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Aus der Jugendzeit

Schatz!«

Wieder machte der Greis eine Pause.

»Melaniuschka, wir wollen uns in jener Welt wiederfinden, nicht wahr?«

»Ich werde zu Gott darum bitten, mein lieber Alexis!« erwiderte die alte Frau und die Thr;nen liefen ihr dabei ;ber die Wangen. »Weine doch nicht! Sei nicht so th;richt. Ich bin ;berzeugt, der liebe Gott macht uns dort oben wieder jung, und wir werden uns wieder zu einem Paar vereinigen.«

»Gewi;, Alexis, er wird uns wieder jung machen.«

»Dem lieben Gott ist Alles m;glich,« nahm Telegin wieder das Wort. »Er kann Wunder thun – vielleicht macht er Dich dann sogar vern;nftig. Nun, nun, mein liebes Herz, ich scherzte ja nur; gieb mir Dein H;ndchen, damit ich es k;sse.«

»Und Du gieb mir Deine Hand!«

Und die beiden Alten k;;ten einander die H;nde.

Nach und nach wurde Telegin ruhiger und endlich entschlummerte er wieder. Melania Pawlowna blickte ihn mit innigster Z;rtlichkeit an und wischte mit den Fingerspitzen die Thr;nen ab, die sich unter den Wimpern hervorstahlen. So vergingen zwei Stunden.

»Schl;ft er?« fragte eine fl;sternde Stimme.

Es war die alte Frau, die so gut zu beten verstand. Sie hielt sich hinter Irinarch, der unbeweglich wie eine Statue auf der Th;rschwelle stand und die Augen unverwandt auf seinen verscheidenden Herrn gerichtet hielt.

»Er schl;ft,« antwortete Melania Pawlowna ebenfalls im Fl;sterton. Pl;tzlich aber schlug Alexis Sergejewitsch die Augen auf.

»Meine treue Lebensgef;hrtin,« stammelte er mehr, als da; er sprach, »mein liebes Weib, auf den Knieen m;chte ich Dir danken, f;r all die Liebe und Herzlichkeit, die Du mir erwiesen hast. Aber wie k;nnte ich mich erheben? So komm her zu mir, da; ich Dich segne.«

Die Greisin n;herte sich und beugte sich zu ihm herab, aber die Hand, welche er eben zum Segen erhoben hatte, fiel kraftlos auf die Decke herab. Alexis Sergejewitsch hatte zu leben aufgeh;rt.

Die beiden T;chter langten mit ihren Gatten im Elternhause noch zeitig genug an, um dem Begr;bni; des Vaters beiwohnen zu k;nnen. Weder die Eine, noch die Andere von ihnen hatte Kinder. In seinem Testament hatte Telegin der T;chter gedacht, obwohl er auf seinem Sterbebette ihrer mit keinem Worte Erw;hnung gethan hatte. »Mein Herz ist ihnen verschlossen,« hatte er mir einst gesagt, und da ich seine Herzensg;te kannte, so war ich ;ber diese Worte nat;rlich sehr erstaunt. Aber es ist schwer, ;ber ein zwischen Eltern und Kindern bestehendes Verh;ltni; zu urtheilen. »Eine gro;e Schlucht f;ngt mit einem kleinen Spalte an,« hatte eines Tages Alexis Sergejewitsch gesagt, als das Gespr;ch auch wieder auf seine T;chter gekommen war. »Eine Wunde heilt wieder zu und wenn sie noch so gro; war; aber hackst Du Dir ein Nagelglied vom Finger ab, es w;chst niemals wieder.

Ich hatte den Eindruck, als ob sich die T;chter ihrer Eltern, die ja allerdings etwas altmodisch und sonderlich waren, sch;mten.

Einen Monat sp;ter war auch Melania Pawlowna aus der Reihe der Lebenden geschieden. Seit dem Todestage ihres Gatten ging sie wie ihrer Sinne kaum noch m;chtig herum; sie erhob sich mechanisch, sie kleidete sich mechanisch an, legte aber niemals ein Schmuckst;ck an. Bevor man sie jedoch in den Sarg legte, h;llte man sie in ihr blaues Kleid und auch das Medaillon mit Orlows Portrait gab man ihr mit ins Grab, jedoch ohne die Brillanten. Diese nahmen die beiden T;chter, und zwar unter dem Vorwande, mit ihnen das Bild der Verewigten zu schm;cken. In Wirklichkeit aber schm;ckten sie ihre eigenen werthen Personen damit.

Die beiden liebensw;rdigen Alten stehen in der Erinnerung noch so deutlich vor mir, als s;he ich sie lebendig, und f;r alle Zeiten werde ich ihnen die liebevollste Erinnerung bewahren.«

Iwan Suchich.

Der Eindruck patriarchalischen Stilllebens, welchen das Teleginsche Haus in jeder Beziehung machte, wurde einmal recht gr;ndlich gest;rt. Das Ereigni; trug sich zu, als ich, damals schon Student, zum letzten Male auf Besuch in dem Hause weilte.

Zur Zahl des Hofgesindes geh;rte ein gewisser Iwan mit dem Beinamen Suchich, der Kutscher. Der Mann war sehr klein, sehr lebhaft, hatte eine Stutznase, Lockenhaar, freundliche Augen und ein stets vergn;gtes, fast kindlich dreinschauendes Gesicht, obschon er sich bereits in vorger;ckten Jahren befand. Er war ein gro;er Possenrei;er, zu allen Schelmenstreichen aufgelegt, verstand sich auf alle m;glichen Kunstst;cke, veranstaltete Feuerwerke, lie; Drachen steigen, spielte alle nur denkbaren Spiele, konnte auf einem galoppirenden Pferde stehen, schwang sich beim Schaukeln h;her als alle Andern und konnte sogar Schattenspiele arrangiren. Niemand verstand es besser als er, die Kinder zu unterhalten, und er wurde nicht m;de, sich mit ihnen stunden — ja tagelang abzugeben. Wenn man ihn nur lachen h;rte, gerieth das ganze Haus sofort in einen gelinden Aufruhr; von allen Seiten hallte es lachend zur;ck. Mit besonderer T;chtigkeit f;hrte Iwan russische Volkst;nze auf, und den Tanz vom »Fischchen« machte ihm Keiner nach. Sobald der Chor ein Tanzlied zu singen begann, stellte sich unser Bursche in die Mitte des Kreises, und nun begann ein Drehen, Wenden, Springen, Stampfen, pl;tzlich warf er sich auf den Boden und ahmte die Bewegungen eines Fisches nach, den man aus dem Wasser genommen und aufs trockene Land geworfen hat. Er kr;mmte sich, da; die Abs;tze fast den Nacken ber;hrten; dann sprang er pl;tzlich wieder auf die F;;e, und man meinte, die Erde erbebe unter ihm.

Telegin war, wie ich schon oben erz;hlt habe, ein gro;er Freund aller Tanzbelustigungen. So rief er denn auch h;ufig, wenn ihn gerade die Laune anwandelte: »Heda! Iwan! Kutscherchen, komm’ ‘mal hierher. Tanze uns das ›Fischchen‹ vor! Lustig! vorw;rts!«

Und schon in der n;chsten Minute fl;sterte er entz;ckt: »Du mein Himmel, ist das lustig! der Iwan ist doch wirklich ein Tausendsappermenter!«

W;hrend meines letzten Aufenthaltes in Suchodol trat also dieser Iwan in mein Zimmer und warf sich, ohne ein Wort zu sagen, vor mir auf die Kniee.

»Was giebt’s denn, Iwan?«

»Retten Sie mich, Herr!«

»Ja, was ist denn geschehen?«

Nun theilte mir Iwan mit, von welchem Ungl;ck er betroffen worden war. Vor etwa zwanzig Jahren war er von seinen eigentlichen Besitzern, dem Gutsbesitzern Suchich, gegen einen Teleginschen Leibeigenen ausgetauscht worden. Das war so ganz obenhin geschehen, auf Treu und Glauben, und ohne da; Formalit;ten erf;llt oder Papiere ausgetauscht worden w;ren. Jener Bauer, der f;r ihn hingegeben war, starb, die Familie Suchich verga; Iwan vollst;ndig, er blieb im Hause Alexis Sergejewitschs und nur sein Rufname Suchich erinnerte daran, da; er eigentlich aus einem andern Besitzthum stamme. Dieses Besitzthum nun gerieth, als die bisherigen Herren starben, in andere H;nde, und der neue Besitzer, von dem man allgemein erz;hlte, da; er ein sehr grausamer und gewaltth;tiger Mensch sei, hatte kaum in Erfahrung gebracht, da; sich einer seiner Leibeigenen ohne ersichtlichen Grund bei Telegin aufhalte, als er auch schon die R;ckgabe verlangte, f;r den Fall der Verweigerung drohte er mit Strafe und Prozessen. Die Drohung war um so mehr zu f;rchten, als Jener selbst Geheimrath war und sich eines gro;en Einflusses bei den Verwaltungsbeh;rden des Gouvernements erfreute.

Auf den Tod erschrocken, eilte Iwan zu Telegin. Diesem that das Schicksal seines T;nzers leid und er machte dem Geheimrath den Vorschlag, ihm den Leibeigenen f;r eine bedeutende Summe zu verkaufen. Davon aber wollte der Geheimrath nichts wissen; er war ein Kleinrusse und diese sind bekanntlich eigensinnig wie der Teufel. Es blieb also nichts ;brig, als den armen Kerl auszuliefern.

»Ich habe mich hier eingew;hnt; hier bin ich heimisch geworden, hier habe ich gedient, hier habe ich mein Brod gegessen und hier will ich auch sterben,« sagte Iwan zu mir.

Das auf seinem Gesicht sonst best;ndige L;cheln war vollst;ndig verschwunden. Vor Angst und Schreck schienen die Z;ge des Mannes zu Stein erstarrt zu sein. »Jetzt soll ich nun zu einem solchen schlimmen Menschen, zu solchem Misseth;ter gehen! Bin ich denn ein Hund, dem man einfach eine Schlinge um den Hals wirft und ihn dann aus einer Hundeh;tte in die andere zieht? Ja, so hat es nun kommen m;ssen. Helfen Sie mir doch, Herr! bitten Sie bei Ihrem lieben Onkel f;r mich. Erinnern Sie sich doch nur, wie gut ich Sie immer unterhalten habe. Wenn mir nicht geholfen wird, wenn ich von hier fort mu;, so geschieht ein Ungl;ck!«

»Was f;r ein Ungl;ck, Iwan?«

»Nun, ich werde meinen neuen Herrn todtschlagen. Ich werde zu ihm gehen und werde ihm sagen: ›Herr, lassen Sie mich nach Suchodol zu Herrn Telegin zur;ckkehren. Wenn nicht, so rathe ich Ihnen: Nehmen Sie sich vor mir in Acht. Ich werde Sie todtschlagen.‹ «

Wenn ein Zeisig oder Finke pl;tzlich die Redegabe erhielte und mich nun aufs Ernsthafteste versicherte, da; er auf einen andern Vogel so lange mit dem Schnabel einhacken w;rde, bis jener todt sei, ich w;rde nicht in gr;;eres Erstaunen versetzt werden k;nnen, als es jetzt geschehen war. Wie? Iwan Suchich, der T;nzer, der Possenrei;er, der lustige Bursche, der Freund der Kinder, selbst ein Kind, dieses harmlose, gutm;thige Gesch;pf sollte zum M;rder werden k;nnen? Welch eine dumme Idee! Ich nahm das Gerede auch nicht einen Augenblick lang f;r Ernst. Ich war schon sehr erstaunt und fand es als etwas ganz Besonderes, da; er ein solches Wort ;berhaupt hatte aussprechen k;nnen.

Jedenfalls hielt ich es f;r Pflicht der Menschlichkeit, zu meinem Onkel zu gehen. Ich erz;hlte ihm nicht Alles, was Iwan in seiner Angst und Noth zu mir gesagt hatte, bat ihn aber, doch kein Mittel unversucht zu lassen, um die Sache auf irgend eine Weise in G;te beizulegen.

»Mein lieber Junge,« erwiderte mir Alexis Sergejewitsch, »ich will ja von Herzen gern Alles thun, was in meinen Kr;ften steht. Ich habe diesem eigensinnigen Menschen, diesem echten Kleinrussen, schon eine bedeutende Summe geboten – dreihundert Rubel, auf mein Ehrenwort! dreihundert Rubel bot ich ihm schon. Aber er will ja von einem Loskaufen nichts wissen. Er sagt, in fr;heren Zeiten habe man wohl so gegen Gesetz und Recht verfahren k;nnen, aber jetzt sei das anders und er bestehe auf seinem Recht. Ich mu; ja bef;rchten, da; dieser niedertr;chtige Mensch mir den Iwan, wenn ich ihn nicht gutwillig ausliefere, mit Gewalt nimmt. Er hat eine starke

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Schatz!« Wieder machte der Greis eine Pause. »Melaniuschka, wir wollen uns in jener Welt wiederfinden, nicht wahr?« »Ich werde zu Gott darum bitten, mein lieber Alexis!« erwiderte die alte Frau