habe ich nie geliebt, aber nun erst wurde mir unheimlich. Ellis' Gestalt war nicht mehr sichtbar, schmolz hin wie in der Julisonne ein Morgennebel, und pl;tzlich gewahrte ich meinen eigenen K;rper schwer und einsam in der H;he der Alexanders;ule in der Luft h;ngen! Petersboerg, da war es also! Diese ;den, breiten und grauen Stra;en, diese wei;grau, graugelb und lilagrau get;nchten und immer ein wenig abbr;ckelnden H;user mit ihren tiefliegenden Fenstern, den grellen Ladenschildern, den kleinen eisernen Schutzd;chern ;ber den Haust;ren und den schmutzigen Gem;sel;den, diese Ziergiebel, Aufschriften, Postenh;uschen und Futtertr;ge, die goldene M;tze der Isaakskirche, die sinnlos bunte B;rse, die Granitmauern der Festung und das ewig schadhafte Holzpflaster, die riesigen Barken mit Heu und Klafterholz, der sonderbare Geruch von Staub, Kohle, Bastmatten und Pferdestall, die erstarrten Nacht;chter, in ihren Schafpelzen vorm Haustor sitzend, und endlich die von bleiernem Schlaf ;ber;ltigten und ganz zusammengesunken auf dem Kutschbock ihrer schon v;llig durchgesessenen ;gelchen hockenden Kutscher - ja, in der Tat, ich erkannte es, unsre nordisches Palmyra. Und alles so unheimlich klar, so schreckhaft hell und deutlich, und alles in traurigem Schlaf, sonderbar grell in der d;mmrigen, durchsichtigen Luft. Ein Abglanz der Abendr;te - ein schwinds;chtiger Schimmer - lag noch immer am blassen und sternenlosen Himmelsbogen (er bleibt bis etwa zum Anbruch des Tages) und auf der seidenen Breite der Newa, die kaum h;rbar und fast bewegungslos und dennoch mitgro;er Eile ihre kalten und blauen Wasser der See zuf;hrte... "Fliegen wir weiter", bat Ellis. Sie trug mich, ohne erst meine Antwort abzuwarten, ;ber die Newa und quer ;ber den Schlossplatz der Litejnaja zu. Unten wurden Schritte und Stimmen h;rbar: Eine Schar von jungen M;nnern mit verwelkten Gesichtern schritt dort und unterhielt sich ;ber einen Ball. Ein verschlafener Soldat stand bei einer kleinen Pyramide aus rostigen Kanonenkugeln und ein wenig weiter sah ich am offenen Fenster eines gro;en Hauses ein M;dchen in einem ;rmellosen und zerknitterten Seidenkleid, ein Perlennetz auf dem Haar, im Munde die Zigarette. "Fliegen wir weiter!" Diesmal sagte ich es. Einen Augenblick - und schon zogen sich zu unseren F;;en modernde Tannen;ldchen und die mit Moos ;berwucherten S;mpfe hin, die rings um Petersboerg liegen. Unser Weg f;hrte nach S;den - nach und nach wurden Himmel und Erde wieder dunkler. Die kranke Nacht, der kranke Tag und die gro;e karnke Stadt - alles blieb hinter uns zur;ck. *** Langsamer als sonst war diesmal unser Flug und so konnte ich sehen, wie sich gleich einem unendlichen Panorama meine heimatliche Erde allm;hlich vor mir entfaltete. ;lder, Geb;sche, Felder und Fl;sse - hier und da D;rfer und Kirchen - und wieder Felder und ;lder und Geb;sche... Schwermut ;berkam mich und etwas wie gleichg;ltige Langeweile. Die Erde selber, diese ebene Oberfl;che, die sich dort unter mir ausbreitete, der ganze Erdball mit seiner verg;nglichen, hilflosen, von Not, Qual und Krankheit geplagten und unentrinnbar an die Scholle elenden Staubes gefesselten Menschheit, diese zerbrechliche raue Rinde, diese Kruste ;ber dem flammenden Staubk;rnchen, das wir unsere Erde nennen, bedeckt vom Schimmel, den wir als das organische Pflanzenreich preisen - und all die Menschen-Fliegen, tausendmal nichtiger als die wirklichen Fliegen, und ihre aus Dreck errichteten Behausungen, die winzigen Spuren ihres j;mmerlichen und einf;rmigen Treibens, ihr komischer Kampf gegen das Unver;nderliche und Unabwendbare - ah, wie widerlich wurde mir das alles mit einem Male! Das Herz drehte sich mir langsam im Leibe um, und bald hatte ich genug davon, diese nichtssagenden Bilder zu betrachten, diese Ausstellung von Abgeschmacktheiten... Ja, Langeweile ;berkam mich und sogar noch schlimmeres als Langeweile. Nicht einmal Mitleid empfand ich mehr f;r meine Mitmenschen; alle Gef;hle gingen in dem einen Gef;hl unter, das zu nennen ich mich kaum getraue: das Gef;hl des Ekels. Aber am st;rksten, am f;hlbarsten wuchs in mir der Ekel vor mir selbst. "H;r auf", fl;sterte Ellis. "H;r auf, sonst wird es mir unm;glich dich zu tragen. Du wirst mir zu schwer." "Nach Hause", entgegnete ich und schloss die Augen. *** Doch wie bald schlug ich sie wieder auf! Ellis klammerte sich sehr sonderbar an mich; es war fast, als stie;e sie mich. Ich sah sie an, und in meinen Adern erstarrte das Blut. Wer jemals auf dem Gesicht eines anderen den j;hen Ausdruck tiefen Entsetzen erblickt hat, ohne die Ursache davon zu ahnen - vielleicht wird der mich verstehen. Entsetzen, qu;lendes Entsetzen verzerrte und entstellte die bleichen und beinahe ausgel;schten Z;ge. "Was hast du, Ellis?" stie; ich endlich hervor. "Er... er ..." Sie konnte kaum sprechen. "Er!" "Er? Ja, wer denn, wer?" "Nicht nennen, nicht nennen", stammelte Ellis hastig. "Fliegen, sonst ist alles aus - f;r immer... Schau - dort!" Ich wandte den Kopf und da sah ich etwas... ich sah etwas unsagbar Grauenhaftes. Dieses Etwas war um so schrecklicher, als es keine festen Umrisse hatte. Etwas Schwerf;lliges, Finsteres, aus dem gelblichen ins schwarze Spielendes und wie ein Eidechsenbauch Geschecktes kroch langsam und mit Schlangenbewegungen ;ber die Erde hin und war nicht Wolke und nicht Rauch. Ein gleichm;;iges und breites Schaukeln von oben nach unten und von unten nach oben war es. Es erinnerte an das drohende Fl;gelschlagen eines Raubvogels, der auf Beute aus ist, und manchmal kam dazu ein unbeschreiblich widerliches Sich-an-die-Erde-Schmiegen, wie die Spinne ;hnlich die Fliege umarmt, die sie erwischt hat... Wo diese Masse hinkam, ich sah es, ich f;hlte es, war Vernichtung... Faulige, pestilenzialische K;lte stieg auf von ihr, und diese K;lte erregte Übelkeit, legte sich aufs Herz, tr;bte die Augen und str;ubte die Haare. Sie bewegte sich, die Masse, sie war eine Kraft, gegen die es keinen Widerstand gab und der alles untertan war, obwohl es weder Gesicht noch Gestalt, noch irgend einen Sinn hatte - die Kraft, die sich wie ein Raubvogel seine Opfer sucht, sie wie eine Schlange erdr;ckt und mit ihrer widerlichen Stachelzunge bedeckt... "Ellis! Ellis!" schrie ich wie von Sinnen. "Der Tod! Der Tod!" Der jammervolle Ton, den ich schon fr;her vernommen hatte, entrang sich Ellis' Lippen, aber diesmal war es mehr ein menschliches Aufheulen der Verzweiflung - und schon rasten wir dahin. Aber wie seltsam war unser Flug, wie grauenhaft unsicher: Ellis ;berschlug sich mehrmals in der Luft und flog im Zickzack, wie ein Rebhuhn, das auf den Tod verwundet ist oder von seiner Brut abzulenken versucht. Von der unbeschreiblich grauenhaften Masse aber trennten sich inzwischen sonderbar wellenf;rmige Glieder, wie greifende H;nde, wie Krallen, und rollten durch die Luft... Die gigantische Gestalt eines verh;llten Reiters auf fahlem Pferd stieg auf... Noch erregter, noch verzweifelter wurde Ellis' Flucht. "Er hat uns gesehen! Alles ist aus! Verloren ...!" Sie fl;sterte stockend. "Oh, ich Ungl;ckliche! Beinahe ;re es gelungen... neues Leben drang in mich... aber jetzt... Vernichtung! Das Nichts!" Ich konnte es nicht l;nger ertragen... Ich verlor die Besinnung. *** Als ich wieder zu mir kam, lag ich r;cklings im Gras. In meinem K;rper der dumpfe Schmerz, wie nach einem schweren Sturz. Der Morgen d;mmerte bereits, und alles ringsum wurde deutlich erkennbar. Da war ein Birken;ldchen und eine von Weidenb;schen eingefasste Landstra;e. Nach und nach kam mir die Erinnerung an alles, was geschehen war und ich zuckte zusammen, als ich an die letzte ungeheuerliche Erscheinung dachte .... Warum aber erschrak den Ellis so sehr? schoss es mir durch den Kopf. Ist es denkbar, dass auch sie seiner Gewalt unterworfen ist? Ist es m;glich, dass auch sie sterblich ist? Auch sie der Vernichtung und dem Untergang verfallen kann? Wie kann das m;glich sein? Leises St;hnen in der N;he... Ich wandte den Kopf. Zwei Schritte von mir lag regungslos hingestreckt eine junge Frau mit gel;stem dichten Haar, in einem wei;en Gewand, die eine Schulter entbl;;t. Ein Arm lag hinter dem Kopf, der andere war kraftlos auf die Brust gesunken. Die Augen waren geschlossen. Auf den fest zusammengepressten Lippen zeigte sich ein leichter hellroter Schaum. Konnte das Ellis sein? Aber Ellis war doch nur ein Gespenst, ein Phantom, und die, die hier vor mir lag, war ein Gesch;pf der Erde. Ich kroch n;her heran und beugte mich ;ber sie... "Ellis, bist du es?" rief ich. Ein langsames Beben ;berlief sie, und sie ;ffnete die Lider. Dunkle, durchbohrende Augen richteten sich auf mich und im gleichen Augenblick saugten sich warme, feuchte, nach Blut d;rstende Lippen in die meinen... weiche Arme umfingen fest meinen Hals, und eine wei;e Brust schmiegte sich fieberd an die meine. "Leb wohl! Leb wohl auf immer!" Deutlich fl;sterte es die ersterbende Stimme - und dann war alles verschwunden. Obwohl meine Beine mir wie einem Betrunkenen den Dienst versagten, erhob ich mich taumelnd, strich einige Male mit der Hand durchs Gesicht und sah mich aufmerksam um. Es war die gro;e Landstra;e und ich befand mich kaum zwei Werst von meinem Gut. Als ich endlich nach Hause kam, war die Sonne bereits aufgegangen. *** Die N;chte darauf wartete ich - und ich gestehe es, ich wartete nicht ohne Angst - auf das Erscheinen meines Gespenstes, aber es kam nie wieder. Einmal war ich sogar in der Abendd;mmerung bei der alten Eiche, aber es ereignete sich nichts Ungew;hnliches. Ich muss ;brigens sagen, dass ich das Aufh;ren dieser sonderbaren Bekanntschaft nicht gerade sehr beklagte. Ich habe ;ber diesen mir vollkommen unbegreiflichen und merkw;rdig sinnlosen Fall oft und viele Gedanken gemacht - und ich wei; nur das eine: dass ihn mir die Wissenschaft nicht erkl;ren kann und dass ich auch in M;rchen und Legenden nichts Gleichartiges gefunden habe. Ellis, wer war sie eigentlich? Ein Phantom, eine arme Seele, ein b;ser Geist, eine Sylphe oder gar ein Vamypr? Manchmal glaubte ich sogar, Ellis war eine Frau, die ich einmal gekannt hatte, und ich machte die qualvollsten Anstrengungen, um heraus zu finden, wo ich sie bereits gesehen... Und zuweilen glaubte ich: Noch einen Augenblick und ich habe es... Aber alles zerrann wie ein Traum. Viel und oft dachte ich nach, aber es kam, wie das so geht, nichts dabei heraus. Andere Leute um ihren Rat oder um ihre Meinung fragen wollte ich nicht, denn ich musste f;rchten, dass sie mich f;r verr;ckt halten w;rden. So lie; ich dann endlich alle meine Gr;beleien fallen, denn offen gestanden: Ich hatte an anderes zu denken. Da war einerseits inzwischen die Abschaffung der Leibeigenschaft gekommen mit der Verteilung des Besitzes, und andererseits war meine Gesundheit nicht mehr die beste. Ich litt an Schmerzen in der Brust, an Schlaflosigkeit und Husten. Mein K;rper welkte dahin, mein Gesicht wurde ;chsern wie das Gesicht eines Leichnams. Der Arzt meinte, ich h;tte viel zu wenig Blut - er bezeichnet mein Leiden mit dem griechischen Ausdruck "An;mie" und sagt, ich solle nach Gastein. mein Verwalter dagegen beteuert, dass er ohne mich mit den Bauern nicht zu Rande k;me... Was soll man da machen... Aber was bedeuten diese durchdringend reinen und scharfen T;ne, fast wie die Kl;nge einer Ziehharmonika, die ich jedes Mal h;re, spricht man in meiner Gegenwart von irgendeinem Todesfall? Immer lauter werden sie, immer durchdringender... Und warum muss ich jedes Mal so qualvoll zusammenzucken beim Gedanken an die Vernichtung, an das Nichts... - Ende -