verurteilen mich vielleicht«, fuhr sie fort, ohne das Gesicht zu ihm zu wenden. »Mein Entschlu; ist in der Tat sehr seltsam. Ich habe aber so viel ;ber Sie geh;rt… Doch nein, das ist nicht der Grund. Wenn Sie w;;ten… Ich wollte Ihnen so vieles sagen, mein Gott! Aber wie soll ich es tun, wie soll ich es tun?«
Aratow ging, ein wenig zur;ckbleibend, an ihrer Seite. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, er sah nur den Hut und einen Teil des Schleiers – und den schwarzen, langen, ziemlich abgetragenen Umhang. Der ganze #196;rger ;ber sie und sich selbst war pl;tzlich wiedergekehrt; er f;hlte auf einmal, wie l;cherlich und sinnlos dieses Stelldichein, diese Aussprache zwischen zwei wildfremden Menschen in einer ;ffentlichen Anlage war.
»Ich kam auf Ihre Einladung«, fing er nun an, »ich kam, gn;diges Fr;ulein (ihre Schultern erzitterten leise, sie bog in einen Seitenweg ab, und er folgte ihr), nur um festzustellen – um das seltsame Mi;verst;ndnis aufzukl;ren, das Sie veranla;te, sich an mich, einen Ihnen v;llig fremden Menschen, zu wenden, der nur aus dem Grunde, wie Sie sich selbst ausdr;ckten, erraten hat, da; Sie die Briefschreiberin sind, weil es Ihnen beliebte, w;hrend jenes literarischen Nachmittags ihm eine allzu… allzu auff;llige Aufmerksamkeit zuzuwenden!«
Aratow hielt diese kurze Rede mit jener gespannten doch festen Stimme, mit der sehr junge Menschen im Examen eine Frage zu beantworten pflegen, auf die sie sich besonders gut vorbereitet haben. Er z;rnte. Dieser Zorn hatte ihm auch seine sonst wenig gelenkige Zunge gel;st.
Sie ging mit etwas verlangsamten Schritten immer weiter. Aratow folgte ihr und sah noch immer nur den alten Umhang und den ebenfalls nicht sehr neuen Hut. Seine Selbstachtung litt unter dem Gedanken, da; sie sich jetzt sagen m;;te: Ich brauchte ihm nur zu winken, und er kam sofort gelaufen!
Aratow schwieg. Er wartete noch immer auf ihre Antwort, aber sie sagte nichts. »Ich bin bereit, Sie anzuh;ren«, begann er von neuem, »und es wird mich sogar sehr freuen, wenn ich Ihnen irgendwie n;tzlich sein kann; obwohl ich wiederum staunen mu; – bei meiner zur;ckgezogenen Lebensweise…«
Bei seinen letzten Worten wandte sich Klara pl;tzlich nach ihm um, und er sah ein so erschrockenes, so tief trauriges Gesicht mit so hellen gro;en Tr;nentropfen in den Augen und einem so schmerzvollen Ausdruck um die halbge;ffneten Lippen – und dieses Gesicht war sch;n –, da; er pl;tzlich stockte und sogar etwas wie Angst, zugleich aber auch Mitleid und R;hrung sp;rte.
»Ach, warum – warum sprechen Sie so…«, sagte sie, und ihre Stimme klang ungemein r;hrend. »Habe ich Sie denn damit, da; ich mich an Sie wandte, beleidigen k;nnen? Haben Sie mich gar nicht verstanden? Ach ja! Sie haben nichts davon verstanden, was ich Ihnen sagte! Sie haben sich, Gott wei;, was von mir gedacht und sich nicht einmal gefragt, welche M;he es mich kostete, Ihnen zu schreiben. Sie waren nur um sich selbst, um Ihre W;rde und Ihre Ruhe besorgt! Habe ich denn… (Sie dr;ckte ihre H;nde, die sie vor dem Munde hielt, so fest zusammen, da; Aratow die Finger knacken h;rte.) Als ob ich von Ihnen etwas verlangte, als ob irgendwelche Aufkl;rungen n;tig w;ren: ›Gn;diges Fr;ulein‹, ›ich mu; staunen‹, ›n;tzlich sein‹… Ach, ich Wahnsinnige! Ich lie; mich von Ihnen, von Ihrem Gesicht t;uschen. Als ich Sie zum ersten Male sah… Ja, so stehen Sie da – und kein einziges Wort! Werde ich denn kein einziges Wort zu h;ren bekommen?«
Sie flehte. Ihr Gesicht wurde rot und bekam einen b;sen und herausfordernden Ausdruck. »Mein Gott, wie dumm!« rief sie, schrill auflachend, aus. »Wie dumm ist doch dieses Stelldichein! Wie dumm bin ich! Und auch Sie… Pfui!«
Sie winkte ver;chtlich mit der Hand, als ob sie ihn zur Seite schieben wollte, lief an ihm vorbei, verlie; schnell den Boulevard und verschwand.
Diese Handbewegung, das beleidigende Lachen und ihr letzter Ausruf versetzten Aratow sofort in seine fr;here Stimmung und erstickten in ihm das Gef;hl, das sich in seiner Seele geregt hatte, als sie sich mit Tr;nen in den Augen an ihn wandte. Er wurde wieder b;se und war bereit, dem M;dchen nachzurufen: Sie haben wohl das Zeug zu einer guten Schauspielerin, warum m;ssen Sie aber unbedingt vor mir Kom;die spielen?
Mit gro;en Schritten eilte er nach Hause. Obwohl er unterwegs noch immer b;se und emp;rt war, drang doch durch alle die b;sen und geh;ssigen Gef;hle, ohne da; er es wollte, die Erinnerung an jenes wunderbare Gesicht, das er nur einen Augenblick lang gesehen hatte. Er fragte sich sogar: Warum antwortete ich ihr nicht, als sie mich um ein einziges Wort bat? – Ich hatte nicht Zeit… sagte er sich. Sie lie; mich gar nicht zu Worte kommen… Und was f;r ein Wort h;tte ich ihr auch sagen k;nnen? – Er sch;ttelte aber gleich wieder den Kopf und sagte mi;billigend: »Kom;diantin!«
Und dennoch: Dem anfangs verletzten Ehrgeiz des unerfahrenen, nerv;sen J;nglings schmeichelte es irgendwie, da; er eine solche Leidenschaft hatte wecken k;nnen.
In diesem Augenblick aber, fuhr er in seinen Gedanken fort, ist nat;rlich alles zu Ende. Ich bin ihr offenbar l;cherlich vorgekommen…
Dieser Gedanke war ihm unangenehm, und er wurde wieder b;se – ;ber sich selbst und ;ber sie. Nach Hause zur;ckgekehrt, schlo; er sich in seinem Arbeitszimmer ein: Er wollte Platoscha jetzt nicht sehen.
Die gute Alte kam zweimal vor seine T;r, dr;ckte das Ohr ans Schl;sselloch, seufzte und fl;sterte ihr Gebet. Es hat angefangen! dachte sie. Er ist aber kaum f;nfundzwanzig… Viel zu fr;h, viel zu fr;h!
VIII
Aratow war den ganzen folgenden Tag mi;gestimmt.
»Was hast du, Jascha?« fragte ihn Platonida Iwanowna: »Du kommst mir heute so zerzaust vor!«
Dieser eigent;mliche Ausdruck der Alten kennzeichnete ziemlich richtig den Seelenzustand Aratows. Er konnte nicht arbeiten und wu;te selbst nicht, was er eigentlich wollte. Bald wartete er wieder auf Kupfer (er war ;berzeugt, da; Klara seine Adresse von Kupfer bekommen hatte; von wem sonst h;tte sie auch »so viel ;ber ihn h;ren« k;nnen?); bald fragte er sich erstaunt, ob seine Bekanntschaft mit ihr schon zu Ende sei; bald bildete er sich ein, da; sie ihm wieder schreiben w;rde; bald fragte er sich, ob er ihr nicht schreiben und alles erkl;ren sollte: Er wollte ja immerhin keinen schlechten Eindruck zur;cklassen… Was sollte er ihr aber erkl;ren? – Bald weckte er in sich eine Abscheu vor ihr und ihrer frechen Zudringlichkeit; bald sah er wieder jenes unsagbar r;hrende Gesicht vor sich und h;rte ihre ;berzeugende, bezaubernde Stimme; bald rief er in sich die Erinnerung an ihren Gesang und ihre Rezitation wach und zweifelte, ob sein ablehnendes Urteil auch gerecht war. Mit einem Worte: Er war zerzaust! Endlich hatte er genug davon und beschlo;, sich, wie man sagt, in die Hand zu nehmen und diese ganze Geschichte zu vergessen, da sie ihm bei seinen Arbeiten zweifellos hinderlich war und seine Ruhe st;rte. Es fiel ihm aber gar nicht so leicht, diesen Entschlu; durchzuf;hren. Es dauerte l;nger als eine Woche, ehe er wieder ins gewohnte Geleis kam. Kupfer lie; sich gl;cklicherweise nicht blicken: er schien aus Moskau verschwunden zu sein. Kurz vor dieser Geschichte hatte Aratow angefangen, sich mit Malerei, die er bei seinen photographischen Arbeiten brauchte, zu besch;ftigen; nun widmete er sich ihr mit doppeltem Eifer.
So vergingen unbemerkt – wenn auch mit »R;ckf;llen«, die zum Beispiel darin bestanden, da; er einmal beinahe einen Besuch bei der F;rstin abstattete – zwei und drei Monate, und Aratow war wieder der alte. Aber tief unter der Oberfl;che des Lebens regte sich etwas Dunkles und Schweres, das ihn auf allen Wegen begleitete. So schwimmt ein gro;er, eben am Angelhaken h;ngengebliebener, aber noch nicht aus dem Wasser gezogener Fisch am tiefen Grunde des Flusses unter dem Kahn, in dem der Fischer mit der festen Angelschnur in der Hand sitzt.
Eines Tages aber stie; Aratow beim Lesen einer nicht mehr neuen Nummer der »Moskauer Nachrichten« auf folgende Notiz: »Mit tiefstem Bedauern«, schrieb irgendein Mitarbeiter aus Kasan, »tragen wir in unserer Theaterchronik die Nachricht vom pl;tzlichen Hinscheiden unserer begabten Schauspielerin Klara Militsch ein, die w;hrend ihres kurzen Engagements zum Liebling unseres recht w;hlerischen Publikums geworden ist. Unsere Trauer ist um so gr;;er, als Fr;ulein Militsch ihrem jungen, so vielversprechenden Leben mit Gift ein freiwilliges Ende gemacht hat. Der Fall ist um so schrecklicher, als die K;nstlerin das Gift im Theater selbst eingenommen hat. Kaum hatte man sie in ihre Wohnung gebracht, als sie zum allgemeinen Bedauern den Geist aufgab. Es wird behauptet, da; es eine unerwiderte Liebe war, die sie in den Tod getrieben hat.«
Aratow legte die Zeitungsnummer ganz langsam wieder auf den Tisch. #196;u;erlich schien er ruhig, aber etwas hatte ihm pl;tzlich einen Sto; vor die Brust und vor den Kopf versetzt und sich dann langsam durch alle seine Glieder verbreitet. Er stand auf, blieb eine Weile auf einem Fleck stehen, setzte sich wieder hin und las die Zeitungsnotiz noch einmal. Dann stand er wieder auf, legte sich aufs Bett, verschr;nkte die H;nde im Nacken und starrte, wie benebelt, lange auf die Wand. Die Wand flo; allm;hlich auseinander und verschwand – und er sah den Boulevard unter dem grauen Himmel und sie im schwarzen Umhang – dann sah er sie auf dem Podium und sich selbst an ihrer Seite. Das, was ihn im ersten Augenblick so stark vor die Brust gesto;en hatte, stieg jetzt allm;hlich zur Kehle hinauf. Er wollte husten, er wollte jemand rufen, aber seine Stimme versagte, und aus seinen Augen flossen zu seinem eigenen Erstaunen unaufhaltsam die Tr;nen –; Was hatte diese Tr;nen hervorgerufen? Mitleid? Reue? Oder hatten seine Nerven der pl;tzlichen Ersch;tterung einfach nicht standhalten k;nnen? Sie hatte ihm doch nichts bedeutet. Oder doch?
Vielleicht ist das Ganze gar nicht wahr? ging es ihm pl;tzlich durch den Sinn. Ich mu; mich erkundigen. Doch bei wem? Bei der F;rstin? Nein, bei Kupfer –; bei Kupfer? Es hei;t ja, da; er gar nicht in Moskau ist?