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Aus der Jugendzeit

sich die Haare k;mmen. Was glaubt man wohl, das dabei geschah? Die Kammerfrau f;hrt mit dem Kamme durch das Haar und dabei springen die elektrischen Funken aus demselben und spr;hen nach allen Seiten. Sofort lie; die Kaiserin den Leibarzt Rodgerson, der an diesem Tage gerade Dienst hatte, zu sich rufen und sagte zu ihm: »Ich wei; sehr wohl, da; man wegen gewisser Vorkommnisse mich verurtheilt. Aber siehst Du hier die Funken? Sie r;hren von der mir innewohnenden Elektrizit;t her. Nun, bei meiner Natur und Komplexion wirst Du, da Du doch Arzt bist, begreifen, wie Unrecht man mir thut, wenn man mich verurtheilt. Man sollte doch vorher mich und mein Wesen genau kennen lernen.«

Das folgende Ereigni; hatte sich unausl;schlich in Telegins Ged;chtni; eingepr;gt.

Eines Tages, er war damals kaum sechzehn Jahre alt, hatte er die Wache im inneren Schlo;hofe. Pl;tzlich geht die Kaiserin an ihm vor;ber; er macht Honneur und »sie« – Alexis Sergejewitsch rief das jedesmal in freudigstem Ton und mit strahlendem Gesicht – »sie l;chelte ;ber meine Jugend, meinen Eifer und hatte die Gnade, mir ihre Hand zum Kusse zu reichen, dann mich auf die Backe zu klopfen und mich zu fragen, wer ich sei, woher ich stamme, welcher Familie ich angeh;re und dann –« hier stockte die Stimme des Alten vollkommen – »dann – dann befahl sie mir, ich solle meine Mutter in ihrem Namen gr;;en und ihr danken, da; sie ihre Kinder so gut erzogen habe. Ob ich in diesem Augenblicke schon im Himmel oder noch auf Erden weilte, und wohin die hohe Frau sich zu entfernen geruhte, ob sie in die Wolken sich erhob oder sich in einen anderen Fl;gel des Geb;udes begab, das kann ich noch zu dieser Stunde nicht mit Gewi;heit angeben.«

Wiederholt hatte ich schon versucht, den Alten ;ber jene nun schon so weit hinter uns liegenden Zeiten auszufragen und dies ganz besonders ;ber die Personen, welche sich in der Umgebung der Kaiserin befanden. Aber meistens wich er der Beantwortung solcher Fragen aus.

»Wozu soll man so viel vom Vergangenen erz;hlen?« sagte er. »Es regt nur unn;tz Denjenigen auf, der die Zeiten mit durchlebt hat. Man erz;hlt von den Tagen, da man selbst noch jung war, w;hrend man heute kaum noch einen einzigen Zahn im Munde hat. Das mu; man ;brigens sagen: die alten Zeiten waren doch sch;n! Nun, wir wollen nicht weiter dar;ber reden. Was aber nun jene Menschen anbetrifft, auf welche Du junger B;sewicht die Rede gebracht hast – Du meinst doch sicherlich die G;nstlinge, die Schranzen? H;re einmal! Du hast doch wohl gewi; schon einmal im Wasser eine Blase aufsteigen sehen? So lange sie ganz ist, kann man sie in den sch;nsten Farben schimmern sehen – roth, blau, gelb flimmert es, kurz, es gleicht dem Regenbogen und den Brillanten. Aber nach ganz kurzem Verweilen platzt die Blase und dann findest Du auch nicht die mindeste Spur mehr weder von ihr noch auch von ihrem sch;nen Farbenspiel. Da hast Du mit kurzen Worten die Geschichte jener Menschen.«

»Und Potemkin?« fragte ich einmal.

Alexis Sergejewitsch nahm eine ernste Miene an.

»Potemkin, Gregor Alexandrowitsch, war ein Staatsmann, ein Gottesgelehrter, ein Z;gling Katharina’s – man m;chte fast sagen: ihr Kind. Aber genug davon, mein Junge!«

Telegin war ein sehr frommer Mann, und obwohl es f;r ihn mit gro;en k;rperlichen Beschwerden verbunden war, besuchte er doch regelm;;ig die Kirche. Von Aberglauben war nichts an ihm zu finden; er machte sich ;ber Vorzeichen, b;sen Blick und ;hnliche Albernheiten, wie er es nannte, lustig; dennoch aber hatte er es nicht gern, wenn ihm ein Hase ;ber den Weg lief und eine Begegnung mit dem Geistlichen war ihm niemals angenehm. Das hinderte ihn aber durchaus nicht, den Popen in jeder Hinsicht respektvoll entgegenzukommen; er lie; sich von ihnen den Segen ertheilen und k;;te ihnen daf;r auch die Hand – aber in ein Gespr;ch lie; er sich nicht gern mit ihnen ein.

»Es geht ein gar zu starker Duft von ihnen aus,« erkl;rte er mir einmal, »und ich S;nder bin nicht im Stande, das auf die Dauer zu ertragen. Sie haben so lange Haare, die sie mit Oel voll schmieren. Diese ziehen sie dann nach allen Seiten auseinander und glauben wohl gar noch, mir dadurch ihren Respekt zu bezeugen; w;hrend des Gespr;ches st;hnen und seufzen sie auch fortw;hrend – ich wei; nicht, thun sie es aus Verlegenheit oder meinen sie, da; sie mir damit einen besondern Gefallen erweisen. Dann haben sie auch die Gewohnheit, uns an unsere Todesstunde zu erinnern. Ich aber, komme es nun, wie es mag, ich habe noch Lust zu leben. Uebrigens mu;t Du, mein Junge, das, was ich Dir hier sage, nicht weiter plaudern. Achte und ehre den geistlichen Stand; nur Dummk;pfe haben keine Hochachtung vor ihm. Ich bin eben ein alter Mann, und deshalb lade ich auch die Schuld auf mich, h;ufig Unsinn zu schwatzen.«

Wie alle Edelleute jener Zeit besa; auch Alexis Sergejewitsch Telegin nur eine sehr mittelm;;ige Bildung, aber bis zu einem gewissen Grade war er selbst schuld an diesem Mangel und zwar durch seine Lekt;re. Die einzigen B;cher, die er ;berhaupt las, waren russische Werke aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts. Neuere Schriftsteller fand er kraftlos und ohne Form. Wenn er las, stand neben ihm auf einem Tischchen eine silberne Kanne, die mit einem eigenth;mlichen, mit Pfefferm;nze gew;rzten Kwa; gef;llt war, und der scharfe Geruch drang bis in die entferntesten R;ume des Hauses. Beim Lesen setzte er eine gro;e Brille mit runden Gl;sern auf die Nasenspitze. In der letzten Zeit las er ;brigens noch weniger, als sonst; er begn;gte sich damit, gedankenvoll ;ber die Einfassung der Brille hinweg auf das Buch zu starren, dabei zog er die Augenbrauen in die H;he, bewegte die Lippen und seufzte von Zeit zu Zeit. Eines Tages traf ich ihn, als er ein Buch auf den Knieen hielt und weinte; das ;berraschte mich, wie ich offen gestehen mu;, ganz ungemein. Er erz;hlte mir nun, da; er sich an folgende Verse erinnert h;tte:

»O Menschenkind, wie unselig bist Du!

Niemals findest auf Erden Du Ruh’.

Du hast nur Ruhe auf dieser Welt,

Wenn Dein K;rper zu Staub im Grabe zerf;llt.

Auch diese Ruh’ mag uns tr;bselig erscheinen;

Der Todte schlafe – der Lebende soll weinen.«

Die Verse hatten einen gewissen Kornitsch-Kornitzky, einen fahrenden Poeten, zum Verfasser, den Alexis Sergejewitsch in seinem Hause aufgenommen hatte, weil er ihm als ein feinf;hliger und zart besaiteter Mensch erschienen war. Der Dichter trug Schuhe mit Schnallen und Schleifen, sprach im kleinrussischen Dialekt und seufzte h;ufig, wobei er die Augen zum Himmel aufschlug. Zu diesen Vorz;gen kam noch der weitere, da; Kornitsch-Kornitzky, der in einem Jesuiten-Kollegium erzogen war, sehr gut franz;sisch sprach, w;hrend der Hausherr es nur »verstand«. Aber nachdem er sich eines sch;nen Tages in der Schenke einen selbst f;r russische Verh;ltnisse ungew;hnlichen Rausch geholt hatte, legte der so zartbesaitete Mensch eine unglaubliche Rohheit an den Tag. Dem Kammerdiener Telegins schlug er Arme und Beine entzwei, pr;gelte den Koch, zwei zuf;llig des Weges kommende W;scherinnen und einen im Hause arbeitenden Tischler weidlich durch, zerschlug eine gro;e Anzahl Fensterscheiben und br;llte dabei fortw;hrend: »Diesen russischen Taugenichtsen, diesen niedertr;chtigen Ungl;ubigen werde ich schon zeigen, was sie werth find!«

Welch eine Kraft kam bei dieser Gelegenheit in dem so schw;chlich und kr;nklich aussehenden S;ngersmann zum Vorschein! Acht M;nner konnten ihn nur mit M;he und Noth bew;ltigen. Nach diesem Auftritt hatte die Geschichte aber auch ein Ende; Telegin lie; den Dichter zum Hause hinauswerfen, jedoch nicht ohne ihn vorher – die Sache trug sich im Winter zu – zur Abk;hlung so, wie ihn Gott geschaffen hatte, in den Schnee stecken zu lassen.

»Ja,« pflegte Alexis Sergejewitsch Telegin zuweilen zu sagen, »meine Zeit ist vor;ber. Einstmals war ich ein gutes Pferd, aber nun bin ich lahm. Siehst Du wohl, ich habe sogar Dichter auf meine Kosten unterhalten, ich habe Gem;lde und B;cher zusammengekauft. Die G;nse auf meinem Gute waren mindestens ebenso gut als die Muchanowski’schen, und meine Tauben waren von seltenster Race, alle so h;bsch lehmfarben. Ich hatte Alles und war von Allem Liebhaber, nur nicht von Hunden. Die Hunde ha;te ich Zeit meines Lebens gerade so, wie die Trunkenbolde. Ich konnte manchmal sehr heftig und auch w;thend werden, denn ich wollte durchaus immer die Telegins als Erste in jeder Beziehung gl;nzen sehen. Und welch pr;chtiges Gest;t hatte ich seiner Zeit! Was meinst Du wohl, mein Junge, woher meine Pferde stammten? Aus den ber;hmten Gest;ten des Czaren Iwan Alexejitsch, des Bruders Peters des Gro;en. Du kannst es mir aufs Wort glauben. Alle meine Hengste waren dunkelbraun. M;hnen hatten sie bis ans Knie und ihre Schw;nze reichten bis zur Erde herab; sie sahen fast wie L;wen aus. Und das ist nun Alles gewesen! Alles ist verschwunden, Gras ist dar;ber gewachsen. O Eitelkeit der Eitelkeiten, Alles ist eitel! Wozu hilft aber alles Klagen und Bedauern? Jedem Menschen ist die Grenze seines Wirkens vom Schicksal genau vorgeschrieben. Man kann schlie;lich nicht h;her fliegen, als der Himmel ist; man kann nicht im Wasser leben und kann auch seinem Geschick nicht entgehen, eines Tages in die Erde gesenkt zu werden. Wir wollen aber bis dahin noch leben, so gut es eben geht.«

Und dabei l;chelte der brave Alte wieder und nahm eine Prise von seinem spanischen Taback.

Die Bauern liebten ihn. Sie sagten: »Er ist ein guter Herr und ger;th nicht bei jeder Gelegenheit in Zorn.« Aber auch sie verglichen ihn, wie er selbst es that, mit einem spattlahmen Gaul. Fr;her beaufsichtigte Telegin Alles selbst; er ritt auf die Felder, ging in die M;hle und in die Butterkammer. Er unterlie; auch nie, einen Blick in die Bauernh;user zu werfen. Sein roth ausgeschlagenes Gef;hrt, eine sogenannte Reitdroschke, war allgemein bekannt und ebenso das davor gespannte Pferd, ein m;chtiges Thier mit gro;em Stern auf der Stirne, vom Volksmund «die Laterne» genannt. Das

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sich die Haare k;mmen. Was glaubt man wohl, das dabei geschah? Die Kammerfrau f;hrt mit dem Kamme durch das Haar und dabei springen die elektrischen Funken aus demselben und spr;hen