Krassow, hatte ihr ein Gedicht gewidmet, das mit den Worten endete:
Unselige Klara! Wahnsinnige Klara!
Unselige Klara Mowbray!
Aratow kannte auch dieses Gedicht. Und nun kamen ihm diese Worte immer wieder in den Sinn: »Unselige Klara, wahnsinnige Klara!…« – Darum war er auch so erstaunt, als Kupfer ihm sagte, das junge M;dchen hei;e mit dem Vornamen Klara.
Selbst Platoscha fiel an ihm etwas auf: nicht etwa eine Ver;nderung in Jakows Stimmung – es war ja in ihm gar keine Ver;nderung eingetreten, aber etwas Seltsames in seinen Blicken und Reden. Sie erkundigte sich vorsichtig nach dem literarischen Nachmittag, den er besucht hatte, fl;sterte, seufzte, sah ihn aufmerksam von vorne, von der Seite und von r;ckw;rts an, schlug sich pl;tzlich mit den H;nden auf die Schenkel und rief aus: »Jascha, jetzt wei; ich, was es ist!«
»Was ist denn los?« fragte Aratow.
»Du bist dort sicher auf eine von den Schweifschlepperinnen gesto;en« – so pflegte Platonida Iwanowna alle Damen in modernen Toiletten zu nennen. »Sie hat wohl eine h;bsche Fratze, dreht sich hin und dreht sich her, schneidet Gesichter« – Platoscha stellte das alles mimisch dar – »l;;t die Blicke schweifen« – sie zeigte auch das, indem sie mit dem Zeigefinger einige gro;e Kreise in der Luft beschrieb. »Und du hast dir vor lauter Ungewohnheit irgend etwas eingebildet… Es macht aber nichts, Jascha, es macht gar nichts! Trink vor dem Schlafengehen eine Tasse Tee, und fertig! Hilf Gott!«
Platoscha verstummte und zog sich zur;ck. Es war wohl die erste l;ngere, lebhafte Rede, die sie in ihrem Leben gehalten hatte.
Aratow aber sagte sich: Die Tante hat wohl recht. Das kommt alles von der Ungewohntheit… Er hatte ja tats;chlich zum ersten Mal im Leben die Aufmerksamkeit eines weiblichen Wesens erregt; er hatte wenigstens bisher nichts dergleichen gemerkt. – Man darf sich nicht so gehenlassen!
Und er vertiefte sich in seine B;cher, trank abends eine Tasse Lindenbl;tentee und schlief die Nacht sogar sehr gut und ohne Tr;ume. Am n;chsten Morgen machte er sich wieder, als ob nichts geschehen w;re, an die Photographie.
Abends aber wurde seine Seelenruhe wieder getr;bt.
VI
Abends brachte ihm ein Dienstmann einen Zettel, in dem in unregelm;;igen, gro;en, weiblichen Schriftz;gen folgendes stand: »Wenn Sie erraten k;nnen, wer das schreibt, und wenn es Sie nicht langweilt, so kommen Sie morgen nachmittag auf den Twerskoi-Boulevard – gegen f;nf Uhr – und warten Sie dort. Man wird Sie nicht lange aufhalten. Es ist aber sehr wichtig. Kommen Sie.«
Eine Unterschrift fehlte.
Aratow erriet sofort, von wem der Zettel war, und das emp;rte ihn. »Was f;r Unsinn!« sagte er sich beinahe laut. »Das fehlte mir noch gerade. Nat;rlich gehe ich nicht hin.«
Er lie; dennoch den Dienstmann zur;ckrufen, erfuhr aber von ihm nur, da; ihm der Brief auf der Stra;e von einem Dienstm;dchen ;bergeben worden war. Aratow entlie; den Dienstmann, las den Brief noch einmal durch und warf ihn auf den Boden… Etwas sp;ter hob er ihn wieder auf, las ihn noch einmal durch, sagte wieder: »Unsinn!«, warf ihn aber diesmal nicht auf den Boden, sondern steckte ihn in eine Schublade. Er versuchte, an seine gewohnten Arbeiten zu gehen, bald an die eine, bald an die andere, es wollte ihm aber diesmal nichts gelingen. Pl;tzlich merkte er, da; er eigentlich auf Kupfer wartete! Er wollte ihn wohl ausfragen, oder es ihm vielleicht sogar mitteilen – Kupfer kam aber nicht. Aratow nahm seinen Puschkin vor, las den Brief Tatjanas durch und ;berzeugte sich von neuem, da; die »Zigeunerin« den tieferen Sinn des Briefes gar nicht verstanden hatte. Und dieser dumme Kupfer spricht von einer Viardot und Rachel! Er trat vor sein Pianino, hob fast unbewu;t den Deckel und versuchte die Melodie des Tschaikowskijschen Liedes aus dem Ged;chtnis zu reproduzieren. Er klappte aber den Deckel ge;rgert gleich wieder zu und ging zur Tante. In ihrem ;berheizten Zimmer roch es ewig nach Minze, Salbei und andern Heilkr;utern und standen und lagen so viele kleine Teppiche, Etageren, Fu;b;nkchen, Kissen und weiche M;bel herum, da; ein Fremder sich darin kaum r;hren und fast nicht atmen konnte. Platonida Iwanowna sa; mit ihrem Strickzeug am Fenster – sie strickte f;r Jaschenjka ein warmes Halstuch, und zwar das achtunddrei;igste in seinem Leben – und war ;ber sein Erscheinen sehr erstaunt. Aratow besuchte sie ;u;erst selten; wenn er von ihr etwas wollte, rief er sonst immer mit seiner hohen Stimme aus dem Arbeitszimmer: »Tante Platoscha!« – Sie forderte ihn aber zum Sitzen auf, richtete ein Auge durch die Brille auf ihn, das andere ;ber die Brille und war, in Erwartung seiner Worte, ganz Ohr. Sie erkundigte sich nicht nach seinem Befinden und bot ihm auch keinen Tee an, denn sie sah, da; er nicht deswegen zu ihr gekommen war.
Aratow r;ckte zuerst verlegen hin und her und begann dann von seiner Mutter zu sprechen: wie sie mit seinem Vater gelebt und wie der Vater sie kennengelernt habe. Er wu;te das alles sehr genau, wollte aber unbedingt dar;ber sprechen. Zu seinem Ungl;ck hatte Tante Platoscha gar kein Konversationstalent und beantwortete seine Fragen sehr kurz, als h;tte sie ihn im Verdacht, da; er gar nicht deswegen zu ihr gekommen sei.
»Gewi;«, wiederholte sie immer wieder, die Stricknadeln sehr schnell, vielleicht mit einer gewissen Gereiztheit bewegend. »Gewi;, deine Mutter war eine Taube, eine sanfte Taube. Und dein Vater liebte sie, wie ein Mann seine Frau lieben mu;: ehrlich und treu bis in den Tod. Er hat auch keine andere Frau geliebt«, f;gte sie hinzu, wobei sie die Stimme hob und die Brille von der Nase nahm.
»War sie von Natur sch;chtern?« fragte Aratow nach einer Pause.
»Gewi;, sehr sch;chtern. Wie es eben dem weiblichen Geschlecht geziemt. Dreiste Frauenzimmer sind ja erst in der letzten Zeit aufgekommen.«
»Hat es denn zu Ihren Zeiten keine dreisten gegeben?«
»Es gab auch in unserer Zeit welche – wann hat es solche nicht gegeben?! Aber wer waren sie? Irgendwelche schamlose Herumtreiberinnen, die mit gerafften R;cken wie besessen durch die Stra;en rannten… Was riskierten sie auch? Wenn sie auf einen Dummen stie;en, so hatten sie eben Gl;ck. Anst;ndige Menschen wollten aber von ihnen nichts wissen. Kannst du dich denn erinnern, bei uns im Hause so ein Frauenzimmer gesehen zu haben?«
Aratow antwortete nichts und ging wieder in sein Arbeitszimmer. Platonida Iwanowna blickte ihm nach, sch;ttelte den Kopf, setzte sich die Brille auf und machte sich wieder an das Halstuch. Jetzt war sie aber nicht mehr ganz bei der Sache und lie; die Stricknadeln mehr als einmal auf den Scho; fallen.
Aratow aber dachte den ganzen Tag bis zum sp;ten Abend immer wieder mit dem gleichen #196;rger, mit der gleichen Erbosung an den Zettel, an die Zigeunerin und an das Stelldichein, zu dem er nat;rlich nicht gehen w;rde. Die Zigeunerin hielt auch nachts alle seine Sinne gefangen. Er sah immer ihre bald zusammengekniffenen, bald weitge;ffneten Augen mit dem durchdringenden, gerade auf ihn gerichteten Blick und ihre unbeweglichen Z;ge mit dem zwingenden Ausdruck.
Am n;chsten Morgen wartete er wieder, er wu;te selbst nicht warum, auf Kupfer; beinahe h;tte er ihm sogar einen Brief geschrieben. Im ;brigen tat er nichts und ging in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Er lie; den Gedanken gar nicht in sich aufkommen, da; er zu dem dummen Rendezvous gehen w;rde. Aber um halb vier, nach dem Mittagessen, das er in aller Eile hinuntergest;rzt hatte, zog er pl;tzlich den Mantel an, st;lpte sich die M;tze auf, verlie;, ohne der Tante auch nur ein Wort zu sagen, das Haus und begab sich auf den Twerskoi-Boulevard.
VII
Aratow traf auf dem Boulevard nur sehr wenige Passanten. Die Witterung war feucht und recht kalt. Er gab sich M;he, an sein Beginnen gar nicht zu denken, und alle Dinge, auf die er stie;, aufmerksam zu betrachten. Er hatte sich beinahe eingeredet, da; er ganz einfach, ebenso wie alle Leute, denen er begegnete, spazierengehe. Der gestrige Brief lag in seiner Brusttasche, und er f;hlte ihn fortw;hrend daliegen. Er ging zweimal durch den Boulevard, betrachtete aufmerksam jedes weibliche Wesen, dem er begegnete, und hatte furchtbares Herzklopfen. Er sp;rte M;digkeit und setzte sich auf eine Bank. Pl;tzlich kam ihm der Gedanke: Vielleicht ist der Brief gar nicht von ihr, sondern von irgendeiner andern Frau? Eigentlich h;tte es ihm auch ganz gleich sein sollen – und doch mu;te er sich gestehen, da; es ihm nicht gleichg;ltig war. Das w;re ja schon gar zu dumm! sagte er sich. Noch d;mmer als das andere!
Eine nerv;se Unruhe bem;chtigte sich seiner; es fr;stelte ihn, doch von innen und nicht von au;en. Er holte einige Male die Uhr aus der Westentasche, steckte sie dann wieder ein und verga; jedesmal, wieviel Minuten bis f;nf Uhr noch blieben. Es schien ihm, da; alle Vor;bergehenden ihn mit sp;ttischem Erstaunen und Neugierde betrachteten. Irgendein gemeiner K;ter lief auf ihn zu, schn;ffelte an seinen Beinen und wedelte mit dem Schwanz. Er drohte ihm mit dem Stock. Am meisten ;rgerte er sich ;ber einen Lehrjungen in langem Zwillichrock, der auf einer Bank gegen;bersa; und ihn, bald pfeifend, bald sich juckend und mit den in gro;en zerrissenen Stiefeln steckenden Beinen baumelnd, fortw;hrend ansah.
Der Meister wartet wohl auf ihn, dachte sich Aratow, der Faulenzer sitzt aber da und tut nichts…
Im selben Augenblick f;hlte er aber, wie sich ihm jemand n;herte und hinter ihm stehenblieb. Es wehte ihn mit seltsamer W;rme an…
Er sah sich um: Es war sie!
Er erkannte sie sofort, obwohl ihr Gesicht von einem dichten dunkelblauen Schleier verdeckt war. Er sprang auf und blieb stehen, au;erstande auch nur ein Wort zu sagen. Auch sie schwieg. Er f;hlte sich sehr verlegen, aber auch sie schien es zu sein. Aratow sah sogar durch den Schleier, wie leichenbla; sie pl;tzlich wurde. Aber sie fing als erste zu sprechen an.
»Ich danke Ihnen«, begann sie mit gebrochener Stimme, »ich danke, da; Sie gekommen sind. Ich hoffte gar nicht…« Sie wandte den Kopf etwas zur Seite und ging weiter. Aratow folgte ihr.
»Sie