macht ein Aufsehen in Moskau; so etwas ist noch nicht dagewesen. Alle Welt spricht davon. Nun, wie ist’s? Werden Sie kommen? Besonders eine von den Zigeunerinnen, die reine Natter! Schwarz ist sie wie ein Paar Stiefel und b;se wie ein Kettenhund, aber Augen hat sie! Augen! Wie gl;hende Kohlen! Man wei; nicht genau, will sie Einen im n;chsten Augenblick bei;en oder k;ssen? Nun, Sie werden doch kommen, Onkelchen, nicht wahr? Also auf Wiedersehen!«
Er umarmte mich st;rmisch, gab mir einen schallenden Ku; auf die Schulter, sprang in den Hof hinunter, stieg in die Kalesche, schwenkte mit einem lauten Schrei die M;tze ;ber dem Kopfe; der ungeheuerlich aussehende Kutscher blickte seitw;rts ;ber den Bart zu ihm hin;ber, zog dann die Z;gel an – Alles war verschwunden!
Am andern Tage – ich wei; kaum selbst zu sagen, aus welchem Grunde es geschah, genug, ich that es – am andern Tage ging ich zum »Sokolniki«. Ich sah dort in der That die Bude, die Fahne und die Aufschrift. Die Dielen der Bude waren etwas erh;ht angebracht und von dorther ert;nte wildes Schreien, Kreischen und Johlen. Eine gro;e Volksmenge dr;ngte sich um das Zelt und in seinem Innern. Auf den Dielen war ein Teppich ausgebreitet; hier sa;en m;nnliche und weibliche Zigeuner. Sie sangen und schlugen das Tambourin, und mitten unter ihnen, eine Guitarre in den H;nden haltend, mit rothseidenem Hemd und sammetnen, faltigen Hosen bekleidet, drehte sich Mischa wie ein Kreisel herum und schrie dazu mit heiserer Stimme: »Immer herein! meine Herrschaften! Immer herein! Treten Sie n;her. Die Vorstellung wird sofort beginnen! Heda, Champagner her! Lasset die Pfropfen springen! Bis an die Decke m;ssen sie springen! Vorw;rts doch – Hurrah!«
Gl;cklicherweise bemerkte er mich nicht und so gelang es mir, mich schnell wieder zu entfernen.
Ich will Ihnen, meine Herren, nun nicht des Langen und des Breiten mein Erstaunen ;ber die Ver;nderung schildern, die mit dem jungen Manne vorgegangen. Aber unwillk;rlich dr;ngt sich doch die Frage auf: Wie hatte sich der stille und bescheidene Knabe so furchtbar schnell in solchen Trunkenbold und leichtsinnigen Strick verwandeln k;nnen? Hatte diese tolle Wildheit seit seiner fr;hesten Jugend in ihm geschlummert und war sie erst dadurch zu Tage getreten, da; der Druck der v;terlichen Aufsicht nicht mehr auf ihm lastete? Welcher Art das Aufsehen war, das er, wie er selbst sagte, in Moskau machte, dar;ber konnte nicht der leiseste Zweifel bestehen. Ich habe in meinem Leben leichtsinnige Menschen in gro;er Zahl gesehen, aber dieser Leichtsinn erinnerte schon mehr an das Gebahren eines Tollh;uslers, an tats;chliches Bestreben, sich selbst zu vernichten, es war eine Art Verzweiflung.
III.
Zwei Monate lang etwa mochte dieses Am;sement, dieses tolle Leben gedauert haben. Da stehe ich wieder einmal am Fenster meines Salons und schaue in den Hof hinab, was mu; ich da f;r einen neuen seltsamen Mummenschanz gewahren? Langsamen Schrittes, dem;thig und bescheiden tritt ein Klosterbruder auf den Hof; die Kapuze hat er ;ber die Stirne tief ins Gesicht gezogen, die Haare sind, soviel man davon sehen kann, sorgf;ltig gescheitelt und nach rechts und links zur Seite gek;mmt. Die lang wallende M;nchskutte wird von einem ledernen G;rtel zusammengehalten. Aber dieses Gesicht, diese Gestalt, sollte es m;glich sein? Mischa? Ja wahrhaftig, er ist’s!
Ich ging die Treppe hinunter, um ihn im Hofe zu begr;;en.
»Was soll denn nun wieder diese neue Maskerade?« fragte ich.
»Von einer Maskerade ist hier keine Rede, Onkelchen,« erwiderte Mischa mit tiefem Seufzer. »Ich habe mein gesammtes Geld bis auf den letzten Kopeken ausgegeben und verthan; nun hat mich die Reue ergriffen und ich that das Gel;bde, ins Sergej-Kloster zu Troitzko zu gehen und dort meine S;nden zu bereuen. Welch ein anderer Zufluchtsort st;nde mir denn jetzt wohl noch offen? Und so komme ich denn zu Ihnen, lieber Onkel, um Ihnen Lebewohl zu sagen und Sie, wie es die Pflicht des verlorenen Sohnes ist, um Verzeihung zu bitten.«
Ich blickte Mischa ganz ;berrascht an. Sein Gesicht war so rosig und frisch, wie nur je zuvor – es hat ;brigens bis zuletzt dieses Aussehen nicht verloren – die Augen schimmerten noch immer so feucht, blickten noch immer so freundlich und schmachtend darein, die H;ndchen waren noch immer so wei;; leider aber verbreitete er auch noch immer einen starken Branntweingeruch um sich.
»Was soll ich dazu sagen?« bemerkte ich schlie;lich. »Ich kann Deinen Entschlu; nur billigen und ich w;;te auch keinen andern Ausweg f;r Dich. Aber weshalb riechst Du so entsetzlich nach Branntwein?«
»Das ist noch ein Rest vom alten Adam,« entgegnete er und platzte in sein altes, lautes, gellendes Lachen aus. Pl;tzlich aber schien er sich auf seinen neuen Stand zu besinnen, verbeugte sich steif und tief, wie es die M;nche zu thun pflegen, und f;gte hinzu:
»Wollen Sie mir nicht ein kleines Zehrgeld mit auf den Weg geben? Ich mache die Reise bis nach dem Kloster zu Fu;.«
»Wann gehst Du auf die Wanderung?«
»Heute noch, sofort.«
»Weshalb hast Du es denn so eilig?«
»Onkelchen, mein Wahlspruch war von jeher: Schnell, immer nur schnell!«
»Und welchen Wahlspruch hast Du jetzt?«
»Denselben. Nur sage ich jetzt: Schnell zum Guten.«
So verlie; mich denn Mischa und ich blieb allein, um ;ber die Wandelbarkeit aller menschlichen Schicksale meine Betrachtungen anzustellen.
Aber bald wurde ich wieder an die Existenz meines Neffen erinnert.
Kaum zwei Monate waren nach seinem Abschiedsbesuche verflossen, als ich einen Brief von ihm erhielt, und zwar war dies der erste von allen jenen, die ich in der Folgezeit in gro;er Zahl empfing. Und beachten Sie den eigenth;mlichen Umstand: Ich habe selten eine so saubere und klare Handschrift gesehen wie diejenige dieses halbverdrehten Menschen. Der Stil war auch durchaus korrekt, wenn auch einige gesuchte Ausdr;cke mitunterliefen.
In diesen Briefen wechselten die Bitten um Unterst;tzung best;ndig mit den Versprechungen der Besserung ab, ferner mit Betheuerungen, flehentlichen Anrufungen und Segensw;nschen. Alles schien aufrichtig gemeint zu sein und war es vielleicht auch wirklich. Die Unterschrift Mischa’s war stets mit vielen Punkten, Strichen Und Schn;rkeln verziert; auch hatte er die Gewohnheit, m;glichst viele Ausrufungszeichen im Texte jedes Briefes anzuwenden.
Im ersten seiner Briefe theilte mir Mischa mit, da; sein Geschick eine neue »Wendung« genommen hatte. (Sp;ter sprach er nicht mehr von einer neuen »Wendung«, sondern vom »Auftauchen einer neuen Idee«, und es »tauchte« sehr viel »auf«.) Er schrieb mir also, da; er nach dem Kaukasus gehe, um »seine Brust dem Vaterlande und dem Czaren darzubringen«, indem er als F;hnrich in ein Regiment eintr;te. Irgend eine wohlth;tige alte Tante, die sich f;r ihn interesstrte, hatte ihm bereits eine kleine Summe zur Beihilfe bei der Equipirung gesandt, und mich bat er nun ebenfalls um eine Unterst;tzung f;r denselben Zweck. Ich erf;llte seine Bitte und zwei Jahre lang h;rte ich nicht das Mindeste von ihm.
Unter uns gesagt: Ich zweifelte sehr stark daran, ob er wirklich nach dem Kaukasus gegangen fei. Aber dies war nun doch der Fall. Wie ich sp;ter h;rte, war er durch Protektion, die er sich zu verschaffen gewu;t hatte, als F;hnrich im T.’schen Regimente einrangirt worden, und zwei Jahre lang blieb er bei demselben im Dienste. Eine ganze Menge Geschichten waren ;ber ihn und seine Streiche im Umlauf und ein Offizier seines Regimentes, mit dem ich durch Zufall zusammentraf, theilte mir dieselben sp;ter auch mit.
IV.
Ich erfuhr ;ber ihn so Manches, wie ich es selbst von ihm, dem ich doch ziemlich viel zutraute, nicht erwartet hatte. Da; er sich mit Bezug auf den Dienst als mittelm;;iger oder, um es gerade heraus zu sagen, als absolut schlechter Soldat gezeigt hatte, wunderte mich nicht im Geringsten; was mich aber wirklich in Erstaunen versetzte, war die Thatsache, da; man ihm nicht einmal nachsagen konnte, er bes;;e pers;nliche Tapferkeit; w;hrend der Schlachten machte er den Eindruck eines matten, zu Thaten unlustigen Mannes, der von Sorgen gequ;lt ist, Die ganze milit;rische Disziplin verstimmte ihn und war ihm l;stig. Wenn es sich um ihn pers;nlich handelte, konnte er bis zum Wahnwitz k;hn sein; er wies keine Wette zur;ck, sie mochte so unsinnig sein, wie sie wollte, aber Andern ein Leid zuf;gen, sich zu schlagen, Jemanden zu t;dten, dazu war er nun einmal nicht im Stande, sei es, weil sein Herz von Natur zu sanft und gut war, sei es, da; die »baumwollene« Erziehung, die er, wie er sich ausdr;ckte, in seiner Jugend empfangen hatte, ihn daran verhinderte. Zu jeder Zeit und auf jede nur denkbare Art und Weise war er bereit sich selbst zu zerst;ren; aber Andern einen Schaden zuf;gen – nein!
»Der Teufel selbst kann aus diesem Menschen nicht klug werden,« sagten die Kameraden, wenn sie von ihm sprachen. »Er ist eigentlich schlaff, wie ein Waschlappen, aber zu andern Zeiten geberdet er sich wie ein Mensch ohne Sinn und Verstand, oder wie ein Verzweifelter.«
Sp;ter nahm ich einmal die Gelegenheit wahr Mischa zu fragen, welcher b;se Geist ihn treibe, so ma;los zu trinken, sein Leben ohne rechte Ursache aufs Spiel zu setzen und tausend ;hnliche tolle Streiche zu begehen. Und er hatte immer nur eine und dieselbe Antwort: »Es ist der Gram.«
»Gram? Wor;ber gr;mst Du Dich denn?«
»Wor;ber? Nun das liegt doch auf der Hand. Man h;lt Einkehr bei sich, man besinnt sich auf sich selbst, man denkt an all das Elend, an all die Ungerechtigkeit, die in Ru;land herrscht, da kommt der Gram schon von selbst. Man gr;mt sich, da; man sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf schie;en m;chte. Man f;ngt an, teufelm;;ig liederlich zu leben, und kann doch eigentlich selbst nicht daf;r.«
»Was kann Dich denn aber der Zustand in ganz Ru;land k;mmern?«
»Weshalb soll ich mir dar;ber denn keine Sorge machen? Aber das mu; ich allerdings sagen: Ich f;rchte mich fast schon, daran auch nur zu denken.«
»Ich will es Dir besser sagen, was an Deinem Gram schuld ist: Deine eigene Unth;tigkeit.«
»Aber was soll ich denn eigentlich thun, bestes Onkelchen? Ich verstehe ja nichts. Sein ganzes Leben auf eine einzige Karte setzen, da; es im Handumdrehen hei;t,