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Klara Militsch

mit Ba;stimme eine Skizze von Schtschedrin. Man applaudierte, doch nur der Skizze und nicht ihm. Darauf erschien der Pianist, den Aratow schon kannte, und h;mmerte die gleiche Lisztsche Fantasie herunter; der Pianist errang sogar einen Hervorruf. Er verbeugte sich, wobei er sich mit einer Hand auf die Stuhllehne st;tzte und nach jeder Verbeugung die M;hne sch;ttelte – ganz wie Liszt! Endlich, nach einer recht langen Pause, geriet das rote Tuch hinter dem Podium in Bewegung, die T;r ging weit auf, und auf dem Podium erschien Klara Militsch. Man begr;;te sie mit lebhaftem Applaus. Sie ging mit etwas unsicheren Schritten bis an den vorderen Rand des Podiums und blieb, die etwas gro;en, sch;nen unbehandschuhten H;nde gekreuzt, ohne Verbeugung, ohne Kopfnicken und ohne L;cheln unbeweglich stehen.

Sie war etwa neunzehn, gro;, etwas breitschultrig, doch gut gebaut. Ihr dunkles Gesicht erinnerte an eine J;din oder Zigeunerin; sie hatte schwarze, nicht sehr gro;e Augen unter dichten, fast zusammengewachsenen Brauen, eine gerade, etwas aufgeworfene Nase, sch;ne, doch stark geschwungene Lippen, einen dicken, schwarzen, anscheinend sehr schweren Zopf, eine niedere, unbewegliche, wie aus Stein gemei;elte Stirn und winzige Ohren. Der Ausdruck war nachdenklich, beinahe streng. Alles zeugte von einer leidenschaftlichen, eigensinnigen, wohl kaum gutm;tigen und klugen, aber sicher talentierten Natur.

Sie stand eine Weile mit gesenkten Lidern da, fuhr pl;tzlich zusammen und lie; einen durchdringenden, doch zerstreuten, gleichsam nach innen gekehrten Blick ;ber die Reihen der Zuschauer schweifen.

»Was f;r tragische Augen sie hat!« bemerkte hinter Aratows R;cken ein grauhaariger Geck mit dem Gesicht einer Revaler Kokotte, ein in Moskau allen bekannter Journalist und Kundschafter. Der Geck war dumm und wollte eine Dummheit sagen, sagte aber die Wahrheit!

Aratow, der von Klara keinen Blick wenden konnte, erinnerte sich jetzt, da; er sie tats;chlich schon bei der F;rstin gesehen hatte; er hatte sie nicht blo; gesehen, sondern auch bemerkt, da; sie ihre dunklen, starren Augen einigemal mit besonderem Ausdruck auf ihn richtete. Und auch jetzt – oder kam es ihm blo; so vor –, als sie ihn in der ersten Reihe erblickte, err;tete sie vor Freude und sah ihn wieder durchdringend an. Dann trat sie, ohne sich umzuwenden, einige Schritte in der Richtung zum Klavier zur;ck, an dem schon der langhaarige Ausl;nder sa;. Sie sollte Glinkas Lied »Kaum hab’ ich dich erkannt…« singen. Sie sang es, ohne die Haltung der H;nde zu ver;ndern und ohne in die Noten zu blicken. Sie hatte eine melodische, weiche Altstimme, sprach die Worte deutlich, mit starker Betonung aus und sang etwas eint;nig, ohne Nuancierung, aber mit starkem Ausdruck.

»Das M;del singt mit ;berzeugung!« sagte der gleiche Geck hinter Aratows R;cken und hatte wieder recht.

Man rief von allen Seiten: »Bravo! Bis!« sie aber warf nur einen schnellen Blick auf Aratow, der weder schrie noch klatschte – ihr Gesang hatte ihm nicht gefallen –, machte eine leichte Verbeugung und ging, ohne den ihr vom langhaarigen Pianisten angebotenen Arm zu nehmen. Man rief sie heraus. Sie kam nach einer l;ngeren Weile, n;herte sich mit den gleichen unsicheren Schritten dem Klavier, fl;sterte dem Pianisten einige Worte zu, der an Stelle der bereitgelegten Noten andere heraussuchen mu;te, und begann das Tschaikowskijsche Lied: »Nur wer die Sehnsucht kennt…« Dieses Lied sang sie etwas anders als das erste: mit ged;mpfter Stimme, gleichsam m;de. Aber in der vorletzten Zeile: »Begreift, wie sehr ich litt« lie; sie einen hei;en, gellenden Schrei erklingen. Die Schlu;worte aber: »Und wie ich leide…« fl;sterte sie, das letzte Wort schmerzvoll dehnend. Das Lied gefiel dem Publikum weniger als das von Glinka, aber man klatschte ebensoviel.

Kupfer zeichnete sich darin besonders aus: Er legte die H;nde nach besonderem System zu einem Art F;;chen zusammen und erzeugte ungew;hnlich laute, hallende T;ne. Die F;rstin gab ihm einen gro;en, zerzausten Blumenstrau;, damit er ihn der S;ngerin ;berreiche. Die schien aber Kupfers gebeugte Gestalt und seine mit dem Blumenstrau; ausgestreckte Hand gar nicht zu sehen; sie wandte sich um und ging wieder allein, ohne den Pianisten, der noch schneller als das erste Mal aufgesprungen war, um sie hinauszubegleiten. Als ihm das nicht gelang, sch;ttelte er seine Locken so, wie Liszt die seinigen wohl niemals sch;ttelte!

Solange Klara sang, beobachtete Aratow aufmerksam ihr Gesicht. Es schien ihm, da; ihre Blicke durch die gesenkten Wimpern auf ihn allein gerichtet waren; den gr;;ten Eindruck auf ihn aber machte die Unbeweglichkeit dieses Gesichts, der Stirn und Brauen. Bei ihrem letzten leidenschaftlichen Aufschrei bemerkte er, wie zwischen den halbge;ffneten Lippen eine wei;e, enge Zahnreihe warm aufleuchtete. Kupfer ging auf ihn zu.

»Nun, wie findest du sie, mein Lieber?« fragte er, vor Vergn;gen strahlend.

»Die Stimme ist gut«, antwortete Aratow, »sie versteht aber nicht zu singen und hat noch keine richtige Schule.« (Gott allein wei;, warum er das sagte und was er von »Schule« verstand.)

Kupfer war erstaunt. »Keine Schule!« wiederholte er gedehnt: »Nun, das kann sie ja noch lernen. Aber die Seele! Wart, du wirst ja gleich h;ren, wie sie den Brief Tatjanas rezitiert.«

Er lief fort und lie; Aratow stehen. Der aber dachte: Eine Seele! Bei diesem unbeweglichen Gesicht! Er fand, da; sie wie eine Magnetisierte, wie eine Somnambule stand und sich bewegte. Und dabei sah sie ihn immer an… Ja, sie sah ihn an, daran war nicht zu zweifeln.

Der »Nachmittag« nahm indessen seinen Fortgang. Der dicke Herr mit der Brille trat wieder auf; trotz seines ernsten Aussehens, bildete er sich ein, Komiker zu sein, und las eine Szene von Gogol. Diesmal erntete er aber nicht die geringste Anerkennung. Der Fl;tist huschte noch einmal vorbei; der Pianist lie; wieder das Klavier erdr;hnen; ein zw;lfj;hriger Junge, mit pomadisiertem und gebranntem Haar, doch Spuren von Tr;nen auf den Wangen, geigte irgendwelche Variationen. Es fiel auf, da; man in den Pausen aus dem K;nstlerzimmer die T;ne eines Waldhorns h;rte, w;hrend dieses Instrument im Laufe der Veranstaltung kein einziges Mal auf dem Podium erschien. Wie es sich sp;ter herausstellte, hatte der Liebhaber, der Waldhorn spielen sollte, im letzten Augenblick vor dem ;ffentlichen Auftreten Angst bekommen.

Endlich erschien wieder Klara Militsch. Sie hielt ein B;ndchen Puschkin in der Hand, in das sie aber w;hrend des Vortrags kein einziges Mal hineinblickte. Sie war offenbar etwas befangen; das kleine Buch zitterte leise in ihren Fingern. Aratow merkte auch einen Ausdruck von Trauer, der jetzt auf ihren strengen Z;gen lag. Den ersten Vers: »Ich schreibe Ihnen… und was weiter?« sprach sie au;erordentlich einfach, fast naiv, beide Arme mit aufrichtig naiver, hilfloser Geb;rde vor sich ausstreckend. Dann schlug sie ein etwas zu schnelles Tempo ein. Aber bei den Versen: »Ein and’rer? Nein! Mein Herz soll niemand haben…« beherrschte sie sich schon wieder und als sie zu der Stelle kam: »Mein ganzes Leben war Verhei;ung, da; ich dich treffe…«, erklang ihre bis dahin etwas dumpfe Stimme begeistert und k;hn, w;hrend sie ihre Augen ebenso k;hn und gerade auf Aratow richtete. Mit dieser Begeisterung fuhr sie fort, und nur ganz am Schlu; klang ihre Stimme wieder ged;mpft und dr;ckte, ebenso wie ihr Gesicht, die fr;here Trauer aus. Die letzten vier Zeilen leierte sie schnell herunter, das B;ndchen Puschkin entglitt ihrer Hand, und sie verlie; rasch das Podium.

Das Publikum raste. Das Klatschen und Hervorrufen wollte kein Ende nehmen. Ein Seminarist kleinrussischer Abstammung br;llte so laut »Mylytsch! Mylytsch!«, da; ihn ein neben ihm sitzender Herr h;flich und teilnahmsvoll ersuchte, »den k;nftigen Protodiakon in sich zu schonen«. Aratow aber erhob sich sofort von seinem Platz und eilte dem Ausgang zu. Kupfer holte ihn ein.

»Was f;llt dir ein? Wo willst du hin?« schrie er ihn an. »Willst du nicht, da; ich dich der Klara vorstelle?«

»Nein, danke«, erwiderte Aratow eilig und lief nach Hause.

V

Seltsame, ihm selbst noch unklare Empfindungen brachten seine ganze Seele in Aufruhr. Klaras Rezitation hatte ihm eigentlich ebenso wenig gefallen wie ihr Gesang; obwohl er sich keine Rechenschaft dar;ber geben konnte, warum. Die Rezitation hatte ihn irgendwie beunruhigt; sie erschien ihm allzu scharf und unharmonisch. Sie st;rte irgendein Gleichgewicht in ihm und kam ihm wie eine Vergewaltigung vor. Und dann diese unverwandten, hartn;ckigen, beinahe zudringlichen Blicke – wozu diese Blicke? Was hatten sie zu bedeuten? Die angeborene Bescheidenheit lie; in Aratow auch nicht den leisesten Gedanken aufkommen, da; er diesem seltsamen jungen M;dchen gefallen und ein Gef;hl eingefl;;t haben k;nne, das der Liebe, der Leidenschaft gliche. Er stellte sich jenes noch unbekannte weibliche Wesen, jenes M;dchen, dem er dereinst seine Seele hingeben, das ihn lieben und seine Braut, seine Gattin werden w;rde, ganz anders vor… Er gab sich aber nur sehr selten solchen Tr;umen hin: Er war an Leib und Seele keusch, und das keusche Bild, das in seiner Phantasie manchmal auftauchte, war von einem andern Bild – vom Bilde seiner Mutter gezeugt, an die er sich kaum erinnern konnte, deren Bildnis er aber wie ein Heiligtum bewahrte. Es war ein Aquarellbild, das eine Freundin der Verstorbenen ohne besondere Kunst gemalt hatte, das ihr aber, wie alle behaupteten, erstaunlich ;hnlich war. Das gleiche zarte Profil, die gleichen g;tigen, hellen Augen, die gleichen seidenweichen Haare, das gleiche L;cheln und den gleichen heiteren Ausdruck mu;te auch jene Frau oder jenes M;dchen haben, an die er noch nicht einmal zu denken wagte.

Aber diese Schwarze, mit der dunklen Hautfarbe und den struppigen Haaren, mit dem Anflug von Schnurrbart ist sicher verdreht und nicht gut… Eine »Zigeunerin« – Aratow konnte keine ver;chtlichere Bezeichnung erfinden –, was soll er mit ihr?

Aratow hatte aber nicht die Kraft, die schwarze Zigeunerin, deren Gesang und Deklamation und selbst deren #196;u;eres ihm gar nicht gefielen, aus seinem Hirn zu verdr;ngen. Er war ganz durcheinander und machte sich selbst Vorw;rfe. Kurz vorher hatte er den Walter-Scott-Roman »Die Wasser von St. Ronan« gelesen (die vollst;ndige Ausgabe der Werke Walter Scotts befand sich in der Bibliothek seines Vaters, der in diesem englischen Dichter einen ernsten, beinahe wissenschaftlichen Schriftsteller achtete). Die Heldin dieses Romans hie; Klara Mowbray. Ein russischer Dichter der vierziger Jahre,

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mit Ba;stimme eine Skizze von Schtschedrin. Man applaudierte, doch nur der Skizze und nicht ihm. Darauf erschien der Pianist, den Aratow schon kannte, und h;mmerte die gleiche Lisztsche Fantasie herunter;