Konnte ich noch andere Luft schmecken als die des Gefangnisses? Das ist die gro?e Frage oder vielmehr, sie ware es, wenn ich noch Aussicht auf Entlassung hatte.
4. DER NACHBAR
Mein Geschaft ruht ganz auf meinen Schultern. Zwei Fraulein mit Schreibmaschinen und Geschaftsbuchern im Vorzimmer, mein Zimmer mit Schreibtisch, Kasse, Beratungstisch, Klubsessel und Telephon, das ist mein ganzer Arbeitsapparat. So einfach zu uberblicken, so leicht zu fuhren. Ich bin ganz jung und die Geschafte rollen vor mir her. Ich klage nicht, ich klage nicht.
Seit Neujahr hat ein junger Mann die kleine, leerstehende Nebenwohnung, die ich ungeschickterweise so lange zu mieten gezogert habe, frischweg gemietet. Auch ein Zimmer mit Vorzimmer, au?erdem aber noch eine Kuche. – Zimmer und Vorzimmer hatte ich wohl brauchen konnen – meine zwei Fraulein fuhlten sich schon manchmal uberlastet -, aber wozu hatte mir die Kuche gedient? Dieses kleinliche Bedenken war daran schuld, da? ich mir die Wohnung habe nehmen lassen. Nun sitzt dort dieser junge Mann. Harras hei?t er. Was er dort eigentlich macht, wei? ich nicht. Auf der Tur steht: ›Harras, Bureau‹. Ich habe Erkundigungen eingezogen, man hat mir mitgeteilt, es sei ein Geschaft ahnlich dem meinigen. Vor Kreditgewahrung konne man nicht geradezu warnen, denn es handle sich doch um einen jungen, aufstrebenden Mann, dessen Sache vielleicht Zukunft habe, doch konne man zum Kredit nicht geradezu raten, denn gegenwartig sei allem Anschein nach kein Vermogen vorhanden. Die ubliche Auskunft, die man gibt, wenn man nichts wei?.
Manchmal treffe ich Harras auf der Treppe, er mu? es immer au?erordentlich eilig haben, er huscht formlich an mir voruber. Genau gesehen habe ich ihn noch gar nicht, den Buroschlussel hat er schon vorbereitet in der Hand. Im Augenblick hat er die Tur geoffnet. Wie der Schwanz einer Ratte ist er hineingeglitten und ich stehe wieder vor der Tafel ‘Harras, Bureau’, die ich schon viel ofter gelesen habe, als sie es verdient.
Die elend dunnen Wande, die den ehrlich tatigen Mann verraten den Unehrlichen aber decken. Mein Telephon ist an der Zimmerwand angebracht, die mich von meinem Nachbar trennt. Doch hebe ich das blo? als besonders ironische Tatsache hervor.
Selbst wenn es an der entgegengesetzten Wand hinge, wurde man in der Nebenwohnung alles horen. Ich habe mir abgewohnt, den Namen der Kunden beim Telephon zu nennen. Aber es gehort naturlich nicht viel Schlauheit dazu, aus charakteristischen, aber unvermeidlichen Wendungen des Gesprachs die Namen zu erraten. – Manchmal umtanze ich, die Hormuschel am Ohr, von Unruhe gestachelt, auf den Fu?spitzen den Apparat und kann es doch nicht verhuten, da? Geheimnisse preisgegeben werden.
Naturlich werden dadurch meine geschaftlichen Entscheidungen unsicher, meine Stimme zittrig. Was macht Harras, wahrend ich telephoniere? Wollte ich sehr ubertreiben – aber das mu? man oft, um sich Klarheit zu verschaffen -, so konnte ich sagen: Harras braucht kein Telephon, er benutzt meines, er hat sein Kanapee an die Wand geruckt und horcht, ich dagegen mu?, wenn gelautet wird, zum Telephon laufen, die Wunsche des Kunden entgegennehmen, schwerwiegende Entschlusse fassen, gro?angelegte Uberredungen ausfuhren – vor allem aber wahrend des Ganzen unwillkurlich durch die Zimmerwand Harras Bericht erstatten.
Vielleicht wartet er gar nicht das Ende des Gespraches ab, sondern erhebt sich nach der Gesprachsstelle, die ihn uber den Fall genugend aufgeklart hat, huscht nach seiner Gewohnheit durch die Stadt und, ehe ich die Hormuschel aufgehangt habe, ist er vielleicht schon daran, mir entgegenzuarbeiten.
5. EINE KREUZUNG
Ich habe ein eigentumliches Tier, halb Katzchen, halb Lamm. Es ist ein Erbstuck aus meines Vaters Besitz. Entwickelt hat es sich aber doch erst in meiner Zeit, fruher war es viel mehr Lamm als Katzchen. Jetzt aber hat es von beiden wohl gleich viel. Von der Katze Kopf und Krallen, vom Lamm Gro?e und Gestalt; von beiden die Augen, die flackernd und wild sind, das Fellhaar, das weich ist und knapp anliegt, die Bewegungen, die sowohl Hupfen als Schleichen sind. Im Sonnenschein auf dem Fensterbrett macht es sich rund und schnurrt, auf der Wiese lauft es wie toll und ist kaum einzufangen. Vor Katzen flieht es, Lammer will es anfallen. In der Mondnacht ist die Dachtraufe sein liebster Weg: Miauen kann es nicht und vor Ratten hat es Abscheu. Neben dem Huhnerstall kann es stundenlang auf der Lauer liegen, doch hat es noch niemals eine Mordgelegenheit ausgenutzt.
Ich nahre es mit su?er Milch, sie bekommt ihm bestens. In langen Zugen saugte es sie uber seine Raubtierzahne hinweg in sich ein. Naturlich ist es ein gro?es Schauspiel fur Kinder. Sonntag Vormittag ist Besuchstunde. Ich habe das Tierchen auf dem Scho? und die Kinder der ganzen Nachbarschaft stehen um mich herum.
Da werden die wunderbarsten Fragen gestellt, die kein Mensch beantworten kann: Warum es nur ein solches Tier gibt, warum gerade ich es habe, ob es vor ihm schon ein solches Tier gegeben hat und wie es nach seinem Tode sein wird, ob es sich einsam fuhlt, warum es keine Jungen hat, wie es hei?t und so weiter.
Ich gebe mir keine Muhe zu antworten, sondern begnuge mich ohne weitere Erklarungen damit, das zu zeigen, was ich habe. Manchmal bringen die Kinder Katzen mit, einmal haben sie sogar zwei Lammer gebracht. Es kam aber entgegen ihren Erwartungen zu keinen Erkennungsszenen. Die Tiere sahen einander ruhig aus Tieraugen an und nahmen offenbar ihr Dasein als gottliche Tatsache gegenseitig hin.
In meinem Scho? kennt das Tier weder Angst noch Verfolgungslust. An mich angeschmiegt, fuhlt es sich am wohlsten. Es halt zur Familie, die es aufgezogen hat. Es ist das wohl nicht irgendeine au?ergewohnliche Treue, sondern der richtige Instinkt eines Tieres, das auf der Erde zwar unzahlige Verschwagerte, aber vielleicht keinen einzigen Blutsverwandten hat und dem deshalb der Schutz, den es bei uns gefunden hat, heilig ist.
Manchmal mu? ich lachen, wenn es mich umschnuppert, zwischen den Beinen sich durchwindet und gar nicht von mir zu trennen ist. Nicht genug damit, da? es Lamm und Katze ist, will es fast auch noch ein Hund sein. – Einmal als ich, wie es ja jedem geschehen kann, in meinen Geschaften und allem, was damit zusammenhangt, keinen Ausweg mehr finden konnte, alles verfallen lassen wollte und in solcher Verfassung zu Hause im Schaukelstuhl lag, das Tier auf dem Scho?, da tropften, als ich zufallig einmal hinuntersah, von seinen riesenhaften Barthaaren Tranen. – Waren es meine, waren es seine? – Hatte diese Katze mit Lammesseele auch Menschenehrgeiz? – Ich habe nicht viel von meinem Vater geerbt, dieses Erbstuck aber kann sich sehen lassen.
Es hat beiderlei Unruhe in sich, die von der Katze und die vom Lamm, so verschiedenartig sie sind. Darum ist ihm seine Haut zu eng. – Manchmal springt es auf den Sessel neben mir, stemmt sich mit den Vorderbeinen an meine Schulter und halt seine Schnauze an mein Ohr. Es ist, als sagte es mir etwas, und tatsachlich beugt es sich dann vor und blickt mir ins Gesicht, um den Eindruck zu beobachten, den die Mitteilung auf mich gemacht hat. Und um gefallig zu sein, tue ich, als hatte ich etwas verstanden, und nicke. – Dann springt es hinunter auf den Boden und tanzelt umher.
Vielleicht ware fur dieses Tier das Messer des Fleischers eine Erlosung, die mu? ich ihm aber als einem Erbstuck versagen. Es mu? deshalb warten, bis ihm der Atem von selbst ausgeht, wenn es mich manchmal auch wie aus verstandigen Menschenaugen ansieht, die zu verstandigem Tun auffordern.
6. AN ALLE MEINE HAUSGENOSSEN
Ich besitze funf Kindergewehre, sie hangen in meinem Kasten, an jedem Haken eines. Das erste gehort mir, zu den andern kann sich melden wer will, melden sich mehr als vier, so mussen die uberzahligen ihre eigenen Gewehre mitbringen und in meinem Kasten deponieren. Denn Einheitlichkeit mu? sein, ohne Einheitlichkeit kommen wir nicht vorwarts. Ubrigens habe ich nur Gewehre, die zu sonstiger Verwendung ganz unbrauchbar sind, der Mechanismus ist verdorben, der Pfropfen abgerissen, nur die Hahne knacken noch. Es wird also nicht schwer sein, notigenfalls noch weitere solche Gewehre zu beschaffen. Aber im Grunde sind mir fur die erste Zeit auch Leute ohne Gewehre recht, wir die wir Gewehre haben werden im entscheidenden Augenblick die Unbewaffneten in die Mitte nehmen. Eine Kampfesweise die sich bei den ersten amerikanischen Farmern gegenuber den Indianern bewahrt hat, warum sollte sie sich nicht auch hier bewahren, da doch die Verhaltnisse ahnlich sind. Man kann also sogar fur die Dauer auf die Gewehre verzichten. Und selbst die funf Gewehre sind nicht unbedingt notig und nur weil sie schon einmal vorhanden sind, sollen sie auch verwendet werden. Wollen sie aber die vier andern nicht tragen so sollen sie es bleiben lassen. Dann werde also ich allein als Fuhrer eines tragen. Aber wir sollen keinen Fuhrer haben und so werde auch ich mein Gewehr zerbrechen oder weglegen.
Das war der erste Aufruf. In unserm Haus hat man keine Zeit und keine Lust Aufrufe zu lesen oder gar zu uberdenken. Bald schwammen die kleinen Papiere in dem Schmutzstrom der vom Dachboden ausgehend, von allen Korridoren genahrt, die Treppe hinabspult und dort mit dem Gegenstrom kampft der von unten hinaufschwillt. Aber nach einer Woche kam ein zweiter Aufruf.
Hausgenossen!
Es hat sich bisher niemand bei mir gemeldet. Ich war, soweit ich nicht meinen Lebensunterhalt verdienen mu?, fortwahrend zuhause und fur die Zeit meiner Abwesenheit, wahrend welcher meine Zimmertur stets offen war, lag auf meinem Tisch ein Blatt, auf dem sich jeder der wollte einschreiben konnte. Niemand hats getan.
7. WARUM WILLST DU
Gestern war ich zum erstenmal in