Pferd stammte aus den oben erw;hnten ber;hmten Gest;ten und Telegin lenkte es selbst, indem er die Enden der Z;gel um seine F;uste schlang. Als der Alte nun aber das siebzigste Jahr erreicht hatte, bek;mmerte er sich um die Wirthschaft nicht mehr, sondern ;bergab die Verwaltung seines gesammten Besitzthums dem Beamten Antig, den er insgeheim ein Wenig f;rchtete, und den er, in Erinnerung an die Voltaire’sche Epoche, Mikromegas nannte, oder auch einfacher: Blutigel.
»Nun, Blutigel, was gibt’s Neues? Hast Du Scheuer und Tennen h;bsch angef;llt?« pflegte er zu fragen, wobei er Jenem l;chelnd gerade in die Augen sah.
»Alles, was ich habe, danke ich Ihrer Gnade,« antwortete Antig harmlos.
»Ach was – Gnade! Nimm Dich vor mir in Acht, Mikromegas. Wage es nicht, meine Bauern, auch wenn es nicht vor meinen Augen geschieht, auch nur mit einem Finger zu ber;hren. Wenn sich meine Bauern beklagen, dann – sieh Dir einmal diesen Rohrstock hier an – dann kannst Du n;here Bekanntschaft mit ihm machen.«
»Ihr Rohrstock, V;terchen Alexis Sergejewitsch, kommt mir auch ohnedies nie aus dem Ged;chtni;,« erwiderte Antig-Mikromegas, sich langsam den Bart streichend.
»Um so besser, vergi; ihn nie!«
Und dann lachten der Gutsherr und sein Verwalter sich gegenseitig freundlich an.
Sein Gesinde und ganz besonders seine Leibeigenen, die er gern als sein »Volk« bezeichnete, behandelte Telegin mit gro;er G;te. »Siehst Du, lieber Neffe, man mu; doch bedenken, da; diese Leute nichts, aber gar nichts ihr Eigen nennen, als h;chstens das Kreuz an ihrem Halse und auch das ist nur von Kupfer. Es f;llt ihnen nicht ein, nach fremdem Besitze ein Verlangen zu hegen. Soll man gegen solche Leute nicht sehr wohlwollend sein?«
Ganz abgesehen davon, da; zu jener Zeit noch Niemand an die Frage von der Aufhebung der Leibeigenschaft auch nur im Entferntesten dachte, konnte diese Frage Alexis Sergejewitsch durchaus nicht beunruhigen. Er regierte ;ber sein »Volk« mit gro;er Ruhe und Nachsicht, aber er verurtheilte die schlechten Gutsbesitzer aufs Nachdr;cklichste und nannte sie »Feinde ihrer eigenen Gesellschaftsklasse«. Im Allgemeinen, so behauptete er, kann man die Leibeigenen in drei Gruppen eintheilen: In Vern;nftige, von denen es ziemlich wenig giebt; in Liederliche, davon man mehr als genug hat, und drittens in solche, die f;r nichts Verst;ndni; haben und die nicht wissen, was sie wollen und sollen – und von dieser Sorte giebt es so Viele, da; man damit die Teiche ausf;llen und die Gr;ben zusch;tten kann. Wer aber seine Unterthanen hart und grausam behandelt, der vers;ndigt sich vor Gott und Menschen.
Ja, die Leibeigenen hatten ein treffliches Leben bei Alexis Sergejewitsch, wenigstens soweit sie in unmittelbarer N;he des Herrenhauses lebten; die in gr;;erer Entfernung Wohnenden hatten es schon nicht mehr so gut, trotz des Rohrstockes, mit welchem der Mikromegas wiederholentlich bedroht wurde.
Das Hofgesinde bestand aus einer fast unz;hlbar gro;en Menge von Leuten; die Meisten von ihnen waren alt, gebrechlich, m;rrisch, mit gebeugtem R;cken und eingeknickten Knieen. Sie trugen langsch;;ige Nankingkaftans und verbreiteten einen penetranten s;uerlichen Geruch um sich. Von den Frauen, die zur Dienerschaft geh;rten, vernahm man nichts als das Auftreten der nackten F;;e und das Rauschen der faltigen R;cke.
Der erste Kammerdiener hie; Irinarch. Wenn Telegin ihn bei seinem Namen rief, zog er die einzelnen Silben endlos auseinander: I–ri–na–a–arch! Die Andern nannte er einfach: Kleiner! Mein B;rschchen! Oder auch: Du da, der ja auch zu meinem Volke geh;rt! Glocken und Klingelz;ge konnte er nicht leiden. »Man glaubt immer, wenn man so etwas h;rt, man ist – Gott beh;te – in einer Herberge.« Was mich immer ;u;erst in Erstaunen setzte, war der Umstand, da;, so oft auch Alexis Sergejewitsch seinen Kammerdiener rief, dieser sofort erschien, wie aus der Erde gestampft; die Hacken aneinander, die H;nde auf dem R;cken haltend, so stand er vor seinem Herrn und blickte ihn mit m;rrischer, fast feindseliger Miene an. Und welch ein eifriger, treuer Diener war er doch!
Telegin war freigebig, fast ;ber seine Kr;fte hinaus, aber er hatte es nicht gern, da; man ihn als Wohlth;ter pries. »Wieso, mein lieber Herr, bin ich denn ein Wohlth;ter? Nicht Ihnen, sondern nur mir selbst habe ich etwas Gutes erwiesen.« Wenn er zornig oder auch nur aufgebracht war, sprach er Alle mit »Sie« an, statt mit dem sonst von ihm gebrauchten vertraulichen »Du«.
»Wenn ein Bettler Dich um ein Almosen angeht,« pflegte er zu sagen, »so gieb ihm einmal, gieb ihm zweimal, gieb ihm auch dreimal. Wenn er dann zum vierten Male kommt, so gieb ihm wieder, sage dabei aber: ›Du k;nntest auch einmal eine andere Arbeit versuchen, Br;derchen, als blo; um milde Gaben ansprechen.‹ «
»Aber wie dann, Onkel, wenn der Bettler nun noch zum f;nften Male kommt?«
»Nun, dann gieb ihm eben zum f;nften Male.«
Wenn Kranke zu ihm kamen und seine Hilfe in Anspruch nahmen, so lie; er sie auf seine Kosten kuriren, obwohl er in die Kunst der 196;rzte kein gro;es Vertrauen setzte und f;r sich selbst niemals einen holen lie;.
»Meine selige Mutter,« pflegte er zu erz;hlen, »heilte alle Krankheiten mit Provencer-Oel, in das sie Salz sch;ttete; sie gab es sowohl innerlich, als auch zum Einreiben und immer hatte sie den besten Erfolg zu verzeichnen. Man mu; aber auch wissen, was meine selige Mutter f;r eine Frau war! Sie war noch zur Zeit Peter des Ersten geboren – danach mag man urtheilen!«
Telegin war durch und durch ein echter Russe; er liebte nur russische Speisen und russische Lieder. Nur die Harmonika konnte er als begleitendes Instrument nicht leiden; sie war ja eine »Fabrik-Erfindung«. Er sah dem Reigen der jungen M;dchen gern zu, ebenso dem Tanze der Frauen. In seiner Jugend war er, wie man sich erz;hlte, ein guter S;nger und ein leidenschaftlicher T;nzer. Er nahm gern Dampfb;der, diese mu;ten aber so hei; sein, da; Irinarch, der ihn beim Baden bediente und ihn dabei mit Birkenruthen strich (bekanntlich lassen sich die Russen mit solchen Ruthen so lange schlagen, bis alle Bl;tter von den Zweigen heruntergeschlagen sind), ihn ferner mit Bast frottirte und mit Tuchlappen massirte – da; dieser brave Irinarch jedesmal, so oft er roth wie eine neue kupferne Statue aus dem Badezimmer kam, sagte: »Na, dieses Mal bin ich, Irinarch Tolob;jew, der Knecht Gottes, noch mit heiler Haut davon gekommen. Wie wird mir’s aber beim n;chsten Male ergehen?«
Alexis Sergejewitsch sprach unsere sch;ne russische Sprache etwas nach Art der Altvorderen, aber geschmackvoll, rein und ohne sie mit Ausdr;cken aus fremden Sprachen zu vermischen; hin und wieder streute er Lieblingsworte in seine Rede, z. B. »Auf meine Ehre! Gott soll mir verzeihen! Wie dem auch immer sei« – und ;hnliche mehr.
Wir haben nun aber genug von ihm erz;hlt und wollen nun auch ein Wenig ;ber Telegins Gattin, Melania Pawlowna, plaudern.
Melania Pawlowna war in Moskau geboren und ihre gro;e Sch;nheit hatte ihr den Beinamen »La V233;nus de Muscou« eingebracht. Als ich sie kennen lernte, war sie bereits eine alte, abgemagerte Frau, mit feinen, aber ausdrucklosen Gesichtsz;gen; ihr Mund war klein und zwei Reihen schiefer Z;hnchen, wie Hasenz;hne aussehend, f;llten ihn. Auf der Stirne trug sie eine Menge kleiner L;ckchen und ihre Augenbrauen waren offenbar gef;rbt. Auf dem Kopfe trug sie stets eine in Pyramidenform aufsteigende Haube mit rosafarbigen B;ndern; im 220;brigen bestand ihr Anzug aus fu;freiem, wei;em Kleide, pflaumenfarbigen Schuhen mit rothen Abs;tzen und einem hohen Kragen um den Hals; ;ber dem Kleide trug sie ein Mieder von blauem Atlas, das aber an der rechten Schulter nur lose befestigt war, so da; es fast wie ein Umhang aussah. Das war genau dieselbe Toilette, welche sie am St. Peterstage des Jahres 1789 getragen hatte. An diesem Tage war sie, damals noch unverheirathet, mit einigen Verwandten nach dem Chodinski’schen Felde hinausgegangen, um dem ber;hmten Faustkampfe beizuwohnen, den der Graf Orlow veranstaltete.
»Und der Graf Alexis Gregorinwitsch –« (du lieber Himmel, wie oft habe ich sie diese Geschichte erz;hlen h;ren!) – »der Graf bemerkte mich, n;herte sich uns, verneigte sich sehr tief und den Hut in beiden H;nden haltend, sagte er zu mir: ›Du wunderbare Sch;nheit, weshalb lassest Du den 196;rmel Deines Mieders so frei um Deine sch;ne Schulter h;ngen. Willst Du Dich etwa auch im Faustkampfe mit mir messen? Meinetwegen! Aber das sage ich Dir von vornherein: Wenn Du mich besiegst, ergebe ich mich und bin Dein Gefangener‹. Das h;rten Alle, die um uns standen, mit an und wunderten sich sehr.«
Seit jenem Tage trug sie nun unausgesetzt dieselbe Toilette.
»Damals aber hatte ich noch nicht solche Haube auf dem Kopfe. Damals trug ich einen Hut 224; la berg232;re de Trianon, und obwohl mein Haar gepudert war, schimmerte es doch wie Gold – wie Gold schimmerte es durch den Puder hindurch.«
Melania Pawlowna war, wie man bei uns zu sagen pflegt, »dumm bis zur Heiligkeit«. Sie schw;tzte alles M;gliche und ;ber alles M;gliche, ohne wohl selbst recht zu wissen, was ihr Alles aus dem Munde kam; am meisten aber sprach sie ;ber Orlow. Orlow war und blieb, so kann man wohl sagen, der interessanteste Punkt ihres Lebens.
Gew;hnlich segelte sie ins Zimmer, denn als gehen konnte man diese Art der Bewegung nicht mehr bezeichnen; den Kopf bewegte sie dabei regelm;;ig auf und nieder, wie ein Pfau. In der Mitte des Zimmers blieb sie stehen, streckte auf sonderbare Weise einen Fu; vor, fa;te mit zwei Fingern den Saum des herabgelassenen 196;rmels – (diese Stellung mochte wohl einst Orlow besonders gefallen haben) und blickte im Kreise umher, mit dem nachl;ssigen Stolze eines Siegers (das war ja bei solcher Sch;nheit dann selbstverst;ndlich). Manchmal fl;sterte sie dann noch: »Aber was soll’s denn?« gerade als ob ein cavalier soupirant sie in zudringlicher Weise mit feinen Komplimenten verfolge – dann zuckte sie die Achseln und ging wieder, mit den Abs;tzen fest auftretend, aus dem Zimmer.
Gleich ihrem Gatten schnupfte auch sie spanischen Taback; sie nahm ihn mit einem goldenen L;ffelchen aus einer ganz kleinen Dose und von Zeit zu Zeit, ganz besonders aber wenn ein Fremder zugegen war, hob