Ist es ein Mann, der uberzahlig ist, so will er nichts anderes, als eben, obwohl er nicht in dieses Haus gehort, doch mit ausgehoben werden. Auch das ist ja vollig aussichtslos, niemals ist ein solcher Uberzahliger ausgehoben worden und niemals wird etwas Derartiges geschehn.)
22. DIE PRUFUNG
Ich bin ein Diener, aber es ist keine Arbeit fur mich da. Ich bin angstlich und drange mich nicht vor, ja ich drange mich nicht einmal in eine Reihe mit den andern, aber das ist nur die eine Ursache meines Nichtbeschaftigtseins, es ist auch moglich, dass es mit meinem Nichtbeschaftigtsein uberhaupt nichts zu tun hat, die Hauptsache ist jedenfalls, dass ich nicht zum Dienst gerufen werde, andere sind gerufen worden und haben sich nicht mehr darum beworben als ich, ja haben vielleicht nicht einmal den Wunsch gehabt, gerufen zu werden, wahrend ich ihn wenigstens manchmal sehr stark habe.
So liege ich also auf der Pritsche in der Gesindestube, schaue zu den Balken auf der Decke hinauf, schlafe ein, wache auf und schlafe schon wieder ein. Manchmal gehe ich hinuber ins Wirtshaus, wo ein saures Bier ausgeschenkt wird, manchmal habe ich schon vor Widerwillen ein Glas davon ausgeschuttet, dann aber trinke ich es wieder. Ich sitze gern dort, weil ich hinter dem geschlossenen kleinen Fenster, ohne von irgendjemandem entdeckt werden zu konnen, zu den Fenstern unseres Hauses hinubersehen kann. Man sieht ja dort nicht viel, hier gegen die Stra?e zu liegen, glaube ich, nur die Fenster der Korridore und uberdies nicht jener Korridore, die zu den Wohnungen der Herrschaft fuhren. Es ist moglich, dass ich mich aber auch irre, irgendjemand hat es einmal, ohne dass ich ihn gefragt hatte, behauptet und der allgemeine Eindruck dieser Hausfront bestatigt das. Selten nur werden die Fenster geoffnet, und wenn es geschieht, tut es ein Diener und lehnt sich dann wohl auch an die Brustung, um ein Weilchen hinunterzusehn. Es sind also Korridore, wo er nicht uberrascht werden kann. Ubrigens kenne ich diese Diener nicht, die standig oben beschaftigten Diener schlafen anderswo, nicht in meiner Stube.
Einmal, als ich ins Wirtshaus kam, sa? auf meinem Beobachtungsplatz schon ein Gast. Ich wagte nicht genau hinzusehn und wollte mich gleich in der Tur wieder umdrehn und weggehn. Aber der Gast rief mich zu sich, und es zeigte sich, dass er auch ein Diener war, den ich schon einmal irgendwo gesehn hatte, ohne aber bisher mit ihm gesprochen zu haben.
»Warum willst du fortlaufen? Setz dich her und trink! Ich zahl’s.« So setzte ich mich also. Er fragte mich einiges, aber ich konnte es nicht beantworten, ja ich verstand nicht einmal die Fragen. Ich sagte deshalb: »Vielleicht reut es dich jetzt, dass du mich eingeladen hast, dann gehe ich«, und ich wollte schon aufstehn. Aber er langte mit seiner Hand uber den Tisch heruber und druckte mich nieder: »Bleib«, sagte er, »das war ja nur eine Prufung. Wer die Fragen nicht beantwortet, hat die Prufung bestanden.«
23. DER GEIER
Es war ein Geier, der hackte in meine Fu?e. Stiefel und Strumpfe hatte er schon aufgerissen, nun hackte er schon in die Fu?e selbst. Immer schlug er zu, flog dann unruhig mehrmals um mich und setzte dann die Arbeit fort. Es kam ein Herr voruber, sah ein Weilchen zu und fragte dann, warum ich den Geier dulde. »Ich bin ja wehrlos«, sagte ich, »er kam und fing zu hacken an, da wollte ich ihn naturlich wegtreiben, versuchte ihn sogar zu wurgen, aber ein solches Tier hat gro?e Krafte, auch wollte er mir schon ins Gesicht springen, da opferte ich lieber die Fu?e. Nun sind sie schon fast zerrissen.« »Da? Sie sich so qualen lassen«, sagte der Herr, »ein Schu? und der Geier ist erledigt.« »Ist das so?« fragte ich, »und wollen Sie das besorgen?« »Gern«, sagte der Herr, »ich mu? nur nach Hause gehn und mein Gewehr holen. Konnen Sie noch eine halbe Stunde warten?« »Das wei? ich nicht«, sagte ich und stand eine Weile starr vor Schmerz, dann sagte ich: »Bitte, versuchen Sie es fur jeden Fall.« »Gut«, sagte der Herr, »ich werde mich beeilen.« Der Geier hatte wahrend des Gespraches ruhig zugehort und die Blicke zwischen mir und dem Herrn wandern lassen. Jetzt sah ich, da? er alles verstanden hatte, er flog auf, weit beugte er sich zuruck, um genug Schwung zu bekommen und stie? dann wie ein Speerwerfer den Schnabel durch meinen Mund tief in mich. Zuruckfallend fuhlte ich befreit, wie er in meinem alle Tiefen fullenden, alle Ufer uberflie?enden Blut unrettbar ertrank.
24. DER STEUERMANN
»Bin ich nicht Steuermann?« rief ich. »du?« fragte ein dunkler hoch gewachsener Mann und strich sich mit der Hand uber die Augen, als verscheuche er einen Traum. Ich war am Steuer gestanden in der dunklen Nacht, die schwachbrennende Laterne uber meinem Kopf, und nun war dieser Mann gekommen und wollte mich beiseiteschieben. Und da ich nicht wich, setzte er mir den Fu? auf die Brust und trat mich langsam nieder, wahrend ich noch immer an den Staben des Steuerrades hing und beim Niederfallen es ganz herumriss. Da aber fasste es der Mann, brachte es in Ordnung, mich aber stie? er weg. Doch ich besann mich bald, lief zu der Luke, die in den Mannschaftsraum fuhrte und rief: »Mannschaft! Kameraden! Kommt schnell! Ein Fremder hat mich vom Steuer vertrieben!« Langsam kamen sie, stiegen auf aus der Schiffstreppe, schwankende mude machtige Gestalten. »Bin ich der Steuermann?« fragte ich. Sie nickten, aber Blicke hatten sie nur fur den Fremden, im Halbkreis standen sie um ihn herum und, als er befehlend sagte: »Stort mich nicht«, sammelten sie sich, nickten mir zu und zogen wieder die Schiffstreppe hinab. Was ist das fur Volk! Denken sie auch oder schlurfen sie nur sinnlos uber die Erde?
25. DER KREISEL
Ein Philosoph trieb sich immer dort herum, wo Kinder spielten. Und sah er einen Jungen, der einen Kreisel hatte, so lauerte er schon. Kaum war der Kreisel in Drehung, verfolgte ihn der Philosoph, um ihn zu fangen. Dass die Kinder larmten und ihn von ihrem Spielzeug abzuhalten suchten, kummerte ihn nicht, hatte er den Kreisel, solange er sich noch drehte, gefangen, war er glucklich, aber nur einen Augenblick, dann warf er ihn zu Boden und ging fort. Er glaubte namlich, die Erkenntnis jeder Kleinigkeit, also zum Beispiel auch eines sich drehenden Kreisels, genuge zur Erkenntnis des Allgemeinen. Darum beschaftigte er sich nicht mit den gro?en Problemen, das schien ihm unokonomisch. War die kleinste Kleinigkeit wirklich erkannt, dann war alles erkannt, deshalb beschaftigte er sich nur mit dem sich drehenden Kreisel. Und immer wenn die Vorbereitungen zum Drehen des Kreisels gemacht wurden, hatte er Hoffnung, nun werde es gelingen, und drehte sich der Kreisel, wurde ihm im atemlosen Laufen nach ihm die Hoffnung zur Gewissheit, hielt er aber dann das dumme Holzstuck in der Hand, wurde ihm ubel und das Geschrei der Kinder, das er bisher nicht gehort hatte und das ihm jetzt plotzlich in die Ohren fuhr, jagte ihn fort, er taumelte wie ein Kreisel unter einer ungeschickten Peitsche.
26. KLEINE FABEL
»Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, da? ich Angst hatte, ich lief weiter und war glucklich, da? ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, da? ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« – »Du mu?t nur die Laufrichtung andern«, sagte die Katze und fra? sie.
27. DER AUFBRUCH
Ich befahl mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne horte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeutete. Er wusste nichts und hatte nichts gehort. Beim Tore hielt er mich auf und fragte: »Wohin reitet der Herr?« »Ich wei? es nicht«, sagte ich, »nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.« »Du kennst also dein Ziel«, fragte er. »Ja«, antwortete ich, »ich sagte es doch: ›Weg-von-hier‹ – das ist mein Ziel.« »Du hast keinen E?vorrat mit«, sagte er. »Ich brauche keinen«, sagte ich, »die Reise ist so lang, da? ich verhungern mu?, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein E?vorrat kann mich retten. Es ist ja zum Gluck eine wahrhaft ungeheure Reise.«
28. FURSPRECHER
Es war sehr unsicher, ob ich Fursprecher hatte, ich konnte nichts Genaues daruber erfahren, alle Gesichter waren abweisend, die meisten Leute, die mir entgegenkamen, und die ich wieder und wieder auf den Gangen traf, sahen wie alte dicke Frauen aus, sie hatten gro?e, den ganzen Korper bedeckende, dunkelblau und wei? gestreifte Schurzen, strichen sich den Bauch und drehten sich schwerfallig hin und her. Ich konnte nicht einmal erfahren, ob wir in einem Gerichtsgebaude waren. Manches sprach dafur, vieles dagegen. Uber alle