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Der Duellant

Der Duellant. Иван Сергеевич Тургенев

Geboren am 09.11.1818 in Oryol (Ukraine), gestorben am 03.09.1883 in Bougival, nahe Paris.

Turgenev war der Sohn reicher Landbesitzer. Nach dem damals ;blichen Hausunterricht f;r Kinder adliger Familien studierte er in Moskau, Sankt Petersburg und Berlin, und war nach Abschlu; seiner Studien kurze Zeit als Staatsbeamter in Sankt Petersburg t;tig. 1843 ver;ffentlichte er sein erstes Gedicht (Paraša), das von der Kritik gut aufgenommen wurde. Ab 1855 hielt Turgenev sich zumeist im Ausland auf, 1863 w;hlte er Baden-Baden zu seinem st;ndigen Wohnsitz. In Deutschland lernte Turgenev Theodor Storm, Eduard M;rike, und Gustav Freytag kennen. In Paris, wo er sich nach 1871 niederlie;, traf er u. a. mit George Sand, Gustave Flaubert, ;mile Zola, Prosper M;rim;e und Henry James zusammen.

Im Gegensatz zu den anderen beiden gro;en russischen Schriftstellern seiner Zeit, Tolstoi and Dostojewski, war nicht Religion sein zentrales Thema, sondern Leid der in Leibeigenschaft lebenden Bauern, wie er es auf dem elterlichen Gut hatte beobachten k;nnen. Goethes Werther inspirierte ihn zu der Erz;hlung ‘Faust’.

Werke u.a.

* 1852 Aufzeichnungen eines J;gers (Erz;hlungen)

* 1855 Ein Monat auf dem Lande

* 1860 Erste Liebe (Novelle)

* 1860 Am Vorabend (Roman)

* 1862 V;ter und S;hne

Kap. 1

Das …sche K;rassierregiment lag im Jahre 1829 im Kirchdorf Kirillowo, im K-schen Gouvernement im Quartier. Dieses Kirchdorf erschien mit seinen Bauernh;tten und Getreideschobern, seinen gr;nen Hanffeldern und ;nnen Silberweiden aus der Ferne wie eine Insel im un;bersehbaren Meer der gepfl;gten, schwarzen Äcker. In der Mitte des Dorfes lag ein kleiner, immer mit G;nsegefieder bedeckter Weiher mit schmutzigen, an vielen Stellen aufgew;hlten Ufern; hundert Schritte hinter dem Weiher, jenseits der Stra;e, erhob sich das h;lzerne Herrenhaus, das seit langem unbewohnt war und sich traurig auf eine Seite geneigt hatte; hinter dem Haus zog sich der verwilderte Garten hin; im Garten wuchsen alte, unfruchtbare Apfelb;ume und hohe Birken voller Kr;hennester; am Ende der Hauptallee wohnte in einem kleinen H;uschen (der ehemaligen herrschaftlichen Badestube) der altersschwache Haushofmeister, der sich jeden Morgen aus alter Gewohnheit keuchend und hustend durch den Garten in die herrschaftlichen Gem;cher schleppte, in denen es nichts zu bewachen gab au;er einem Dutzend wei;er, mit verschossenem Stoff ;berzogener Sessel, zwei bauchigen Kommoden auf geschwungenen F;;en mit Messingbeschl;gen, vier alten Bildern und einem schwarzen Mohr aus Alabaster mit abgeschlagener Nase. Der Besitzer dieses Hauses, ein sorglos in den Tag lebender junger Mann, wohnte bald in Petersburg und bald im Ausland und hatte sein Gut g;nzlich vergessen. Er hatte es vor etwa acht Jahren von einem uralten Onkel geerbt, der einst im ganzen Kreis wegen seiner Fruchtschn;pse ber;hmt gewesen war. Die leeren dunkelgr;nen Flaschen lagen noch immer in den Vorratskammern zusammen mit allerlei Ger;mpel, engbeschriebenen Heften in bunten Umschl;gen, altert;mlichen Glasl;stern, einer alten Adelsuniform aus den Tagen der Kaiserin Katharina, einem verrosteten Degen mit st;hlernem Korb usw. In einem der Fl;gel dieses Hauses wohnte nun der Oberst, ein verheirateter, gro;gewachsener, wortkarger, ;sterer und immer verschlafener Mann. Im andern Fl;gel hatte sich der Regimentsadjutant einquartiert, ein empfindsamer und parf;mierter Offizier, gro;er Liebhaber von Blumen und Schmetterlingen. Die Gesellschaft der Herren Offiziere des …schen Regiments unterschied sich durch nichts von jeder anderen Offiziersgesellschaft. Unter ihnen gab es gute und schlechte, kluge und hohle Menschen …

Ein gewisser Stabs-Rittmeister Awdej Iwanowitsch Lutschkow galt als Kampfhahn. Lutschkow war klein gewachsen und ziemlich unansehnlich; er hatte ein kleines, trockenes Gesicht von gelber Hautfarbe, sp;rliche schwarze Haare, gew;hnliche Z;ge und dunkle kleine Augen. Er hatte seine Eltern fr;h verloren und war in Not und unter schlechter Behandlung aufgewachsen. Wochenlang verhielt er sich ruhig … pl;tzlich aber begann er, als w;re ein Teufel in ihn gefahren, alle zu bel;stigen, anzu;den und allen frech in die Augen zu blicken; mit einem Wort – er provozierte Streit. Awdej Iwanowitsch mied ;brigens seine Kameraden nicht, war aber nur mit dem parf;mierten Adjutanten befreundet. Er spielte keine Karten und trank auch nicht.

Im Mai 1829, kurz vor Beginn der Übungen, kam ins Regiment der junge Kornett Fjodor Fjodorowitsch Kister, ein russischer Edelmann deutscher Abstammung, blond, sehr bescheiden, gebildet und belesen. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr hatte er im Elternhaus unter den Fittichen seiner Mutter, Gro;mutter und zweier Tanten gelebt; in den Milit;rdienst war er nur auf Wunsch seiner Gro;mutter getreten, die selbst im Alter keinen wei;en Federbusch ohne Erregung sehen konnte … Er diente ohne besondere Lust, tat aber seine Pflicht eifrig, p;nktlich und gewissenhaft; er kleidete sich nicht stutzerhaft, doch sauber und vorschriftsm;;ig. Gleich am ersten Tag nach seiner Ankunft meldete er sich bei den Vorgesetzten; dann machte er sich an die Einrichtung seiner Wohnung. Er hatte billige Tapeten, einige kleine Teppiche, Etageren und so weiter mitgebracht, tapezierte alle W;nde und T;ren, brachte einige Bretterverschl;ge an, lie; den Hof reinigen, Stall und K;che umbauen und bestimmte sogar einen eigenen Platz f;r eine Badewanne … Eine ganze Woche arbeitete er daran; daf;r war es sp;ter ein Vergn;gen, ihn zu besuchen. Vor den Fenstern stand ein sauberer Tisch mit allerlei S;chelchen; in einer Ecke befand sich eine Etagere mit B;chern und den B;sten von Schiller und Goethe; an den W;nden hingen Landkarten; vier K;pfchen nach Gr;vedon und ein Jagdgewehr; neben dem Tisch erhob sich eine schlanke Reihe langer Pfeifen mit sauber gehaltenen Mundst;cken; im Vorzimmer lag ein Fu;teppich; alle T;ren schlossen; an den Fenstern hingen Gardinen. Im Zimmer Fjodor Fjodorowitschs atmete alles Ordnung und Sauberkeit. Wie anders war es bei seinen Kameraden! Zu manchem kann man nur mit M;he durch einen schmutzigen Hof gelangen; im Vorzimmer schnarcht hinter einer zerfetzten, mit Sackleinwand ;berzogenen spanischen Wand der Bursche; auf dem Fu;boden liegt faules Stroh; auf dem Herd ein Paar Stiefel und ein Scherben mit Wichse; im Wohnzimmer selbst steht ein mit Kreide beschriebener, defekter L’hombre-Tisch; auf dem Tisch zur H;lfte mit kaltem dunkelbraunem Tee gef;llte Gl;ser; an der Wand ein schmieriger, durchgedr;ckter Diwan; auf den Fensterbrettern Pfeifenasche … In einem plumpen Polstersessel thront der Hausherr selbst, mit einem grasgr;nen Schlafrock mit himbeerroten Pl;schaufschl;gen angetan, ein gesticktes K;ppchen asiatischer Herkunft auf dem Kopfe; neben dem Hausherrn schnarcht abscheulich ein dicker, ganz unbrauchbarer K;ter mit stinkendem Messinghalsband …

Alle T;ren stehen immer weit offen …

Fjodor Fjodorowitsch gefiel seinen neuen Kameraden. Sie hatten ihn wegen seiner Gutm;tigkeit, Bescheidenheit, Herzensw;rme und herzlichen Neigung f;r »alles Sch;ne« liebgewonnen, mit einem Worte f;r Eigenschaften, die sie bei einem andern Menschen vielleicht als unpassend empfunden h;tten. Man nannte Kister »junges M;dchen« und behandelte ihn z;rtlich und sanft. Nur Awdej Iwanowitsch allein sah ihn scheel an. Eines Tages nach dem Exerzieren ging Lutschkow mit leicht zusammengepre;ten Lippen und gebl;hten N;stern auf ihn zu.

»Guten Tag, Herr Knaster!«

Kister sah ihn erstaunt an.

»Meine Hochachtung, Herr Knaster!« wiederholte Lutschkow. »Ich hei;e Kister, mein Herr.«

»So, Herr Knaster?!«

Fjodor Fjodorowitsch wandte ihm den R;cken zu und ging nach Hause. Lutschkow blickte ihm mit sp;ttischem L;cheln nach.

Am n;chsten Tag ging er gleich nach dem Exerzieren wieder auf Kister zu.

»Nun, wie geht es, Herr Kinderbalsam?«

Kister fuhr auf und blickte ihm gerade ins Gesicht. In den kleinen, galligen Augen Awdej Iwanowitschs leuchtete boshafte Freude.

»Ich meine Sie, Herr Kinderbalsam!«

»Mein Herr«, antwortete ihm Fjodor Fjodorowitsch, »ich finde Ihren Scherz dumm und deplaziert – h;ren Sie es? –, dumm und deplaziert.«

»Wann schlagen wir uns?« entgegnete Lutschkow ruhig.

»Wann Sie wollen, von mir aus morgen.«

Am andern Morgen schlugen sie sich. Lutschkow brachte Kister eine leichte Verwundung bei, ging darauf, zum gr;;ten Erstaunen der Sekundanten, auf den Verwundeten zu, dr;ckte ihm die Hand und bat ihn um Verzeihung.

Kister mu;te zwei Wochen zu Hause sitzen; Awdej Iwanowitsch besuchte ihn einigemal und freundete sich, als Fjodor Fjodorowitsch genesen war, mit ihm an. Ob ihm die Entschlossenheit des jungen Offiziers gefallen hatte, oder ob in seinem Herzen ein der Reue ;hnliches Gef;hl erwacht war, ist schwer zu entscheiden … doch vom Tage des Duells an trennte sich Awdej Iwanowitsch fast nie von Kister und nannte ihn erst Fjodor und dann auch Fedja. In seiner Gegenwart war er immer wie ver;ndert, doch – seltsamerweise – nicht zu seinem Vorteil. Milde und Sanftheit standen ihm nicht zu Gesicht. Sympathie konnte er ja doch in niemand wecken; so war einmal sein Schicksal! Er geh;rte zu den Menschen, denen gleichsam das Recht, ;ber die anderen zu herrschen, gegeben ist; doch die Natur versagte ihm jede Begabung – die notwendige Rechtfertigung eines solchen Rechts. Da er weder eine Bildung genossen hatte noch klug war, durfte er sich eigentlich nie demaskieren; vielleicht beruhte seine Erbitterung auch auf der Erkenntnis der M;ngel seiner Erziehung und auf dem Wunsche, alles unter einer unver;nderlichen Larve zu verbergen. Awdej Iwanowitsch hatte sich anfangs gezwungen, die Menschen zu verachten; und als er merkte, da; es gar nicht so schwer ist, sie einzusch;chtern, fing er an, sie tats;chlich zu verachten. Lutschkow machte es Vergn;gen, durch sein blo;es Erscheinen jedes nicht ganz banale Gespr;ch zu unterbrechen.

Ich wei; nichts, ich habe nichts gelernt und habe auch f;r nichts Begabung, dachte er sich, also ;rft auch ihr in meiner Anwesenheit nichts wissen und keine Begabung zeigen …

Kister hatte ihn vielleicht dadurch gezwungen, aus seiner Rolle zu fallen, weil der Kampfhahn, bevor er ihn kennen gelernt hatte, noch keinem einzigen wirklich »ideal« veranlagten, das hei;t einem uneigenn;tzig und gutm;tig seinen Tr;umen nachgehenden und darum nachsichtigen und nicht ehrgeizigen Menschen begegnet war.

Zuweilen kam Awdej Iwanowitsch des Morgens zu Kister, steckte sich eine Pfeife an und setzte sich still in einen Sessel. Vor Kister sch;mte er sich nicht seiner Unwissenheit; er verlie; sich – und nicht vergebens – auf dessen deutsche Bescheidenheit.

»Nun«, fing er an, »was hast du gestern getrieben? Hast wohl gelesen, wie?«

»Ja, ich habe gelesen …«

»Was hast du denn gelesen? Erz;hl es mir, Bruder, erz;hl es mal.« Awdej Iwanowitsch behielt den sp;ttischen Ton bis zuletzt.

»Ich las das ›Idyll‹ von Kleist, Bruder. Ach, ist das sch;n! Erlaube, da; ich dir einige Zeilen ;bersetze!« – Und Kister ;bersetzte mit gro;em Eifer; w;hrend Lutschkow mit gerunzelter

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