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Die lebendige Reliquie

Lukerja sang das Lied »Auf den Wiesen«. Sie sang mit dem gleichen Ausdruck ihres versteinerten Gesichts und mit starren Augen. So r;hrend klang diese armselige, angestrengte, wie eine d;nne Rauchs;ule bebende Stimme, so sehr wollte sie ihre ganze Seele ergie;en. Ich empfand kein Grauen mehr: ein unsagbares Mitleid pre;te mir das Herz zusammen.

»Ach, ich kann nicht mehr!« sagte sie pl;tzlich: »Meine Kr;fte reichen nicht… Ich freue mich zu sehr ;ber Ihren Besuch.«

Sie schlo; die Augen.

Ich legte meine Hand auf ihre kleinen kalten Finger… Sie blickte mich an und senkte wieder ihre dunklen Augenlider mit den goldenen Wimpern, die mich an die Augenlider alter Statuen erinnerten. Einen Augenblick sp;ter leuchteten sie wieder im Halbdunkel… Tr;nen hatten sie benetzt.

Ich sa; noch immer regungslos.

»Was bin ich f;r eine!« sagte pl;tzlich Lukerja mit unerwarteter Kraft. Sie ;ffnete weit die Augen und versuchte durch Zwinkern die Tr;nen von den Wimpern abzusch;tteln. »Sch;me ich mich denn gar nicht? Was f;llt mir blo; ein? Schon lange ist mir so was nicht passiert… seitdem mich Wa;ja Poljakow einmal im vorigen Fr;hjahr besucht hat. Solange er bei mir sa; und mit mir sprach, ging es noch; als er aber gegangen und ich wieder allein geblieben war, da weinte ich! Wo nahm ich nur die Tr;nen her!… Wir Weiber brauchen sie ja nicht zu kaufen. Herr,« f;gte Lukerja hinzu: »Sie haben wohl ein T;chlein… Ekeln Sie sich nicht vor mir, wischen Sie mir die Augen ab.«

Ich beeilte mich, ihren Wunsch zu erf;llen, und lie; ihr auch das Taschentuch. Anfangs wollte sie es nicht annehmen: »Was brauche ich so ein Geschenk?« Das Tuch war sehr einfach, aber wei; und sauber. Dann ergriff sie es mit ihren schwachen Fingern und lie; es nicht mehr los. Da ich mich an die Dunkelheit, in der wir uns beide befanden, schon gew;hnt hatte, konnte ich ihre Z;ge deutlich unterscheiden, konnte sogar die leichte R;te bemerken, die ihr bronzenes Gesicht ;berhauchte, konnte in diesem Gesicht – so schien es mir wenigstens – die Spuren einstiger Sch;nheit entdecken.

»Sie fragten mich vorhin, Herr,« begann Lukerja von neuem, »ob ich schlafe. Ich schlafe wirklich selten, habe aber daf;r jedesmal Tr;ume, so sch;ne Tr;ume! Niemals sehe ich mich im Traume krank: im Traume bin ich immer so stark und jung… Eines ist nur schlimm: wenn ich erwache und mich ordentlich strecken m;chte, so bin ich wie gefesselt. Einmal hatte ich einen wunderbaren Traum! Soll ich ihn erz;hlen? Nun, h;ren Sie zu. – Ich stehe im Felde, und rings um mich her ist Korn, hohes, reifes, wie Gold schimmerndes Korn!… Ich habe ein rotbraunes H;ndchen bei mir, es ist b;se und will mich immer bei;en. Und in der Hand halte ich eine Sichel, es ist aber keine gew;hnliche Sichel, sondern der Mond, der einer Sichel gleicht. Mit dieser Mondsichel soll ich das ganze Korn abm;hen. Ich bin aber matt vor Hitze, der Mond blendet mich, und ich bin so faul; ringsherum wachsen ungew;hnlich gro;e Kornblumen! Sie wenden alle ihre K;pfe nach mir um. Ich sage mir: ›Ich will mir diese Kornblumen pfl;cken; Wa;ja versprach herzukommen, darum will ich mir zuerst einen Kranz aus Kornblumen flechten; zum M;hen ist noch immer Zeit.‹ – Ich beginne die Kornblumen zu pfl;cken, aber sie zerschmelzen mir zwischen den Fingern. Ich kann mir also keinen Kranz flechten. Ich h;re aber, wie sich mir jemand n;hert; er ist schon ganz nahe und ruft: ›Luscha! Luscha!‹ Und ich sage mir: ›So ein Pech, ich bin doch nicht fertig geworden! Nun ist alles gleich, ich will mir diesen Mond statt der Kornblumen auf den Kopf legen.‹ Ich setze mir die Mondsichel wie ein Diadem auf die Stirn, und sie erstrahlt gleich so hell, da; es im Felde ganz licht wird. Und ich sehe: ;ber die Korn;hren schwebt zu mir jemand heran – es ist aber nicht Wa;ja, sondern Christus! Woran ich erkannt habe, da; es Christus war, kann ich nicht sagen; auf den Heiligenbildern wird er ganz anders dargestellt; ich wusste aber bestimmt, da; Er es war. Bartlos, gro; gewachsen, jung, wei; gekleidet mit goldenem G;rtel, reicht er mir die Hand. Und er sagt zu mir: ›F;rchte dich nicht, meine geliebte Braut, folge mir; du wirst bei mir im Himmelreiche den himmlischen Reigen f;hren und paradiesische Lieder singen.‹ Ich k;sse seine Hand, und mein H;ndchen bei;t mich gleich in die F;;e… Doch wir schweben beide empor. Er fliegt voraus… Seine Fl;gel, so lang und wei; wie die einer M;we, f;llen den ganzen Himmel; und ich fliege ihm nach. Das H;ndchen mu; aber zur;ckbleiben. Da begriff ich erst, da; das H;ndchen meine Krankheit bedeutete und da; es mir ins Himmelreich nicht nachfolgen wird.«

Lukerja schwieg eine Weile.

»Dann sah ich noch einen anderen Traum,« fing sie von neuem an. »Vielleicht war es auch ein vom Himmel gesandtes Gesicht, ich wei; es nicht. Es tr;umte mir, da; ich hier in diesem selben Schuppen liege und meine seligen Eltern, V;terchen und M;tterchen zu mir kommen; sie verbeugen sich tief vor mir, sagen aber nichts. Und ich frage sie: ›Was verbeugt ihr euch vor mir, V;terchen und M;tterchen?‹ Und sie antworten: ›Weil du dich in dieser Welt so sehr qu;lst, da; du nicht nur deine eigene Seele erleichterst, sondern auch von uns eine schwere Last genommen hast. Darum haben wir es in der anderen Welt viel besser. Mit deinen eigenen S;nden bist du schon fertig geworden, jetzt ;berwindest du unsere S;nden.‹ Nach diesen Worten verbeugten sich meine Eltern wieder und verschwanden; und ich sah nichts als die W;nde. Sp;ter gr;belte ich lange, was es wohl gewesen sei. Ich erz;hlte es sogar dem Pfarrer in der Beichte. Er meinte aber, es sei kein Gesicht vom Himmel gewesen, denn solche Gesichte haben nur Personen geistlichen Standes.«

»Dann hatte ich auch noch diesen Traum,« fuhr Lukerja fort. »Ich sitze unter einer Weide an der Landstra;e, habe ein gesch;ltes St;ckchen in H;nden, einen Sack auf dem R;cken, und mein Kopf ist mit einem Tuch umbunden – ich sehe ganz wie eine Pilgerin aus! Und ich mu; irgendwo weithin wallfahren. Lauter Pilger kommen an mir vorbei; sie gehen langsam, wie widerwillig, alle ln die gleiche Richtung; sie haben alle traurige Gesichter und sehen sich alle ;hnlich. Und ich sehe: eine Frau, die um einen ganzen Kopf gr;;er ist als alle und so merkw;rdig, gar nicht russisch gekleidet ist, wirft sich zwischen ihnen hin und her. Auch ihr Gesicht ist so merkw;rdig: vom Fasten ausgemergelt und streng. Alle anderen weichen ihr aus; sie aber geht pl;tzlich auf mich zu. Sie bleibt stehen und sieht mich an; ihre Augen sind aber so gelb wie die eines Falken, gro; und seltsam hell. Ich frage sie: ›Wer bist du?‹ Und sie antwortet mir: ›Ich bin dein Tod.‹ Statt zu erschrecken bin ich so furchtbar froh und bekreuzige mich. Und jene Frau, da; ist mein Tod, spricht zu mir: ›Du tust mir leid, Lukerja, aber ich kann dich nicht mitnehmen. Leb wohl!‹ Mein Gott, wie traurig wurde es mir da ums Herz!… ›Nimm mich mit!‹ sage ich ihr, ›M;tterchen, liebes T;ubchen, nimm mich mit!‹ – Und die Frau wandte sich zu mir um und redete mir zu… Ich verstand nur, da; sie mir meine Stunde bestimmte, aber sie sprach so undeutlich… Nach den Petrifasten, sagte sie mir… Da erwachte ich… So sonderbare Tr;ume habe ich immer!«

Lukerja hob die Augen zur Decke… wurde nachdenklich…

»Aber mein Ungl;ck ist, da; ich oft eine ganze Woche nicht einschlafen kann. Im vorigen Jahre kam hier eine Dame vorbeigefahren; sie sah mich und gab mir ein Fl;schchen mit einer Arznei gegen die Schlaflosigkeit; sie sagte, ich solle jedesmal zehn Tropfen nehmen. Die Tropfen halfen mir gut, und ich konnte schlafen; jetzt ist aber das Fl;schchen leer… Wissen Sie nicht, was es f;r eine Arznei war und wie ich sie mir verschaffen kann?«

Die durchreisende Dame hatte Lukerja offenbar Opium gegeben. Ich versprach, ihr so ein Fl;schchen zu verschaffen, und mu;te mich laut ;ber ihre Geduld wundern.

»Ach, Herr!« entgegnete sie. »Was f;llt Ihnen ein? Was ist das f;r eine Geduld? Symeon, der Stylite, der hatte wirklich Geduld: drei;ig Jahre lang stand er auf einer S;ule! Ein anderer Heiliger lie; sich bis an die Brust in die Erde eingraben, und die Ameisen fra;en ihm das Gesicht… Ein Schriftkundiger erz;hlte mir aber einmal diese Geschichte: es war einmal ein Land, und die Heiden hatten dieses Land erobert und alle Einwohner gepeinigt und erschlagen; was die Einwohner auch alles anfingen, sie konnten sich unm;glich von den Heiden befreien. Da erschien zwischen jenen Einwohnern eine heilige Jungfrau; sie nahm ein gro;es Schwert in die Hand, legte sich eine zweizentnerschwere R;stung an, zog gegen die Heiden und vertrieb sie alle hinters Meer. Und als sie sie vertrieben hatte, sagte sie ihnen: ›Verbrennt mich jetzt, denn es war mein Gel;bde, da; ich f;r mein Volk den Feuertod erleide.‹ Und die Heiden nahmen sie und verbrannten sie, aber das Volk war von nun an erl;st. Das war eine Tat! Was bin ich dagegen!«

Ich wunderte mich still dar;ber, da; die Legende von der Jeanne d’Arc hierher und in solcher Gestalt gedrungen war. Nach kurzem Schweigen fragte ich Lukerja, wie alt sie sei.

»Achtundzwanzig… oder neunundzwanzig… Drei;ig bin ich noch nicht. Aber was soll ich die Jahre z;hlen! Ich will Ihnen noch eines sagen…«

Lukerja hustete pl;tzlich seltsam dumpf und st;hnte auf…

»Du sprichst zu viel,« sagte ich ihr, »das kann dir schaden.«

»Es ist wahr,« fl;sterte sie kaum h;rbar. »Unser Gespr;ch ist zu Ende; jetzt ist alles gleich! Wenn Sie jetzt wegfahren, werde ich wieder nach Herzenslust schweigen k;nnen. Nun habe ich mir wenigstens das Herz erleichtert…«

Ich verabschiedete mich von ihr, wiederholte mein Versprechen, ihr die Arznei zu schicken und bat sie, es sich noch einmal zu ;berlegen und mir zu sagen, ob sie nicht etwas

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Lukerja sang das Lied »Auf den Wiesen«. Sie sang mit dem gleichen Ausdruck ihres versteinerten Gesichts und mit starren Augen. So r;hrend klang diese armselige, angestrengte, wie eine d;nne Rauchs;ule