29. DAS EHEPAAR
Die allgemeine Geschaftslage ist so schlecht, da? ich manchmal, wenn ich im Buro Zeit erubrige, selbst die Mustertasche nehme, um die Kunden personlich zu besuchen. Unter anderem hatte ich mir schon langst vorgenommen, einmal zu N. zu gehen, mit dem ich fruher in standiger Geschaftsverbindung gewesen bin, die sich aber im letzten Jahr aus mir unbekannten Grunden fast gelost hat. Fur solche Storungen mussen auch gar nicht eigentliche Grunde vorhanden sein; in den heutigen labilen Verhaltnissen entscheidet hier oft ein Nichts, eine Stimmung, und ebenso kann auch ein Nichts, ein Wort, das Ganze wieder in Ordnung bringen. Es ist aber ein wenig umstandlich zu N. vorzudringen; er ist ein alter Mann, in letzter Zeit sehr kranklich, und wenn er auch noch die geschaftlichen Angelegenheiten in seiner Hand zusammenhalt, so kommt er doch selbst kaum mehr ins Geschaft; will man mit ihm sprechen, mu? man in seine Wohnung gehen, und einen derartigen Geschaftsgang schiebt man gern hinaus.
Gestern abend nach sechs Uhr machte ich mich aber doch auf den Weg; es war freilich keine Besuchszeit mehr, aber die Sache war ja nicht gesellschaftlich, sondern kaufmannisch zu beurteilen. Ich hatte Gluck. N. war zu Hause; er war eben, wie man mir im Vorzimmer sagte, mit seiner Frau von einem Spaziergang zuruckgekommen und jetzt im Zimmer seines Sohnes, der unwohl war und im Bett lag. Ich wurde aufgefordert auch hinzugehen; zuerst zogerte ich, dann aber uberwog das Verlangen, den leidigen Besuch moglichst schnell zu beenden, und ich lie? mich, so wie ich war, im Mantel, Hut und Mustertasche in der Hand, durch ein dunkles Zimmer in ein matt beleuchtetes fuhren, in welchem eine kleine Gesellschaft beisammen war.
Wohl instinktma?ig fiel mein Blick zuerst auf einen mir nur allzu gut bekannten Geschaftsagenten, der zum Teil mein Konkurrent ist. So hatte er sich denn also noch vor mir heraufgeschlichen. Er war bequem knapp beim Bett des Kranken, so als ware er der Arzt; in seinem schonen, offenen, aufgebauschten Mantel sa? er gro?machtig da; seine Frechheit ist unubertrefflich; etwas Ahnliches mochte auch der Kranke denken, der mit ein wenig fiebergeroteten Wangen dalag und manchmal nach ihm hinsah. Er ist ubrigens nicht mehr jung, der Sohn, ein Mann in meinem Alter mit einem kurzen, infolge der Krankheit etwas verwilderten Vollbart. Der alte N., ein gro?er, breitschultriger Mann, aber durch sein schleichendes Leiden zu meinem Erstaunen recht abgemagert, gebuckt und unsicher geworden, stand noch, so wie er eben gekommen war, in seinem Pelz da und murmelte etwas gegen den Sohn hin. Seine Frau, klein und gebrechlich, aber au?erst lebhaft, wenn auch nur soweit es ihn betraf — uns andere sah sie kaum —, war damit beschaftigt, ihm den Pelz auszuziehen, was infolge des Gro?enunterschiedes der beiden einige Schwierigkeiten machte, aber schlie?lich doch gelang. Vielleicht lag ubrigens die eigentliche Schwierigkeit darin, da? N. sehr ungeduldig war und unruhig mit tastenden Handen immerfort nach dem Lehnstuhl verlangte, den ihm denn auch, nachdem der Pelz ausgezogen war, seine Frau schnell zuschob. Sie selbst nahm den Pelz, unter dem sie fast verschwand, und trug ihn hinaus.
Nun schien mir endlich meine Zeit gekommen oder vielmehr, sie war nicht gekommen und wurde hier wohl auch niemals kommen; wenn ich uberhaupt noch, etwas versuchen wollte, mu?te es gleich geschehen, denn meinem Gefuhl nach konnten hier die Voraussetzungen fur eine geschaftliche Aussprache nur noch immer schlechter werden; mich hier aber fur alle Zeiten festzusetzen, wie es der Agent scheinbar beabsichtigte, das war nicht meine Art; ubrigens wollte ich auf ihn nicht die geringste Rucksicht nehmen. So begann ich denn kurzerhand, meine Sache vorzutragen, obwohl ich merkte, da? N. gerade Lust hatte, sich ein wenig mit seinem Sohn zu unterhalten. Leider habe ich die Gewohnheit, wenn ich mich ein wenig in Erregung gesprochen habe — und das geschieht sehr bald und geschah in diesem Krankenzimmer noch fruher als sonst — aufzustehen und wahrend des Redens auf- und abzugehen. Im eigenen Buro eine recht gute Einrichtung, ist es in einer fremden Wohnung doch ein wenig lastig. Ich konnte mich aber nicht beherrschen, besonders da mir die gewohnte Zigarette fehlte. Nun, jeder hat seine schlechten Gewohnheiten, dabei lobe ich noch die meinen im Vergleich zu denen des Agenten. Was soll man zum Beispiel dazu sagen, da? er seinen Hut, den er auf dem Knie halt und dort langsam hin- und herschiebt, manchmal plotzlich, ganz unerwartet aufsetzt; er nimmt ihn zwar gleich wieder ab, als sei ein Versehen geschehen, hat ihn aber doch einen Augenblick lang auf dem Kopf gehabt, und das wiederholt er immer wieder von Zeit zu Zeit. Eine solche Auffuhrung ist doch wahrhaftig unerlaubt zu nennen. Mich stort es nicht, ich gehe auf und ab, bin ganz von meinen Dingen in Anspruch genommen und sehe uber ihn hinweg, es mag aber Leute geben, welche dieses Hutkunststuck ganzlich aus der Fassung bringen kann. Allerdings beachte ich im Eifer nicht nur eine solche Storung nicht, sondern uberhaupt niemanden, ich sehe zwar, was vorgeht, nehme es aber, solange ich nicht fertig bin oder solange ich nicht geradezu Einwande hore, gewisserma?en nicht zur Kenntnis. So merkte ich zum Beispiel wohl, da? N. sehr wenig aufnahms-fahig war; die Hande an den Seitenlehnen, drehte er sich unbehaglich hin und her, blickte nicht zu mir auf, sondern sinnlos suchend ins Leere und sein Gesicht schien so unbeteiligt, als dringe kein Laut meiner Rede, ja nicht einmal ein Gefuhl meiner Anwesenheit zu ihm. Dieses ganze, mir wenig Hoffnung gebende krankhafte Benehmen sah ich zwar, sprach aber trotzdem weiter, so als hatte ich doch noch Aussicht, durch meine Worte, durch meine vorteilhaften Angebote — ich erschrak selbst uber die Zugestandnisse, die ich machte,