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Полное собрание сочинений. Том 13. Статьи из Колокола и другие произведения 1857-1858 годов

unter dem Namen von Regimentern), die Gemeinde und der Adel, welche sich länger als ein Jahrhundert gegenüber standen, ohne sich zu verstehen. Das eine Rußland: veifeinert, höfisch, militärisch, nach der Mitte zustrebend, umgibt den Thron, indem es das Andere verachtet und ausbeutet. Dieses Andere: ackerbauend, zerstreut, dörfisch, bäuerisch, steht außerhalb des Gesetzes.

Zwischen diesen Beiden bildet sich bald ein Zusammenhang oder vielmehr eine Vermittlung, durch den Staatsbeamten, der weniger roh, aber mehr Dieb ist als der Gutsbesitzer; der abscheulichste Typus, den man sich denken kann. Dieser Adel der Tinte entstieg immer den tiefsten Schichten der Gesellschaft und vermischte sich mit dem Adel des Bluts, aber er kehrte niemals zum Volke zurück.

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Die gebildete Minorität, fortgerissen von dem Strome, in den Peter I die Geister geworfen hatte, folgte während einiger fünfzig. Jahre dem kaiserlichen Siegeswagen, indem sie die Fanfare und Panegyriken dazu lieferte. Das konnte aber nicht lange dauern. Die ersten ernsten und unabhängigen Geister begriffen die Anomalie dieses Zustandes, der ganz provisorisch war und, den schreienden Mißklängen, der Willkür, der Abgeschmacktheit zur Rechten und Linken gegenüber ohne andere Waffen als die Satire, fingen sie eine Opposition der Ironie, eine wahre Geißelung der Gesellschaft, voller Bitterkeit, ohne Schonung, ohne sentimentale Ausflüchte, ohne Vermittlung und Auflösung durch Rosenwasser, an.

Eine der Eigenschaften des russischen Genius, welche ihn selbst von der anderen Slawen unterscheidet, ist die Fähigkeit, von Zeit zu Zeit auf sich selbst zurückzugehen, die eigne Vergangenheit zu verneinen, sie mit tiefer, aufrichtiger, unerbittlicher Ironie zu betrachten und den Mut zu haben, dies einzugestehen, ohne entweder den Egoismus eines verhärteten Bösewichts oder

die Heuchelei, die sich anklagt, um von den Ändern freigesprochen zu werden. Um noch klarer zu machen, was ich meine, bemerke ich, daß wir dieses selbe Talent der Aufrichtigkeit und Verneinung bei einigen großen englischen Schriftstellern finden von Shakespeare und Byron an bis auf Dickens und Thackeray. Die Franzosen, immer mit sich selbst zufrieden und voll Bewunderung fur ihr großes Vaterland, kennen diese Saite wenig. Wenn wir einige Fragmente von Diderot, einige Verse von Barbier ausnehmen, so haben wir in der französischen Literatur, nach Montaigne, beinahe nichts, was als Beweis vom Gegenteil dienen könnte. Denn der einzige Mann des Genies und der Initia tive unter den Franzosen, Proudhon, hat sehr viel von seiner Popularität verloren wegen seiner Sprache voller Kühnheit der Ironie und des tiefsten Skeptizismus. Die Deutschen hingegen verneinen viel zu leicht, es kostet sie gar nichts, denn sie tun es nur in den abstrakten Sphären, sub specie aeternitatis.

Der Bruch zwischen der russischen Literatur und dem sie umgebenden Leben war jedoch nicht gleich vom ersten Augenblick an so völlig und so giftig. Bis zum Regierungsantritt von Nikolaus war in der literarischen Opposition noch etwas Nachgebendes,

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Versöhnendes, das Lachen war noch nicht völlig bitter. Wir finden das in den bewunderungswerten Fabeln von Kryloff (deren oppositionelle Tragweite nie recht begriffen worden ist) und in der berühmten Komödie von Gribojedoff «Das Unglück, Verstand zu haben». Aber als nach dem revolutionären Versuch von 1825 das nebelige, bedrückende System von Nikolaus sich auf jede geistige Bewegung schwer auflegte, mischte sich eine schweigende konzentrierte Verzweiflung mit dem Lachen und ein noch ganz anderer Schmerz wurde zwischen den Beschneidungen der Zensur fühlbar. Vergleichen Sie z. B. die Töne der Trauer in der Poesie von Puschkin mit denjenigen, welche in den Versen von Lermontoff durchdringen; in den ersten ist ein Unwille voller Kraft, in den zweiten der hoffnungslose Skeptizismus einer gebrochenen Seele.

Die Literatur dieser Epoche fängt mit einem Prolog an, der, wie die Inschrift der «Citta dolente», selbst die Zukunft abschneidet und jede Hoffnung tötet. Ich meine den berühmten Brief Tschaadajeffs141[61], der, obgleich verkannt, doch ganz Rußland im Jahre 1835 erschütterte. Man suchte sich zurechtzufinden, man tappte hierhin und dorthin, man probierte den historischen und den Sittenroman, man verfertigte ein wenig Walter Scott und ein wenig l’hermite de la chaussée d’Antin — Alles das schlug nicht Wurzel und hatte nur einen vorübergehenden Erfolg. Dennoch fingen nach und nach in dieser Unbestimmtheit der Nachahmungen, der Versuche, des Hin-und Herfeuerns, zwei Richtungen an, sich bestimmter hervorzuheben.

Von der einen Seite war es der Schrei des Schmerzens und Protestes eines jungen Mannes voll glühender Wünsche, der die Kraft in seinen Muskeln fühlt, der Durst hat nach Tätigkeit und sich in einem Abgrund ohne Ausweg gefangen sieht ohne die Möglichkeit, sich zu bewegen. Daher kommt es, daß der nämliche Typus sich in allen Gedichten, Novellen und Romanen wieder-holt, der Typus eines jungen Mannes voll edler Bestrebungen, aber gebrocben, der sich irgendwohin flüchtet, um sich zu verlieren, um hinzusterben wie ein überflüssiges, ünnützes, über-zähliges Wesen. Onegin, Wladimir Lenski von Puschkin,

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Petschorin von Lermontoff und die Helden der früheren Novellen von Turgenieff — es ist immer dieselbe Person. Es zeigt einen großen Mangel an Versländnis und Gefühl, hierin nur eine Nachahmung von Byron, eine idealistische Träumerei zu sehen — es ist dies vielmehr der Abglanz der Regierung von Nikolaus, das Erzeugnis seines Einflusses. Die junge Seele einer verfolgten, gedemütigten, mißhandelten Generation floh voll Verachtung aus der Wirklichkeit und suchte ihr Ideal in der Ferne. Es war das Bewußtsein, daß in unseren Herzen das Streben nach einer anderen Existenz, als der eines stummen Kopisten, eines Soldaten ohne Stimme, eines Beamten, der stiehlt und eines Gutsherrn, der plündert — wohnte.

Dieses ideale Wesen, dieser Mensch, der «ein Fremdling unter den Seinen» war, wandte sich fortwährend nach Westen, und das war ganz natürlich. Das Vaterland seiner Zivilisation, seines Gedankens, war außerhalb Rußlands. Neben Nikolaus, der offen bekannte, daß er nicht wüBte, was anzufangen mit der Zivilisation, dem ailes Menschliches fremd war, mußte uns das ferne revolutionnäre Europa, mit dem Firniß von 1830, wie das gelobte Land erscheinen.

Lassen wir indeß die Idealisten und die Humanitätsträumer. Der Roman und die Novelle stürzten sich mit Leidenschaft auf einen viel irdischeren und ganz nationalen Gegenstand: den Vampyr der russischen Gesellschaft, den Staatsbeamten. Sein Gebieter überließ ihn feige der Literatur, vorausgesetzt, daß diese nur die Subalternen angriff. Diese neue Richtung hatte sogleich einen außerordentlichen Erfolg. Einer der ersten unerschrockenen Jäger, welcher, weder das Ungeziefer, noch die Ansleckung fürchtend, anfing sein Wild mit zugespitzter Feder bis in die Kanzleien und die Wirtshäuser, unter die Popen und unter die Polizeisoldaten, zu verfolgen, war der Kossack Luganski (Pseudonym von Herrn Dahl). Klein-Russe von Geburt, hatte er wenig Neigung für den Beamten, und begabt mit einem außerordentlichen Talent der Beobachtung, kannte er sein Terrain vortrefflich und noch vortrefflicher das Volk. Auch hatte er aile Gelegenheit gehabt dies kennen zu lernen. Er durchreiste Rußland als Arzt, diente dann in Orenburg am Ural, arbeitete längere Zeit im Ministerium des Innern, sah Alles, beobachtete Alles und erzählte es mit einer

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Malice und Originalität wieder, die zuweilen außerordentlich komisch sind.

Bald nach ihm erschien N. Gogol, der seine Richtung und sogar seine Manier einer ganzen Generation aufgedrückt hat. Für einen Ausländer ist es schwer, die ungeheure Wirkung zu begreifen, welche die Aufführung des «Revisors» auf dem Theater bei uns hatte, dieses Stücks, das in Paris ein völliges Fiasko gemacht hat. Bei uns protestierte das Publikum durch sein Lachen und seinen Beifall gegen eine stupide und quälerische Administration, gegen eine räuberische Polizei und gegen das allgemeine «Malgoverno». Das große Gedicht in Prosa: «Die toten Seelen» von Gogol, machte in Rußland ein Aufsehen, dem ähnlich, welches durch «Die Hochzeit des Figaro» in Frankreich hervorgerufen wurde. Man könnte toll werden, wenn man diese Menagerie von Adligen und Beamten betrachtet, die in der tiefsten Finsterniß umhertappen und «tote Bauernseelen» kaufen und verkaufen.

Und doch fühlt man auch bei Gogol zuweilen eine andere Saite erklingen; es sind wie zwei Strömungen in seiner Seele. Sobald er sich in die Gemächer der Chefs der Departements, der Gouverneur, der Gutsbesitzer versteigt, sobald seine Helden zum wenigsten den St. Annenorden und den Assessorsrang im Kollegium haben, so ist er melancholisch, unerbittlich, mit einer Ader voll Sarkasmen, die zuweilen bis zu Krämpfen lachen machen, zuweilen eine Verachtung hervorrufen, die an Haß grenzt.

Wenn er aber, im Gegenteil sich mit den Fuhrleuten aus Klein-Rußland gemein macht, wenn er sich zu den Kossacken der Ukraine versetzt oder zu den Bauern, die mit Lärm um ein Wirts-haus tanzen, wenn er uns einen armen alten Schreiber malt, der aus Kummer stirbt, weil man ihm seinen Mantel gestohlen hat — dann ist er ein ganz anderer Mensch; mit demselben Talent, wie vorher, ist er zärtlich, liebevoll, menschlich, seine Ironie verwundet nicht mehr, vergiftet nicht mehr; es ist eine bewegliche und poetische Seele, welche überfließt und bleibt sich darin treu, wenn er nicht zufällig auf dem Wege einen Polizeikommissar findet, einen ersten Schiedsrichter, dessen Frau oder Tochter — dann ist alles vorbei, er reißt ihnen die menschliche Larve ab und verhängt über sie die Tortur der öffentlichen Schaustellung, mit einem tollen und bitteren Lachen.

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Während die ganze gebildete Minorität wütete, indem sie sich in den Zügen eines «Chlestakoff» und «Nosdreff» wiedererkannte und mehr und mehr die Mitte, in die sie hineingeworfen war, verabscheute, hörte man von ferne, von unten herauf eine andere Stimme, wie eine Stimme des Trostes; einfache, manchmal klagende Töne aber ohne die geringste Ironie, Töne voll naiver Früh¬lingsfrische. Sie waren wie das grüne Gras, das unter dem Schnee hervorsproßt, wenn ihn die Frühlingssonne auftaut.

Diese Töne waren nicht etwa verfälscht, sie waren kein Maskeradenanzug einer aristokratischen Muse, die sich aus Coquetterie als Bäuerin anzieht, es waren geradezu die Lieder eines jungen, einfachen Viehtreibers aus Voronej, der, zu Pferd die Steppen mit seinen Heerden durchziehend, vor Traurigkeit und Langerweile das Leben des Volkes und seine eignen Leiden sang. Er wurde von einem harten Vater, von einer groben Familie mißhandelt und liebte zärtlich eine arme Arbeiterin, welche die Wirtschaft in ihrem Hause führte und seinetwegen weggeschickt wurde.

Es war eine andere Welt, die sich in den Gesängen Kolzoff’s auftrat, traurig, unglücklich, aber nicht im mindesten lächerlich, vielmehr unbeschreiblich rührend

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