sie eine Doppellorgnette – nicht etwa zu den Augen, sondern zur Nase, denn sie sah von Natur ganz ausgezeichnet; sie benutzte nur die Gelegenheit, um die kleine wei;e Hand mit den zierlich erhobenen Fingerchen recht zu zeigen.
Wie oft hat mir Melania Pawlowna ihre Hochzeit beschrieben, die in der Kirche zur Himmelfahrt gefeiert worden war. Wie sch;n hatte die Kirche ausgesehen und ganz Moskau war zugegen! War das ein Gedr;nge! Viersp;nnige Equipagen, vergoldete Wagen, L;ufer – der L;ufer des Grafen Semadowsky gerieth sogar unter die R;der einer Karosse!
»Der Bischof selbst traute uns, und wie r;hrend war die Predigt, die er dabei gehalten! Alle weinten, und wohin ich auch blicken mochte, ich sah ;berall Thr;nen, nichts als Thr;nen. Und die Pferde des General-Gouverneurs waren tigerfarben, und welch eine Menge Blumen hat man bei der Gelegenheit sehen k;nnen. Alles war wie mit Blumen ;bers;et! Ein sehr, sehr reicher Fremder hat sich bei dieser Hochzeit erschossen, aus unerwiderter Liebe. Auch Graf Orlow wohnte der Feier bei. Er n;herte sich meinem Mann, begl;ckw;nschte ihn und nannte ihn den Gl;cklichsten von allen Sterblichen. Jawohl, den Gl;cklichsten von allen Sterblichen nannte er ihn, Du dummer Junge! Und als Antwort darauf machte mein neuer Gatte seine sch;nste Verbeugung und wedelte mit seinem Federhute auf dem Fu;boden immer von links nach rechts, als wollte er sagen: ›Erlaucht, jetzt ist zwischen Ihnen und meiner Gattin eine Grenzlinie gezogen, die Sie niemals ;berschreiten d;rfen.‹ Und Orlow, Alexis Gregoriewitsch Orlow begriff das auch sofort und lobte meinen Mann daf;r. O, welch ein ausgezeichneter Mensch war dieser Graf! Einmal, es war schon nach meiner Verheirathung, waren Alexis und ich von ihm zu einem Balle eingeladen worden; er trug wunderbar sch;ne Brillantkn;pfe. Ich konnte mich nicht enthalten meine Bewunderung dar;ber zu ;u;ern und zu sagen: ›Welch herrliche Kn;pfe haben Sie da, Herr Graf!‹ da ergriff er sofort ein Messer, das auf dem Tische lag, schnitt einen der Kn;pfe ab, ;berreichte ihn mir und sagte: ›Ihre sch;ne Augen, mein T;ubchen, sind hundertmal herrlicher, als die pr;chtigsten Brillanten. Treten Sie gef;lligst einmal vor den Spiegel und vergleichen Sie!‹ Das that ich auch, und er stellte sich neben mich und sagte: ›Nun, wer hat Recht?‹ Und dabei konnte er seine Blicke gar nicht von mir abwenden. Mein Mann, Alexis Sergejewitsch, wurde dabei sehr verwirrt; ich bemerkte das aber und sagte zu ihm: ›Alexis, ich bitte Dich, beunruhige Dich nicht; Du solltest mich doch besser kennen.‹ Und er antwortete: ›Sei Du nur ruhig, Melania. Diese selben Brillanten trage ich jetzt im Medaillon um das Bild von Alexis Gregoriewitsch. Du wirst es wohl schon gesehen haben, mein Junge; ich trage es bei Festtagen am Georgsbande an der Schulter. Denn er war ein tapferer Held, ein echter und rechter St. Georgs-Ritter; er hat die t;rkische Flotte verbrannt.« In der Seeschlacht bei Tschesme wure die t;rkische Flotte durch die unter des Grafen Orlow Befehl stehende russische verbrannt.
Trotz dieser kleinen Schw;chen war aber Melania Pawlowna ein ausgezeichnetes Gesch;pf; sie war ungemein leicht zufrieden zu stellen. »Sie macht Niemandem das Leben schwer, wie dies wohl andre Frauen thun,« sagten die Kammerm;dchen von ihr.
Eine wahre Leidenschaft entwickelte Melania Pawlowna f;r alle s;;en Speisen, und eine alte Frau, die ausschlie;lich zum Einmachen der Fr;chte angestellt war und die man deshalb die Zuckerfr;chtefrau nannte, brachte ihr wohl zehnmal im Laufe des Tages einen kleinen chinesischen Teller, auf dem bald in Zucker eingekochte Rosenbl;tter, bald Berberitz in Honig, bald auch Ananas-Sorbet sich befand.
Die alte Dame f;rchtete das Alleinsein, wegen der schrecklichen Gedanken, die sich ihr dann nur zu bald einstellten, und so befand sie sich denn fast fortw;hrend in einem Kreise von Leuten, die bei ihr das Gnadenbrod a;en, und die sie unausgesetzt bat: »Aber so sprecht doch nur! Erz;hlt mir doch irgend etwas! Seid ihr denn blo; dazu gut, um dazusitzen und die St;hle zu w;rmen?« Und dann fingen die Leute an zu plaudern und zu reden, da; es sich anh;rte, als wenn Kanarienv;gel zwitscherten.
Da sie ebenso fromm wie ihr Gatte war, hatte sie auch eine gro;e Neigung zum Beten. Weil sie nun aber, wie sie selbst eingestand, nicht gelernt hatte die Gebete gel;ufig zu lesen, unterhielt sie eigens zu diesem Zwecke eine arme Frau, die Wittwe eines Diakonus, die, wie sie sagte, »gar so appetitlich zu beten verstand. Niemals blieb sie stecken.« Und das mu; man sagen, diese Diakonswittwe konnte wirklich mit unvergleichlicher Fertigkeit beten; unaufhaltsam flo; ihr der Strom der Worte von den Lippen, und sie machte nicht einmal eine Pause, um Athem zu holen. Melania Pawlowna sa; dabei, h;rte zu und erbaute sich daran.
Noch eine andere arme Wittwe war zu ihren Privatdiensten angestellt, und zwar mu;te sie der Frau des Hauses in der Nacht M;rchen erz;hlen. »Aber nur alte M;rchen,« sagte Melania Pawlowna; »ich will nur solche h;ren, die ich schon von fr;her kenne, denn die neuen sind doch alle nur ausgedacht.«
So unbesonnen die alte Dame im Grunde war, so hatte sie doch auch wieder ihre Vorurtheile und Bedenken; die seltsamsten Launen und Ideen tauchten zuweilen in ihrem Kopfe auf. So konnte sie zum Beispiel den Zwerg Janus nicht leiden, denn sie hatte den Glauben, es k;nnte ihm eines sch;nen Tages einfallen, pl;tzlich laut zu rufen: Wi;t ihr, wer ich bin? Ich bin ein F;rst aus der Steppe und ihr Alle m;;t mir unterthan sein! Zuweilen f;rchtete sie auch, der Zwerg k;nnte in einem Anfall von Tr;bsinn ihr das Haus ;ber dem Kopf anz;nden.
Melania Pawlowna war ebenso freigebig, wie ihr Gatte, aber sie gab niemals Geld; sie f;rchtete, sich dabei die H;ndchen zu beschmutzen. Sie reichte den Bed;rftigen T;cher, Ohrringe, Kleider und B;nder, oder sie schickte vom Tische ein St;ck Mehlspeise, ein St;ck Braten und ein Glas Wein. An Festtagen liebte sie es, die Bauerfrauen zu bewirthen; nach dem Essen bat sie die Leute zu tanzen, und sie selbst stellte sich dann hin und stampfte im Takt mit den Abs;tzen der Schuhe.
Alexis Sergejewitsch wu;te sehr wohl, da; seine Frau geistig sehr beschr;nkt war, aber von Beginn seiner Ehe an that er, als glaube er seine Gattin habe eine sehr scharfe Zunge und lie;e sich gern in moquanten und sp;ttischen Redensarten gehen. Sobald sie gar zu sehr schwatzte, drohte er ihr mit dem Finger und sagte: »O, dieses Z;ngelchen! Diese kleine L;sterzunge! Wieviel wird sie in jener Welt abzub;;en haben! Man wird sie dort mit einer gl;henden Nadel durchsto;en.« Durch diese Worte f;hlte sich Melania Pawlowna aber nicht im Geringsten gekr;nkt; es machte ihr im Gegentheil eine heimlische Freude, so etwas zu h;ren und sie schien dabei zu denken: Kann ich daf;r, da; ich nun einmal von Hause aus so geistreich bin?
Sie betete ihren Mann an und w;hrend ihres ganzen Lebens blieb sie das Musterbild einer treuen Gattin, obwohl auch sie einen »Gegenstand« gehabt hatte. Es war dies ein junger Neffe von ihr gewesen, ein Husar, der, wie sie sich einbildete, ihretwegen in einem Duell gefallen war, glaubw;rdigeren Nachrichten zufolge aber in einer Kneipe einen Schlag mit einem Knotenstock erhalten hatte und an den Folgen dieses Angriffes gestorben war. In einer geheimen Schublade ihres Arbeitstisches verbarg sie das in Aquarellmanier ausgef;hrte Portrait dieses »Gegenstandes«, und sie err;thete jedesmal bis zu den Ohren, so oft sie den Namen »Kapiton«, so hatte der Husar n;mlich gehei;en, aussprach. Telegin nahm dann eine ;rgerliche Miene an, drohte wieder mit dem kleinen Finger und sagte: »Dem Pferd auf freier Wiese und der Frau im Hause darf man nicht trauen. O, wenn ich nur von diesem Kapiton h;ren mu;, bef;llt mich ein Zorn –« Dann bebte Melania Pawlowna am ganzen K;rper und rief: »Aber Alexis, das ist s;ndhaft von Dir! Hast Du denn gar kein Schamgef;hl? Als Du noch jung warst, hast Du sicherlich auch mit manchen Damen scharmuzirt – ich bin davon ;berzeugt –«
»Nun, schon gut, schon gut, Melaniuschka,« unterbrach sie dann l;chelnd ihr Gatte. »Dein Kleid ist wei;. Deine Seele aber ist noch wei;er.«
»Noch wei;er, Alexis! Ganz gewi;, noch wei;er!«
»O, dieses Z;ngelchen! Auf mein Ehrenwort dieses Z;ngelchen!« rief dann Alexis wieder und dr;ckte ihr dabei z;rtlich die Hand.
Telegin starb im Alter von achtundachtzig Jahren und zwar im Jahre 1848, dessen Ereignisse wohl auch ihn m;chtig erregt hatten. Sein Tod war von seltsamen Nebenumst;nden begleitet. Am Morgen f;hlte er sich noch recht wohl und behaglich, obwohl er schon seit einiger Zeit seinen Sessel ;berhaupt nicht mehr verlassen hatte. Pl;tzlich rief er seine Frau.
»Meine liebe Melaniuschka, komm’ doch einmal her!«
»Was giebt’s denn, Alexis?«
»Meine Todesstunde ist gekommen, mein T;ubchen! Das giebt es!«
»Gott sei Dir gn;dig, Alexis Sergejewitsch, wie kommst Du darauf?«
»Wie? Vor allen Dingen darf man in keiner Beziehung unbescheiden sein. Und dann: Seit dem fr;hesten Morgen betrachte ich nun schon meine F;;e, aber diese F;;e sind mir v;llig fremd, ich kenne sie gar nicht; auch diese H;nde, diese Brust, sie geh;ren nicht mir. Das kann doch nichts Anderes hei;en, als da; ich einem Andern seinen Platz streitig mache. Schicke doch zum Popen, mein Herz, bringe mich in mein Bett, von dem ich mich wohl nicht wieder erheben werde.«
Obgleich Melania Pawlowna in gro;e Best;rzung gerieth, brachte sie den Greis doch zu Bett und lie; dann den Popen holen.
Telegin beichtete, nahm das Abendmahl, verabschiedete sich von seinen Hausgenossen und schlummerte dann ein. Melania Pawlowna hatte neben seinem Lager Platz genommen.
»Alexis!« schrie sie pl;tzlich. »Schlie;e die Augen nicht! Jage mir nicht solchen Schrecken ein! Empfindest Du denn Schmerzen?«
Der Greis richtete den Blick auf seine Gattin.
»Nein – ich – ich habe keine Schmerzen, nur – das – Athmen wird mir – schwer.«
Nachdem er dann einige Zeit geschwiegen hatte, fuhr er fort:
»Siehst Du, Melania, nun ist das Ende des Lebens herangekommen. Erinnerst Du Dich noch, mein Herz, als wir Hochzeit machten? Welch ein stattliches Paar waren wir doch!«
»Ja – gewi; – Alexis, Du mein liebster