Es ist ganz gleich! Zuerst mu; ich zu ihm!
Mit diesen Gedanken besch;ftigt, zog sich Aratow schnell an, nahm eine Droschke und fuhr zu Kupfer.
IX
Er hoffte gar nicht, ihn zu treffen, traf ihn aber doch. Kupfer war tats;chlich einige Zeit verreist gewesen, aber schon seit acht Tagen zur;ckgekehrt und hatte sogar die Absicht gehabt, Aratow aufzusuchen. Er empfing ihn wie immer freundlich und begann ihm etwas zu erkl;ren. Aratow unterbrach ihn aber ungeduldig mit der Frage: »Hast du es gelesen? Ist es wahr?«
»Was ist wahr?« fragte Kupfer verdutzt.
»Das von Klara Militsch?«
Kupfers Gesicht dr;ckte Bedauern aus. »Ja, mein Lieber, es ist wahr: Sie hat sich vergiftet! Wie schrecklich!«
»Hast du es auch in der Zeitung gelesen?« fragte Aratow nach einer Pause. »Oder warst du vielleicht selbst in Kasan?«
»Ich war in Kasan. Die F;rstin und ich hatten sie hingebracht. Sie ging dort zur B;hne und hatte gro;en Erfolg. Ich war aber noch vor der Katastrophe abgereist –; Ich war in Jaroslawl.«
»In Jaroslawl?«
»Ja. Ich hatte die F;rstin dorthin begleitet. Sie hat sich jetzt in Jaroslawl niedergelassen.«
»Du hast aber doch zuverl;ssige Nachrichten?«
»Die zuverl;ssigsten, aus erster Hand! Ich habe ja in Kasan ihre Familie kennengelernt. Aber mir scheint, mein Lieber, da; dich diese Nachricht sehr aufgeregt hat? Und doch glaube ich, Klara h;tte dir damals gar nicht gefallen –; Mit Unrecht! Sie war ein herrliches M;dchen, aber eigensinnig! Ein Tollkopf! Ihr Tod hat mir gro;en Schmerz bereitet!«
Aratow sagte kein Wort und lie; sich in einen Stuhl sinken. Etwas sp;ter bat er Kupfer, ihm zu erz;hlen.
»Was denn?« fragte Kupfer.
»Ja, alles –;« antwortete Aratow unsicher. »Zum Beispiel von ihrer Familie –; und vom ;brigen. Alles, was du wei;t!«
»Interessiert es dich denn? Gerne!«
Und Kupfer, dem man den Schmerz um Klara gar nicht ansehen konnte, begann zu erz;hlen.
Aratow erfuhr von ihm, da; Klara Militsch mit ihrem richtigen Namen Katerina Milowidow hie;; da; ihr verstorbener Vater etatsm;;iger Zeichenlehrer zu Kasan gewesen war, schlechte Portr;ts und Bilder gemalt und im Rufe eines Trunkenbolds und Haustyrannen gestanden hatte; dabei sei er ein gebildeter Mensch gewesen! (Kupfer l;chelte selbstzufrieden ;ber das von ihm eben erfundene Wortspiel.) Da; dieser Vater eine Witwe und eine Tochter hinterlassen hatte: Die erstere sei vom Kaufmannsstand, ein furchtbar dummes Frauenzimmer, wie einer Kom;die Ostrowskijs entnommen, die Tochter aber, viel ;lter als Klara und ihr nicht im geringsten ;hnlich, ein sehr kluges, doch etwas gar zu ekstatisches, krankes, wunderbares und au;erordentlich gebildetes M;dchen. Da; die beiden – die Witwe und die Tochter – in recht anst;ndigen Verh;ltnissen in einem h;bschen H;uschen, das aus dem Erl;s f;r jene schlechten Bilder gekauft worden ist, leben; da; Klara oder Katja (nenne sie, wie du willst) schon als Kind erstaunliche Begabung gezeigt, sich aber durch einen ungest;men, launischen Charakter ausgezeichnet und sich ewig mit dem Vater herumgeschlagen habe; da sie eine angeborene Begabung f;rs Theater gehabt habe, sei sie in ihrem sechzehnten Lebensjahr mit einer Schauspielerin aus dem Elternhause durchgebrannt.
»Mit einem Schauspieler?« unterbrach ihn Aratow.
»Nein, nicht mit einem Schauspieler, sondern mit einer Schauspielerin, an der sie sehr hing –; Diese Schauspielerin wurde von einem reichen, sehr alten Herrn protegiert, der sie nur aus dem Grunde nicht heiratete, weil er schon anderweitig verheiratet war. Ich glaube ;brigens, da; auch die Schauspielerin einen Mann hatte.«
Kupfer teilte Aratow ferner mit, da; Klara schon vor ihrem Auftreten in Moskau auf verschiedenen Provinzb;hnen gespielt und gesungen hatte; da; sie, nachdem sie ihre Freundin, die Schauspielerin, verloren (ihr M;zen war entweder gestorben oder hatte sich mit seiner Frau vers;hnt – Kupfer wu;te es nicht mehr genau), mit der F;rstin, dieser Frau mit dem goldenen Herzen, bekannt geworden war, »die du, mein Freund Jakow Andrejitsch, nicht nach Geb;hr zu sch;tzen wu;test«; da; sie schlie;lich ein ihr angebotenes Engagement nach Kasan angenommen, obwohl sie vorher behauptet hatte, Moskau niemals verlassen zu wollen.
»Wie die Kasaner sie liebgewonnen haben, ist einfach nicht zu sagen! Bei jeder Vorstellung Blumen und Geschenke! Blumen und Geschenke! Ein Getreideh;ndler, der reichste Mann im Gouvernement, hat ihr sogar einmal ein goldenes Tintenfa; ;berreicht!« – Kupfer erz;hlte das alles sehr lebhaft, ohne ;brigens besondere Empfindsamkeit zu zeigen und seine Rede immer mit Fragen wie: »Warum interessiert dich das?« »Was brauchst du das zu wissen?« unterbrechend, w;hrend Aratow ihm mit verzehrender Spannung zuh;rte und immer mehr Einzelheiten forderte. Als Kupfer endlich alles, was er wu;te, berichtet hatte, verstummte er und belohnte sich f;r seine M;he mit einer Zigarre.
»Und warum hat sie sich vergiftet?« fragte Aratow. »In der Zeitung hie; es –;«
Kupfer warf beide Arme empor. »Ja, das kann ich wirklich nicht sagen. Ich wei; es nicht. Was in der Zeitung steht, ist Unsinn. Klaras Lebenswandel war tadellos –; sie hatte gar keine Liebesaff;ren –; Wie k;me sie auch dazu mit ihrem Stolz?! Stolz war sie wie der Satan und unzug;nglich! Ein Tollkopf! Hart wie Stein! Du kannst es mir glauben: Ich kannte sie doch gewi; gut, habe aber niemals Tr;nen in ihren Augen gesehen!«
Ich habe aber welche gesehen, dachte Aratow.
»Aber in der letzten Zeit«, fuhr Kupfer fort, »hatte ich an ihr eine gro;e Ver;nderung wahrgenommen: Sie war auf einmal so tr;bsinnig und schweigsam geworden, stundenlang konnte man von ihr kein Wort zu h;ren bekommen. Wie oft habe ich sie gefragt: ›Hat Sie vielleicht jemand beleidigt, Katerina Ssemjonowna?‹ Ich kannte ja ihren Charakter: Sie konnte keine Beleidigung ertragen! Sie schweigt aber, und es ist aus ihr nichts herauszubekommen. Selbst die Erfolge auf der B;hne machten ihr keine Freude mehr; die Blumen regnen auf sie nur so nieder, und sie l;chelt nicht einmal! Das goldene Tintenfa; sah sie nur einmal an und stellte es gleich weg. Sie beklagte sich, da; noch niemand f;r sie die richtige Rolle, wie sie sie verstehe, geschrieben h;tte. Das Singen gab sie aber ganz auf. Ich mu; es dir beichten, mein Lieber! Ich hatte ihr damals erz;hlt, da; du an ihrem Gesang die Schule vermi;test. Und doch ist es ganz unbegreiflich, warum sie sich vergiftet hat! Und wie sie sich vergiftet hat!«
»In welcher Rolle hatte sie den gr;;ten Erfolg?« Aratow wollte eigentlich fragen, in welcher Rolle sie zum letzten Male aufgetreten war, fragte aber aus irgendeinem Grunde etwas ganz anderes.
»Wenn ich nicht irre, in Ostrowskijs ›Grunja‹. Ich mu; es aber noch einmal sagen: gar keine Liebesaff;ren! Urteile doch selbst. Sie lebte im Hause ihrer Mutter –; Du kennst wohl solche Kaufmannsh;user: In jeder Ecke h;ngt ein Heiligenbild mit einem brennenden L;mpchen davor, die Luft ist zum Sterben dumpf, ein widerlicher, s;uerlicher Geruch in allen Zimmern, im Salon stehen l;ngs der W;nde St;hle und sonst keine M;bel, und auf allen Fensterb;nken Geranien; und wenn ein Gast ins Haus kommt, f;ngt die Hausfrau zu st;hnen an, wie wenn ein Feind sie ;berfallen h;tte. Wie kann man da an irgendwelche Liebesaff;ren denken? Es kam vor, da; man selbst mich nicht einlie;. Ihre Dienstmagd, ein kr;ftiges Frauenzimmer in rotem Sarafan mit H;ngebr;sten, tritt mir im Vorzimmer in den Weg und knurrt: ›Wo wollen Sie hin?‹ – Nein, ich kann unm;glich begreifen, warum sie sich vergiftet hat. Das Leben machte ihr offenbar keine Freude mehr!« Kupfer schlo; mit dieser philosophischen Betrachtung seinen Bericht.
Aratow sa; mit gesenktem Kopf. »Kannst du mir vielleicht die Adresse des Hauses in Kasan geben?« sagte er nach einer Pause.
»Gewi;, was brauchst du sie? Willst du vielleicht hinschreiben?«
»Vielleicht.«
»Wie du willst. Die Alte wird dir aber nicht antworten, weil sie weder zu lesen noch zu schreiben versteht. H;chstens die Schwester –; Ja, die Schwester ist ein ungew;hnlich kluges M;dchen! Aber ich mu; doch ;ber dich staunen, mein Bester: fr;her diese Gleichg;ltigkeit, und jetzt dieses Interesse! Das kommt alles von deiner einsamen Lebensweise!«
Aratow entgegnete nichts auf diese Bemerkung, schrieb sich die Kasaner Adresse auf und ging.
Als er vorhin zu Kupfer fuhr, dr;ckte sein Gesicht Erregung, Erstaunen und Erwartung aus. Jetzt ging er mit gleichm;;igen Schritten, die Augen gesenkt, den Hut tief in die Stirn gedr;ckt, nach Hause. Fast jeder Vorbeigehende sah ihm mit forschenden Blicken nach. Er gab aber auf die Vorbeigehenden nicht acht: ganz anders als damals auf dem Boulevard.
»Unselige Klara! Wahnsinnige Klara!« klang es in seiner Seele.
X
Den folgenden Tag f;hlte sich Aratow verh;ltnism;;ig ruhig. Er konnte sogar seinen gewohnten Besch;ftigungen nachgehen. Dabei dachte er aber unausgesetzt an Klara und an alles, was Kupfer ihm gestern gesagt hatte. Seine Gedanken waren allerdings recht friedlicher Natur. Es schien ihm, da; jenes seltsame M;dchen ihn nur vom psychologischen Standpunkt aus interessiere, wie eine Art R;tsel, dessen L;sung wohl einiges Kopfzerbrechen wert sei. Sie ist mit einer ausgehaltenen Schauspielerin durchgebrannt, dachte er sich, hat sich in den Schutz der F;rstin begeben, bei der sie wohl auch wohnte – und soll keine Liebesaff;ren gehabt haben? Das klingt zu unwahrscheinlich! Kupfer sagt zwar, sie sei zu stolz gewesen. Erstens wissen wir aber (Aratow meinte: Wir haben es in B;chern gelesen)… wir wissen, da; Stolz sich wohl mit Leichtsinn vereinbaren l;;t; zweitens, wie brachte sie es bei ihrem Stolz fertig, einen Menschen zum Stelldichein einzuladen, der sie mit Verachtung behandeln k;nnte?… Und sie auch tats;chlich so behandelt hat, und das auf einem ;ffentlichen Boulevard! Aratow fiel wieder die Szene auf dem Boulevard ein, und er fragte sich, ob er sie tats;chlich mit Verachtung behandelt h;tte. Nein! sagte er sich zuletzt. Es war ein anderes Gef;hl. Ein Nichtverstehen… vielleicht auch Mi;trauen!
Unselige Klara! klang es ihm wieder im Kopfe. Ja, sie ist wohl unselig, das ist der richtige Ausdruck. – Und wenn dem so ist, so war ich ungerecht. Sie hatte recht, als sie sagte, ich h;tte sie nicht verstanden. Schade! Ein vielleicht ganz au;erordentliches Gesch;pf ging so nahe an mir vorbei, und ich machte keinen Gebrauch davon und stie; sie zur;ck… Nun, das macht doch nichts! Das ganze Leben liegt noch vor mir. Vielleicht stehen mir noch ganz andere Begegnungen bevor!
Warum hat sie aber gerade mich erw;hlt? Er